Willy Brandt wäre für Waffenlieferungen an die Ukraine

Willy Brandt wäre für Waffenlieferungen an die Ukraine

Willy Brandt wäre für Waffenlieferungen an die Ukraine

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Das ist zusammengefasst das erstaunliche Fazit im vorletzten Kapitel eines neuen Buches von Gunter Hofmann mit dem Titel: „Willy Brandt. Sozialist – Kanzler – Patriot. Eine Biographie“. Der Autor war lange Zeit Korrespondent zunächst der Stuttgarter Zeitung und dann von Die Zeit in Bonn und Berlin. Ich kannte und schätzte ihn als qualifizierten, interessanten Journalisten. Sein Werk über den früheren Bundeskanzler Willy Brandt folgt auf Hofmann-Biografien über Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker und Marion Dönhoff. Hofmanns Text zu Brandt hebt sich wohltuend ab von der vorgefertigten Tendenzberichterstattung z.B. des Historikers Gregor Schöllgen. Hofmanns Werk hat große Qualitäten und einige große Schwächen. Albrecht Müller.

Dass eine Biografie über Willy Brandt dazu herhalten muss, um ihm die Zustimmung zu Waffenlieferungen an die Ukraine anzuheften, lässt tief blicken in den Abgrund der Vorstellungen des Autors über die aktuelle Lage von Krieg und Frieden. Hofmanns – für mich, wie sicher auch für viele andere Kenner und Bewunderer dieses Journalisten – erstaunliche Einstellung wird schon im ersten (!) Satz des Buches kundgetan, unmotiviert und eigentlich nicht passend zu einer Biografie über Willy Brandt. Ich zitiere:

„Als dieses Buch begonnen wurde, war an einen Einfall russischer Truppen in die Ukraine und einen imperialistischen Krieg zur Rückeroberung des Besitzstandes aus sowjetischen Zeiten nicht zu denken.“

Damit habe ich die Lust auf die Lektüre von Gunter Hofmanns Buch verloren. Ich möchte keine Bücher lesen und empfehlen, die den Ukraine-Krieg mit der Unterstellung beginnen, Russland habe „imperialistische Absichten“, und mit der Behauptung fortfahren, dieses Land wolle den „Besitzstand aus sowjetischen Zeiten“ zurückerobern. Ich wollte mich aber nicht alleine auf meinen Eindruck verlassen und habe deshalb die Meinung von Freunden eingeholt. Wolfgang Bittner zum Beispiel habe ich den zitierten Satz vorgelesen. Bittner: „Das Zitat entspricht der gängigen Anbiederung an die vorgeschriebene Meinung: Falsch, opportunistisch, … . Wie sollte jemand, der so etwas schreibt, Willy Brandt verstehen können?“

Wenn Sie, liebe Leser, nicht so empfindlich sind oder Hofmanns Meinung teilen, dann können Sie getrost und ohne innere Störung dieses Werk lesen. Es ist bei C.H.Beck in München erschienen, hat 517 Seiten und kostet 35 Euro.

Der Autor beschreibt Kindheit und Jugend, er skizziert Mutter und Großvater des Herbert Frahm und späteren Willy Brandt. Er bezieht sich dabei als Quellen u.a. wesentlich auf Texte von Willy Brandt selbst. Im Kapitel II. werden Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten in die Biografie integriert. Damit wird die Botschaft verbunden, dass Willy Brandt schon damals, in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, auf der richtigen Seite stand. Der Autor schildert Willy Brandts Zeit in Norwegen und Schweden. Er schreibt über die Begegnungen mit Heinrich Mann, mit Alva und Gunnar Myrdal und ihren Einfluss auf den jungen Willy Brandt. Hofmann schildert die damaligen Überlegungen des jungen Journalisten und Politikers über Zukunft und Gestalt unserer Gesellschaft und Europas nach dem Zweiten Weltkrieg.

Diese Texte enthalten viele interessante Informationen über den langen Weg Willy Brandts vom Verlassen Deutschlands im Jahre 1933 bis zur Rückkehr im Jahr 1945 – die Informationen machen vieles verständlicher, was wir dann selbst in der aktiven politischen Zeit des Regierenden Bürgermeisters in Berlin, des SPD-Parteivorsitzenden und des Bundeskanzlers Brandt erlebt haben.

