Schon seit März vergangenen Jahres betrachte ich die Medien als sechste Teilstreitkraft des gegenwärtigen Krieges zwischen den USA und Russland. Sie bereiten mit ihren medialen Flächenbombardements den Boden für die Sanktionen, die Waffenlieferungen und generell die politische Ausrichtung Deutschlands, indem sie den Journalismus durch eine russophob geprägte Propaganda ersetzen, die durchaus erfolgreich zu einer monokulturellen Verblödung der Bevölkerung führt. Wenn man zu DDR-Zeiten Gebiete wie Sachsen als Tal der Ahnungslosen bezeichnete, weil man dort kein Westfernsehen empfangen konnte, so können wir inzwischen von Deutschland als Land der Ahnungslosen sprechen, denn die mediale Ausrichtung geht einher mit vielfältigen Bemühungen, noch vorhandenes Unkraut aus der medialen Landschaft zu tilgen oder dessen Inhalte als giftig zu diskreditieren. Von Bernd Liske.
Die Natur der Demokratie: Die Dialektik aus Pressefreiheit
– die Freiheit der Journalisten, zu schreiben, was sie wollen,
doch alle schreiben das gleiche – und freier Meinungsäußerung
– jeder kann sich äußern, aber nicht alle dürfen es hören.
Nicht wenigen mag eine solche Lagebeschreibung suspekt erscheinen, gehört doch die in ihr verankerte Pressefreiheit zu den Narrativen der Demokratie. In einer Welt, in der zunehmend der Schein das Sein bestimmt, macht es jedoch Sinn, sich immer wieder aus nächster Nähe anzuschauen, wie postulierte Werte gelebt werden. Eine aktuelle Möglichkeit dafür bietet die Friedensinitiative Chinas vom 24. Februar – also dem Tag, an dem vor einem Jahr die Bemühungen, Russland vor die Wahl zwischen Pest und Cholera zu stellen, dahingehend erfolgreich waren, dass Russland sich leider für die Pest entschied.
Schauen wir uns das mediale Echo auf die chinesische Initiative in den deutschen Medien an. Die Tagesschau meint, dass es „Keinesfalls ein umfassender Friedensplan“ wäre und China die Position Russlands unterstützen würde. Im ZDF heute journal liefert Marietta Slomka Außenministerin Annalena Baerbock die Vorlage für deren einseitige Interpretation des Konflikts, indem sie von einem „sogenannten Friedensplan“ spricht, der aber im Westen und der Ukraine auf große Skepsis stoßen würde. DER SPIEGEL spricht von einem „nutzlosen Plan“ und einem „mauen Dokument“, das zeigt, „dass die chinesische Regierung als Vermittler im Ukraine-Konflikt völlig unbrauchbar ist“. ZEIT ONLINE betrachtet China als Komplizen des Aggressors und meint, es wäre „kein glaubwürdiger Friedensstifter“. Die Süddeutsche Zeitung lässt ihre Leser wissen, dass es Peking nicht um den Frieden in der Ukraine geht, „sondern um die angestrebte eigene Vorherrschaft“ – wobei man in Sorge ist, dass manche auf den Plan reinfallen könnten. Die FAZ sieht ein „dürres Friedenspapier“, das der Imagepflege dient und „Chinas bekannte Positionen und Allgemeinplätze enthält“. Allen Beiträgen ist eigen, dass sie gegen die Initiative polemisieren, ohne sich mit den konkreten Vorschlägen journalistisch zu beschäftigen – also objektiv, knapp und präzise. Eine Ausnahme stellt die WELT dar. Sie verlinkt zu dem Friedensplan, suggeriert dem Leser aber schon mit der Überschrift „Chinas Zwölf-Punkte-Plan für die Ukraine im Detail“, man könne sich eine Auseinandersetzung mit ihm ersparen, weil man ihn ja im Detail diskutieren würde – um dann mit einigen dem Papier entnommenen Phrasen die Behauptung zu stützen, China würde nur die Position Russlands vertreten: Was, wenn man als solche in Betracht zieht, dass Russland um eine umfassende Lagebeurteilung bemüht ist, sicher nicht ganz falsch wäre.
