Warum sollte man sich als politisch interessierter Mensch für Superyachten interessieren und ein Buch darüber lesen? Weil Superyachten ein gesellschaftliches Symptom sind, mit dem man ein sehr aussagekräftiges Bild über die kapitalistische Weltordnung zeichnen kann. Aus diesem Grund hat sich unser Autor Udo Brandes mit dem Buch „Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“ des französischen Soziologen und Politikwissenschaftlers Grégory Salle befasst. Sie werden vielleicht sagen: Das hatten wir doch schon am Dienstag. Stimmt. Da ist uns eine Panne passiert. Diese Rezension haben wir doppelt vergeben. Aber so kommen Sie in den Genuss, zwei verschiedene Sichtweisen auf dieses Buch kennenzulernen.
Haben Sie schon einmal eine Champagnerdusche genommen? Nein, die Rede ist nicht von Autorennen der Formel 1, bei der der Sieger mit Champagner aus riesigen Flaschen bespritzt wird. Ich meine es wörtlich: Haben Sie schon einmal unter einer Dusche gestanden, aus der anstatt Wasser Champagner kommt? So etwas gibt es nicht? Irrtum! So etwas gibt es. Ich zitiere aus dem Buch von Grégory Salle, der wiederum darin aus der britischen Tageszeitung „The Independent“ zitiert, die heute nur noch im Internet erscheint:
„Eine der neuesten Luxusyacht-Marotten sind ‚RainSky‘-Duschen. Sie haben Duschköpfe von der Größe einer Motorhaube, verbrauchen 45 Liter Wasser pro Minute und kosten 18.000 Euro (Anmerkung UB: Im Jahr 2011!). ‚Unsere Kunden haben haben schon vor einer Weile mit Whirlpools abgeschlossen‘ erklärt Matthias Voit von der Firma Dornbracht, die diese Armaturen herstellt. ‚Jetzt wollen sie spezielle Duschen, bei denen man die Tropfengröße und die Geschwindigkeit, mit der sie herabfallen, regulieren kann.‘ Wie Voit erzählt, stammte sein letzter Auftrag von einem namentlich nicht genannten russischen Kunden, der auf seiner Yacht eine Dusche haben wollte, aus der nach Bedarf Wasser oder Champagner spritzt. ‚Das schaffen wir‘ so Voit. ‚Die einzige Frage ist, ob der Champagner warm oder kalt sein soll’, fügt er hinzu“ (Salle, S. 24-25).
Warum sind westliche Milliardäre keine Oligarchen?
In Bezug auf russische Milliardäre wird in westlichen Medien gerne von „Oligarchen“ gesprochen, während westliche Milliardäre mehr als bewundernswerte Selfmademen gelten. Ich habe zum Beispiel noch nie gehört oder gelesen, dass Jeff Bezos, Gründer und Eigentümer von Amazon, als „Oligarch“ bezeichnet wurde. Dabei würde dessen Einflussnahme auf Gesellschaft und Politik mit Sicherheit auch die Bezeichnung „Oligarch“ rechtfertigen. Ein Beispiel dafür: Jeff Bezos kaufte die berühmte Tageszeitung „Washington Post“. Ein Schelm, wer glaubt, dass dies keine Auswirkungen auf die Arbeit der Redaktion hätte. Aber auch in Europa machte sich der politische Einfluss von Jeff Bezos bemerkbar, und zwar auch jenseits des sachlichen Zusammenhangs mit dem Internetgiganten Amazon:
„Bereits Anfang Februar 2022 gab es ein isoliertes und fälschlich als anekdotisch eingestuftes Ereignis Anlass zu Gerede. Offenbar plante die Stadtverwaltung von Rotterdam, eine denkmalgeschützte Brücke von 1927 (wenn man einen Vorgängerbau ein halbes Jahrhundert zuvor nicht mitrechnet) teilweise abzubauen, um Jeff Bezos’ neue Superyacht mit ihren imposanten drei Masten passieren zu lassen. Auch wenn es von offizieller Seite keine Bestätigung gab, lassen die verfügbaren Indizien doch vermuten, dass diese absurde Forderung akzeptiert worden wäre, und das von einem sozialdemokratischen Bürgermeister. Nach einer Renovierung 2017 war noch verkündet worden, die Brücke müsse unantastbar bleiben. Um das Ganze aufzuhalten, bedurfte es einer digitalen gesellschaftlichen Mobilisierung. In den sozialen Medien hatten zahlreiche Bürger der Stadt angekündigt, die Yacht mit Eiern zu bewerfen. Der Streit wurde im Sommer 2022 endgültig beigelegt: Zuerst zog das Schiffbauunternehmen seinen Antrag auf einen Abbau der Brücke zurück. In den frühen Morgenstunden des 2. August wurde die Yacht schließlich heimlich und ohne Segelmasten durch die Kanäle Rotterdams zu einer Werft auf der anderen Seite der Stadt geschleppt. Dennoch sagt diese Episode viel über die Macht aus, die unsere Gesellschaften dem materiellen Reichtum unberechtigterweise (in einer Mischung aus symbolischer Anerkennung und Einflussmöglichkeiten) einräumen“ (Salle, S.11).
