Warum das ZDF den TV-Mehrteiler „Der Schwarm“ so nannte, läuft wohl unter künstlerischer Freiheit. Frank Schätzing, Autor des Buches, dem die TV-Serie mit dem Titel „Der Schwarm“ folgte, war an der Realisierung der Fernsehproduktion beteiligt und hatte zunächst sicher nichts gegen die Erweiterung der Öffentlichkeit hin zu einem breiten TV-Publikum einzuwenden. Dass der Schriftsteller das verfilmte Werk dennoch kritisierte, sich sozusagen beinahe distanzierte – ist kein Wunder, Roman und Film driften auseinander. Darauf machte Schätzing aufmerksam. Auffällig ist für den TV-Zuschauer, der den Roman zum Vergleich hat: Die wichtigsten, ambivalenten Akteure des Romans und deren Handeln, in der Science Fiction sind es unter anderem US-amerikanische Protagonisten und ihre Verbündeten – im Film kommen sie nicht vor. Ebenso wenig wie weiße Männer. Stattdessen versuchen im Film Frauen und Farbige, die Welt zu retten. Für das Netflix-trainierte Publikum nichts Neues. Aber muss das ZDF jede moderne Eselei mitmachen? Von Frank Blenz und Jens Berger.
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„Zusammengeschustert“
Dass manche Zuschauer die ZDF-Serie „Der Schwarm“ als langweilig und langatmig bezeichnen, aber einen direkten Vergleich mit dem Buch nicht ziehen, mag an der Annahme des Publikums liegen, dass die Filmemacher im Großen und Ganzen schon dem Inhalt des Romans gefolgt seien und leider bei der Umsetzung kein glückliches Händchen hatten. Doch die Filmleute präsentierten eben nicht Schätzings spannende, offenbarende Geschichte, sie sponnen sich einen anderen Stoff als den des Buches aus. Die Filmerzählung kommt geradezu unpolitisch daher – mit Ausnahme der Mahnung, dass die Umwelt, das Klima bedroht seien. Gesellschaftliche Korrektheit beschränkt sich auf Hautfarben und Orientierungen. Wobei man nicht wirklich von „korrekt“ sprechen sollte.
So wurden in der Verfilmung sämtliche im Buch prominenter vorkommenden weißen Männer gecancelt. Der norwegische Protagonist Sigur Johanson, der im Buch als in die Jahre gekommener Biologieprofessor beschrieben wird, wird vom deutlich jüngeren und farbigen schwedischen Schauspieler Alexander Karim gespielt – Änderungen am Plot inklusive. Identitätspolitisch bleibt – nicht nur – diese Figur jedoch blass. Reichlich skurril ist zudem, dass der einzige echte identitätspolitische Nebenplot aus dem Buch rund um den halb-indigenen Umweltschützer Jack O´Bannon, der sich im Buch auf die Suche nach seinen Wurzeln zwischen seinem irischen Vater und seiner indianischen Mutter begibt, ebenfalls gecancelt wurde. Auch O´Bannon ist im Film ein Farbiger; offenbar hat das ZDF mit „Indianern“ so seine Probleme. Schade.
Dafür haben die Macher zweifelsohne ein Herz für Frauen. Zahlreiche im Buch männliche weiße Charaktere sind im Film plötzlich weiblich und als ob das noch nicht reichen würde, erfanden die Drehbuchautoren gleich mit der Doktorandin Charlie Wagner eine weiße, weibliche Protagonistin hinzu. Wir lernen: In der Wissenschaft – den in diesem Milieu spielt „Der Schwarm“ ja hauptsächlich – gibt es keine weißen Männer. Schöne neue Welt und dies gilt natürlich auch fürs Liebesleben. Heterosexuelle Figuren aus dem Buch sind plötzlich bi- oder homosexuell. Aber klar, es liegen ja auch 15 Jahre zwischen Buch und Film und da hat sich viel getan. Heterosexuelle weiße Männer und Indianer gibt es in den Drehbüchern nicht mehr. Ist das nicht ein echter Fortschritt?
Doch auch im größeren geopolitischen Kontext hat sich einiges getan. Kritik an den USA ist offenbar heute tabu. Der Film wagt sich nicht aus der Deckung, kommt ohne Nennung politischer Ursachen und Akteure aus, eine schwache Leistung. Der Film wirkt im Gegensatz zum Roman, in welchem US-amerikanische Führungsansprüche vielfach vorkommen, als hätte man vor dem großen Bruder aus Übersee eine Art Verneigung ausgeführt. Das, was im Roman erzählt wird, bleibt den TV-Zuschauern verborgen: wer die Akteure im Buch sind, wie sich thriller-typische Momente aufbauen, Spannung, bei der der Leser den Atem anhält, den Kopf schüttelt, empört ist und seine Schlüsse zieht, darüber, was passiert, wenn imperiale Ansprüche kraken-ähnlich in alle Lebensbereiche eingreift – Fehlanzeige. Nicht nur der aufmerksame Zuschauer und Leser ist enttäuscht, auch der Schriftsteller Frank Schätzing verhehlt nicht („Die Zeit“):
„Zusammengeschusterter Unsinn“: Frank Schätzing über „Der Schwarm“
Frank Schätzing hat die Serienadaption in einem Interview mit der Zeit heftig kritisiert: „rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV“, „Die globale Dimension der Bedrohung wird nicht spürbar“ und „Man hätte dem Narrativ des Romans mehr vertrauen sollen“, lauten einige seiner Kritikpunkte. Was ihn aber besonders stört, ist, dass die ZDF-Adaption keine der aktuellen Entwicklungen miteinbezieht, die es seit dem Erscheinen des zwanzig Jahre alten Roman gegeben habe….
