Wer die Berichte deutscher Medien zum China-Besuch unserer Außenministerin Annalena Baerbock liest, fällt vom Glauben ab. Offenbar hält man Baerbock in den Redaktionsstuben für das größte diplomatische Genie seit Talleyrand, Metternich und Bismarck. Dass diese eigenwillige Sichtweise, von der man sich ohnehin fragt, ob die Autoren das wirklich ernst meinen, außerhalb unserer Landesgrenzen bestenfalls belächelt wird, zeigt ein Kommentar des Journalisten Alex Lo in der in Hong Kong erscheinenden South China Morning Post. Diese Außensichtweise hilft, das diplomatische Versagen der obersten deutschen Diplomatin zu erahnen. Jens Berger hat den Text für unsere Leser ins Deutsche übersetzt.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die oberste deutsche Wolfskriegerin [*] will, dass China den Krieg beendet, den der Westen sponsert
Wenn ein ehemaliger Friedensaktivist zum neokonservativen Interventionismus amerikanischer Prägung konvertiert, kann er übermütiger sein als der durchschnittliche General im Pentagon.
Hier haben wir Annalena Baerbock, Deutschlands kriegerische Außenministerin, die nach Peking reist, um China zu sagen, es solle sich benehmen und Anweisungen befolgen – sonst …
„China trägt eine besondere Verantwortung für den Weltfrieden“, sagte sie im Vorfeld ihrer Reise. „Die Rolle, die China mit seinem Einfluss gegenüber Russland spielt, wird Konsequenzen für ganz Europa und für unser Verhältnis zu China haben.“
„Ganz oben auf meiner Agenda … steht unser Interesse, den Krieg vor unserer europäischen Haustür in der Ukraine zu einem schnellen, dauerhaften und gerechten Ende zu bringen.“
Ich bin sicher, dass sie in Peking auf offene Ohren stoßen wird, wenn sie vor Beginn ihres Besuchs eine direkte Drohung ausspricht.
Die oberste Vertreterin der Grünen, der einst friedliebenden deutschen linken Partei, hat offen erklärt, dass ihr Land zusammen mit der NATO und den Vereinigten Staaten einen Krieg gegen Russland führt.
So sagte sie am 24. Januar vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg: „Wir führen einen Krieg gegen Russland … Wir können diesen Krieg nur gemeinsam führen.“
Ich möchte die ganze Passage wiedergeben, damit mir nicht jemand vorwirft, ich zitiere aus dem Zusammenhang gerissen: „Ja, wir müssen mehr tun, um die Ukraine zu verteidigen. Ja, wir müssen mehr tun, auch mit Panzern. Aber das Wichtigste und Entscheidende ist, dass wir es gemeinsam tun und dass wir in Europa keine Schuldzuweisungen vornehmen, denn wir führen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“
„Natürlich braucht die Ukraine mehr militärische Unterstützung, aber nicht nur von einem Land wie dem meinen oder den USA, sondern von uns allen. Wir können diesen Krieg nur gemeinsam bekämpfen.“
Am Tag nach ihrer Rede kündigte Berlin die Entsendung von 14 hochmodernen Leopard-2-Panzern in die Ukraine an – und erklärte, dass man anderen Ländern erlauben würde, ihre ebenfalls zu schicken. Anfang Januar besuchte sie die Frontlinien in der Ostukraine, um für mehr westliche Waffen zu werben.
Lassen Sie mich also ihre Warnung vor China verstehen. Der kollektive Westen hat unendlich viele Waffen und militärische Ausbildung geliefert und Echtzeitinformationen über russische Truppenbewegungen und Ziele bereitgestellt, aber es liegt in der Verantwortung Chinas, Russland aus der Ukraine herauszuholen.
Peking hat der Moskauer Kriegsmaschinerie weder Waffen noch Geheimdienstinformationen geliefert und ist die einzige Weltmacht, die so etwas wie einen Friedensvorschlag gemacht hat.
Baerbock erinnert mich an ein Internet-Meme von vor einiger Zeit: „Tut mir leid, aber ich kann dich nicht hören, weil ich so großartig bin.“ Es scheint, als sei sie so fasziniert von der Großartigkeit ihrer an Churchill erinnernden Kriegsrhetorik, dass sie sich nicht die Mühe macht, abzuschätzen, wie sie für andere klingt.
Wahrscheinlich ist sie zu sehr an die Beweihräucherung und die Jubelrufe – „Deutschland wird sich seiner historischen Verantwortung bewusst”, bla, bla, bla – im NATO-Hauptquartier und in Washington gewöhnt.
Ihr Land steht nun an der Spitze des militärischen Wiederaufstiegs der Europäischen Union, angeführt von einem ehemaligen Friedensaktivisten.
Es gibt jedoch das kleine Problem, dass die meisten Menschen in der EU ein schnelles Ende des Krieges durch die Aufnahme von Verhandlungen wünschen. Laut einer Umfrage des Project Europe Research von Szazadveg, einer ungarischen Denkfabrik, stimmten im Dezember überwältigende 82 Prozent der EU-Bürger der Aussage zu, „dass Russland und die Ukraine zu Friedensgesprächen gezwungen werden sollten, um den Krieg zu beenden“.
Irgendwie zählen die Stimmen der Mehrheit in Europa nicht – trotz wiederholter Umfragen mit ähnlichen Ergebnissen und Massenkundgebungen auf dem ganzen Kontinent – wenn es um die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine geht.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Baerbocks China-Reise nur eine Augenwischerei ist, um zu zeigen, dass westliche Kriegstreiber wie sie vernünftige Menschen sind und dass es die Chinesen sind, die nicht nach der Pfeife Washingtons und der NATO tanzen, um Moskau zur Kapitulation zu zwingen.
Als Umweltschützerin hätte sie Mutter Erde helfen können, indem sie sich die Reise und den damit verbundenen CO2-Fußabdruck ihres Staatsjets nach China gespart hätte.
[«*] Der Begriff „Wolfskrieger-Diplomatie“ („wolf warrior diplomacy“) ist ein bei chinesischen Diplomaten verbreiteter Terminus, der eine aggressive, konfrontative und konfliktsuchende Rhetorik gegenüber China beschreibt. Er stellt das Pendant zum „Kalten Krieger“ in den traditionellen Ost-West-Beziehungen oder generell zum „Falken“ dar.
Titelbild: Screencap Tagesschau