Die Berichterstattungen zu den Fällen Julian Assange einerseits und (aktuell) Alexej Nawalny andererseits sind weitere Beispiele für inakzeptable doppelte Standards vieler deutscher Medien. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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In den letzten Tagen gab es zahlreiche anteilnehmende Berichte zum Schicksal des in Russland inhaftierten Aktivisten Alexej Nawalny. So brachte allein der Deutschlandfunk am Mittwoch diverse Beiträge dazu, dass Nawalny „offenbar erneut schwer erkrankt“ sei, dass er aber dennoch „wieder in eine Einzelzelle verlegt wurde“. Gegen diese Anteilnahme ist prinzipiell gar nichts einzuwenden – fragwürdig wird sie, wenn man sie mit dem politisch-medialen Engagement für das Schicksal von Julian Assange vergleicht.
Der Vergleich Nawalny/Assange erfüllt nicht die Kriterien des unredlichen „Whataboutism“. Der Umgang vieler westlicher Medien und Politiker der letzten Jahre mit Julian Assange schreit zum Himmel – gerade, wenn man diesen Umgang an den Phrasen zu den eigenen „Werten“ misst: Der Fall lässt die Selbstbeweihräucherung bezüglich westlicher Meinungsfreiheit und dem Umgang mit westlichen Kriegsverbrechen in sich zusammenfallen.
Die meiner Meinung nach sehr fragwürdigen politischen Standpunkte Nawalnys sollen in diesem Artikel bei der Beurteilung der Prozesse gegen ihn und der Berichterstattung darüber keine Rolle spielen.
Politisch-moralische Doppelstandards in vielen Medien
An den medialen Doppelstandards ändern in der Gesamtsicht auf die letzten Jahre auch die kürzlichen Berichte großer Medien zum traurigen vierten Jahrestag von Assanges Verschleppung aus der Botschaft Ecuadors in London nicht viel. Man muss aber doch auch wahrnehmen, dass es leichte Veränderungen gab: Von der fast totalen Ignoranz des Falles Assange wurde teils dazu übergegangen, (meist betont zurückhaltend) hin und wieder darüber zu berichten, mutmaßlich, um nicht noch die allerletzte Glaubwürdigkeit beim Thema Meinungsfreiheit zu verlieren.
Der Unterschied vieler Assange-Berichte im Vergleich zur Verteidigung „russischer Kremlkritiker“ liegt in der politisch-moralischen Einordnung der Personen, im Maß der Aufmerksamkeit und im Maß der emotionalen Anteilnahme. Auch wenn sich die mediale Haltung wie gesagt leicht verändert hat: Assange bekommt überwiegend die trockenen Updates, während Nawalny oft eher die gefühlige Reportage gewidmet ist. Ein anderes Beispiel für solche Doppelstandards haben wir 2019 im Artikel „Wenn Assange doch nur ein Russe wäre“ beschrieben. Zum Vergleich des medialen Umgangs mit Nawalny einerseits und Assange andererseits haben wir 2020 im Artikel „Große Gefühle für Nawalny – eisige Kälte für Assange“ geschrieben:
„Aber im Vergleich zur kalten Missachtung von Julian Assange erscheint der Aufruhr um Nawalny als eine politisch motivierte Farce. Der Fall ist Anlass für massive antirussische Meinungsmache – die Rolle des Moralapostels erscheint bei vielen westlichen Journalisten grotesk.“
Die innerhalb des Falles Assange bestehende krasse Ungerechtigkeit wird überdeutlich, wenn beschrieben wird, dass die von Assange enttarnten Kriegsverbrecher teils unbehelligt bleiben, während der Aufklärer in Isolationshaft sitzt. Bereits im Februar hat Moritz Müller in diesem Artikel dazu geschrieben:
„Mittlerweile ist der von der Auslieferung an die USA bedrohte WikiLeaks-Gründer Julian Assange seit 4.455 Tagen seiner Freiheit beraubt. Die USA sind die Nation, deren Korruption und Kriegsverbrechen er aufzudecken half. Viele ihrer Kriegsverbrecher sind entweder nie vor Gericht gestellt worden oder mittlerweile begnadigt, während dem Enthüller Assange von Seiten dieser Nation 175 Jahre Haft angedroht werden. Nur wenige Politiker oder Journalisten äußern sich sporadisch zu diesem Unrecht.“
Umgang mit Assange rechtfertigt nicht den Umgang mit Anderen
Dass der Umgang mit Assange als „politische Verfolgung, Justizwillkür und Folter“ zu bezeichnen ist, hat 2021 einmal mehr UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer im Interview betont:
„Der Fall Assange ist die Geschichte eines Mannes, der mit psychischer Folter dafür bezahlen muss, dass er über die Plattform Wikileaks die schmutzigen Geheimnisse der Mächtigen an die Öffentlichkeit gebracht und damit Kriegsverbrechen, Folter und Korruption enthüllt hat. Es ist die Geschichte schwerster Justizwillkür in westlichen Demokratien, die sich im Bereich des Menschenrechtsschutzes sonst gerne als Vorzeigestaaten darstellen.“
Der Fall Assange rechtfertigt selbstverständlich nicht einen schlechten Umgang mit anderen Strafgefangenen, etwa mit Alexej Nawalny in Russland. Das Gleiche gilt für den von den Russen der Spionage beschuldigten US-Journalisten. Im Artikel Nawalny, Medien, Heuchelei haben wir betont:
„Das Eintreten westlicher Medien und Politiker gegen die Verhaftung Nawalnys soll darum nicht kritisiert werden – auch wenn der westliche Umgang mit dem nationalistischen Politiker ansonsten zahlreiche Fragen aufwirft, doch dazu später mehr. Ein indirekter Skandal wird die exzessive Berichterstattung für Nawalny vor allem im direkten Vergleich mit dem Umgang vieler westlicher Medien mit jenen Bedrängten, die westlicher Politik kritischer als Nawalny gegenüberstehen.“
Verschleppung von Assange: Vier Jahre Unrecht
Dafür ist es allerhöchste Zeit! Die Verschleppung von Assange aus der Botschaft Ecuadors in London ist nun vier Jahre her. Moritz Müller hat anlässlich dieses traurigen und skandalösen Jahrestages gerade in diesem Artikel geschrieben:
„Seitdem verschleppen die Behörden der beteiligten Länder seinen Fall. ‚Aktuell‘, das heißt seit Ende August letzten Jahres, wartet Julian Assange in seiner 6 m² kleinen Zelle darauf, dass ein namenloser britischer Richter entscheidet, ob seine zwei Berufungsanträge am Londoner High Court angenommen werden.“
Titelbild: Katherine Da Silva / Shutterstock
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