Am kommenden Wochenende finden wieder die traditionellen Ostermärsche statt. Wir richten unseren Blick als „pars pro toto“ auf München, eine Stadt, in der seit geraumer Zeit wöchentlich Proteste auf der Straße stattfinden. Melchior Ibing, Mitorganisator und Verantwortlicher der Bewegung „München Steht Auf“, hat Ala Goldbrunner und Christian Goldbrunner von den NachDenkSeiten ein Interview gegeben.
Sehr geehrter Melchior Ibing, Sie haben während der Pandemie als Graswurzelbewegung „München-Steht-Auf“ mitbegründet und sind für Grundrechte für alle jede Woche auf die Straße gegangen. Könnten Sie uns Ihre Bewegung und deren Ziele kurz beschreiben?
Gegründet wurde „München Steht Auf“ (MSA) von Oliver Hanemann und Bernd Bräuer. Bereits im Jahr 2020. Ich durfte ab April 2021 als Sprecher dazustoßen und hatte in den letzten Jahren einen prägenden Einfluss auf die Initiative. Wir gehen jeden Mittwoch für ein bezahlbares Leben in Frieden und Freiheit auf die Straße. Wir erheben unsere Stimme dort, wo wir der Ansicht sind, dass die Regierung Konzerninteressen ohne Rücksicht auf das Grundgesetz und die eigentlichen Interessen der Bevölkerung durchsetzt. Wir möchten mitwirken an einer Revolution der politischen Kultur. Um zu einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft zu werden, müssen wir lernen, uns lagerübergreifend und themenbezogen zusammenzuschließen, statt uns lagerbezogen zu isolieren.
Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges setzen Sie und Ihre Mitstreiter sich für Verhandlungslösungen und Frieden ein im Rahmen des Bündnisses „Macht Frieden!“. War das eine Umformung von „München Steht Auf“ oder eine Neugründung? Was sind deren Forderungen und Ziele?
MSA hatte dem „Aktionsbündnis gegen die Sicherheitskonferenz“ im November 2022 eine Kooperation angeboten, um gemeinsam gegen die SiKo am 18. Februar 2023 in München zu protestieren. Als da keine zeitnahe Antwort kam, haben wir uns mit Bündnispartnern aus der Grundrechte-Bewegung zu „Macht Frieden!“ zusammengeschlossen und gemeinsam eine eigene Demonstration auf die Beine gestellt. Wir taten gut daran. Das Aktionsbündnis antwortete erst im Januar und lehnte eine Kooperation ab. Die Kommunikation mit dem Aktionsbündnis kann man hier nachlesen.
Es existiert ja bereits das „Münchner Friedensbündnis“, das sich aus einer breiten Front verschiedener Gruppierungen zusammensetzt. Worin unterscheiden sich die beiden Münchner Bündnisse?
Zunächst ist „Macht Frieden!“ überregional. Die Unterschiede sind in einem Bereich beträchtlich: Wir möchten einen lagerübergreifenden Protest, indem wir das Verbindende betonen und nicht das Trennende. Somit möchten wir keine Lager- und Parteiensymbolik, denn es sind in erster Linie politische Ideologien und damit verbundene Assoziationen, die uns so oft getrennt halten, weshalb man leider dann zum Teil nicht einmal miteinander redet. Obwohl man sicherlich gemeinsame Positionen hat. Das „Münchner Friedensbündnis“ hat kein Problem mit Parteisymbolik, so lange sie sich in „linker“ ideologischer „Reinheit“ bewegt. Man kann dort mit einer DKP-Fahne teilnehmen, aber nicht mit einer der AfD. Das ist in unseren Augen nicht sehr demokratisch.
Wer sich derzeit in Opposition zum Regierungs-Narrativ positioniert, wird gerne als „rechts/rechtsoffen“ bezeichnet. Wird Ihre Bewegung auch in solche Schubladen gesteckt? Wenn Ja, wie gehen Sie mit diesem Framing um?
Freilich werden wir da reingesteckt. Uns als „rechts“ zu bezeichnen, ist absurd. Schließlich sind wir offen für alle Menschen, die den Frieden wollen. Wir sagen: „Menschen aller Länder, aller Kulturen, Religionen und politischen Lager, vereinigt euch für den Frieden.“ Aber offen, ja, das sind wir. Wir distanzieren uns von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und politischem Extremismus. Damit sind Nazis und Gewaltbereite mal sicher nicht willkommen.
Weiter wollen wir uns nicht mit „rechts/links“ aufhalten. Viele können mit dem Schema nichts mehr anfangen. Die herrschenden Verhältnisse werden von manchen als Kapitalismus und von anderen als eine oligarchische Spielart des Sozialismus gesehen. Beide haben gute Argumente. Dies nur als Beispiel, wie durcheinander das alles ist. Ich persönlich weigere mich auch längst, mich da einordnen zu wollen. Ich bin Demokrat. Fertig.
Natürlich ärgert man sich über das Framing. Es nutzt sich allerdings ab. Inzwischen wird ja selbst Sahra Wagenknecht als rechte Demokratiefeindin hingestellt. Völlig absurd. Das glaubt doch bald keiner mehr. Leider machen einige Medien da Wichtiges kaputt. Der Antisemitismusvorwurf z.B. war einmal ein scharfes und präzises, semantisches Schwert. Der stete Missbrauch macht ihn zur stumpfen Keule, die immer mehr zum Schaumstoffknüppel wird.
