Zugegeben, „Militarisierungsspirale“ ist eine sperrige Wortkreation. Diese ist in Sachen Militarisierung der Gesellschaft, welche nichts mit Entspannung, mit Fortschritt, mit Frieden bewahren zu tun hat, aber allzu zutreffend und gefährlich. Diese Spirale dreht sich hier in Europa gerade immer schneller. Wohin man den Blick richtet, überall wird aufgerüstet, verbal, strukturell, materiell, wird sich seitens friedensmüder Regierungen und angeschlossener Medienhäuser, Denkfabriken und weiterer Gefolgschaften straff wehrhaft gezeigt, wird sich abgeschottet, als stünde der Feind in der Tür. Es steht ja auch einer vor der Tür, kann man einwenden, es ist indes einer, den man immer und immer wieder mit diesem Stempel „Feind“ versah. Den vereinten Völkern Europas ist dieses dauernde Säbelrasseln aber nicht recht, nur deren Führern passt die Entwicklung gut ins Konzept. Die Eliten wähnen sich dazu noch so geschickt in ihrem Treiben, ihren ganzen Irrsinn den Untertanen als sinnvoll, patriotisch, gut und damit als notwendig zu verkaufen. Wie kann der Irrsinn gestoppt werden? Von Frank Blenz.
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Liste der Nichtentspannungspolitik
Neue Grenzzäune im Norden Europas, die Wiedereinführung der Wehrpflicht in verschiedenen Ländern der EU inklusive der Bundesrepublik, ein opulentes Sondervermögen als Investitionsinvasion für die Bundeswehr, eine unsägliche Panzerverschickung gen Osten, der Bau von Panzerfabriken im Osten, die Modernisierung von Atombomben im Westen, Bunkerbau, Ostflankenausbau, Reservistenaktivierung, Modernisierung der Polizei, Spezialeinheiten – die Aufzählung ist beliebig fortsetzbar. Hier und in vielen Ländern Europas wird aufgerüstet, als gäbe es kein Morgen. Die einfachen Leute ächzen, die Bosse der Waffenschmieden jubeln.
Man erinnere sich: Zwei Prozent der Summe des Bruttoinlandsproduktes (BIP) unseres Landes sollen in die Verteidigung, in die Rüstung, in die Wehrhaftigkeit der Bundesrepublik investiert werden – Jahr für Jahr, gefordert von unserem großen Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks, brav und einsichtig erfüllt von uns. Doch auch das reicht manchen Militaristen nicht. Ein sogenanntes Sondervermögen von sage und schreibe 100 Milliarden Euro ist beschlossene Sache. Und die Bundeswehrbeauftragte in Berlin fordert sogar noch mehr: 300 Milliarden. Danach also haben wir eine wehrhafte, einsatzbereite Bundeswehr zuzüglich zahlreicher Einheiten aus Übersee in unserem Land, die unsere Freiheit verteidigen.
Wehrpflicht – Erziehungsinstrument? In Wahrheit Druck – und Mobilisierungsmittel
Neben all dem Geld sind laut den Planern des Irrsinns auch die Menschen ein zu mobilisierendes Potenzial für die wehrhafte Stärkung Deutschlands und Europas. Zauberwort Wehrpflicht. In Europa steht diese Art der Verpflichtung von Staatsbürgern zu Diensten ihres Landes nach vielen Jahren der Entspannung wieder auf dem Plan. In Frankreich soll die bis zu sechs Monate dauern und auch Frauen in die Pflicht nehmen. In Dänemark gibt es die Wehrpflicht immer noch, die solle nun auch Frauen „einbeziehen“ dürfen. Griechenland hat die wehrhafte Pflicht auf ein Jahr verlängert. In Spanien ist zwar die Wehrpflicht abgeschafft worden, Jugendliche werden aber weiterhin als Reservisten geführt, für alle Fälle. In Lettland ist die Wehrpflicht wieder aktiviert, in Italien wird seit längerer Zeit über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Man verkauft diese Pflicht, als wäre es ein Schuljahr, in welchem junge Leute Manieren und Pflichtbewusstsein erlernten. Die Niederlande plant einen elfmonatigen Pflichtwehrdienst für eine limitierte Zahl an Bürgern, welche nach einem Auswahlverfahren benannt würden. Polen beruft Bürger unter 63 Jahren als Reservisten ein.
