„Die ‚Handwerker für den Frieden‘ sind eine ganz große Errungenschaft der Friedensbewegung.“ Das sagte Reiner Braun, der sich seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik für Frieden engagiert, am Sonntag, 2. April, in Dessau. Dort war er einer der mehr als 200 Teilnehmer des ersten „Handwerker-Friedenskongresses“. Es handele sich um einen neuen Impuls, der Braun mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Friedensbewegung überraschte: „Wer erwartet eigentlich schon von den Handwerkern, dass sie sich gegen den gesellschaftlichen Mainstream für den Frieden engagieren?“ Von Tilo Gräser.
Lesen Sie dazu morgen auf den NachDenkSeiten das große Interview, das Tilo Gräser am Rande der Veranstaltung mit Gabriele Krone-Schmalz führen konnte.
Es sei kein Zufall, „dass das aus dem Osten kommt“, sagte Reiner Braun unter Beifall. Er rief dazu auf, sich nicht spalten zu lassen und die Handwerker im Westen zu ermutigen, sich ebenfalls zu engagieren. Er forderte dazu auf, sich „gegen alle zu wehren, die uns in irgendeine Ecke stellen wollen“. „Solidarität ist das Gebot der Stunde“, sagte er. Auch die weltweiten Demonstrationen gegen die westliche Kriegspolitik und für Frieden seien mutmachend.
Zum Kongress im Technikmuseum „Hugo Junkers“ im sachsen-anhaltinischen Dessau hatte die Initiative „Handwerker für den Frieden“ eingeladen. Deren Initiator ist Karl Krökel, der Kreishandwerksmeister Anhalt Dessau-Roßlau. Im Juni 2022 hatte er gemeinsam mit anderen Handwerker mit einem Brandbrief gegen die antirussische Sanktionspolitik für Aufsehen gesorgt – ebenso für viel Zustimmung, wie sich auch an diesem Sonntag zeigte. Deutlich mehr als die erwarteten etwa 150 Menschen waren gekommen, nicht nur wegen des angekündigten Vortrages von Gabriele Krone-Schmalz.
Zuspruch trotz Diffamierung
Das Publikum kam aus allen Teilen der Bundesrepublik sowie aus der Schweiz. Es ließ sich nicht davon abhalten, dass in den regionalen Medien im Vorfeld gegen die Veranstaltung wie schon zuvor gegen die Initiative gehetzt wurde, wie Krökel zu Beginn berichtete. Auch das in rein privater Regie und ehrenamtlich betriebene Technikmuseum, vor dem unter anderem einstige Verkehrs- und Kampfflugzeuge stehen und das Nachbauten und Originale der Junkers-Flugzeuge wie die legendären Ju-52 und F-13 beherbergt, ließ sich nicht abschrecken. Es stellte seine Halle und die Räume für den Kongress mit seinen Foren und Gesprächsrunden bereit.
„Glauben Sie nicht alles, was über unsere Veranstaltung in der Zeitung stand“, sagte Kreishandwerksmeister Krökel, als er den Kongress eröffnete. Dabei hatte er unter anderem mit Blick auf die Sanktionsfolgen die Motive der Initiative erklärt: „Anders als die Großkonzerne ist das Handwerk darauf angewiesen, dass in Deutschland produziert und konsumiert wird. Das Handwerk kann nicht einmal locker, wie die Großkonzerne es derzeit vormachen, den Standort in die USA oder andere Orte wechseln, wo aufgrund billiger Energie die Produktionskosten geringer sind. Wir benötigen ein breites Bündnis von Arbeitnehmern und Handwerk, um den Produktionsstandort zu erhalten und die Kaufkraft der Bevölkerung aufrechtzuerhalten.“
Auch Krökel erlebte schon Ausgrenzung und Diffamierung, seit er sich im Juni mit anderen Handwerkskollegen zu Wort meldete. „Wenn ich zum Beispiel in einem Krieg für den Frieden bin, dann muss ich mir nicht von irgendjemandem erzählen lassen, der noch nie sein geschütztes Büro und seinen Bildschirm verlassen hat, ich sei ein ‚Diener des Bösen‘.“ Ihm und seinen Mitstreitern würden falsche Aussagen zugeschrieben, „um daraus ein Stimmungsbild zu erzeugen“. Aber die Informationsverweigerung habe „nicht ganze Arbeit leisten können“, wie die anwachsende Friedensbewegung zeige.
