Ausschluss russischer Sportler: Im Olymp der Doppelstandards

Ausschluss russischer Sportler: Im Olymp der Doppelstandards

Ausschluss russischer Sportler: Im Olymp der Doppelstandards

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Das Internationale Olympische Komitee plant aktuell, die aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit praktizierte Diskriminierung russischer Sportler abzumildern. Dagegen wird nun unter anderem mit einem aktuellen und fragwürdigen Rechtsgutachten aus Deutschland Stimmung gemacht. Die abzulehnende Position des Innenministeriums zur Frage ist bereits bekannt. Diese Verteidigung der Diskriminierung und die Demontage der völkerverbindenden Rolle internationaler Sportveranstaltungen sind skandalös. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) plant, am 28. März in Lausanne Eckpunkte zu beschließen, mit denen die Teilnahme von russischen und belarussischen Athleten einhergehen soll, wie Medien berichten. Laut dem Artikel würden aber vermutlich auch dann weiterhin folgende Extra-Bedingungen für Russen und Belarussen gelten: „Teilnahme unter neutraler Fahne, keine aktive Unterstützung des Ukraine-Kriegs, vollständiges Bekenntnis zur olympischen Charta.“

Die Argumentation des IOC für die Zulassung basiert laut den Medienberichten darauf, dass der Ausschluss der russischen und belarussischen Sportler aufgrund ihrer Nationalität „diskriminierendes Handeln“ sei. Unterstützt wird diese Sichtweise von zwei Expertinnen der Vereinten Nationen: Die Griechin Alexandra Xanthaki, Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte, und die Inderin Ashwini K.P., Sonderberichterstatterin für zeitgenössische Formen von Rassismus, unterstützen den Vorstoß des IOC, die Athleten unter neutraler Fahne wieder zuzulassen.

Meiner Meinung nach ist es höchste Zeit für (mindestens) diesen Schritt: Die praktizierte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit kann als indirekter Rassismus verurteilt werden. Doch es gibt Widerstand dagegen, diese Form des Rassismus zu beenden – auch aus Deutschland.

Gutachten: Ausschluss von Russen ist „friedenspolitischer Beitrag“

Die eindeutige Zurückweisung des Ausschlusses von Menschen, weil sie den falschen Pass haben, ist mehr als überfällig. Dieser offensichtliche Schritt soll aber aktuell weiter infrage gestellt werden, etwa durch ein neues Rechtsgutachten im Auftrag des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Das Gutachten und seine fragwürdigen Ergebnisse wurden am Sonntagabend im Deutschlandfunk in einem freundlichen Interview präsentiert. Dort konnte die Autorin, Rechtsprofessorin Patricia Wiater von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, unter anderem ausführlich erklären, dass ein Ausschluss aufgrund von Nationalität „aus menschenrechtlicher Sicht nicht als Verstoß gegen Diskriminierungsverbote zu qualifizieren ist, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind“.

Manche Äußerungen der Verfasserin des Gutachtens ließen den kritischen Hörer fassungslos zurück, insofern lohnt es sich, es in Gänze anzuhören. Das Gespräch gipfelt in der Behauptung der Verfasserin, „dass die internationalen Sportverbände und das IOC mit dem Ausschluss einen friedenspolitischen Beitrag leisten und einer propagandistischen Instrumentalisierung des Sports entgegentreten“. Das Gegenteil ist der Fall: Der internationale Sport wird schon lange als Propagandavehikel gegen Staaten genutzt, die aus westlicher Sicht einen widerspenstigen Eindruck machen. Der Ausschluss der Russen ist ein Höhepunkt der Instrumentalisierung internationaler sportlicher Großveranstaltungen für geopolitische Propaganda. Das betrifft nicht nur den Sport: Auch Kultur und Wissenschaft sollen keine Brücken mehr zwischen Russen und Deutschen sein, wie wir im Artikel „Alle Brücken zu Russland sollen abgerissen werden“ beschrieben haben:

„Kultur und Wissenschaft sollen offensichtlich ebenso politisiert werden wie der Sport, der etwa durch die Kampagnen zur WM 2018 oder zum ‚russischen Staatsdoping’ bereits propagandistisch aufgeladen wurde – auch um die durch die ‚unverfänglichen‘ Veranstaltungen möglich werdenden Dialoge zu unterbinden. (…) Neben der politischen Ebene soll zudem die friedliche und ‚unpolitische‘ Begegnung der Bevölkerungen bei Sport oder Kultur torpediert werden – ein verwerflicher Angriff auf die Völkerverständigung.“

Im Olymp der Heuchelei

Das Verhalten gegenüber den russischen Sportlern illustriert eine extreme Ungleichbehandlung: Wurden US-Sportler ebenfalls dazu genötigt, sich öffentlich von den zahlreichen US-Kriegen und von ihrer Regierung zu distanzieren? Diese Praxis soll hier aber keineswegs eingefordert werden: Auch US-Sportler müssen meiner Meinung nach von der politischen Instrumentalisierung befreit bleiben! Dann verbietet sich aber die gleiche Handlung gegenüber den Russen, zumal eine Verurteilung der Russen bei gleichzeitiger Duldung der erheblich gravierenderen US-Kriegsverbrechen die Welt moralisch auf den Kopf stellt. Das Titelbild zeigt übrigens russische und US-Sportlerinnen gemeinsam bei der Olympiade 2016.

