Wahlen in Bremen – Der Roland wird grüner
Die SPD stagniert, die Grünen überholen erstmals die CDU und werden zweitstärkste Partei, die FDP verschwindet, die Wahlbeteiligung erreicht einen traurigen Tiefstand, so lässt sich das Ergebnis zur Bürgerschaftswahl zusammenfassen. Die Bremer Bürgerschaftswahl ist in Wirklichkeit eher eine “Kommunalwahl”, die dennoch von der allgemeinen Stimmungslage beeinflusst ist. Das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Parteien ist gering und die Zufriedenheit mit der Demokratie bröckelt. Von Wolfgang Lieb
Die SPD kann aus der Schwäche des „bürgerlichen Lagers“ kaum Honig saugen
Obwohl nach Infratest dimap 40% der Befragten meinen, dass die Gründe für die Gewinne der Grünen auf der Bundesebene lägen und 44% die Politik der Bundes-FDP für deren Verluste verantwortlich machen, war die Bremer Bürgerschaftswahl vor allem eben eine Kommunalwahl.
Ähnlich wie in Hamburg lag der Spitzenkandidat der SPD und regierende Bürgermeister Jens Böhrnsen im Kandidatenvergleich (mit 69%) weit vor seiner weitgehend unbekannten Herausforderin Rita Mohr-Lüllmann von der CDU (mit 17%). Dennoch hat der Bekanntheits- und Beliebtheitsbonus Böhrnsens der SPD nur ein knappes Plus von gut eineinhalb Prozent auf etwas über 38% beschert – ein gemessen an früheren SPD-Erfolgen bescheidenes Ergebnis.
(Die Prozentangaben sind vorläufig, da angesichts des differenzierten Wahlverfahrens in Bremen – jeder Wähler hatte fünf Stimmen, die er auf verschiedene Kandidaten sogar unterschiedlicher Parteien verteilen konnte – das amtliche Wahlergebnis erst am Mittwoch bekannt gegeben werden kann.)
Die Sozialdemokraten konnten also weder vom schlechtesten Ergebnis der CDU seit fünfzig Jahren mit gerade 20% und einem Verlust von fünfeinhalb Prozent noch vom Scheitern der FDP mit nur noch zweieinhalb Prozent und einem Verlust von etwa dreieinhalb Prozent wesentlich profitieren.
Der Neustart der FDP wurde ein Fehlstart
Die FDP schnitt mit mehr als einer Halbierung ihres früheren Stimmenanteils sogar noch schwächer ab als die rechtspopulistische ehemalige Schill-Partei mit 3,8% und liegt nur noch knapp vor der rechtsextremen NPD.
Der Neuanfang mit dem neuen Parteivorsitzenden Philipp Rösler ist also in Bremen für die FDP gründlich daneben gegangen. Der neue FDP-Vorsitzende hat gegenüber Anfang Mai sogar noch an Zufriedenheitswerten verloren und liegt weit hinter seiner Parteifreundin Leutheuser-Schnarrenberger und nur etwa gleichauf mit seinem Vorgänger Westerwelle. Selbst als Partei der Selbständigen wurde die FDP von den Grünen abgelöst.
Dass das selbsternannte „bürgerliche“ Lager in Bremen so abstürzte, hat sicher ein erhebliches Stück weit damit zu tun, dass laut ARD-Deutschlandtrend 73% der Befragten mit der Bundesregierung unzufrieden sind.
Die Sozialdemokraten können zwar zum 18. Mal hintereinander, also seit 65 Jahren den Regierungschef in Bremen stellen, was nicht weiter erstaunt, da 82% der Bremer meinen, dass die SPD zur Hansestadt passe – sie gehört sozusagen zum Bremer Kulturerbe. Dennoch sprachen sie die Bremer in Meinungsumfrage eindeutig gegen eine Alleinregierung der SPD und eindeutig für Rot-Grün aus.
Die CDU hat nach Baden-Württemberg (-5,2%), Sachsen-Anhalt (-3,7%) und dem Absturz in Hamburg (bis auf Rheinland-Pfalz (+ 2,4%)) alle Wahlen in diesem Jahr deutlich verloren. Sie hat in Bremen nur noch bei den Wählern über 60 Jahre mit 28% ihr Ergebnis einigermaßen halten können. Bei den erstmals Wahlberechtigten der 16 bis 17-Jährigen erhielt sie nur noch 12% der Stimmen.
Die Grünen mutieren zur bürgerlichen Volkspartei
Ganz im Gegensatz dazu erzielten die Grünen bei den jüngsten Wählern über 30 Prozent (die SPD unterdurchschnittlich 28%) ihre höchsten Werte und konnten trotz ihrer Regierungsbeteiligung mit rund 33 Prozent (ein Plus von gut 6%) ihren Höhenflug fortsetzen. Bemerkenswerterweise erzielten die Grünen ihre höchsten Stimmenanteile außer bei den Jüngeren bei Selbständigen und Beamten und von den Wählern mit Hochschulabschluss erhielten sie gar 35%. Sie konnten damit bei 5 Wahlen hintereinander ein deutliches Plus schaffen und landet zum ersten Mal überhaupt vor der CDU. Rot-Grün bildet also sozusagen eine neue Art von Großer Koalition.