Krökels Mahnung zu den Medien bestätigte ein Beispiel, von dem Norbert Fischer, Kreishandwerksmeister Oberhavel, in der abschließenden Podiumsdiskussion berichtete. Die lokale „Märkische Oder-Zeitung“ (MOZ) habe im Herbst letzten Jahres über angebliche Aussagen von ihm berichtet und ihn in die politisch rechte Ecke gestellt. Dabei habe der Redakteur nie mit ihm gesprochen, so Fischer. Die Folge: „Ich war niedergemacht worden, ohne dass ich schon ein Wort gesagt hatte. Ich hatte überhaupt nicht mit denen gesprochen.“ Und: Seine Handwerkskollegen bestellten die Zeitung ab. Das empfahl Fischer allen anderen als Reaktion auf die einseitige und verfälschende Medienberichterstattung.
Verlust an Glaubwürdigkeit
Das Beispiel illustrierte auch, was die Journalistin und Publizistin Gabriele Krone-Schmalz zuvor in ihrer Eröffnungsrede zum Thema Medien gesagt hatte. Diese verlieren zunehmend an Glaubwürdigkeit, „wenn sich weite Teile der Bevölkerung in der Mitte der Gesellschaft nicht mehr wiederfinden, sondern im Gegenteil ausgegrenzt und diffamiert werden, nur weil sie nicht bereit sind, kritiklos einer ausgegebenen politischen Linie zu folgen“. Das gelte auch grundsätzlich für die Demokratie und die Politik, die sich auf Werte beruft.
Die Autorin solcher Bücher wie „Russland verstehen – Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens“ und „Eiszeit – Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist“ erlebt derzeit selbst Ausgrenzung und Diffamierung. Sie wundere sich, dass der Begriff „Russlandversteher“ inzwischen negativ verstanden werde, sagte sie im Interview am Rande der Veranstaltung. Doch davon lässt sie sich nicht einschüchtern, wie sie in Dessau bewies.
Aus ihrer Sicht sollte selbstverständlich sein, „dass Journalisten einen Sachverhalt von allen möglichen Seiten beleuchten, unabhängig davon, wie sie selbst dazu stehen. Selbstverständlich sollte sein, dass sie sich in der Berichterstattung über einen Meinungsstreit nicht auf eine Seite stellen und das dann mit ‚Haltung zeigen‘ feiern, was angeblich politisch für den Fortbestand der Demokratie so wichtig ist.“
„Wehret den Anfängen!“
Sie berichtete von einer prägnanten Aussage, die ihr kürzlich jemand geschrieben habe: „Demokratischer Konsens ist die Vorstufe zum Faschismus, egal welcher Art!“ Und fügte hinzu: „Ich habe zweimal drüber nachdenken müssen, weil ich bei Konsens zunächst an Kompromiss gedacht habe. Aber das ist natürlich etwas anderes. Ein so demokratischer Konsens ist die Vorstufe zum Faschismus, egal welcher Art! Und wie hieß es später: Wehret den Anfängen!“
Sie habe es nicht für möglich gehalten, „dass Begriffe wie Kriegswirtschaft, Kriegsmentalität, Kriegsmüdigkeit in unserem Lande mal eine aktuelle Rolle spielen. Überhaupt, was für eine perverse Bezeichnung: Kriegsmüdigkeit.“ Das zeige sehr deutlich, „dass Frieden eben keine Selbstverständlichkeit ist, sondern harte Arbeit, in der man nicht nachlassen darf“. Und weil diese Erkenntnis der politischen Führungsebene verlorengegangen sei, „braucht es Initiativen wie die Ihre, um darauf aufmerksam zu machen“, sagte sie den Organisatoren.