Was der Autor Hofmann über die Jahre vor dem Regierungseintritt von Willy Brandts Partei als Teil der Großen Koalition in die Regierung Kiesinger im Dezember 1966 schildert, kann ich nicht dank eigenen Erlebens überprüfen, die späteren Begebenheiten schon. Ab August 1968 war ich in unmittelbarer Nähe des Gegenstands der Biografie tätig und kann mir deshalb nicht nur ein angelesenes Urteil erlauben.

Vieles, was Gunter Hofmann über diese Zeit schreibt, ist interessant und trifft auch aus meiner Sicht die Wirklichkeit:

Zum Beispiel beschreibt er den Kniefall in Warschau im Jahre 1970 einfühlsam und bewegend. Zum Beispiel weist er auf die Fehleinschätzung hin, die Auflockerung im Osten und dessen personelle Erneuerung mit Gorbatschow sei westlicher Härte und speziell der Nachrüstung zu verdanken. Zum Beispiel hat der Autor die Entscheidung Willy Brandts zum Rücktritt im Mai 1974 – in Anlehnung an Egon Bahr und im Widerspruch zu Helmut Schmidt – richtig eingeordnet. Sie war alternativlos. Andernfalls wäre Brandt einer weiteren unendlichen Hetzjagd ausgesetzt gewesen.

Das sind nur einige Beispiele einer großen Zahl von interessanten und nachvollziehbaren Beschreibungen des Geschehens im Leben des Politikers Brandt.

Zu einigen Schwächen der Biografie – auch jenseits des eingangs zitierten ersten Satzes des Vorworts:

Der Autor hat offenbar die Neigung, Quellen bekannter bis berühmter Personen gerne zu nutzen und Quellen guter, wichtiger, aber weithin unbekannter Personen nicht zu nutzen. Diesen Eindruck kann man am Fall der Quelle Günter Grass im Vergleich zur Quelle Reinhard Wilke besonders gut belegen. Über Günter Grass und seine und anderer Kollegen Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler Initiativen und Unterstützung für den Politiker Brandt gibt es ein eigenes Kapitel, das Kapitel VII. mit insgesamt 35 Seiten. Günter Grass und Hans-Werner Richter und später auch Heinrich Böll und viele andere waren wichtig für die Erweiterung des Wählerpotenzials Willy Brandts und der SPD, sie waren auch als Gesprächspartner, Ideengeber und Initiatoren von bemerkenswerter Bedeutung. Den Lesern dieser Rezension werden sie vermutlich ein Begriff sein.

Reinhard Wilke wird ihnen und Ihnen kein Begriff sein und er kommt im Buch von Gunter Hofmann auch nicht vor. Reinhard Wilke war Büroleiter von Willy Brandt nahezu in der gesamten Zeit von Brandts Kanzlerschaft, von 1970 bis 1974, und dann auch noch darüber hinaus bis 1976. Reinhard Wilke hat fortlaufend „Aufzeichnungen zum Terminkalender des Bundeskanzlers“ notiert und diese in zwei gebundenen Bänden veröffentlicht. Später dann, 2010, erschien als reguläres Buch – mit einem Vorwort von Ulrich Wickert – Wilkes Buch „Meine Jahre mit Willy Brandt“.

Autor Hofmann hat Reinhard Wilke gekannt, vermutlich gut gekannt und er musste eigentlich auch etwas von den Veröffentlichungen wissen. Er hätte einige Fehler vermeiden können und einiges Wichtige über den Gegenstand seiner Biografie berichten können, wenn er die Publikationen Wilkes angeschaut hätte.

Wilkes Aufzeichnungen zum Terminkalender des Bundeskanzlers enthalten unter dem Datum des 5. Dezember 1972 einen Bericht über die um 11:00 Uhr stattgefundenen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD-Führung und FDP-Führung und über ein anschließendes Gespräch Brandts mit Wehner und danach mit Horst Ehmke. Die dreiseitige Notiz füge ich diesem Text an.

