Milliarden-Subventionen ohne Gegenleistung
Das „Maritime Bündnis“ zwischen der Bundesregierung und den deutschen Reedern wurde an diesem Wochenende von den Reedern einseitig aufgekündigt. Als Gegenleistung für milliardenschwere Subventionen hatten sich die Reeder verpflichtet [PDF – 197 KB], mindestens 600 Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen und somit die Ausbildung des inländischen nautischen Personals zu gewährleisten. Da die Reeder sich nicht an ihre Zusagen gehalten haben, lässt Berlin in diesem Kalenderjahr die Lohnkostenzuschüsse für Schiffe unter deutscher Flagge auslaufen. Für die Reeder ist dies jedoch zu verschmerzen, solange nicht eine andere, wesentlich größere, Subvention auf die Liste der Einsparungen gesetzt wird – die unter Rot-Grün eingeführte Tonnagesteuer, die de facto eher eine Steuerbefreiung für die gesamte Branche darstellt. Statt einzulenken, gehen die Reeder jedoch zum Frontalangriff über und kündigten am gestrigen Montag an, nun auch die letzten unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe auszuflaggen. Wie lange will sich Berlin noch auf der Nase herumtanzen lassen? Von Jens Berger
Die deutsche Handelsflotte schrumpft von Jahr zu Jahr, zugleich explodiert jedoch die Zahl der Schiffe, die im deutschen Schifffahrtsregister geführt werden. Die Flotte der deutschen Reedereien gehört mittlerweile zu den größten der Welt – mit stark steigender Tendenz. Dieser vordergründige Widerspruch lässt sich jedoch schnell aufklären: Mehr als 3.000 der momentan rund 3.600 Schiffe in deutschem Besitz fahren nicht unter der deutschen Flagge, sondern unter der Flagge eines fremden Landes. Meist sind dies berühmt-berüchtigte „Bananenrepubliken“ aus der Dritten Welt. So fuhren im Jahre 2008 933 Schiffe deutscher Reeder unter der Flagge Antiguas und 811 Schiffe unter der Flagge Liberias. Es muss sich jedoch kein Reeder auf die Karibikinsel Antigua oder ins bürgerkriegsgeplagte und AIDS-verseuchte Monrovia begeben, um sein Schiff auszuflaggen. Das Schifffahrtsregister Antiguas ist im niedersächsischen Oldenburg beheimatet, das liberianische Schifffahrtsregister residiert in Reston, im US-Staat Virginia.
Versprochen, gebrochen
Der Startschuss für das goldene Zeitalter der deutschen Reeder fiel im Jahre 1999. Damals gab die rot-grüne Bundesregierung den Lobbyforderungen der Reeder nach, indem sie die Tonnagesteuer einführte. Bei der Tonnagesteuer entfällt die Besteuerung auf die tatsächlichen Gewinne aus dem Reedereigeschäft und wird durch eine – lächerlich geringe – Pauschalsteuer ersetzt [PDF – 51.6 KB], die sich auf die Tonnage der Schiffe bezieht. Anbieter von Schiffsfonds sprechen – vollkommen zurecht – in diesem Zusammenhang von Ausschüttungen, die „so gut wie steuerfrei“ sind. Da die Flotte der deutschen Reeder zum Großteil nicht den Reedern, sondern vermögenden Investoren gehört, die sich über geschlossene Fonds an Schiffen beteiligen, stellt die Tonnagesteuer de facto eine teilweise Steuerbefreiung für einige wenige sehr reiche Bürger dar. Da diese Einnahmen eigentlich zum regulären Einkommenssteuersatz oder zumindest in Höhe der Kapitalertragssteuer versteuert werden müssten, entgehen dem Staat durch diese Subvention, je nach konjunktureller Lage, jährlich bis zu eine Milliarde Euro.
Als Gegenleistung für dieses außergewöhnliche Geschenk hatten sich die deutschen Reeder verpflichtet, einen Teil ihrer Flotte unter deutscher Flagge fahren zu lassen. Bis Ende 2010 sollten wieder 600 Schiffe, die im internationalen Seehandel eingesetzt werden, unter deutscher Flagge fahren. Am 31. 10. 2010 fuhren [PDF – 360 KB] jedoch insgesamt nur 439 Schiffe, die diese Voraussetzungen erfüllten, unter deutscher Flagge. Dass die deutschen Reeder nie ernsthaft geplant haben, ihr Versprechen einzuhalten, zeigt bereits die Entwicklung der Ausflaggung – seit 2008 nimmt die Zahl der unter deutscher Flaggen fahrenden Schiffe auch absolut ab. Die Zahl der ausgeflaggten Schiffe steigt im Gegenzug seit 1999 rapide, die Gesamttonnage dieser Schiffe hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verzehnfacht. Wenn der Präsident des Verbands Deutscher Reeder (VDR) Behrendt nun zu Protokoll gibt „wir haben Wort gehalten“, so ist dies die Unwahrheit. Und wenn nun führende deutsche Reedereien ankündigen, aufgrund der auslaufenden Personalkostensubventionen auch ihre verbliebenen deutschen Schiffe auszuflaggen, so ist dies eine Verhöhnung der Politik.
