Einige der gesellschaftlichen Folgen der zum Teil zerstörerischen Corona-Politik werden nun auch in einigen Beiträgen großer Medien oder Äußerungen von Politikern thematisiert – das ist zu begrüßen, es ist eine Verbesserung. Zurückzuweisen ist aber die aktuelle Losung „Hinterher ist man ja immer klüger“ – das ist die Formel, mit der treibende Corona-Akteure jetzt eine generelle Absolution einfordern. Wer die nicht erteilen will, der „tritt nach“. Es ist immer wieder zu betonen: Es waren beim Thema Corona viele Bürger auch schon „vorher klüger“ und sie wurden von denen fertiggemacht, die sich jetzt angesichts der Folgen der eigenen Handlungen „überrascht“ und „zerknirscht“ geben. Ich würde diese Entwicklung trotzdem vorsichtig begrüßen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Man könnte die neue „Corona-Kritik“, die aktuell vonseiten einiger Journalisten und Politiker geäußert wird, als große Heuchelei abtun. Man könnte den Vorwurf erheben, dass sich nun hochbelastetes Personal in letzter Minute weißwaschen will, indem es auf den Zug jener Bürger aufspringen will, die diese Kritik schon seit Jahren äußern und dafür als rechtsextreme Spinner diffamiert wurden. Diese Vorwürfe wären voll berechtigt.
Zusätzlich ist zu betonen, dass die Folgen vieler Corona-Maßnahmen etwa für Kinder und Jugendliche sofort (noch vor der Einführung) zweifelsfrei abzusehen waren. Jetzt, angesichts der zerstörerischen Folgen der Corona-Maßnahmen für viele Kinder, Überraschung zu heucheln, ist inakzeptabel. Trotzdem begrüße ich vorsichtig die Entwicklung der neuen „Selbstkritik“, auch wenn sie oft mit Rechtfertigungen einhergeht. Denn sie kann Rückenwind in den Debatten mit Bürgern geben, die sich nur in großen Medien informieren.
Die wichtigste Frage, die sich aus der Corona-Phase ergibt, ist meiner Meinung nach: Wie kann eine Wiederholung der zerstörerischen Dynamiken aus Panikmache, skrupellosem Lobbyismus, Diffamierung, Propaganda und Duckmäusertum in der Zukunft verhindert werden? Mir persönlich ist die Verhinderung der Wiederholung wichtiger als ein in die Vergangenheit gerichtetes Tribunal. Aber für diese Verhinderung ist eine deutliche Benennung der Verfehlungen von Medien, Wissenschaft und Politik der letzten drei Jahre dennoch eine unverzichtbare Voraussetzung.
Bemerkenswert: Kritische Fragen an Lauterbach
Hier folgen einige Beispiele für die aktuelle Wandlung der Corona-Betrachtungen, zunächst zur Impfthematik: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat am Sonntagabend im ZDF-„heute journal“ Hilfen für Menschen mit Langzeitschäden einer Corona-Infektion oder -Impfung zugesagt, wie etwa die „Berliner Zeitung“ berichtet. Die Sendung findet sich unter diesem Link und dort wird er vom Moderator Christian Sievers auch mal „kritisch“ befragt, was wiederum Fragen zur bisherigen Haltung von Sievers aufwirft, aber: besser spät als nie. Außerdem bestätigte Lauterbach im „heute journal“ nochmals deutlich den Skandal, dass auf Grundlage der EU-Verträge mit den Impfstoffherstellern der deutsche Staat für Impfschäden hafte. Es sei dennoch „wertvoll“, wenn Firmen sich daran beteiligten, so Lauterbachs neue „mutige“ Stoßrichtung gegenüber den Pharmakonzernen. „Denn die Gewinne sind ja exorbitant gewesen. Und somit also wäre das tatsächlich mehr als eine gute Geste, sondern das könnte man erwarten.“
Ebenfalls im ZDF gibt es eine aktuelle Doku zu Impfschäden, die durchaus einen neuen Klang zum Thema verbreitet. Die „Welt“ berichtet in diesem Artikel über das Problem der Impfnebenwirkungen – diese Zeitung hat sich beim Thema Corona-Politik aber auch schon früher verdient gemacht. Auch die „FAZ“ berichtet aktuell hier über stark angestiegene anerkannte Impfschäden und zitiert den gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, der Lauterbach kritisiert: „Mit seiner fatalen Äußerung, die Impfung sei ‚nebenwirkungsfrei‘, hat er die Sorgen und Ängste der Betroffenen kleingeredet. Jetzt ist er in der Pflicht, die nötigen Mittel zur Unterstützung bereitzustellen“. Der MDR war früher dran, der Sender berichtete bereits im April 2022 zu Impfnebenwirkungen, aktuell bietet der Sender ein Interview mit Gunter Frank zum Thema. Der BR wirft aktuell die Frage nach Aufarbeitung der Corona-Phase auf.