Dieser 5. Dezember stellt zusammen mit dem, was seit der Wahl am 19.11.1972 geschehen war, eine historische Zäsur dar. Der Büroleiter Brandts hat es in seinen kommentierenden Notizen treffend dargestellt. Ihr letzter Satz sagt das Ende der Kanzlerschaft Willy Brandts voraus: „So wurden in diesem Stadium die Machtverhältnisse im Kabinett festgezurrt, an denen Willy Brandt dann letztlich scheitern musste.“

Vorher steht zu lesen, dass sich Willy Brandt angesichts der in den Koalitionsverhandlungen in seiner krankheitsbedingten Abwesenheit zu seinen Ungunsten getroffenen personellen Festlegungen – voller Hohn – darüber beklagte, dass ihm zugemutet wird, einen Chef des Bundeskanzleramtes (Horst Ehmke), „mit dem ich offenbar die Wahl verloren habe“, und einen Chef des Bundespresseamtes (Conny Ahlers) nicht wieder zu nehmen.

Brandt lässt wissen, er werde möglicherweise mitteilen, dass er nicht mehr als Bundeskanzler zur Verfügung stehe. Es kam heraus, dass er sich von allen, von Scheel und Genscher und von Helmut Schmidt sowieso, hintergangen fühlte. Zum Hintergrund und zur Erläuterung: Der Stellvertreter Brandts im Parteivorsitz, Helmut Schmidt, hat von Brandt verlangt, dass er auf den bewährten Chef des Bundeskanzleramtes, Horst Ehmke, und den Chef des Bundespresseamtes, Conny Ahlers, verzichtet.

Diese Informationen gehören in eine Biografie über Willy Brandt. Sie zeigen auch eine Schwäche Brandts. Er hätte dieser personellen „Säuberung“ nicht zustimmen dürfen. Er hätte auch nicht erlauben dürfen, dass die Koalitionsverhandlungen ohne seine Anwesenheit beginnen. Auch seine unmittelbar nach der Wahl festgestellte Erkrankung an den Stimmbändern und die Erschöpfung durch den Wahlkampf entschuldigen nicht, dass er zugelassen hat, dass mit den Koalitionsverhandlungen von Wehner und Schmidt ohne sein Beisein begonnen wird und damit auch gravierende sachliche und vor allem personelle Festlegungen stattfinden – zulasten der SPD und zugunsten der FDP übrigens.

Die zitierten Notizen vom 5. Dezember 1972 deuten schon explizit das Ende der Kanzlerschaft Willy Brandts an und sie benennen auch die Urheber des Niedergangs seiner durch die Wahl am 19. November 1972 grandios bestätigten Regierungsverantwortung. Die Totengräber der Kanzlerschaft Willy Brandts waren seine Stellvertreter Herbert Wehner und Helmut Schmidt. Wie sehr die Beiden spätestens seit Mitte des Jahres 1972 gegen ihn gearbeitet haben, wird in der Biografie Gunter Hofmanns nicht deutlich genug herausgearbeitet.

Gunter Hofmann schreibt viel über Herbert Wehner und Helmut Schmidt. Dabei wird der bestimmende Eindruck vermittelt, Wehner habe Brandt ganz besonders gefördert. Wörtlich heißt es beispielsweise auf Seite 307:

„Mit Herbert Wehner als Fürsprecher in der SPD hatte er jemanden mit Autorität an der Seite, den er zugleich als seinesgleichen betrachten konnte – als Relikte der Weimarer Republik ragten sie beide in die neue Ära hinein.“

Zwei Absätze später heißt es dann noch:

„Über lange Jahre der Beziehung zwischen den beiden hinweg finden sich keinerlei Hinweise (vor den Notizen zum Fall G.) darauf, Willy Brandt sei Wehner mit Grundmisstrauen begegnet, im Gegenteil er suchte die Nähe.“

Das sind groteske Fehleinschätzungen des Autors Hofmann. Es hätte gereicht, wenn er aufmerksam die Erinnerungen von Willy Brandt gelesen hätte. Da gibt es auf den Seiten 326-329 faktenreiche Schilderungen einer gestörten Beziehung. Ich zitiere ein kurzes Stück:

„Nachdem wir uns – er in Bonn, ich in Berlin – miteinander arrangiert hatten, bekam das Verhältnis zwischen Wehner und mir einen ersten erheblichen Knacks, als wir im Herbst ’61 gemeinsam mit dem Nachtzug nach Lübeck fuhren; dort hielt ich, eine Tradition begründend, am Samstagnachmittag die Abschlusskundgebung vor der Bundestagswahl. Wehner, nach etwas Rotspon und auf den Vorsitzenden Ollenhauer bezogen: ‘Der muss weg. Du musst es machen.’ Ich widersprach nicht heftig, eher gedehnt, denn ich war verstört und erschrocken über den Ton, der einer Partei wie der unseren fremd und nicht würdig war. Die Nachfolge im Parteivorsitz konnte, so fand ich, nicht putschartig geregelt werden. Und warum auch? Ich hatte zu Erich Ollenhauer ein kameradschaftliches Verhältnis gewonnen; der Erneuerung der Partei legte er keine Steine in den Weg, im Gegenteil; er war der Garant dafür, dass die „alte“ Partei den Weg an die Macht mitging. Wehner merkte sich meine Reaktion, die eines Zauderers und Schwächlings. Und ich merkte mir seinen Vorstoß, den eines Mannes, der die Figuren und die Politik nach Belieben verschiebt.

Das Vertrauensverhältnis hielt sich in Grenzen.“

Es ist ja zu verstehen, dass der Journalist Gunter Hofmann freundlich über Herbert Wehner schreibt. Herbert Wehner war beliebt bei Journalisten. Seine kauzige Art, seine Bereitschaft, bei der Presse über Kolleginnen und Kollegen herzuziehen, waren Garanten für immer neuen Stoff für die Bonner Journaille. Aber diese Umstände sollten doch nicht den Blick auf den destruktiven Grundcharakter des Stellvertretenden Vorsitzenden der SPD Herbert Wehner vernebeln.

Meine Erfahrungen gründen auf der persönlichen Erfahrung als Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministers und Präsidiumsmitglieds der SPD Karl Schiller von August 1968 bis November 1969, auf den Erfahrungen als Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit beim Parteivorstand der SPD von Dezember 1969 bis Januar 1973 und auf der dann folgenden Tätigkeit als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei Brandt und Schmidt.

Zugespitzt: In dieser Zeit habe ich Herbert Wehner einmal wirklich konstruktiv erlebt: Er hat als Erster in der SPD-Führung im Juli 1969 erkannt, welche große Bedeutung die Debatte um die Aufwertung der D-Mark im für den Kanzlerwechsel entscheidenden Wahlkampf spielen könnte. Der dafür zuständige und die Aufwertung – im Konflikt mit der CDU/CSU und vor allem mit Franz-Josef Strauß – vorschlagende Bundeswirtschaftsminister hatte monatelang versucht, die SPD-Führung von der Notwendigkeit und der möglichen wahlstrategischen Rolle der Aufwertung zu überzeugen. Mit Wehners Einsicht zweieinhalb Monate vor der Wahl gelang der notwendige Durchbruch und das war dann Teil des Erfolgs bei der Bundestagswahl 1969.

Diese positive Erfahrung vorweg. Daran anschließend habe ich von Herbert Wehner im Verhältnis zu Willy Brandt und den für ihn wichtigen Mitarbeitern nur Destruktion erlebt. Das waren reihenweise Gründe für ein grundsätzliches Misstrauen des SPD-Vorsitzenden Brandt gegenüber seinem Stellvertreter Wehner – und übrigens auch gegenüber Helmut Schmidt.

Es begann schon mit der auf die Bundestagswahl von 1969 folgenden Regierungsbildung. Die SPD war erstmals im Dezember 1966 als Juniorpartner in die Große Koalition mit der CDU/CSU eingetreten. Nach der Wahl von 1969 gab es dann zum ersten Mal die Chance zum Kanzlerwechsel. Nach 20 Jahren zum ersten Mal! Willy Brandt hat diese Möglichkeit ergriffen, Helmut Schmidt und vor allem Herbert Wehner waren nicht begeistert. Sie wollten die Große Koalition mit der CDU/CSU fortsetzen. Objektiv betrachtet war das eine abstruse Idee. Aber diese abstruse Idee war im Interesse von Helmut Schmidt, der sich selbst für den besseren Kanzler hielt und wahrscheinlich noch warten wollte. Und Herbert Wehner schien Willy Brandt die Kanzlerschaft nicht zu gönnen und machte ihm und seinen Mitarbeitern in der Parteizentrale das Leben und die Arbeit schwer.

