Das deutsche Wirtschaftsmodell aus billiger Energie, niedrigen Löhnen und einseitiger Exportorientierung ist gerade dabei zu implodieren. Da liegt es nahe, sich nach Alternativen umzuschauen. Eine davon könnte eine auf Innovation, Produktivität und einen aktiven Staat ausgerichtete Wirtschaftspolitik sein. Beschrieben hat einen solchen Ansatz der Ökonom Patrick Kaczmarczyk in seinem Buch „Kampf der Nationen – Wie der wirtschaftliche Wettbewerb unsere Zukunft zerstört“. Erschienen ist es im vergangenen Jahr im Westend Verlag. Kaczmarczyk hat kürzlich seine Promotion am Institut für politische Ökonomie der Universität Sheffield abgeschlossen. Zudem ist er wirtschaftspolitischer Berater für internationale Organisationen, unter anderem für die Vereinten Nationen in Genf. Von Thomas Trares.
Geht es nach Kaczmarczyk, dann hat das Wettbewerbsmodell der Merkel-Jahre ausgedient. Dieses beruht auf der „Hyperglobalisierungsthese“, die im globalen Wettbewerb den Motor für wirtschaftliches Wachstum und zivilisatorischen Fortschritt sieht. Behaupten kann sich hier nur, wer kontinuierlich seine Wettbewerbsfähigkeit steigert. Für Kaczmarczyk handelt es sich dabei jedoch um einen „darwinistischen Verdrängungswettbewerb“, bei dem sich der Staat weitgehend aus dem Wirtschaftsgeschehen herauszuhalten hat. Die Folgen sind „Preisdruck, geringe Margen und ein hoher Kostenwahn“. „In einer solchen Welt, in der alle Akteure optimieren, wo es nur geht, entsteht nichts Neues. Alles wird so gemacht wie bisher, nur effizienter“, schreibt Kaczmarczyk. (S. 84)
Der Staat als Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung
Dem stellt Kaczmarczyk einen Ansatz gegenüber, in dem der Staat eine aktive Rolle einnimmt, ja sogar Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung ist. Vorbild sind die Lehren des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter, der seine Grundgedanken bereits 1911 in dem Werk „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ formulierte. Zentrale Figur bei Schumpeter ist der Pionierunternehmer, der nicht optimiert, sondern etwas Neues wagt. Ist er erfolgreich, ahmen die Konkurrenten ihn nach. Neue Produkte und Verfahren ersetzen die alten, die Produktivität steigt und damit auch das Volkseinkommen. Für diesen Prozess hat Schumpeter den Begriff der „schöpferischen Zerstörung“ geprägt.
Damit sich Innovationen im Schumpeter‘schen Sinne durchsetzen können, müssen nach Kaczmarczyk mehrere Voraussetzungen gegeben sein: ein niedriges Zinsniveau, das Investitionen und damit das Entstehen von etwas Neuem begünstigt, ein unvollkommener Wettbewerb, der es den Unternehmen ermöglicht, auch mal Projekte in den Sand zu setzen, sowie eine Neubewertung des Begriffs Schulden, der das Schuldenmachen nicht als etwas „Abnormales“, sondern als etwas Positives begreift. „Ohne Schulden, keine Neukombinationen, keine Entwicklung“, heißt es dazu bei Schumpeter. Zudem werden die Löhne nicht mehr nur als Kostenfaktor, sondern auch als Nachfragedeterminante und „Produktivitätspeitsche“ gesehen.
Der „Staat als Manager der schöpferischen Zerstörung“
Im Zentrum des Schumpeter‘schen Ansatzes steht jedoch der „Staat als Manager der schöpferischen Zerstörung“. Damit ist ein aktiver, finanziell schlagkräftiger Staat gemeint, der die „richtigen Rahmenbedingungen“ setzt, Innovationen anstößt, eine „kluge Industriepolitik“ betreibt und nicht zuletzt als „Chefunternehmer in Wissenschaft“ sowie als „Entscheider bei wichtigen Investitionsfragen“ fungiert. Als Beispiel eines erfolgreichen staatlichen Unternehmers nennt Kaczmarczyk China: „Die Rolle des Staates in der Erneuerung der produktiven Strukturen in China und der unglaublichen Geschwindigkeit, mit der sich das Land aus der Armut befreit hat, gibt Schumpeter in jeder Hinsicht recht.“ (S. 63)
Das Gegenbeispiel ist für ihn das Wettbewerbsmodell der Europäischen Union (EU), das überhaupt nicht darauf ausgelegt sei, Anreize für Investitionen in neue Technologien zu schaffen. Kaczmarczyk verdeutlicht dies am Beispiel des europäischen Automobilmarktes, auf dem sich seiner Ansicht nach ein „zerstörerischer, darwinistischer Wettbewerb“ etabliert hat. Demnach haben nicht nur das Lohndumping der 2000er-Jahre, sondern auch günstige Refinanzierungsbedingungen am Kapitalmarkt den deutschen Herstellern einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Konkret bedeutet Letzteres: VW konnte Autokredit und Leasingrate für den Golf deutlich billiger anbieten als Peugeot oder Fiat für vergleichbare Modelle. Überraschend ist allerdings, dass der „Boom“ der deutschen Autokonzerne nach 2010 hauptsächlich mit einem negativen freien Cashflow einherging. Konkret heißt dies: Es wurde Geld verbrannt.
„Optimierung, Verdrängung, Darwinismus“
Kaczmarczyk kommt nun zu folgendem Schluss:
„Anhand der Entwicklung in der Automobilindustrie konnten wir deutlich erkennen, welche Form der europäische Wettbewerb einnimmt: Optimierung, Verdrängung, Darwinismus. Wachstum und Veränderung waren nicht existent, die Preiskämpfe tobten, die Profitmargen waren durch die Bank weg schwach und die großen ,Gewinner‘ der ersten 20 Jahre nach der Einführung des Euro generierten kaum Cash, gaben dafür aber drei bis vier Mal so viel Geld für ihre Finanzierungsabteilungen als für Forschung und Entwicklung aus. Ein besseres Beispiel für einen zerstörerischen Wettbewerb hätte man kaum finden können.“ (S. 134)
Kaczmarczyk steht aber mit seiner Forderung nach einer Art schumpeterianischen Wirtschaftspolitik, in der der Staat quasi als Unternehmer auftritt, keineswegs allein da. Eine prominente Vertreterin dieses Denkansatzes ist die Londoner Wirtschaftsprofessorin Mariana Mazzucato, die mit ihrem bereits 2011 erschienenen Buch „Das Kapital des Staates“ einen Bestseller landete. Mazzucato behauptet darin, dass die meisten bahnbrechenden Innovationen nicht auf Unternehmen, sondern auf Staaten zurückgehen (wenn auch meist aus dem militärischen Bereich kommend). Beispiele sind das Internet, der Touchscreen, die Mikroprozessoren, das Funknavigationssystem GPS und nicht zuletzt die Technik für das iPhone.
Patrick Kaczmarczyk: „Kampf der Nationen. Wie der wirtschaftliche Wettbewerb unsere Zukunft zerstört“, Westend Verlag, 223 Seiten, 20 Euro