Dafür bekam sie deutlichen Beifall, ebenso für ihre Kritik an der westlichen Politik gegenüber Russland ebenso wie an der antirussischen Stimmungsmache hierzulande. Dabei betonte sie: „Ich denke, es wird hier kaum jemanden geben, der den russischen Angriff auf die Ukraine nicht verurteilt. Aber bei dieser Erkenntnis stehenzubleiben und die Vorgeschichte komplett auszublenden und sich mit Begriffen wie Gerechtigkeit und Strafe auf einen moralischen Thron zurückzuziehen, von dem aus es keine Gnade für Verbrecher geben kann, das ist meines Erachtens eine Bankrotterklärung von Politik.“
Kleiner Schritt zur Kriegsbereitschaft
Sie ging in ihrer Rede ausführlich auf die Vorgeschichte des Ukraine-Konfliktes ein, die aus ihrer Sicht mit dem Untergang der Sowjetunion 1991 begann. Denn wer die gegenwärtigen Ereignisse verstehen wolle, müsse Vergangenes „wenigstens ansatzweise kennen“. Die Entwicklung des Konfliktes in und um die Ukraine zeige, „wie wichtig Chronologien sind und wie fatal es ist, wenn man Ursache und Wirkung verwechselt“. Ihre These: „Wäre Putin in seiner ersten und zweiten Amtszeit vom Westen respektiert und unterstützt worden, wären seine Angebote ernstgenommen worden, hätte sich die russische Gesellschaft ganz anders entwickeln können.“
Es räche sich früher oder später, „wenn man sich nur auf die eigenen Denkmuster verlässt und sich den Perspektivwechsel aus ideologischen oder welchen Gründen auch immer verweigert“, stellte die Publizistin klar. Sie sprach sich für eine Politik aus, die Verhandlungen und Diplomatie höher bewertet als Waffenlieferungen. Der EU warf sie vor, mit „unverhohlener Kriegsrhetorik“ zur Eskalation beizutragen. „Niemand sollte unterschätzen, wie klein der Schritt von solcher Kriegsrhetorik zur Kriegsbereitschaft ist.“
Sie zitierte die kürzlich verstorbene Antje Vollmer: „Wir müssen Hass und Krieg verlernen.“ Und fügte hinzu: „Dazu kann jeder Einzelne seinen Beitrag leisten. Das ist nämlich gelebte Demokratie, in der Werte und Moral nicht beliebig zurechtgebogen werden.“ Mit stehendem Beifall dankten die mehr als 200 Kongressteilnehmer der Russlandversteherin und -erklärerin. Und eine lange Schlange bildete sich, als Krone-Schmalz in der Kongress-Pause ihre Bücher signierte. Die sind wieder erhältlich, wenn auch nicht im Buchhandel, und können über ihre Webseite direkt bei ihr bestellt werden.
Frieden und Umwelt gemeinsam sichern
Der Physiker und Konfliktforscher Jürgen Scheffran gab danach einen Überblick über die Folgen der Kriege für die Umwelt. Dabei blickte er nicht nur auf den aktuellen in der Ukraine, sondern ebenso auf jenen in Syrien, den im Irak und anderswo. Alle Kriege in der Menschheitsgeschichte hätten massive Schäden verursacht. „Es wurden sogar und explizit biologische und chemische Kriegsführung betrieben und eingesetzt, bis hin zur nuklearen Kriegsführung, die besonders schädlich für die Umwelt ist“, erinnerte Scheffran an das 20. Jahrhundert.
Militär und Krieg seien die größten Umweltzerstörer und Klimaschädiger. Er sprach sich dafür aus, das angesichts der nicht minder starken Folgen der Klimakrise, die Konflikte und Kriege hervorrufe, die Umwelt- und die Friedensbewegung zusammenarbeiten. „Man kann Klimaschutz als Beitrag zur Friedenssicherung ansehen und man kann Friedenssicherung als Beitrag zum Klimaschutz ansehen. Die beiden können sich gegenseitig positiv verstärken.“ Es gehe darum, den Teufelskreis aus Umweltzerstörung, Unterentwicklung und Gewaltkonflikten umzukehren. So können aus Sicht von Scheffran das Ziel von Frieden und nachhaltiger Entwicklung erreicht werden.
In drei folgenden Foren diskutierten die Kongressteilnehmer über die Gefahr der Selbstvernichtung durch die Konfrontation zwischen Nato und Russland, die Notwendigkeit und die Perspektiven für eine neue europäische Sicherheitsarchitektur sowie über die Folgen des westlichen Wirtschaftskrieges gegen Russland. Daran nahmen auch die Journalistin und Friedensaktivistin Christiane Reymann und der Friedensaktivist Reiner Braun teil. Dabei kam immer wieder zur Sprache, dass es wichtig sei, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte sich gemeinsam für Frieden einsetzen.
