In den vergangenen drei Jahren haben die USA 2,7 Millionen Menschen abgeschoben, 2,3 Millionen von ihnen nach Mexiko. Dies geht aus einer Studie im Auftrag des mexikanischen Innenministeriums (Segob) hervor. Laut dieser setzte die US-Regierung vor drei Jahren die umstrittene Richtlinie „Title 42“ um, mit der Personen schneller ausgewiesen werden können. Der größte Teil von ihnen, rund 60 Prozent, besaß die mexikanische Staatsbürgerschaft. Mexiko nimmt nach einem Abkommen mit der US-Regierung auch Angehörige weiterer Staaten auf, etwa aus Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua. Die Studie der mexikanischen Regierung sieht im Vorgehen der USA einen Verstoß gegen das Völkerrecht. Von Sonja Gerth.
„Title 42“ ist ein US-Bundesgesetz aus dem Jahr 1944, das es der Regierung unter anderem ermöglicht, im Falle einer ansteckenden Krankheit die Einreise von Personen und Waren aus dem Ausland auszusetzen. Seit dem 27.3.2020 wird es als Maßnahme zur Eindämmung der Covid-Pandemie in großem Umfang angewendet. Die Richtlinie erlaubt die Abschiebung von Personen, die die Grenze überquert haben mit dem Argument, dass sie ein Ansteckungsrisiko darstellen.
Das mexikanische Innenministerium äußert sich in der Studie „Routen. Studien über Mobilität und internationale Migration“ klar:
„Die Anwendung von Title 42 ist eine einseitige Strategie, die gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht verstößt, da sie die Menschen durch die Abschiebung nach Mexiko in Gefahr bringt. Sie wurde unter der Prämisse gerechtfertigt, die Ausbreitung des Virus zu stoppen, aber in Wirklichkeit diente sie als politische Positionierung bestimmter Gruppen angesichts der Zunahme der Migrationsströme in die Vereinigten Staaten.“
Im Gegensatz zu anderen Maßnahmen der Eindämmung des SARS-CoV-2-Virus sei „Title 42“ weiterhin in Kraft, daher stelle sich die Frage nach dem Warum, so der Bericht. Tatsächlich hat die Regierung von Joe Biden schon einmal versucht, die Norm abzuschaffen, wurde aber durch die Klage mehrerer republikanischer Bundesstaaten daran gehindert. Nun hat die Regierung angekündigt, zum 11. Mai 2023 den „nationalen Gesundheits-Notfall“ im Allgemeinen abzuschaffen und damit auch „Title 42“. Die Republikaner sind damit in einer Zwickmühle ‒ einerseits sind sie für die Abschaffung von Pandemie-Maßnahmen im Landesinnern. Andererseits sind sie für eine Fortführung der restriktiven Einwanderungspolitik.
Nichtregierungsorganisationen in den USA gehen allerdings davon aus, dass auch die Biden-Regierung nicht zur Einwanderungspolitik von Vorpandemiezeiten zurückkehrt. Die Organisation Washington Office on Latin America (Wola), ein kirchennaher Thinktank, berichtet von zwei neuen Vorschriften, die in Vorbereitung seien: Zum einen ein „Transit ban“, der es Personen verbiete, Asyl zu beantragen, wenn sie vorher durch ein Drittland gereist seien und dort kein Asyl beantragt hätten. Diese Maßnahme erinnert an das europäische Dublin-Abkommen, durch das Migranten ebenfalls gezwungen werden, im ersten EU-Land, das sie betreten, Asyl zu beantragen. De facto hätte die Vorschrift zur Folge, dass nur noch Mexikaner in den USA Asyl beantragen können. Die Zahl der Asylanträge aus Mexiko ist aber sehr gering. Laut Segob-Bericht lag sie 2022 bei nur noch 3,5 Prozent. 22,7 Prozent der Anträge kamen aus Zentralamerika, 18,7 Prozent aus Venezuela, danach folgten Kuba und Haiti.
Die zweite Maßnahme könnte laut Wola ein beschleunigtes Asylverfahren sein, das die Antragsteller innerhalb weniger Tage aus der Auffangeinrichtung heraus führen müssten. Wola befürchtet hier, dass die Migranten nur wenig Zugang zu rechtlicher Begleitung erhalten:
„Dies könnte dazu führen, dass mehr schutzbedürftige Personen an Orte abgeschoben werden, an denen ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht ‒ eine Menschenrechtsverletzung.“
Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.
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