Sie kennen das aus Gesprächen in Familie, im Bekannten-, Kollegen- und Freundeskreis, dass in Diskussionen rund um die Welt, um unser Leben, um Gutes und Böses mitunter unterschiedliche Auffassungen aufeinandertreffen: Wird dabei kritisiert, kann es dazu führen, diesen Satz zu hören: „Meckere nicht nur, mache es besser!“ Dumm nur ist, dass einem beim Besser-machen-Wollen oft erhebliche Grenzen gesetzt sind. Beispiel Rundfunk: Ich habe mir schon so oft gewünscht, dass die Nachrichtensendungen einen Zacken besser, ich meine wahrhaftiger und nicht manipulierend ausgestrahlt werden. Doch erlebe ich immer wieder, dass, wie von unsichtbarer Hand gesteuert, stets e i n e Richtung verkauft wird, die nicht die der Menschen auf der Straße ist – so wie gerade bei Berichten über Frankreich. Eine Kritik von Frank Blenz.
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Fest steht, die Franzosen geben nicht auf, festgestellt wird vom DLF: Macrons Reform ist nötig, doch die Demonstranten legen legitim das Land lahm, um Druck auszuüben. So viel sei vorangestellt: Es geht um eine Reform, die keine ist, wenn man voraussetzt, dass eine Reform zu einer Verbesserung führt.
Im Fall der Pläne der französischen Regierung für eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist dem so, die berechtigte Kritik lautet: Bei dem Vorhaben handelt es sich um eine fortwährende Enteignung und Demütigung der arbeitenden Bevölkerung, Nutznießer ist allein das Kapital. Der Klassenkampf nimmt Fahrt auf. Es ist der Kampf, der lange Zeit nicht von der Arbeiterklasse gewonnen wurde, was dazu führte, dass die Verteilungsgerechtigkeit ziemlich schlecht dasteht, dass Oben und Unten auseinanderdriften und die Umverteilung von Unten nach Oben Konjunktur hat. Die Menschen auf der Straße protestieren folgerichtig zunehmend, gerade erlebte Frankreich die nach Teilnehmern und Intensität stärksten Tage des Protestes in der Geschichte des Landes.
Wir Deutschen könnten von unseren Nachbarn lernen und Zutreffendes erfahren, allein wir werden von unseren Leitmedien so informiert, dass die Bösewichte, die Unvernünftigen letztlich doch die Menschen auf der Straße sind, die blockieren, den Verkehr lahmlegen, der Wirtschaft schaden.
Die Beweggründe der französischen Regierung, die Macher um Macron werden hingegen – wie beim Deutschlandfunk (DLF) – als sachorientiert und vernünftig bezeichnet. Komisch: Wie Arbeit, Rente, gerechtes Miteinander in Frankreich auch aussehen könnten, wenn es nicht nach dem Präsidenten der Reichen (französischer Titel für Macron) ginge – darüber wird beim DLF nicht philosophiert.
Ich fühle mich unwohl ob unseres öffentlich-rechtlichen Medienkosmos. Von uns finanziert, uns per Gesetz und Vertrag verpflichtet, kommen die bei den ÖR ausführenden Profis permanent einem anderslautenden Auftrag nach, vermute ich: Ja nicht in Zweifel ziehen, dass der Kaiser keine Kleider trägt. Als Hörer des Deutschlandfunks – ich habe das schon des Öfteren eingestanden – hoffe ich bei Beiträgen des Senders unbelehrbar weiter, dennoch hin und wieder Töne zu hören, die mich aus dem Bauch heraus sagen lassen würden: „Ja, so ist es, die sagen, was los ist, die benennen das, was Sache ist, die zweifeln den Status Quo unserer westlichen Gesellschaften an, die zutiefst ungerecht sind.“
Die DLF-Nachrichten über den Protest-Tag in Frankreich aber enttäuschen mich. Warum? Ich zerpflücke, ich meckere: Da war schon mal die Zahl. Hunderttausende (statt 3,4 Millionen) wurde eingangs der Meldung erwähnt. Das Leben wurde lahmgelegt. Randalierende durften nicht fehlen. Und Blockaden wurden gemeldet, heißt es. Es ist kein Lob. Im DLF-Text ist das so zu lesen:
„Allein in Paris gingen nach Schätzungen der Gewerkschaft CGT 700.000 Menschen auf die Straße. Weite Teile des öffentlichen Lebens wurden lahmgelegt, darunter der Bahn- und Nahverkehr. Zudem fielen zahlreiche Flüge aus. Nach Angaben der Gewerkschaft wurde an sämtlichen Raffinerien des Landes die Auslieferung von Kraftstoff blockiert.