Der politische Einfluss von Milliardären ist in der Tat keineswegs eine anekdotische Ausnahme. Mancher wird sich vielleicht noch daran erinnern: Im Jahre 2010 wurde auf Betreiben der FDP die Umsatzsteuer für Hotelübernachtungen von 19 Prozent auf 7 Prozent abgesenkt. Die FDP bestritt, dass ihr Anliegen durch eine Spende in Höhe von 1,1 Mio. Euro von der Substantia AG motiviert war. Die Substantia AG wiederum gehörte damals dem am 28. November 2021 in London verstorbenen August Baron von Finck. Dieser war seinerzeit einer der reichsten Männer Deutschlands und Miteigentümer der Mövenpick-Gruppe, die auch Hotels betreibt (siehe dazu auch einen Bericht des Handelsblatts hier).
Die Superyacht „A“
Was die Lektüre des Essays von Salle unterhaltsam macht, ist, dass er an mehreren Stellen einen literarischen Kniff anwendet: Er macht Yachten oder auch das Seegras zu einem denkenden Wesen, das sprechen kann. Unter anderem stellt sich die Motoryacht „A“ selber vor. Bevor ich deren „Selbstdarstellung“ zitiere, hier ein paar Fakten, die verdeutlichen, welche Dimensionen so eine Yacht hat. Die Yacht „A“ ist 119 Meter lang, 19 bis 23 Knoten schnell, und hat 7 Kabinen. Sie kann 14 Passagiere aufnehmen. Um den ganzen Betrieb zu gewährleisten, hat sie 42 Besatzungsmitglieder. Ihr Schätzwert beläuft sich auf 325 Millionen Euro. Sie verbraucht pro Stunde 2.000 Liter Treibstoff. Eine Tankfüllung kostet ungefähr eineinhalb Millionen Dollar. In manchen Fällen kann man solche Superyachten auch mieten. Falls Sie mal vorhaben, mit ein paar Freunden eine anständige Sause auf einer Superyacht zu veranstalten: Sie müssen mit Mietpreisen zwischen 225.000 bis zu einer Million Dollar pro Woche rechnen. Die Superyacht „A“ hat inzwischen auch eine „Schwester“ bekommen und erzählt über diese Folgendes:
„Inzwischen habe ich mich auch noch aufs Segeln verlegt. Auf die Motoryacht A folgte die Sailing Yacht A. Derselbe Name, derselbe Designer, derselbe Eigentümer. Meine Berühmtheit läuft nicht Gefahr, abzunehmen, denn mit ihren 143 Metern gilt meine kleine oder besser gesagt große Schwester als die größte private Segelyacht dieses geliebten Planeten. Darauf kann sie 20 Passagiere und eine Besatzung von gut 50 Lakaien beherbergen. Daher ist die Rechnung natürlich gesalzen: 400 Millionen Euro. Aber man muss auch sehen, was man dafür bekommt: acht Decks, einen Hubschrauberlandeplatz und ein U-Boot, einen Raum, aus dem sich die Unterwasserwelt beobachten lässt … Und dann noch ein kleines Must-have: die Glasreeling des Hauptdecks, 1,8 Tonnen schwer, das größte jemals realisierte Glasteil aus einem Stück. Außerdem wäre es ja wohl gelacht, wenn sie mit ihrem Hybridantrieb nicht als ökologisch durchgehen würde!“ (S. 46-47).