Ausflaggung über Bareboat-Charter
Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen und dem deutschen Flaggenrecht ist nur ein Schiff, das unter deutscher Flagge fährt, ein deutsches Schiff. Die Vorteile dieser Ausflaggung nutzt der deutsche Reeder natürlich gerne. Wo die deutschen Gesetze nicht gelten, müssen die Seeleute auch nicht nach deutschen oder europäischen Tarifverträgen bezahlt werden, es entfällt die Sozialversicherungspflicht, und sämtliche europäischen Arbeitnehmerschutzrechte sind ebenso außer Kraft gesetzt wie europäische Steuer- und Sicherheitsgesetze.
Auch wenn die Ausflaggung deutscher Schiffe gängige Praxis ist, so heißt dies nicht, dass sie damit auch legal ist. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen sieht vor, dass jedes Schiff in dem Staat registriert sein muss, von dessen Hoheitsgebiet aus es betrieben wird. Um die offensichtliche Verletzung des Seevölkerrechts zu umgehen, nutzen die Reeder mit tatkräftiger Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums eine „Gesetzeslücke“, die aus Zeiten stammt, in denen es den deutschen Reedern tatsächlich nicht gut ging.
Paragraph 7 des Flaggenrechtsgesetzes gestattet eine auf maximal zwei Jahre befristete Ausflaggung, wenn das Schiff an einen ausländischen Betreiber verliehen wird. Diese “Bareboat-Charter” ist jedoch als Ausnahmeregelung für wirtschaftlich angeschlagene Reedereien gedacht. Wie man die Versprechen der Schiffsfonds, die oft mehr als 20% Rendite in Aussicht stellen, mit einer wirtschaftlichen Notlage vereinbaren will, ist wohl das Geheimnis der Reeder. Das Bundesverkehrsministerium drückt hier beide Augen zu. Die Bareboat-Charter ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel – in den letzten Jahren wurde kein einziger diesbezüglicher Antrag einer deutschen Reederei abgelehnt.
Während das Seerechtsübereinkommen unmissverständlich festlegt, dass ein Schiff, das per Bareboat-Charter ausgeflaggt wird, auch vom Hoheitsgebiet des neuen Flaggenstaats aus betrieben werden muss, belegt die deutsche Rechtspraxis, dass hierzulande das exakte Gegenteil vorliegt. So entschied beispielweise das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht in einem Fall, in dem das Finanzamt einem Reeder die Tonnagesteuer nicht zuerkennen wollte, dass bei einem Bareboat-Chartervertrag die Bereederung de facto im Inland stattfindet und man bei einem solchen Vertrag nicht davon ausgehen kann, dass er seitens des deutschen Reeders auch eingehalten wird. Wenn man dieses Urteil wörtlich nimmt, entfällt auch die Grundlage der Ausflaggung nach §7 des Flaggenrechtsgesetzes.
Noch eindeutiger ist hier die Rechtsauffassung der deutschen Finanzbehörden. So müssen beispielweise deutsche Seeleute, die auf einem ausgeflaggten Schiff ihren Dienst tun, ihr Einkommen nach deutschem Gesetz versteuern. Es ist schon sehr bemerkenswert, dass diese Argumentation zwar bei den Kleinen knallhart angewendet wird, die Großen jedoch mit fadenscheinigen Konstrukten durchkommen. Deutsche Finanzämter sehen in der Bareboat-Charter ein „offensichtliches Scheingeschäft“ . Scheingeschäfte sind nach § 117 BGB nichtig. Die Praxis der Bareboat-Charter über Briefkastenfirmen und exotische Schiffsregister ist zweifelsohne ein Scheingeschäft, dessen einziger Zweck die Umgehung von Gesetzen ist. Demnach müsste die Praxis der Ausflaggung nach deutschem Gesetz eindeutig illegal sein.
Die Gesetze müssten nur angewandt werden
Wenn die Bundesregierung also die richtigen Schlüsse aus der einseitigen Kündigung des „Maritimen Bündnisses“ durch die Reeder ziehen wollte, hätte sie gleich mehrere Möglichkeiten, dies auf legale Weise zu tun. Würde das Bundesverkehrsministerium beispielsweise künftig alle Anträge auf zeitweilige Ausflaggung ernsthaft überprüfen, wäre dies das Ende der Ausflaggungspraxis, da kaum eine Reederei die strengen Anforderungen der geltenden Gesetze erfüllt.
