Verlierer am rechten Rand
Neun Prozent für die NPD in Sachsen, sechs für die DVU in Brandenburg. Für Eingeweihte war das nicht übberraschen. Wer sich von der Gesellschaft abgehängt fühlt, ist schwer für die Demokratie zu gewinnen. Albrecht Müller im vorwärts Oktober 2004.
Wie gehen wir mit den Rechtsradikalen um, wird nach dem Schock vom Abend der Wahl in Brandenburg und Sachsen gefragt. Ich verstehe die Aufregung nicht ganz. Denn so verwunderlich sind die Wahlergebnisse nun auch wieder nicht. Ausländerfeindlichkeit und zunehmende Gewalt gegen anders lebende Jugendliche z.B., davon wissen wir seit Jahren. Wir kennen auch einige der Ursachen. Wenn ein Viertel aller Arbeitsfähigen einer Region ohne Arbeit ist, dann ist es kein Wunder, dass sie das Vertrauen in die Politik verlieren, sich zurückziehen oder radikal wählen.
Genauso bedrückend wie die Wahl der Rechtsradikalen ist übrigens die Tatsache, dass in Brandenburg und in Sachsen fast die Hälfte der Wähler (44 bzw. 41 Prozent) nicht zur Wahl gegangen sind. In der Folge der ersten größeren Rezession von 1966 ist die NPD auch mit ungefähr zehn Prozent in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt worden. Damals regierte im Bund eine große Koalition, die Wähler hatten keine Wahl. Heute empfinden es viele Wähler ähnlich, weil aus ihrer Sicht alle vier Bundestagsfraktionen die gleiche politische Linie fahren.
Mit diesen Anmerkungen soll der Einzug der Rechtsradikalen in die beiden Landtage nicht verharmlost werden. Ihr Wahlerfolg ist nicht harmlos, zumal die beiden Parteien DVU und NPD bei den Jungen besonders erfolgreich waren. Die Politik und die Medien müssen sich um dieses Phänomen kümmern. Allerdings etwas anders als im Umfeld des Wahlabends.
Zunächst: wenn die Führungskader dieser Parteien verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, dann muss trotz Scheiterns des letzten Verbotsverfahrens geprüft werden, ob ein neuer Versuch möglich und sinnvoll ist. Die Hauptarbeit wird aber politisch zu leisten sein. Ein solcher Wahlerfolg hat Ursachen. Da sollten wir ansetzen und notfalls auch die Politik und den Umgang mit jenen, die heute für rechtsradikale Parolen empfänglich sind, ändern. Dazu vier Hinweise:
Erstens: Arbeit zu schaffen ist das Wichtigste, auch das Schwierigste, das gebe ich zu. Aber wir haben es auch bei der erwähnten ersten Rezession und dem damaligen Anstieg der NPD-Stimmen geschafft. Es gibt keine Gründe, dies nicht wieder zu schaffen, und schon gar nicht gibt es Gründe, Vollbeschäftigung nicht schaffen zu wollen. Wer davon redet, ausreichendes Wachstum und damit Vollbeschäftigung seien nicht mehr möglich, oder uns gehe die Arbeit aus, oder der Osten bleibe halt abgehängt, darf sich doch nicht wundern, dass Rattenfänger leichtes Spiel haben. Es gibt genug zu tun. Nur wenn unsere Volkswirtschaft insgesamt anzieht, werden auch die ökonomisch schwierigeren Regionen mitgezogen. Gemessen an dieser Notwendigkeit ist alles andere wie etwa die vorgeschlagene Kernbildung im Osten zweitrangig.
Zweitens: Der Stolz auf unsere bisher erfolgreiche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die Rechtsradikalen wollen ein anderes politisches System, sie setzen auf Unzufriedenheit mit dem herrschenden System. Die gängige neoliberale Agitation gegen die Sozialstaatlichkeit und für den Systemwechsel ist Wasser auf ihre Mühlen, übrigens genauso wie das Gerede vom angeblich sterbenden Volk. Konkret: SPIEGEL-Titel wie “Das schwarz-rot-goldene Himmelbett” oder “Wer arbeitet ist der Dumme” oder “Die blockierte Republik” oder “Der letzte Deutsche” fördern die Systemunzufriedenheit und düngen damit den Boden für die Rechtsradikalen. Ich erinnere auch an die Asylanten-Kampagne von BILD und an die vielen verächtlichen Kommentare von Medien, Wissenschaft und Politik zur Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik. Fazit: Wenn wir uns auf die Qualitäten des Modells Deutschland besännen, statt dieses Modell zu verhöhnen, würden wir Sympathien bei jenen gewinnen, die von den Rechtsradikalen heute missbraucht werden.
Drittens: Der Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft ist wichtig. Die Rechtsradikalen grasen in den Reihen der Perspektivlosen, der Geringverdiener und Arbeitslosen. Das wird ihnen gut und immer besser gelingen, wenn diese Menschen vom Rest abgehängt werden und der Unterschied zwischen Reich und Arm, zwischen Eliten und Unterschicht größer wird. In meiner Kolumne vom Juli bin ich auf Überlegungen, das untere Fünftel abzuhängen, eingegangen. Solche Überlegungen sind so verheerend wie das Gerede vom angeblich notwendigen Niedriglohnsektor. Ja, was erwartet man denn an politischer Reaktion von Menschen, deren Verdienstmöglichkeit vorneweg so etikettiert wird? Sollen sie bei Wahlen freudig ja sagen zum Abgeschobensein in einen Niedriglohnsektor? Die Arroganz der Eliten, also der gut Ausgebildeten aus dem oberen Drittel gegenüber den “Minderbemittelten” war auch am Wahlabend sichtbar geworden. Wie da die geistige Schwäche und körperliche Abnormität der Vertreter/innen der Rechtsradikalen herausgeschält und verspottet wurde, war sehr arrogant. Das stört mich, weil es zur Solidarisierung mit diesen Personen führt.
Zur Solidarisierung veranlasst auch, wer einfachste demokratische Gepflogenheiten missachtet. Das ist mein vierter Punkt. Medienvertreter, die ihre Interviewpartner nicht ausreden lassen und sich gleichzeitig den etablierten Parteien gegenüber lammfromm geben, bestätigen die von den Rechten geschürten Vorurteile gegen unsere Demokratie. Ich verstehe ja, dass es nicht angenehm ist, die Funktionäre der NPD und DVU zu interviewen und möglicherweise verfassungsfeindliche Parolen zu verbreiten. Aber ist es wirklich so viel angenehmer und verfassungsfreundlicher, Guido Westerwelle zu interviewen, wenn dieser den grundgesetzwidrigen Systemwechsel fordert? Wer Freunde für die Demokratie gewinnen will, muss mit gleichem Maß messen.