Theorie der feinen Leute
Etwas enttäuschend fand ich, dass auch der Spielfilmregisseur Steven Spielberg eine Superyacht mit 86 Metern Länge besitzt. Nicht weil ich staune, dass er als Künstler über so viel Geld verfügt. Sondern weil ich nicht gedacht hätte, dass ein so sensibler Künstler wie er sich an so einem – in meinen Augen primitiven – Statuswettbewerb und der Zurschaustellung des eigenen Erfolges beteiligt. Man fragt sich: Warum ist das notwendig? Salles Antwort dazu ist ein Zitat aus einem soziologischen Klassiker. Schon im 19. Jahrhundert schrieb Thorstein Veblen dazu in seinem Buch „Die Theorie der feinen Leute“:
„Um Ansehen zu erwerben und zu erhalten, genügt es nicht, Reichtum oder Macht zu besitzen. Beide müssen sie auch in Erscheinung treten, denn Hochachtung wird erst ihrem Erscheinen gezollt. Das Zurschaustellen von Reichtum dient jedoch nicht allein dazu, anderen die Wichtigkeit vor Augen zu führen und sie in ihnen lebendig zu erhalten, sondern auch dazu, das persönliche Selbstbewustsein zu stärken und zu erhalten“ (S. 90).
Der Unterschied zur damaligen Feudalgesellschaft, wie Salle zutreffend feststellt: Die müßige Klasse von gestern inszenierte die Tatsache, sich aus reiner Freude an der Sache einer Beschäftigung widmen zu können (also ohne wirtschaftliches Motiv). Diese Beschäftigung musste auch nicht unbedingt kostspielig sein. Heute aber sei dies ganz anders:
„Ein Jahrhundert später lassen die Reichsten, selbst wenn sie in erster Linie Erben sind, keine Gelegenheit aus, die unersetzlichen Tugenden der ‚Arbeit‘ zu betonen (und gehen sogar soweit, ihre Superyachten als Arbeitsplatz zu präsentieren, wo beispielsweise Verträge ausgehandelt und unterzeichnet werden), um die Erholung als gerechte Belohnung für die erfüllten Pflichten statt als Frucht früherer Leistungen darzustellen. Die Modalitäten der ‚ehrenvollen‘ Verschwendung, auf deren Umweltkosten Veblen bereits frühzeitig aufmerksam machte, haben sich zwar etwas verändert, aber die Funktion der plakativen Zurschaustellung ist geblieben“ (S. 91).
Resümee
Bis dato hatte ich keine Neigung, mich mit Superyachten zu befassen. Nicht mal mit „normalen“ Yachten. Aber durch die Lektüre des Buches von Grégory Salle habe ich gelernt, dass dies sehr wohl ein politisch interessantes Thema sein kann. Zum einen, weil das Beispiel der Superyachten die gigantischen Ausmaße der sozialen Ungleichheit in kapitalistischen Systemen sinnlich greifbar macht. Denn die bloßen Zahlen über Vermögen der reichsten Menschen sind ja nur ein Abstraktum. Zum zweiten, weil am Beispiel der Superyachten alle sonstigen Probleme in Zusammenhang mit einer kapitalistischen Weltordnung sichtbar und anschaulich werden: Die arbeitsrechtliche Unsicherheit der Besatzungen, die oft ausgebeutet werden. Die enormen ökologischen Verwüstungen, wie beispielsweise die Zerstörung einer bestimmten Seegrasart, die existentiell für das ökologische System der Meere ist. Der exorbitante Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß (Allein die 300 größten Superyachten emittieren mehr CO2 als die über zehn Millionen Einwohner Burundis). Die Ausrichtung der Stadtentwicklung auf die Bedürfnisse der Milliardäre (Es werden zum Beispiel Häfen extra für Superyachten umgebaut oder neu gebaut). Anders ausgedrückt: Am Beispiel der Superyachten kann man die katastrophalen Folgen eines unregulierten Kapitalismus sichtbar machen.
Ein weiterer Punkt: Nach der Lektüre versteht jeder, dass eine Demokratie mit dieser astronomischen Ungleichheit keine Demokratie mehr ist. Und last but not least: Dass die Erde als Zuhause der Menschheit nur gerettet werden kann, wenn kapitalistische Gesellschaften „entneoliberalisiert“ und die bisher unendliche Freiheit auf Anhäufung von Geld und Kapital deutlich begrenzt wird. Ich kann dieses Buch deshalb nur jedem politisch Interessierten zur Lektüre empfehlen.
Titelbild: Suhrkamp Verlag
Grégory Salle: Superyachten, Luxus und Stille im Kapitalozän, Suhrkamp-Verlag 2022, 170 Seiten, 16,00 Euro