Und in Deutschland? Auch bei uns rasseln die Säbel. Der sich hart und konsequent gebende Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) findet, dass die Abschaffung der Wehrpflicht ein Fehler war. Und auch diese Führungskraft kommt mit der moralischen, emotionalen, patriotischen, pädagogischen Keule, indem er die Wehrpflicht bedeutungsvoll für das Funktionieren unserer Gesellschaft aufzeigt. Der Chef der deutschen Marine, Jan Christian Kaack, springt seinem Dienstherrn zackig bei und schlägt die Rückkehr zur Wehrpflicht vor, weil: „Ich glaube, dass dies ein höheres Bewusstsein für eine Nation gewährleisten würde, die in Zeiten wie diesen widerstandsfähiger sein muss.“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird das gerne hören, das Zitat hätte sein Redenschreiber nicht besser formulieren können.
Friedliche Gesellschaften werden zu wehrhaften umgebaut
Europäer, wir Deutsche eingeschlossen, sind zunächst ja froh, dass sie auf ihrem Kontinent im Großen und Ganzen viele Jahrzehnte in Frieden leben konnten, lässt man die auch auf unserem Kontinent stattgefundenen Konflikte und Kriege aus. Und nein, es gibt keinen Grund, dass sich diese Friedlichkeit ändern sollte, es sei denn, man verkündet Zeitenwenden und man rüstet auf und verspricht sich damit einen großen Vorteil, einen Sieg in Zukunft gar. Die Eskalation geschieht mit zunehmender Intensität, die Spirale der Militarisierung dreht auf. Wie oft in dieser Art Politik die Interessen und Bedürfnisse und Rechte der Menschen der europäischen Länder von deren Regierungen missachtet werden, ist vielfältig auf dem Kontinent zu beobachten.
Siehe Tschechien. Dort lässt der neu gewählte Präsident, ein ehemaliger NATO-General und Fallschirmspringer, keine Gelegenheit aus, sein Land wehrhafter machen zu wollen. Die an und für sich schon kleinen CZ-Streitkräfte (und kein Feind weit und breit um das kleine Land herum) werden modernisiert und verstärkt, Waffenlieferungen an wehrhafte Nachbarn sind im Gespräch. Den Forderungen vieler Demonstranten auf dem Prager Wenzelsplatz, dem Ort der Samtenen Revolution von 1989, und vieler Bürger landauf, landab, dass Tschechien neutral und friedfertig sein solle, schenkt der neue Präsident kein Gehör.
Siehe Polen. Die Hardliner liefern Flugzeuge in die Ukraine, sie schicken Einberufungsbefehle an ihre Landsleute ins Ausland.
Siehe Finnland. Das Land im hohen Norden feiert gerade seinen „NATO-Beitritt“. Der Bau eines Grenzzaunes wirkt wie ein Eintrittsgeschenk. Wie das ZDF berichtete, beginnt der Ausbau des ersten Zaun-Abschnitts in Imatra im Südosten des Landes und erstreckt sich über drei Kilometer. Er soll Ende Juni fertiggestellt sein. Weitere 70 Kilometer Zaun sollen bis 2025 errichtet werden. Insgesamt will Finnland rund 200 Kilometer seiner 1.300 Kilometer langen Grenze zu Russland verstärken und sieht dafür Kosten in Höhe von rund 380 Millionen Euro vor.
Siehe Deutschland. Der deutsche Rüstungsriese Rheinmetall plant, für 200 Millionen Euro eine Panzerfabrik in der Ukraine zu bauen. Wie es heißt, sollen dort „600 bis 800 Panzer für den Sieg“ produziert werden. Die Information stammt von unserem Wirtschaftsminister, der gleich noch mögliche Konsequenzen benennt, falls es zu Schwierigkeiten kommt. Auf die Frage, wer zahlt, wenn Fabriken durch Angriffe zerstört würden, informiert Wirtschaftsminister Habeck seine Landsleute: Konzerne, die in der Ukraine Fabriken errichten, erhalten vom deutschen Staat eine „Investitionsgarantie“. Das heißt: Sollten deren Fabrikgebäude im Krieg zerstört werden, garantiert oder haftet der deutsche Staat.
