Der Oberbürgermeisters einer Stadt bei Stuttgart gibt dem Druck gegen einen geplanten Auftritt des Historikers Daniele Ganser nicht nach – das ist wichtig und beispielhaft: Cancel Culture funktioniert nur, weil viele Verantwortliche schnell einknicken, wenn aus politischer Motivation (nicht mit juristischen Argumenten) gegen Andersdenkende vorgegangen wird. Ein aktuelles, negatives Beispiel präsentieren wir hier auch: zwei Städte und zwei sehr unterschiedliche offizielle Reaktionen auf die Diffamierung Gansers und Versuche der politischen Zensur. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Es gibt auch eine gute Nachricht: Ein Verwaltungsgericht hat nun die Absage des Ganser-Auftritts in Dortmund kassiert.
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Der Historiker Daniele Ganser hat auch in der Stadt Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart einen Auftritt geplant. Der Oberbürgermeister Roland Klenk (CDU) hat dazu der „Stuttgarter Zeitung“ bereits vor einigen Tagen ein bemerkenswertes Interview gegeben (hier, hinter Bezahlschranke). Darin weist er in wohltuender Eindeutigkeit Versuche der Cancel Culture gegen Ganser zurück: Er selber (Klenk) sowie eine Reihe von Mitarbeitern seien unabhängig voneinander zu dem Schluss gekommen: „Keiner macht sich gemein mit Herrn Ganser, aber alle haben gesagt, das muss im Rahmen der Meinungsfreiheit möglich sein.“
„Da muss ich dann auch politischen Druck aushalten“
Im Gegensatz zu vielen Ganser-Kritikern, die sich angesichts ihrer schwachen und oft unkonkreten Argumentation wohl vor allem in Sekundärquellen über den Historiker informieren, hat sich Klenk nach eigener Aussage „stundenlang Youtube-Videos angeguckt“. Was er dort gesehen habe, möge ja „für viele schmerzlich sein“, aber, so Klenk weiter:
„Es ist nach meiner festen Überzeugung vom Grundgesetz nach Artikel 5 gedeckt.“
Ob er jemandem verbieten könne, die Meinung zu äußern, dass außer Russland auch noch andere Ursachen gesetzt haben für diesen Krieg?, fragt Klenk und antwortet selber:
„Ich meine nein. Ich habe Bauchschmerzen, wenn gegen das Grundgesetz verstoßen wird. Die anderen Bauchschmerzen interessieren hier nicht.“
Wichtig ist auch sein Hinweis, dass man als Oberbürgermeister „eine Entscheidung der Verwaltung zu treffen“ habe. Das sei der Maßstab der Entscheidung, „nicht meine persönliche Meinung zu Herrn Gansers Thesen“, so Klenk.
Auf den Hinweis, dass unter anderem Dortmund oder Nürnberg die Auftritte von Ganser abgesagt hätten, antwortet Klenk, er habe das Handeln von anderen Kollegen nicht zu beurteilen. Seine Verwaltung habe aber nirgendwo einen Rechtsverstoß feststellen können und polizei- und ordnungsrechtlich seien die Ganser-Veranstaltungen unauffällig. Damit kommt er nochmals zu einem zentralen Punkt der Debatte: Die Auftritte seien in den erwähnten Städten nicht aus rechtlichen Gründen, sondern auf politischen Druck hin abgesagt worden, so Klenk. Er aber wolle sich trotz Gegenwinds ans Grundgesetz halten:
„Da muss ich dann auch, das ist jetzt der Fall, politischen Druck aushalten.“
Ganser bedroht die „eingeübte Debattenkultur“
Parallel zu diesem Interview erreichten uns Hinweise auf Antworten, die laut einiger unserer Leser vom Büro des Dortmunder Oberbürgermeisters verschickt wurden, als Reaktionen auf Bürgerbeschwerden gegen die Anti-Ganser-Kampagne und die folgende Absage. Das Büro des Dortmunder OB hat die Echtheit der Mails bestätigt.
Die Formulierungen bieten Einblicke in die offiziellen Sichtweisen der Stadt bezüglich der Meinungsfreiheit und der Regeln zur Fairness im Meinungskampf. Demnach reicht es, wenn (von mir zugespitzt) „zivilgesellschaftliche“ Gruppen Alarm schlagen gegen Meinungen, die ihnen nicht passen – mutmaßlich, weil sie argumentativ keine Chance gegen Ganser haben und darum möchten, dass er gar nicht erst auftritt. Die verursachte „Unruhe“ der Ganser-Gegner gegen die Meinungsfreiheit wurde in Dortmund nun nicht etwa zurückgewiesen, sondern vom Büro des Oberbürgermeisters als „Argument“ gegen Ganser verwendet:
„Gemeinsam mit Expertinnen und Experten innerhalb und außerhalb der Stadtverwaltung Dortmund hat sich die Stadt Dortmund intensiv mit den Auftritten von Herrn Dr. Ganser auseinandergesetzt und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Dabei fällt insbesondere – im Gegensatz zu vergleichbaren Auftritten – auf, dass Veranstaltungen von und mit Herrn Dr. Ganser regelmäßig für Unruhen und polarisierende Debatten sorgen.“
Hier soll selbstverständlich nicht eine fundierte und sachliche Kritik an Gansers Inhalten kritisiert werden, die muss immer jedem offenstehen – scharf zurückweisen muss man aber das gänzliche Verhindern von Meinungsäußerungen, nur weil sie nicht ins politische Konzept passen oder weil man argumentativ unterliegt.
Könnte man die untenstehende Argumentation aus Dortmund – zugespitzt und verdreht – nicht auch so „übersetzen“: Debatten um politische Inhalte sind unsolidarisch. Um die erfolgreich „eingeübte“ Grabesruhe in der gesellschaftlichen Debatte nicht zu gefährden und um nicht Bürger der Gefahr eines erweiterten politischen Horizontes auszusetzen, verhindern wir (trotz Grundgesetz und alledem…) eine Meinungsäußerung, die uns nicht passt:
„Dortmund ist die Großstadt der Nachbarn. Hier leben Menschen in funktionierenden Quartieren, die auf gemeinsamen Wertevorstellungen und eingeübter Debattenkultur beruhen, zusammen. Auftritte und Äußerungen von Herrn Dr. Ganser tragen – das ist auch anhand der aktuellen Debatte ersichtlich – zur Fragmentierung und Spaltung von Gruppen bei. Um dem vorzubeugen, für ein funktionierendes und solidarisches Miteinander, wurden die vorliegenden Entscheidungen von der Westfalenhallen GmbH sowie dem Rat der Stadt Dortmund getroffen.“
Aktualisierung, 10.03.2023, 12.15h: Unter diesem Link meldet der WDR aktuell:
“Verwaltungsgericht: Stadt Dortmund muss Auftritt von Daniele Ganser ermöglichen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat entschieden, dass der Auftritt von Daniele Ganser in den Dortmunder Westfalenhallen doch stattfinden darf. Eigentlich hatten Stadt und Westfalenhallen die Veranstaltung abgesagt.“
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