Ein aktuelles Video mit Frankreichs Ex-Präsident Francois Hollande lenkt den Blick noch einmal auf die Vorgänge während der Friedensverhandlungen von Minsk in 2015. Merkel und Hollande hatten sich zur Hinhalte-Taktik des Westens gegenüber Russland und den von Kiew angegriffenen Bewohnern des Donbass bereits öffentlich bekannt. Dieses Vorgehen bei dem „Friedensabkommen“ hat den Ukrainekrieg mit möglich gemacht. Angesichts dessen sind die heutigen Äußerungen der damals Verantwortlichen infam. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Die Friedensverhandlungen von Minsk 2015 wurden von westlicher Seite mutmaßlich nicht mit dem Ziel geführt, den Konflikt mit den offiziell formulierten Kompromissen zwischen Kiew und Donbass friedlich zu beenden (unter anderem: Waffenstillstand, Teilautonomie des Donbass, territoriale Integrität der Ukraine). Stattdessen sollte mit diesen „Angeboten“ vor allem Zeit für die Aufrüstung der Ukraine „erkauft“ werden: Zumindest haben sich zu dieser Taktik mittlerweile Beteiligte öffentlich bekannt, etwa Ex-Kanzlerin Angela Merkel. Die heutigen zerstörerischen Folgen dieses Handelns, in Verbindung mit der ideologischen und militärischen Aufrüstung der Ukraine, sind ebenfalls bekannt. Nun gibt es ein Video mit dem ehemaligen Präsidenten Frankreichs, Francois Hollande: Er hatte Merkel bereits früher zugestimmt – seine aktuellen Äußerungen sind aber Anlass, noch einmal auf die wichtigen Vorgänge von Minsk hinzuweisen.
Minsk ist vor allem wegen Verweigerung vonseiten Kiews gescheitert, die ausgehandelten Punkte auch umzusetzen. Dass diese Verweigerung akzeptiert wurde und dass die jahrelangen Angriffe Kiews auf die Zivilisten im Donbass nicht angemessen thematisiert und verurteilt wurden, das sind einige der Gründe, die zum Ukrainekrieg geführt haben. Dieser Krieg hätte mit der Einhaltung der Minsk-Kompromisse und angemessenen Sicherheitsgarantien für Russland bezüglich der NATO sehr wahrscheinlich verhindert worden können. Das betont auch Jack F. Matlock, ehemaliger US-Botschafter in der Sowjetunion und Direktor für europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat der USA, wie Florian Warweg in diesem Artikel zitiert:
„Der Krieg hätte verhindert werden können – wahrscheinlich hätte er verhindert werden können -, wenn die Ukraine bereit gewesen wäre, sich an das Minsker Abkommen zu halten, den Donbas als autonome Einheit innerhalb der Ukraine anzuerkennen, auf NATO-Militärberater zu verzichten und sich zu verpflichten, nicht der NATO beizutreten.“
Die Kämpfe innerhalb der Ukraine vor 2022 gingen von Kiew und einer „Antiterror-Operation“ genannten Offensive gegen den Donbass aus. Dass die acht Jahre langen Angriffe Kiews auf den Donbass von weiten Teilen der deutschen Politik und Medienlandschaft auch heute eisern totgeschwiegen werden (oder gar ins Gegenteil verkehrt werden), das verurteilt die offizielle Analyse des Ukrainekonfliktes zum Scheitern – ein Scheitern, das gewollt ist. Darum kann nicht oft genug an die dem Maidan-Umsturz von 2014 folgenden Vorgänge erinnert werden.
„Wir waren es, die Zeit gewinnen wollten, um der Ukraine zu ermöglichen, ihre militärischen Mittel zu stärken“
Die russischen „Prankster“ (Aktivisten, die zum Beispiel Telefonstreiche ausführen, indem sie sich als Politiker ausgeben) „Voran und Lexus“ haben vor einigen Tagen bei einem Telefonat mit dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten Francois Hollande Zitate zu Minsk provoziert. Einer der beiden gab sich als der ukrainische Ex-Präsident Petro Poroschenko aus. So stellt der „falsche Poroschenko“ etwa Folgendes fest:
“Ich denke, du stimmst mir zu, dass wir, als wir die Minsker Abkommen unterzeichneten, wussten, dass der Krieg unvermeidlich war, aber du wusstest, dass wir all diese Jahre brauchten, um uns vorzubereiten, die Truppen zu verstärken, um bereit zu sein, ihn zu führen. Das Minsker Abkommen hat uns ein wenig Zeit gegeben, um uns zu bewaffnen. Angela (Merkel) hat kürzlich darüber gesprochen.“
Der echte François Hollande antwortet darauf:
„Sie (Merkel) hatte recht, das zu sagen. Denn es gab die Darstellung, dass es Putin war, der Zeit gewinnen wollte. Aber wir waren es, die Zeit gewinnen wollten, um der Ukraine zu ermöglichen, sich zu erholen, ihre militärischen Mittel zu stärken. Und deshalb müssen wir die Verhandlungen von Minsk verteidigen, bei denen du eine sehr wichtige Rolle gespielt hast. Denn genau in diesen sieben Jahren gab es für die Ukraine Mittel und Wege, sich zu stärken, und hier hat Putin einen Fehler gemacht: Er hat die Fähigkeit der Ukrainer und ihren Widerstand unterschätzt.“
Von dem realen Streich kursiert ein Video (hier wird es etwa von Jimmy Dore kommentiert). Dieses Video ist aber laut der französischen Zeitung „Libération“ teilweise manipulativ zusammengeschnitten, wie sie in diesem „Faktencheck“ (auf Französisch) beschreibt. Bei dem konkreten, oben anführten Zitat ist es aber laut der Zeitung nicht strittig, dass Hollande es bei dem Streich so formuliert hat, das genutzte „wir“ beziehe sich auf Hollande und Merkel.