Sie hatten mit „Macht Frieden!“ am 18.02.2023 bereits im Rahmen der Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz eine große Kundgebung organisiert und erfolgreich durchgeführt. Laut polizeilichen Angaben nahmen rund 10.000 Friedensfreunde bei Ihrer Veranstaltung auf dem Königsplatz teil, bei den verschiedenen Veranstaltungen des „Münchner Friedensbündnisses“ waren es insgesamt deutlich weniger, ca. 3.500 Teilnehmer. (Die NachDenkSeiten hatten darauf hingewiesen.) Aus welchen Gründen hat sich das „Aktionsbündnis“ nicht mit „Macht Frieden!“ zusammengetan?
Als das „Aktionsbündnis“ gegen die SiKO nach zwei Monaten auf unseren Brief reagierte, forderten sie von uns eine klare Abgrenzung zur AfD. Wie lächerlich wäre es, wenn wir das täten, um gleichzeitig mit gewaltbereiten Extremisten vom sogenannten Schwarzen Block zu laufen. Unsere oben genannte Distanzierung gilt für Entsprechendes in jeder Partei. Fertig. Als Maßnahmenkritiker muss man auch anerkennen, dass einzig die AfD, als Partei, sachbezogen die Grundrechte der Ungeimpften vertrat. Deswegen machten sich ja die Maßnahmenkritiker nicht unbedingt mit allen anderen Inhalten der Partei gemein.
Und schwierige Einstellungen findet man letztlich in jeder Partei. Angesichts von Abermillionen Toten unter Stalin und Mao ist da auch die Selbstgerechtigkeit einiger eigentlich erstaunlich. Da müsste man sich doch auch gleich von DKP, MLPD, am besten gleich von der ganzen Parteienlandschaft distanzieren. Wir wollen lagerübergreifend sein. Das ist Kern unserer Protestkultur. Die Parteien interessieren uns dabei eigentlich nicht weiter. Obwohl ich mich ja gerne von den Grünen distanziere. Schließlich stehen die inzwischen wie keine andere Partei für unreflektierten Militarismus und Ausgrenzung Andersdenkender. Derartiges fand ich immer voll rechts.
Am kommenden Samstag, den 8. April, ruft die Bewegung „Macht Frieden!“ um 14 Uhr am Odeonsplatz zu einem Ostermarsch auf. Zu den Rednern gehören Jürgen Todenhöfer, Andrea Drescher, Florian Pfaff und Ingrid Pfanzelt. Zeitlich versetzt findet am selben Tag ein Ostermarsch des „Münchner Friedensbündnisses“ statt. Haben Sie erneut den Versuch unternommen, die beiden Kundgebungen, die ja im Grunde ähnliche Forderungen verfolgen, zusammenzulegen?
Nein. Im Moment halten wir es für sinnvoll, dass sich alle darauf fokussieren, möglichst viele Menschen auf die Straße zu bringen, statt sich in absehbaren Endlosdebatten aufzureiben. Teile des Friedensbündnisses finden uns inzwischen ganz in Ordnung, andere bleiben lieber in ideologischer „Reinheit“. Es gibt dort leider führende Aktivisten, die am liebsten nur mit Leuten demonstrieren wollen, die Armeen grundsätzlich ablehnen und sich eindeutig als „links“ bezeichnen. Was immer man jetzt darunter verstehen mag. Der lagerübergreifende Ansatz ist denen ein Graus und sie halten ihn wohl auch aufrichtig für gefährlich. Da bewegt sich nicht viel.
Wir haben aber Rücksicht genommen und unsere Demo nicht als Konkurrenzveranstaltung platziert, sondern es zeitlich so eingerichtet, dass man am Samstag problemlos an beiden Demonstrationen teilnehmen kann. So kann man sich selbst ein Bild machen und wir kommen uns auch nicht in die Quere.
Welche Anstrengungen sind Ihres Erachtens nötig, diese „Trennung“ zu überwinden, damit auch auf der Straße sichtbar wird, dass sich ein großer Teil der Gesellschaft für sofortige Verhandlungen und Diplomatie ausspricht?
Eigentlich das Gegenteil von Anstrengung. Es erfordert ein Ablassen vom Streben nach ideologischer „Reinheit“. Jenes Streben ist anstrengend und kontraproduktiv, außerdem auch ein prägendes und kein zufälliges Merkmal aller Totalitarismen. Das gilt allerdings auch für Teile der Grundrechtebewegung. Viele sind nach den Pandemiejahren sehr gekränkt, manche leider verbittert. Da möchte man gerne eine Art Schuldeingeständnis von Maßnahmenbefürwortern, bevor man gemeinsame Sache macht. Das ist nachvollziehbar, aber führt uns in meinen Augen nicht weiter.
Dieser Krieg ist an sich keine Ablenkung, auch wenn er zum Teil als solche wirken mag. Die Eskalationsgefahr ist sehr real, gerade weil Teile des NATO-Establishments glauben, diesen Krieg nicht verlieren zu dürfen. Das ganz abgesehen von den Interessen des MIK (Militärisch-Industrieller Komplex). Wer soll dann kämpfen, wenn die Ukraine ausgeblutet ist? Die Amis eher nicht. Es werden die Menschen Europas sein, die dieser Krieg verschlingt. Da sollte man nicht so pingelig sein bezüglich des Nächsten, der neben mir geht.
Unsere Väter und Söhne sind sicher nicht dazu da, für die Interessen angloamerikanischer Oligarchen oder ukrainischer Ultranationalisten verstümmelt und getötet zu werden. Auch ist unsere Wirtschaft nicht dazu da, die Insolvenz der USA zu verschleppen und sich daran zugrunde zu richten. Bei Gott, wenn ich so sagen darf, wir brauchen uns alle und die Friedensbewegung braucht Mut und Toleranz. Man muss sich nicht gleich gegenseitig toll finden, um zusammen für den gemeinsamen Nenner einzustehen.
Vielen Dank für das Gespräch und vor allem viel Erfolg am 8.4.!