Die Grünen – das zeigte sich auch in den Wahlsendungen – sind inzwischen ja auch von journalistischer Kritik weitgehend befreit und können ihre gesamte Glaubwürdigkeit ausschließlich aus ihrer Gegnerschaft zur Atomenergie beziehen.
Die LINKE kann von den sozialen Problemen nicht profitieren
Die Partei DIE LINKE kommt mit deutlichen Verlusten (2,7%) trotz parteiinterner Querelen wieder in die Bürgerschaft und hat damit zum dritten Mal einen Wiedereinzug in ein Landesparlament geschafft. Nachdenklich muss die Linkspartei stimmen, dass sie nur von 6% Arbeitern gewählt wurde, obwohl sie doch deren Anliegen ins Zentrum ihres Wahlkampfes stellte.
Quelle: ZDF
„Immer weniger, entscheiden über immer mehr“
Wie üblich redeten die Gewinner der Wahl von einem „großen Vertrauensbeweis“ (Jens Böhrnsen), und die Grünen sprachen von einem „grandiosen Ergebnis“ (Karoline Linnret), der frühere Bürgermeister Henning Scherf verstieg sich sogar zu der Aussage „Wir haben die Bevölkerung hinter uns“.
Bei der schlechtesten Wahlbeteiligung aller Zeiten von etwas über 56% (in Bremerhaven lag die Wahlbeteiligung gerade mal bei 50%) muss man da allerdings von einem Selbstbetrug reden. „Immer weniger, entscheiden über immer mehr“, räumte der konservative Politologe Karl-Rudolf Korte im ZDF ein.
Obwohl zum ersten Mal das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt wurde erhielt die SPD absolut unter hunderttausend Stimmen der insgesamt knapp 500.000 Wahlberechtigten, die „stärkste Kraft“ in Bremen (Böhrnsen) hat also eine deutlich geringere absolute Wählerzahl als in vorausgegangenen Wahlen. Die neue rot-grüne Koalition hat zwar über 60% der abgegebenen Stimmen erhalten, das sind aber gerade mal ein Drittel der Wahlberechtigten. „Vertrauen“ und „Zustimmung“ sehen anders aus. Sämtlichen Parteien wird auf den zentralen Feldern Finanzen, Arbeitsplätze, Schule/Bildung nur eine äußerst mäßige Problemlösungskompetenz zugetraut und den Bremern ist ziemlich klar, dass es ihnen schlechter geht als anderswo.
Über die geringe Wahlbeteiligung helfen auch die Ausreden nicht hinweg, dass keine „Wechselstimmung“ aufkam, dass vielleicht das neue etwas kompliziertere Wahlrecht abgeschreckt hat oder vielleicht viele Bremerinnen und Bremer der Wahlurne fernblieben, weil sie der Auffassung waren, es sei ohnehin klar, wer gewinne. Der Rückgang der Wahlbeteiligung ist auch in Bremen ein anhaltender Trend. Bis auf die Wahlen in Brandenburg, Saarland und Schleswig-Holstein überstieg bei keiner Landtagswahl bei den letzten Wahlen die Wahlbeteiligung die 60-Prozent-Grenze. Dieser besorgniserregende Trend hat sicher zu einem erheblichen Anteil damit zu tun, dass fast die Hälfte der im aktuellen ARD-Deutschlandtrend Befragten mit der Demokratie in Deutschland unzufrieden ist (im Osten sind es sogar über 60 Prozent).
Dass die SPD in Bremen trotz Kandidatenbonus und trotz „kultureller“ Hegemonie nicht deutlich mehr zulegen konnte, hängt sicher zu einem großen Teil auch damit zusammen, dass die Sozialdemokraten im Bundestrend bei der aktuellen Sonntagsfrage deutlich unter dreißig Prozent (26%) gemessen werden und dass 43% sagen, sie wüssten nicht wofür die SPD „politisch steht“. Dieses mangelnde politische Profil erstaunt nicht weiter, wenn man sich vor Augen hält, dass die SPD als größte Oppositionspartei in einer Zeit, da fundamentale Probleme anstehen und Schwarz-Gelb einen Fehler nach dem anderen macht, sich mit einer Stil- bzw. Instrumentenkritik an der Regierung begnügt, aber von Afghanistan über Nordafrika, von der Euro-Krise bis zur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik keine Alternative anzubieten hat.
Selten konnte eine Partei in der Opposition aus dem Vertrauensverlust der Regierungsparteien so wenig Gewinn ziehen.