Noch wichtiger als die „Repatriierung“ der deutschen Handelsflotte ist jedoch die Aufhebung der milliardenschweren Subventionen durch die Tonnagesteuer. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein paar Dutzend millionenschwere Reeder und einige Tausend reiche „Investoren“ durch eine mehr als großzügige Ausnahmeregelung für ihre Einkünfte beinahe keine Steuern zahlen müssen. Auch deutsche Reeder nutzen die steuerfinanzierten Vorzüge eines modernen Staates – sie fahren auf meist gut ausgebauten Straßen, ihr Hab und Gut wird durch Polizei und Justiz geschützt, sie werden in immer noch recht ordentlichen Kliniken behandelt und ihre Kinder können auf vergleichsweise gute Schulen gehen. All dies muss jedoch auch bezahlt werden, auch von gut verdienenden Reedern.
Merkels Kotau
Die Dreistigkeit der Reeder wurde erwartungsgemäß von Erfolg gekrönt. Ohne Not und ohne echten Grund hat sich die Kanzlerin an diesem Wochenende bereiterklärt, die milliardenschwere Subventionierung über die Tonnagesteuer auch künftig unangetastet zu lassen. Im Vergleich zu diesem großzügigen Kotau vor der Lobby spielen die auslaufenden Lohnbezuschussungen, die in der Summe rund 50 Millionen Euro pro Jahr betragen, kaum eine Rolle. Die bisherige Subventionierungspraxis war bereits umstritten, konnte jedoch durch die explizite Zusage der Reeder, ihre Schiffe zum Teil unter deutscher Flagge fahren zu lassen, zumindest im Ansatz begründet werden. Diese Begründung fällt nun ersatzlos weg. Den Milliardensubventionen steht keine – auch noch so kleine – Gegenleistung für die Gesellschaft gegenüber.
Problemfall EU
Ungerechtfertigte Subventionen für heimische Betriebe sind normalerweise stets ein Fall, bei dem die EU-Wettbewerbskommission tätig wird. Bei der Subventionierung der deutschen Reeder wurden jedoch über mehr als ein Jahrzehnt beide Augen zugedrückt. Mehr noch, durch die Novellierung im Jahre 2004 wurde die EU-Richtlinie für die Beihilferegelung im Schifffahrtswesen sogar massiv aufgeweicht. Die deutsche Subventionierungspraxis verstößt [PDF – 847 KB] jedoch immer noch selbst gegen die aufgeweichten EU-Richtlinien. Beispielsweise ist es laut EU nicht gestattet, Reedereien, die mehr als 40% ihre Tonnage in außereuropäische Staaten ausgeflaggt haben, durch besondere Steuervorteile wie die Tonnagesteuer zu subventionieren.
Im Jahre 2008 entfiel 72% der Gesamttonnage deutscher Reedereien auf Schiffe außereuropäischer Länder. Nur 10% der Schiffe fuhren [PDF – 91.5 KB] unter der Flagge anderer EU-Staaten – selbstverständlich nicht unter der Flagge von Staaten wie Schweden, Dänemark oder den Niederlanden, sondern nahezu ausschließlich unter der Flagge von EU-Steueroasen wie Gibraltar (121 Schiffe), Malta (95 Schiffe) oder Zypern (132 Schiffe). In der Praxis gibt es sogar Reeder, deren Schiffe ausschließlich unter außereuropäischen Billigflaggen fahren und die dennoch ihre Gewinne über die Tonnagesteuer abrechnen dürfen. Die ist ein klarer Verstoß gegen europäische Gesetze.
Der Deutsche Bundestag hat am 21. Juni 2007 beschlossen [PDF – 2.2 MB], dass sich die Rückflaggungen im Rahmen des „Maritimen Bündnisses“ an den Leitlinien der Europäischen Union auszurichten haben. Bis heute ist jedoch nichts geschehen. Es ist jedoch nicht nur die Lobby der Reeder, die für diese „Untätigkeit“ verantwortlich ist. Wie die Bundesregierung selbst zugibt [PDF – 360 KB], geht es bei der Frage der Tonnagesteuer „insbesondere [auch] um die maritimen Finanzdienstleister wie die Schiffskreditbanken, die Emissionshäuser etc.“ – zu nennen wären in dieser Aufzählung freilich noch die Investoren, die der Tonnagesteuer Steuererleichterungen in Milliardenhöhe verdanken. Die Reeder wissen natürlich, dass sie mit einer derart starken Lobby im Rücken Narrenfreiheit haben und die Bundesregierung sich auch weiterhin wie ein Tanzbär am Nasenring durch die Manege führen lassen wird.
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