Als ich dort im Dezember 1969 die Leitung der Öffentlichkeitsarbeit übernahm, hatte die SPD über 8.000 Ortsvereine und ca. 900.000 Mitglieder. Zwischen der Zentrale und den Ortsvereinen und Mitgliedern gab es nahezu keine Kommunikation. Es gab ein Blatt, das sich Bonner Depesche nannte und von Herbert Wehner und der ihm zugeordneten Abteilung Organisation betreut wurde. Das Blatt diente im Wesentlichen dem Abdruck von Reden.

Es war klar, dass damit die große kommunikative Möglichkeit der 8.000 Ortsvereine und der rund 900.000 Mitglieder nicht genutzt wurde. Ortsvereinsvorsitzende waren in der Regel vielbeschäftigte Menschen. Sie brauchten kurze Informationen und Fakten.

Deshalb haben wir dem damaligen Bundesgeschäftsführer Wischnewski vorgeschlagen, die Ortsvereine mit einem Medium zu versorgen, das diesen Ansprüchen gerecht würde. Im Mai 1970 wurde „intern“, so hieß das Blatt, zum ersten Mal verschickt. In veränderter Form gibt es dieses Medium noch heute.

Herbert Wehner, damals Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, intervenierte sofort und erzwang die Beteiligung seiner Mitarbeiter an der Redaktion von „intern“. Weil diese dann alle 14 Tage mit langen Riemen ankamen, die sie in „intern“ veröffentlicht haben wollten, war diese Intervention fast schon ein Schlag gegen das Grundkonzept.

Wehners Intervention galt nicht vor allem uns, den Mitarbeitern, sondern dem Parteivorsitzenden. Wehner wollte nicht, dass Willy Brandts Position in der inneren Organisation der SPD Beifall findet.

Dieses destruktive Motiv war dann auch der Grund dafür, dass Wehner das nächste Projekt, das von uns entwickelte Mitgliedermagazin, bekämpfte. Er polemisierte gegen die Nullnummer so, als wäre dieses Exemplar schon unter die Leute, also unter die Mitglieder gebracht.

Wehners Destruktion richtete sich auch diesmal nicht nur gegen die Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Wischnewski und dann Holger Börner, die für die Publikationen verantwortlich zeichneten, sie richteten sich vor allem gegen Willy Brandt, dem er die positive innerparteiliche Verankerung, die mit solchen Medien verbunden ist, weil sie den Mitgliedern und den Ortsvereinen etwas nutzen, nicht gönnte. In Gunter Hofmanns Biografie spielen diese SPD-internen Vorgänge keine große Rolle, obwohl sie das Leben und die Politik des Willy Brandt beachtlich tangierten.

Übrigens: Willy Brandt bestätigte die destruktive Haltung seiner Stellvertreter bei einem Gespräch zur Planung des Wahlkampfes im Sommer 1972. Ich hatte ihm, seinen Stellvertretern im Parteivorsitz und dem Bundesgeschäftsführer der SPD das „Drehbuch“ für den Wahlkampf geschickt. Willy Brandt hatte mich zum Gespräch darüber am Samstag, den 8. Juli 1972, in sein Wohnhaus auf dem Bonner Venusberg eingeladen. Wir besprachen Kampagne für Kampagne und die Grundanlage des Wahlkampfes. Am Ende des Gesprächs fragte ich ihn, ob sich seine Stellvertreter ihm gegenüber zum Drehbuch geäußert hätten. „Nein“, aber darauf brauche ich auch nicht zu warten. „Denn die wollen nicht gewinnen.“

Diese Antwort war für mich die Bestätigung dessen, was ich drei Jahre lang erlebt hatte: Wehner’sche Destruktion.

Weil dieser Charakterzug dann ja auch das nahe Ende der politischen Führung durch Willy Brandt bewirkte, wie schon in der Notiz Reinhard Wilkes vom 5. Dezember 1972 vermerkt ist, hätten die Leser von Gunter Hofmanns Biografie des Willy Brandt eigentlich verdient, ein bisschen mehr davon lesen zu können.

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Anhang

Reinhard Wilke: Aufzeichnungen zum Terminkalender des Bundeskanzlers

Auszug vom 5. Dezember 1972