In Paris kam es am Rande eines Demonstrationszugs zu Ausschreitungen. Randalierende zerstörten Bushaltestellen und errichteten Barrikaden. Die Einsatzkräfte setzten Tränengas ein. Aus einigen französischen Großstädten werden Straßenblockaden gemeldet.“
Der Anlass der Proteste wird genannt und der „Beweggrund“ der Regierung für die Reform, damit ein drohendes Defizit zu verhindern. Was sollte jemand dagegen haben, ein Defizit zu verhindern, so ahne ich die Absicht des DLF, zu beeinflussen. Ja, wer soll etwas dagegen haben, frage ich mich auch, wenn es denn vernünftig wäre. Ist es aber nicht, weil es nicht um ein Defizit geht, sondern um das Auslassen anderer Optionen und das Durchziehen einer weiteren Maßnahme einer neoliberalen Strategie. Das Transportieren der „Verhinderung eines Defizits“ als alternativlos soll als Vernunft verkauft werden, das aber diskreditiert die Proteste. Die Nachrichtenmacher unternehmen nichts, Infos zu verbreiten, wer womöglich einen besseren Weg statt Lebensarbeitszeitverlängerungen, Abschlägen, Einschnitten vorzuschlagen hätte. Der DLF lässt das weg und schreibt lieber:
„Anlass der Proteste ist das Vorhaben der französischen Regierung, das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anzuheben. Mit der Reform soll ein Defizit in der Rentenkasse verhindert werden.“
Gut, eine Nachrichtensendung ist kurz, knapp und knackig. Ich höre also weiter Rundfunk, will mehr erfahren und setze auf eine (etwas längere) Reportage einer Korrespondentin, die aus Paris ihren Beitrag in die Heimat schickt. Christiane Kaess sammelt Stimmen ein. Eine ältere Frau kommt zu Wort, sie fürchtet, bis 64 zu arbeiten. Ein Student (19 Jahre) sieht seine Jobchancen schwinden, weil die Älteren später in Ruhestand gingen. Auch glaubt er nicht, dass eine Verwandte, die in der Pflege arbeitet, bis 64 Jahre durchhält. Man erfährt, dass der Protesttag einer gegen die Rente mit 64 ist. Was will Kaess mir sagen?
Ich halte inne und habe den unwohl machenden Eindruck, dass die Zahl 64 deshalb das deutsche Ohr erreichen soll, weil bei uns Zahlen wie 65 oder gar 67 tönen. Wie können die Franzosen nur? Dass Frankreichs Werktätige derzeit, wenn alles klappt, mit 62 in den Ruhestand gehen und diese soziale Errungenschaft keinen Luxus darstellt in einem reichen Land, bleibt verborgen. Dann kommt Melenchon ins Spiel, er, der auch Präsident werden wollte und vielleicht ein besserer wäre als Macron. Melenchon wird von Kaess eingeordnet: radikal links. Zumindest wird er zitiert, er fordert, dass Macron die Pflicht habe, auf die Forderungen des Volkes zu reagieren.
Das letzte Wort hat bei Kaess die Regierung. Die Blockaden werden kritisiert, das bewusste Schädigen der Wirtschaft durch die Streikenden. Im Parlament gäbe es doch den demokratischen Rahmen, den Forderungen zuzuhören. Die Demonstranten kommen zum Finale der Reportage nochmal vor, bockig würden sie weiter streiken, bliebe Macrons Regierung bei ihrer harten Haltung.
Ich bin nicht froh über Kaess’ Hörerinformationen, ihren Vorortbericht einschließlich atmosphärischer Klangcollagen von Pariser Straßen. Ich bin misstrauisch ob der Ministereinlassung im Beitrag, im Parlament würde es demokratisch, offenen Ohres und ergebnisoffen zugehen. Schlussfolgernd könnte man sagen, es brauche also gar keine Proteste.
Ich mache mich kundig und erfahre von meinem Freund und Kollegen Sebastian Chwala, der öfters in Frankreich weilt und als Politologe Kenner unseres Nachbarlandes und seiner Gesellschaft ist, dass der Minister und die Regierung eben nicht offen, ehrlich und ergebnisoffen agieren. Sebastian Chwala sagt:
„Trotz des massiven Gegenwinds bleibt die Regierung hart. Präsident Macron hält sich vornehm heraus, ergreift in der Debatte nicht das Wort, weilt stattdessen lieber auf Staatsbesuch in Afrika. Die Scharfmacher der Macron-Partei „Renaissance“ drohen wiederholt allen Kritikern in den eigenen Reihen mit dem Ausschluss aus der Parlamentsfraktion, die sich in irgendeiner Weise gegen die Reform engagieren.“
„Meckere nicht nur, mache es besser!“
„Meckere nicht nur, mache es besser!“ Diese Aufforderung würde ich dem DLF mitteilen wollen. Deren Korrespondentin in Paris könnte mit Worten wie denen von Chwala berichten: „Die Scharfmacher der Macron-Partei „Renaissance“ drohen wiederholt allen Kritikern in den eigenen Reihen mit dem Ausschluss aus der Parlamentsfraktion, die sich in irgendeiner Weise gegen die Reform engagieren.“
„Auf den weiter wachsenden Protest reagiert der „Macronismus“ offenbar mit einer weiterer Verschärfung seiner Gangart. Offensichtlich ist man nun bereit, den bereits mehrfach erwähnten Artikel 49.3 der Verfassung zu nutzen, um jede Form der parlamentarischen Debatte endgültig zu beenden. Forderungen nach einem Diaolog zwischen dem Staatspräsidenten oder der Premierministerin mit den Gewerkschaften wurde von Regierungseite eine Absage erteilt. Die Gewerkschaften rufen deswegen zu zwei weiteren Aktionstagen am 11. und 15. März auf.“
Sebastian Chwala
Titelbild: Alexandros Michailidis