Neuer Wind sogar bei „taz“ oder „Spiegel“?
Auch abseits der Impfthematik regt sich neue „Kritik“ an Teilen der Corona-Politik. Bemerkenswert finde ich zum Beispiel mögliche Zeichen der Wandlung beim „Spiegel“ und der „taz“, zweier Medien, die die Corona-Politik wie fast alle Journalisten weitgehend verteidigt und Kritik daran zum Teil giftig diffamiert haben. So räumt die „taz“ aktuell ein, dass „Schweden in den ‚Coronajahren‘ 2020–2022 die mit Abstand niedrigste Übersterblichkeitsrate in der EU“ gehabt habe. Die „taz“ zitiert den ehemaligen Staatsepidemiologen Anders Tegnell sogar zur Maskenfrage: Er fühle sich durch eine im Januar veröffentlichte Studie des Cochrane-Gesundheitsnetzwerks bestätigt, die nahezu keinen Effekt des Maskentragens auf das Infektionsrisiko ergeben habe: „Das haben wir ja die ganze Zeit gesagt. Es ist nur tragisch, dass es so wenig Forschung dazu gibt.“ Die „taz“ schränkt zwar ein: „Die Aussagekraft der Studie, die auch in Deutschland für Furore sorgte, ist allerdings umstritten.” Aber immerhin bringen sie die Zitate. Meiner Meinung nach prägt diesen Artikel ein anderer Klang als Vieles, was die „taz“ in den letzten drei Jahren zum Thema geschrieben hat.
Und der „Spiegel“ bringt eine Kolumne von Alexander Neubacher, wo er unter dem Titel „Wir Coronaversager“ Dinge schreibt, für die er vom „Spiegel“ vor kurzem noch mutmaßlich als rechtsextremer Querdenker eingeordnet worden wäre – zwar sagt auch er, hinterher sei man klüger, aber immerhin:
„Inzwischen wissen wir, dass einige Coronamaßnahmen nicht nur fragwürdig oder unsinnig waren, sondern auch rechtswidrig. (…) Nun ist es hinterher immer leicht zu sagen, was besser gewesen wäre. Doch was mich im Nachhinein umtreibt, ist, wie leicht die Freiheitsrechte in unserer angeblich so liberalen Gesellschaft suspendiert wurden. Der Firnis der Zivilisation ist diesbezüglich offenbar dünner, als ich glaubte. (…) Zu wenige widersprachen, als die Politik vor drei Jahren erstmals Schulschließungen anordnete und dann über Monate immer wieder verlängerte: kein Bundesverfassungsgericht, keine Nationale Akademie der Wissenschaften, kein Deutscher Ethikrat, kein Christian Drosten. Was, wie ich heute sagen würde, ein Riesenversäumnis war. Und wir Medien, auch wir beim SPIEGEL, die wir uns gern als vierte Gewalt betrachten? Ich fürchte, der Diktator in uns war ziemlich stark.“
Erleben wir eine „kontrollierte Abwicklung des Narrativs“?
Erleben wir die Anfänge einer echten Aufarbeitung? Das ist leider nur schwer vorstellbar, weil es kaum eine unbelastete Instanz mit großer Reichweite gibt, die das anschieben könnte. Oder sind wir nur Zeuge einer „kontrollierten Abwicklung des Narrativs“, zu der eben auch das Eingeständnis einiger bedauerlicher „Irrtümer“ und „Fehler“ durch die verantwortlichen Journalisten, Wissenschaftler und Politiker gehört, während aber weiter ein inakzeptables Prinzip verteidigt wird? Es ist meistens mit großer Heuchelei verbunden, wenn sich Mitläufer plötzlich als Aufklärer aufspielen. Ich würde diese neue „Aufklärung“ in manchen Beiträgen großer Medien beim Thema Corona-Politik trotzdem vorsichtig begrüßen.
Titelbild: Derren / Shutterstock
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