Mit der hier vorgebrachten Argumentationen wird kein Krieg gerechtfertigt: Gerade in Zeiten von Krieg und Spannung müssen „unpolitische“ Räume der Begegnung und der Völkerverständigung offengehalten werden! Darum ist die Aussage des DOSB-Gutachtens zum friedenspolitischen Aspekt des Ausschlusses der Russen auch besonders absurd.

Im Gutachten vom DOSB heißt es außerdem, Sportverbände und IOC seien verpflichtet, „sich schützend vor die Menschenrechte von besonders vulnerablen Sportlerinnen und Sportlern zu stellen“, darum seien die Russen weiterhin auszuschließen. Wurden die Opfer der US- und NATO-Kriege bei bisherigen Sportveranstaltungen ebenso geschützt? Wie gesagt: In diesem Text fordere ich nicht, dass US-amerikanische (oder allgemein „westliche“) Sportler nun genauso für Taten ihrer Regierungen büßen müssen wie die russischen Sportler – es geht bei dem Vergleich nur um die Illustration der doppelten Standards. Der Artikel „Ganser, Netrebko, Waters: Säubert die Bühnen!“ befasst sich mit der Kulturszene – aber folgende Sätze lassen sich auch auf internationale Sportveranstaltungen übertragen:

„Die Doppelmoral ist offensichtlich: Wann wurden je US-Künstler oder -Sportler in Deutschland derart moralisch festgenagelt, wie dies nun mit Netrebko geschieht? (…) Zu beobachten ist eher das Gegenteil – nämlich, dass sogar direkt verantwortliche US-Politiker und mutmaßliche US-Kriegsverbrecher von Teilen der deutschen Kulturlandschaft gefeiert werden wie Rockstars, etwa Hillary Clinton bei der Berlinale 2020.”

Thomas Bach: „Es steht den Regierungen nicht zu, zu entscheiden, wer an welchen Sportwettbewerben teilnehmen darf“

IOC-Präsident Thomas Bach hat zu dem Vorgang aktuell laut Medien gesagt: „Wir verstehen die ukrainischen Menschen und Athleten, auf der anderen Seite haben wir als globale Organisation eine Verantwortung gegenüber Menschenrechten und der Olympischen Charta“, so der 69-Jährige bei einem von Protesten begleiteten Vortrag in Essen. „Und beide untersagen eine totale Isolierung von Menschen mit einem bestimmten Pass.“ Vom 28. bis 30. März gehe es bei einem Treffen des Exekutivkomitees des IOC auch um die Frage des Umgangs mit russischen Sportlern.

Bach betonte demnach die politische Neutralität des olympischen Sports: „Wir haben in dieser Welt circa 70 Konflikte bewaffneter Art. Wir können keine Entscheidungen treffen über Krieg und Frieden.“ Wenn das IOC einen Ausschluss von Athleten aufgrund politischer Gründe vornehme, „stehen wir vor einem Zerfall des internationalen Sportsystems“. Das IOC hatte Ende Januar die Möglichkeit ins Spiel gebracht, Wege zu prüfen, um Aktiven aus Russland und Belarus einen Weg zurück in internationale Wettkämpfe zu ebnen.

Bach hat laut „FAZ“ zudem kürzlich die Einmischung mehrerer westlicher Politiker in den Sport und konkret in die „Russland-Frage“ kritisiert. „Es steht den Regierungen nicht zu, zu entscheiden, wer an welchen Sportwettbewerben teilnehmen darf, denn das wäre das Ende der internationalen Sportwettbewerbe, der Weltmeisterschaften und der Olympischen Spiele, wie wir sie kennen“, sagte der 69-Jährige bereits im Februar am Rande der alpinen Ski-WM im französischen Courchevel.

Innenministerium: „Kein Anlass, den russischen Sport zur Rückkehr einzuladen“

Dass die Funktion internationaler Sportveranstaltungen als wichtiges Forum auch in Krisenzeiten Schaden nehmen könnte, scheint das deutsche Bundesinnenministerium nicht zu sorgen: Ein schneller Erfolg im geopolitischen Meinungskampf scheint wichtiger zu sein. Ein Sprecher des für den Sport zuständigen Ministeriums bekräftigte gegenüber der „FAZ“ die Haltung von Innenministerin Nancy Faeser: „Es gibt aus unserer Sicht keinen Anlass, den russischen und belarussischen Sport zur Rückkehr in die Wettkämpfe einzuladen.“

Die Reaktion aus Russland fiel erwartet deutlich aus. „Der Versuch, die Bedingungen für die Teilnahme von Sportlern an internationalen Wettkämpfen zu diktieren, ist absolut inakzeptabel. Wir sehen derzeit einen unverhohlenen Wunsch, die Einheit des Weltsports zu zerstören“, wurde Sportminister Oleg Matysin von russischen Nachrichtenagenturen zitiert. „Die Geschichte“ werde „zeigen, wer mehr für den Frieden tut“, sagt Thomas Bach:

„Diejenigen, die versuchen, Grenzen offen zu halten und zu kommunizieren. Oder diejenigen, die isolieren und spalten wollen.“

In diesem Interview ist der Trainer und Extremsportler Marco Henrichs kürzlich bereits auf die hier geschilderten Vorgänge und die Rolle des Bundesinnenministeriums eingegangen. Eine Petition unter dem Titel „Kein Ausschluss russischer & belarussischer Athleten von den Olympischen Spielen 2024“ kann hier unterzeichnet werden.

Titelbild: Leonard Zhukovsky / Shutterstock

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