… Die Adaption entspräche daher nicht dem Zeitgeist, Figuren würden veraltete Klischees wiedergeben, Teile der Handlung seien „zusammengeschusteter Unsinn“ und aus heutiger Sicht unglaubwürdig: „Eine Fiktion muss in sich konsistent sein. Sonst verkauft sie die Zuschauer für dumm“, lautet Schätzings vernichtendes Fazit.
Bedrohung der Menschheit aus dem Meer – Amerikaner packen an und übernehmen die Rettung – auf ihre Art
Klartext. Im Roman, ein Fantasie-Roman, sind es unter anderem die USA, die CIA, der Präsident des großen westlichen Führungslandes, Schätzings Beschreibungen, die den amerikanischen Führungsanspruch, die Selbstgefälligkeit und machtvolle Rücksichtslosigkeit zeigen. Dem Sinn solcher Konzepte folgend „The Good, the Bad and the Ugly“, formulieren die Amis im Roman Schätzings ihre Weltsicht via Verteidigungsminister: „…Die freie Welt?“, „…das sind wir! Europa ist Teil des freien Amerika.“, Japan, Australien werden genannt und die Welt in „Gute“ und „Böse“ eingeteilt. „…Wir, das sind die Guten.“ „…Südafrika, China, Russland, Indien sind hässlich.“ „Außerdem Nordkorea, der Iran, der Irak, Syrien, Libyen, Ägypten, Pakistan, Kasachstan und der Sudan. Die Bösen…“
Der Film dümpelt dagegen, verlegt nach Europa, vor sich hin, von Übersee ist kein Wort, kein Bild, keine Aktion, nichts zu vernehmen. Warum Frank Schätzing das mitgetragen hat? Wer weiß. Zumindest verschafft der Autor jetzt seinem Ärger Luft. Besser wäre gewesen, der Film hätte die Geschichte(n) des Romans erzählt:
Eine bedrohliche Situation der Erde wird skizziert, Ozeane geraten in Wallung, Krabben erobern angriffslustig und aggressiv die Strände der Meere, Muscheln greifen Schiffe an, Wale zertrümmern Boote. Ein Tsunami überschwemmt Küsten. Ein Eiswurm, unbekannte tödliche Erreger verseuchen das Trinkwasser. Internationale Wissenschaftler finden heraus, dass im Meer eine unbekannte Spezies einer Lebensform existieren muss, die die Menschheit in Gefahr bringt. Im tausendseitigen Science-Fiction-Drama setzt sich die US-Administration an die Spitze der internationalen Aktivitäten gegen eine aufkommende Gefahr. Schätzing entwirft ein kritisches Sittenbild von den mächtigen, selbstgefälligen Politikern, ihren Gefolgsleuten, über die ihnen dienenden Geheimdienste. „Wir sind die Guten, die sind die Bösen“ – dieses Weltbild dient folglich als Freibrief für jedwedes Handeln. Die für die Rettung der Menschen angetretenen Wissenschaftler werden von Diensten ausspioniert, deren Lebensraum verwanzt, sie werden Tag und Nacht bei der Arbeit, beim Essen, beim Schlafen abgehört, beobachtet. Schätzings Geschichte ist atemberaubend, er schreibt über Tierversuche, Labore, chemische, biologische Waffen, Delphine kommen im Rahmen militärischer Arbeit von Meeressäugern zum Einsatz, der kein gut gemeinter ist.
Und im Film?
Ernüchternd, enttäuschend ist zu beobachten, dass Schätzings Kritik an den Weltmächten und den von ihnen verursachten und befeuerten Krisen und Schäden in der TV-Serie nicht besprochen wird. Sich wundern, dass Eisberge schmelzen, ist das eine, die Ursachen nicht zu benennen, das kommt weichgespült und bequem daher. Ja, unbequemen Fragen und möglichen Antworten wird so aus dem Weg gegangen. Zum geschätzten Schätzing sei ergänzend gesagt, dass auch andere Romane aus seiner Feder kritisch gerade dem aktuellen Establishment unserer westlichen Wertegemeinschaft und Gesellschaftsordnung gegenüber sind. In „Breaking News“ zeichnet Schätzing eine Betrachtung über die Entwicklung Israels, in „Lautlos“ steht große Weltpolitik mit einer Geschichte über ein G8-Treffen, dem von Serbien beanspruchten Kosovo und ein heftiger Attentatsversuch im aufmerksamen Blick des Autors.
Die Debatte über Film und Roman „Der Schwarm“ im Vergleich findet auch in den sozialen Medien statt. Hier zwei Fundstücke, Wortmeldungen aus dem Publikum:
Wer den Roman gelesen hat, kann hier deutlich erkennen, dass der Film nichts taugt. Jegliche politische Brisanz wurde gestrichen, nur Gutmenschen unterwegs. Wer nur den Film gesehen hat, der sollte unbedingt das Buch lesen. Dass Schätzing sauer ist, kann ich gut verstehen.
Wenn ein Staatssender schon bei der Produktion gegenüber dem Buch die Personen austauscht, um das Volk zu einer diversen Multikultigesellschaft zu erziehen, war schon klar, dass das Drehbuch ebenso verhunzt wird und einem der Autor Schätzing nur leid tun kann.
Bei aller Kritik über die TV-Serie, bei aller Genugtuung, dass im Vergleich dazu das Buch grandios ist – man beobachtet enttäuscht, dass bei der teuren ZDF-Produktion weniger von Einschaltquoten, sondern von Ausschaltquoten gesprochen wird. Der Serie wäre ein grandioser Erfolg zu wünschen gewesen. Wären die Macher nur dem Spruch gefolgt: „Bleibe bei Deinen Leisten.“ Schätzings Roman-Geschichte ist stimmig, die ihr inhaltlich folgende Serie wäre es auch geworden.