Wenden wir uns nun den wesentlichen Aspekten des Zwölf-Punkte-Papiers zu, und ich rege an, sich das Papier danebenzulegen. Wenn im ersten Punkt gefordert wird, die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder müsse wirksam gewahrt werden, kann das nicht als einseitige Botschaft an Russland verstanden werden, denn die sich seit Jahren vollziehende ungehemmte Aufrüstung der Ukraine sowie ihre angedachte Mitgliedschaft in der NATO stellen eine Gefahr für Russland dar. Nicht zuletzt wird das durch die Einbeziehung des zweiten Punktes deutlich, in dem zum Ausdruck gebracht wird, dass die Sicherheit eines Landes nicht auf Kosten eines anderen gewährleistet und eine Konfrontation zwischen den verschiedenen Blöcken vermieden werden sollte.
Wenn im dritten Punkt empfohlen wird, alles zu vermeiden, mit dem die Spannungen weiter verschärft werden können, so kann sich der Westen mit seinen Waffenlieferungen direkt angesprochen fühlen. Der Hinweis, man müsse verhindern, dass die Krise sogar außer Kontrolle gerät, lässt durchaus den Schluss zu, China würde sich vorbehalten, Russland mit Waffenlieferungen zu unterstützen, weil ansonsten die Gefahr besteht, es könnte sich ab einem bestimmten Punkt gezwungen sehen, Atomwaffen einzusetzen. Generell kann von der Sorge Chinas um eine nachhaltige Schwächung im Konflikt mit den USA ausgegangen werden, wenn die im Westen kolportierte Absicht, die Ukraine müsse diesen Krieg gewinnen, erfolgreich ist. Schon in meinen Neujahrswünschen von Anfang 2022 führte ich aus:
„Während sich die Welt in der größten Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg befindet – mit inzwischen über 5,3 Millionen Toten – werden die westlichen Demokratien durch die USA darauf fokussiert, Russland in der Ukraine ein Bein zu stellen.
Betrachtet man das als Schachspiel, in dem der Gewinn des schwarzen Königs die Herrschaft über die Welt bedeutet und alle Beobachter davon ausgehen, dass die schwarze Dame (China) angegriffen wird, konzentriert sich Weiß asymmetrisch darauf, einen schwarzen Läufer (Russland) zu schwächen, indem es dessen – schon schwache – Verteidigung durch einen Bauern (Ukraine) durchbricht. Durch die Schwächung dieses Läufers möchte Weiß im Vorbeigehen auch noch die beiden Springer schwächen: Deutschland und Europa.
Weiß hat diese Spielentwicklung schon lange vorbereitet, sodass es mit dem Angriff auf die schwarze Dame noch eine Weile dauern könnte – zumal ein Bauer neutralisiert erscheint (Hongkong) und ein weiterer als chinesisches Kuba erst entwickelt werden muss. Es führt an dieser Stelle zu weit, auszuführen, welcher Aufwand allein für die Stärkung eines weißen Bauern betrieben wurde (@Die_Gruenen), und wichtig ist natürlich, die Entwicklung eines anderen Bauern zu sehen (Ukraine): vom – vermeintlich – ersten Zug hin zu dessen weiterer Entwicklung durch Waffen, Manöver und Sanktionen. Letztere dienen der Legitimierung des eigenen und der Blockierung des gegnerischen Spiels. Passend dazu das Bild von Theo Sommer in @ZEITonline am 07. Dezember: Die Ukraine als unsinkbarer Flugzeugträger der Amerikaner – wenige Hundert Meilen vor Moskau. Die Ukraine als das Kuba Russlands.“
Der fünfte Punkt widmet sich humanitären Einsätzen, die den Grundsätzen der Neutralität und Unparteilichkeit zu folgen hätten. Humanitäre Fragen sollten nicht politisiert werden – was auf Erfahrungen schließen lässt, für die mir die Kompetenz fehlt. Der Hinweis im sechsten Punkt, die Konfliktparteien mögen sich an das humanitäre Völkerrecht halten und die Grundrechte der Kriegsgefangenen achten, kann als Verarbeitung von Meldungen über die Misshandlung und Erschießung von Kriegsgefangenen durch die Ukraine betrachtet werden. In ähnlicher Weise dürfte die Ukraine im siebenten Punkt gemeint sein, wenn China zum Ausdruck bringt, es würde Angriffe auf Atomkraftwerke ablehnen. Die massenhaften Meldungen über den Beschuss des von Russland seit März 2022 besetzten Atomkraftwerkes in Saporischschja durch die Russen war für mich Veranlassung zu einigen Tweets, die ich unter @BerndLiske blöde Russen veröffentlichte.
Im achten Punkt dürften sich insbesondere die USA angesprochen fühlen, denn der Hinweis auf die Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen kann als Reaktion auf die Rede von Präsident Selenskyj auf der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Jahr gewertet werden, in der er über den Ausstieg aus dem Budapester Moratorium sinnierte, und der Hinweis, China würde die Erforschung, die Entwicklung und den Einsatz chemischer und biologischer Waffen ablehnen, führt geradewegs zu den Biowaffenlaboren der USA in der Ukraine.