Zudem wurde beklagt, dass die etablierten Medien nicht auf der Seite derjenigen seien, die sich für Frieden und das Ende des Krieges engagieren. Das gelte ebenso für die Parteien und die Gewerkschaften. „Lasst uns nicht spalten!“, forderte ein Teilnehmer. „Lasst uns gemeinsam das machen!“ Ein anderer benannte den klaren Grundgedanken: „Wir wollen Frieden! Punkt. Ende. Aus.“
Massive Folgen der Sanktionspolitik
Das wurde auch nochmal in der abschließenden Podiumsdiskussion deutlich. Peggy Lindemann, Mitarbeiterin der Raffinerie PCK Schwedt, berichtete von den Folgen der Sanktionen gegen Russland. Die Raffinerie und mit ihr Tausende direkt und indirekt Beschäftigte stehen vor dem Aus, weil die Bundesregierung den Öl-Hahn der Pipeline abgedreht hat, um Russland zu schaden. Die verantwortlichen Politiker wissen anscheinend nicht, was sie tun. Das zeigte sich auch am kleinen Detail, dass nach Lindemanns Worten Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in der Öl-Raffinerie in Schwedt im September 2022 immer wieder über Gas-Lieferungen sprach.
Klaus-Lothar Bebber, Obermeister der KfZ-Innung Dessau, berichtete, dass die Handwerkskammern bis zur Bundesebene offiziell die Sanktionspolitik richtig finden – trotz der offensichtlichen Folgen für die Handwerksbetriebe. Das bestätigte unter anderem Kreishandwerksmeister Fischer auf der Podiumsbühne in Dessau. Deshalb würden sie sich selbst organisieren, auch wenn die etablierten Medien ihren Protest verschweigen oder diffamieren.
Handwerker seien für Außenstehende schwer einzuordnen und würden eine gewisse Neutralität genießen. Das beschrieb Mario Bayer vom Landesinnungsverband (LIV) der Dachdecker Brandenburg als Vorteil. „Das macht es dem Staat nicht gerade einfach: Je mehr Handwerker auf die Straße gehen, die weder in die so bequeme rechte oder ‚Querdenker‘-Szene oder andere gesteckt werden können, desto weniger kann behauptet werden, dass nicht richtig ist, was sie machen.“ Er fügte hinzu: „Das Problem für den Staat wird größer.“
Zugleich wurde immer wieder deutlich, dass wie in der gesamten Bevölkerung auch unter den Handwerkern viele sich aus verschiedenen Gründen nicht trauen, offen ihre Meinung gegen die deutsche Kriegs- und Sanktionspolitik zum Ausdruck zu bringen. Das berichtete unter anderem Christian Lellau, Obermeister der Bauinnung Harz-Bode. Er sei allein nach Dessau gekommen, um Gleichgesinnte zu treffen und Netzwerke zu knüpfen, wie er im Gespräch sagte.
Zunehmende Vernetzung
„Was Mut macht, ist, hier zu sein“, sagte Friedensaktivist Braun auf eine Frage von Moderatorin Mona Aranea in der Abschlussdiskussion. Während des Kongresses wurde für die mehr als 100 Ostermärsche in den verschiedenen Regionen der Bundesrepublik geworben. Die Termine und Orte sind auf der Webseite des „Netzwerkes Friedenskooperative“ zu finden.
Für Initiator Krökel war der erste „Handwerker-Friedenskongress“ in Dessau ein großer Erfolg, wie er auf Nachfrage sagte. Das gelte nicht nur wegen der nicht erwarteten hohen Teilnehmerzahl, sondern auch wegen der neuen Kontakte zu Handwerkern aus anderen Regionen. Die würden ebenfalls ähnliche Veranstaltungen organisieren und ihn einladen. Es komme zu einer zunehmenden Vernetzung auch mit anderen Protestbewegungen wie „Stopp Ramstein“, „Rettet die Industrie“ und „Nord Stream 2 statt Ruin“, berichtete Krökel.
Titelbild: © Eva Peli