Man kann, man muss „Nein“ sagen
Geschichte erleben wir als Aufeinanderfolge von Wellen… Auf und Ab, Fortschritt, Rückschritt. Doch ein Naturgesetz ist das nicht. Warum müssen wir Rüstung und Militarisierung in allen Lebensbereichen erleben? Den Völkern der Welt (so hätte ein berühmter Bürgermeister mal ausgesprochen) ist es nicht recht, wenn sie ihre Söhne (und Töchter) wieder hergeben sollen, oder? Hoffnung kommt woanders her als aus Europa und aus Übersee. Zur Militarisierung der Welt sagen viele Länder „Nein“. Siehe Afrika. Militarisierung „Nein“ sagen in Afrika 54:0 Staaten.
„Als Präsident Biden im Februar 2022 Sanktionen gegen Russland wegen des Einmarsches in die Ukraine ankündigte, bezeichnete er dies als Kampf der Demokratie gegen die Tyrannei. Er erwartete, dass Afrika sich der Führung der USA anschließen würde. Es überrascht nicht, dass sich kein einziges der 54 afrikanischen Länder den US-Sanktionen gegen Russland angeschlossen hat. Viele sind neutral; einige unterstützen sogar Russlands Krieg, um die Osterweiterung der NATO an Russlands Grenzen zu verhindern und die Unabhängigkeit des ukrainischen Donbass von der Kiewer Aggression zu erlangen, die dort Tausende von Ukrainern getötet hat. […] Russland hat kürzlich seine Konferenz „Russland-Afrika in einer multipolaren Welt“ einberufen, auf der die meisten afrikanischen Staaten vertreten waren. Kein einziges Land verurteilte die russische Invasion, während einige den USA und der NATO die Schuld für die Provokation gaben. Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa sagte nach intensiver Lobbyarbeit des US-Außenministers Tony Blinken vor seinem Parlament: „Der Krieg hätte vermieden werden können, wenn die NATO im Laufe der Jahre die Warnungen ihrer eigenen führenden Politiker und Beamten beachtet hätte, dass ihre Osterweiterung zu mehr und nicht zu weniger Instabilität in der Region führen würde.“ Was wir erleben, ist eine weltweite seismische Verschiebung, die die unipolare Dominanz der USA schwächt. Die Behauptungen der USA über Demokratie und Tyrannei klingen hohl, nicht nur in Afrika, sondern – abgesehen von der NATO und einigen wenigen anderen – weltweit. Mehr als zwei Drittel unserer 8 Milliarden Menschen leben in Ländern, die die US-Proxy-Kriegspropaganda ablehnen.“
Wie kann der Irrsinn gestoppt werden?
Eine Antwort lautet: Zu Rüstung, Wehrpflichtsplänen und all dem Säbelrasseln „Nein“ sagen, ist Bürgerpflicht. Demonstrieren, Frieden und Vernunft fordernde Briefe an Amts- und Entscheidungsträger schreiben, in Verwandtschaft, Bekanntschaft, im Freundeskreis, unter Kollegen immer und immer wieder zur Diskussion bringen, dass eine friedliche, eine solidarische Welt nicht mit Waffen, mit Eskalation, mit Bedrohung, mit einer „wehrhaften Haltung“ erreicht wird, sondern mit Dialog, aufeinander Zugehen, Abrüstung, Deeskalation, Entspannung, friedlicher Koexistenz verschiedener Ansichten.
Man blicke nur auf die vergangenen Osterfeiertage zurück, bei denen von der Kanzel von Kirchen Würdenträger darauf hinwiesen, dass das Leben stärker als der Tod sei. In Rom forderte Papst Franziskus, dass mehr Frieden in die Krisen und wider den Kriegen eingebracht werden müsse. Papst Franziskus forderte die Beendigung des Krieges in der Ukraine und aller Konflikte weltweit. Sich dafür einzusetzen und die Militarisierungsspirale anzuhalten, wäre ein wichtiger Schritt. Die, die das entscheiden können, müssen ihr militaristisches, wehrhaftes Handeln ändern.
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