Auch die nächsten beiden Punkte weisen darauf hin, dass China den Konflikt sehr aufmerksam verfolgt. Im neunten Punkt geht es um das von Russland, der Türkei, der Ukraine und den Vereinten Nationen unterzeichnete Getreideabkommen. Hinsichtlich dessen fordert es eine „vollständige“ Umsetzung des Abkommens. Die vollmundigen Behauptungen, Russland würde den Hunger als Waffe einsetzen und mit dem Abkommen würde ein bedeutender Beitrag zur Bekämpfung des Hungers in der Welt geleistet werden, sind inzwischen nicht nur dadurch ad absurdum geführt, dass der größte Teil der Lieferungen nach Europa geht: Gravierend ist die Torpedierung von Aspekten des Abkommens durch den Westen – mit der Folge, dass der sehr viel größere Getreideexporteur Russland bei der Bekämpfung des Hungers überwiegend ausfällt. Im zehnten Punkt fordert China eine generelle Beendigung einseitiger Sanktionen, weil sie nur neue Probleme schaffen würden. Insbesondere lehnt es Sanktionen ab, die nicht durch den UN-Sicherheitsrat genehmigt wurden.
Fassen wir zusammen: Der Friedensplan Chinas berücksichtigt die Natur dieses Krieges und seine konkreten Ausprägungen. Er ist durchaus geeignet, entlang der Vorstellungen von Albert Schweitzer und Papst Franziskus auf den Frieden hinzuarbeiten, und ich könnte mir vorstellen, dass sich Länder wie Indien und Brasilien mit ihren Vorstellungen in dem Papier wiederfinden. Doch ohne Zweifel gibt es zwei wesentliche Probleme: Der Westen hat sich durch seine mediale und politische Interpretation dieses Krieges derart in ein Abseits manövriert, dass es schwer wird, ihn dort ohne bedeutenden Gesichtsverlust herauszuholen und noch dazu sicherzustellen, dass er nicht mit weiteren Abenteuern den Weltfrieden und sogar den Untergang der Menschheit gefährdet. Hinzu kommt gerade im Zusammenhang mit Letzterem ein spätestens mit diesem Krieg auch vernichtetes Vertrauen Russlands in Abstimmungen mit dem Westen – dem Altbundeskanzlerin Angela Merkel einen geradezu finalen Stoß versetzt hat.
Widmen wir uns noch den inhaltlichen Unterschieden zwischen meiner Interpretation des Zwölf-Punkte-Papiers und dem medialen Echo. Ich meine, sie dürften auffällig sein, doch zeichnet sich der vorliegende Artikel noch in einem weiteren Punkt aus – ausgenommen hier die WELT: Im Gegensatz zu den genannten Beiträgen gibt es hier einen Link zu dem Originalpapier – oft zum Ausdruck gebracht: ich liebe Links –, und jedem Leser ist es möglich, Sinn und Unsinn meiner Interpretation kritisch zu prüfen. Das ist auch empfehlenswert, da sich die Frage, wie objektiv und substanziell ich auf dieses Papier schaue, erst durch die konkrete Prüfung klärt und der ergänzende Blick auf das Original zusätzliches Futter für die grauen Zellen ist.
Pressefreiheit ist also spätestens seit der „Zeitenwende“ als intellektuelle Freiheit zu sehen, sich nur entlang der propagandistischen Ziele austoben zu können, womit sie quasi eine Unfreiheit ist. Dafür hat sich aber inzwischen ein eigener Markt gebildet, in dem die Schlauheit in Gestalt ungezählter Russland-Experten ihre Intelligenz missbraucht, um den vorgegebenen russophoben Grundton in großer Varianz zu interpretieren, sodass dem normalen Bürger in einem der bildungsstärksten Länder der Welt überwiegend nicht auffällt, welchen Einheitsbreit er serviert bekommt. Die Folge dessen ist ein zunehmender Mangel an kognitiver Diversität, der sich für den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland sicher auch auf andere Bereiche auswirkt, und so ist der vorliegende Beitrag ein weiteres Bemühen, das Unkraut in Deutschland trotz der zunehmend klimatisch schlechter werdenden Bedingungen zu stärken, sodass es seine heilende Wirkung auf das Land hoffentlich noch entfalten kann und ich nicht irgendwann formulieren muss: Deutschland seine Tragik.