Das Zugunglück, das folgenschwerste in seiner Geschichte, erschüttert Griechenland, die Menschen dort und überall, die diese Nachricht aus den vergangenen Tagen vernahmen. Medien verbreiten neben der mit 57 Menschen großen Opferzahl Informationen zum mutmaßlichen Verursacher der Katastrophe, einem Bahnhofsangestellten, ebenso Berichte, die den Ursachen des Unglücks auf den Grund gehen. So erfährt die Öffentlichkeit, dass der einzige angeklagte Stationsvorsteher zur Unglücksstunde vier Tage Dauerdienst hinter sich hatte und gerade mal einige Monate zuvor in einem Crashkurs auf seine Aufgabe vorbereitet worden war. Tiefer blickend kommen weitere Stichworte zur Ursachensuche wie Privatisierung Personalabbau, Profit, Austerität ans Licht. An den Universitäten wird gestreikt und die Staatstraueranordnung der Regierung von den Studenten als Heuchelei verurteilt. Sowas kommt von sowas, denkt man an 2010, an das Jahr, in dem vor allem aus dem „starken“ Deutschland gegen das „schwache“ Griechenland ausgeteilt wurde, als gäbe es kein Morgen. Das Morgen ist heute und die Lage schlimm. Ein Kommentar von Frank Blenz.
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Eine Troika fällt ein
2010. Wir Deutschen erinnern uns, Griechenland wird als Land, das pleite ist, betitelt. Um im Süden bei den Griechen aufzuräumen und die Konkursmasse aufzuteilen, kommt eine von der EU eingesetzte Truppe ins „Spiel“, die Troika genannt wird. Wir fleißigen Deutschen schimpfen derweil über die faulen Griechen. Obwohl wir doch so gern in den Süden fahren und die entspannte Atmosphäre, die freundlichen Leute usw. lieben. Aber erstmal wird mit harten Bandagen ausgeteilt. Unser Finanzminister Schäuble, der sich mit Geld ja ziemlich gut auskennt und als Christdemokrat das Leistungsprinzip und sicher auch das alttestamentarische Sprichwort „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ kennt, mischt mit arroganter deutscher Dominanz in der EU ordentlich mit.
In Sachen Treuhand machte er sich schon in den 1990er Jahren im Osten der Bundesrepublik verdient. 2010 plus folgende Jahre agiert er als Befeuerer dieser mit eisernem Besen kehrenden Truppe, der Troika. Der Name klingt melodisch, die Dreierbande agiert gründlich unromantisch. Man muss halt den Gürtel enger schnallen. Griechenland kann tatsächlich seine Kredite nicht ohne Unterstützung bedienen. Auf die Idee, den Hellenen ein Schuldenmoratorium anzubieten, kommen progressive Europäer, die EU-Entscheider, nicht. Eine Variante wäre, dass die Griechen erst dann einen Teil der Zinsen aufbringen müssen, wenn ihre Wirtschaft wieder wächst. Bis dahin würden sie in Ruhe gelassen.
Das Unglück auf den Gleisen der OSE
2023. Die Rosskur in Griechenland ist gelungen, die Beute verteilt, die Folge ist, dass das Land (also die Bevölkerung fern der Eliten) solide arm, latent erschöpft und permanent sich ausgepresst fühlend das Leben dennoch irgendwie meistert. Und sei es mit Crashkursen und tapferen Dauerdiensten … Bei all den Kürzungen und Privatisierungen scheint es aber kein Wunder, dass ein Unglück wie in Larisa passiert musste, weil ein erschöpfter Bahnhofsvorsteher eine Weiche falsch gestellt hat. Zwei Züge prallen aufeinander, trotz dass die Strecke eigentlich zweigleisig ist. Der Crash zweier Züge der Gesellschaft OSE steht wie ein Symbol für den bestehenden Zustand der griechischen Gesellschaft. Die Troika und ihre Früchte tragenden „Maßnahmen“ geraten wieder ins Blickfeld. Zur Erläuterung des Zusammenhangs sei ein Ausschnitt aus einem Artikel der Tageszeitung „junge welt“ zitiert:
Die OSE war 2013 unter der rechten Regierung der Nea Dimokratia und deren Ministerpräsident Antonis Samaras zerschlagen worden, um Teile des bis dahin 100prozentigen Staatsbetriebs privatisieren zu können. Dies war damals eine Forderung der sogenannten Troika – ein von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds nach Athen ausgesandtes, finanzkapitalistisches Aufsichtsgremium –, die zusammen mit der Taiped, einem Pendant der deutschen Treuhandgesellschaft, die Privatisierung öffentlichen griechischen Eigentums durchzusetzen hatte. Im September 2017 schließlich wurde die OSE für nach allgemeiner Auffassung lächerliche 45 Millionen Euro an die – ebenfalls schon teilprivatisierte – italienische Ferrovie dello Stato Italiane verscherbelt. Während Gleiskörper und sämtliche technischen Einrichtungen an die Italiener überschrieben wurden, blieb der größte Teil der Fahrzeuge – Lokomotiven und Waggons – in griechischer Hand. Es folgten Personalabbau und völlig unzureichende Investitionen in Zugtechnik und Kontrollsysteme.
Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert
Nach dem Zugunglück hält man inne. Die Aufarbeitung beginnt. Die Empörung über die Ursachen wächst. Fest steht, die Austerität packte in Griechenland zu, die Maßnahmen zielten auf Löhne, Arbeitszeiten, Sozialausgaben. Werte des Landes, Häfen, Bahnen, Infrastruktur und und und, also alles, mit dem Geld zu machen ist, wurde privatisiert. Alternativen wurden den Griechen keine angeboten, auch wenn es die gab und bis heute gibt. Doch Memoranden, Schuldenerlasse, Aufbauprogramme, die den Namen verdienen, sind im großen Spiel des Kapitalismus nicht vorgesehen. Geld zu beschaffen, das klappt, wenn Banken gerettet werden und wie bei uns in Deutschland eine ganze Armee mit Unsummen auf Vordermann gebracht werden soll.
Griechenlands Volk steht nicht allein als Objekt von beschriebenen Maßnahmen und Strategien: Man schaue nach Lateinamerika, nach Afrika – in zahlreichen Ländern dort sind Weltbank, Investoren, mächtige Nachbarstaaten aus dem Norden tätig, die sagen, wo es lang geht. Vor allem fällt ein Prinzip auf: Gewinne werden privatisiert, Defizite vergesellschaftet, also Schulden an die öffentliche Hand weitergereicht. Doch Eigentum verpflichtet. Wo kam also die OSE, die private Bahngesellschaft, ihrer Pflicht nach? Die Klage an sie ist in Griechenland unüberhörbar, ebenso, dass sie ihr Eigentum auf Verschleiß fuhr. Warum wohl? Profitgier heißt das Zauberwort. Es fallen einem Zug-Beispiele dieses Neoliberalismus ein: die Bahn in Großbritannien. Deutschland nicht zu vergessen …
Wie mit der Bahn so auch mit dem Wasser
So wie griechische Unternehmer und Banker im Verbund mit internationalen Investoren mit der Bahn umgehen, so klappt(e) das auch oder auch nicht mit dem Wasser. Siehe Frankreich und Deutschland. Ende des vergangenen Jahrhunderts stand die Wasserprivatisierung bei unseren Nachbarn ganz groß auf dem Plan von sogenannten Versorgungskonzernen wie Veolia. Die Folgen waren: steigende Wasserpreise und sinkende Qualität des Trinkwassers. Tatsächlich schmeckte das Trinkwasser aus Leitungen in Paris mehr nach Chlor als nach Erfrischung. Grund war, dass man die Leitungen nicht reparierte, sondern es beim „Spülen mit chlorhaltigen Reinigungsmitteln“ beließ. Das kostete nicht die Welt.
Die gleiche Masche Privatisierung erlebte Deutschland: Französische Versorger hatten ihren Fuß in der Tür. Die Stadt Berlin verkaufte etwa die Hälfte ihrer Wasserversorgung. Die Preise stiegen nun auch in der deutschen Hauptstadt, während knausrig Geld für Investitionen und Instandhaltung der Infrastruktur zur Verfügung gestellt wurde. Der Rendite wegen.
Vergesellschaften statt Privatisieren
Doch siehe da: Dank eines Volksbegehrens musste die Stadt 2013 die privaten Anteile zurückkaufen, also rekommunalisieren, wobei die Zeche die Berliner über den Wasserpreis abstottern müssen: 1,2 Milliarden Euro. Zahlreiche französische Städte taten es genauso wie Berlin, ihre Wasserversorgung holten sie in eigene Verantwortung zurück. Bei Bahnen ginge das auch …
Titelbild: Ververidis Vasilis/shutterstock.com