„Friedenskanzlerin“ bekennt, dass Minsker Abkommen nur ein Trick war
Diese Haltung Hollandes ist nicht neu, er hatte sich bereits im Dezember in dieser Richtung geäußert. Gegenüber der Zeitung „Kiew Independent“ stimmte er den Schilderungen Merkels in der „Zeit“ bezüglich Minsk weitgehend zu. Zu diesen Äußerungen Merkels hieß es in einem damaligen „Spiegel“-Artikel :
“Ihr hat gefallen, dass Churchills Vorgänger mal in einem anderen Licht gezeigt wurde. Nicht als ängstlicher Steigbügelhalter für Hitler, sondern als Stratege, der seinem Land den Puffer verschaffte, sich auf den deutschen Angriff vorzubereiten. München 1938 klingt da wie Bukarest 2008. Sie glaubt, damals und auch später bei den Verhandlungen von Minsk die Zeit gekauft zu haben, die die Ukraine nutzen konnte, um sich einem russischen Angriff besser widersetzen zu können. Sie sei ein stärkeres, wehrhafteres Land jetzt. Damals, da ist sie sicher, wäre sie von Putins Truppen überrollt worden.”
Diese „Finte“ bei den Verhandlungen von Minsk war nach Meinung von Ulrich Heyden aus NATO-Sicht militärisch notwendig, wie er im Artikel „Mythos Merkel zerplatzt: ‚Friedenskanzlerin’ bekennt, dass Minsker Abkommen nur ein Trick war“ schreibt. Zu den Teilnehmern sagt Heyden:
An den Verhandlungen um das Abkommen waren auch Wladimir Putin und der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko beteiligt. Unterzeichnet wurde das Abkommen von dem früheren Präsidenten der Ukraine, Leonid Kutschma, dem Botschafter der Russischen Föderation in der Ukraine, Michail Surabow, den Führern der ‚Volksrepubliken‘ Lugansk und Donezk, Igor Plotnizki und Alexander Sachartschenko, sowie der OSZE-Beauftragten Heidi Tagliavini.“
Wer sollte dem nächsten „europäischen Friedensplan“ Glauben schenken?
Dass das Verhalten des Westens bezüglich der Unterstützung des Maidan-Umsturzes und der folgenden Haltung gegenüber Russland zu dem Krieg führen könnte, den wir heute erleben, das war bereits 2014 absehbar, wie unter anderem dieser Offene Brief von 2014 belegt. Es muss auch den westlichen Verhandlungsführern in Minsk klar gewesen sein, welche Chance sie dort zerstört haben.
Das Verhalten von EU-Politikern im Zusammenhang mit Minsk hat die Bürger Europas aber nicht nur in große aktuelle Gefahr gebracht. Zusätzlich richten die öffentlichen „Eingeständnisse“ dieses Verhaltens durch Merkel und Hollande großen Schaden im allgemeinen zukünftigen Vertrauensverhältnis zwischen den Staaten an. Warum sollten beteiligte Parteien beim nächsten „europäischen Friedensplan“ denn glauben, dass es „dieses Mal“ ernst gemeint ist? Zumal auch der Wortbruch bezüglich der NATO-Osterweiterung bei künftigen Verhandlungen sicherlich noch nicht vergessen sein wird. Oskar Lafontaine hat dazu im Artikel „Vom Kniefall in Warschau zur Lüge von Minsk“ geschrieben:
„Die Russen konnten vielleicht das gedankenlose Gerede der Außenministerin, man wolle Russland ruinieren, noch nicht zum Anlass nehmen, ihre Bereitschaft infrage zu stellen, mit Deutschland zu verhandeln. Nach Merkels Interview aber sagte Putin: ‚Ja, natürlich waren sie auf der Seite der Ukraine. Sie haben sie unterstützt. Aber ich hatte den Eindruck, dass die Führung der BRD immer aufrichtig eine Einigung auf der Grundlage der vereinbarten Prinzipien angestrebt hat, die auch im Rahmen des Minks-Prozesses erreicht wurden.’ Nach Merkels Äußerungen frage er sich, mit wem man es in Berlin überhaupt zu tun habe.“
Was sollen also diese öffentlichen Betonungen der Unehrlichkeit der eigenen Verhandlungstaktik? Geht es nur darum, im neuen gift-grünen Zeitgeist opportunistisch zu punkten? Oder trifft eher die Theorie der „Schutzbehauptung“ den Kern? Demnach hätten EU-Politiker in Minsk eigentlich doch versucht, ernsthaft zu verhandeln, hätten sich damals aber gegenüber den von den USA aufgewiegelten Ukrainern nicht durchsetzen können. Diese Demütigung solle nun (verbunden mit der Anbiederung an den neuen „Zeitenwende“-Zeitgeist) von den damals bloßgestellten Verhandlungsführern zu einer gelungenen List umgedeutet werden.
Titelbild: Sodel Vladyslav / Shutterstock