Der weltgrößte Hersteller von Windkraftanlagen ist umweltfreundlich, aber arbeiterfeindlich. Ein langer Streik, der vor Weihnachten 2022 gegen VESTAS in Deutschland begann, zeigt ein Unternehmen, das ein zynisches doppeltes Spiel spielt. VESTAS mit Hauptsitz in Dänemark hat dort einen Tarifvertrag mit den Gewerkschaften. Aber in Deutschland weigert sich der global agierende Konzern, einen Tarifvertrag abzuschließen. Am 21. Dezember 2022 kamen mehrere hundert Service-Mitarbeiter, die in Deutschland Windkraftanlagen warten, in Bussen zur VESTAS-Zentrale in Aarhus, um zu protestieren. Sie streiken seit Monaten mit voller Unterstützung ihrer Gewerkschaft IG Metall. Doch die VESTAS-Chefs zeigten ihnen die kalte Schulter. Von John Graversgaard.
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Die Zeitung Jyllands-Posten schrieb am 28. Januar: Das Servicegeschäft von VESTAS ist der größte Gewinnbringer im Konzern und wird deshalb gut gefüttert.[1] Es kann also nicht die Ökonomie sein, die den Ausschlag für die Ablehnung eines Tarifvertrags gibt. Was steckt also hinter diesem doppelten Spiel, von dem wir in den Medien nichts hören?
Grüner Konkurrenzkampf
VESTAS stellt sich gerne als grünes, fortschrittliches Unternehmen dar, das allerseits als dänisches Vorzeigeunternehmen gepriesen wird. Aber wenn es darauf ankommt, verhält sich VESTAS wie die meisten multinationalen Unternehmen. Es betreibt Lohndumping, wo immer es geht, und spekuliert darauf, Tarifverträge mit der Gewerkschaftsbewegung zu umgehen.
Die Windkraftunternehmen stehen unter Gewinndruck, wenn es um die Produktionskosten geht. Der Wettbewerb auf einem Markt mit steigenden Rohstoffpreisen und reduzierten staatlichen Beihilfen hat zugenommen. Aber mit der Abkehr von fossilen Brennstoffen ist dies auch ein schnell wachsender Markt, und die Wartung der in Betrieb befindlichen Anlagen ist das goldene Ei.
Es gibt drei große Akteure, die 70 % des Marktes außerhalb Chinas halten: VESTAS, Siemens Gamesa und Renewable Energy von General Electric (GE). Sie sprechen von enormen Verlusten und haben die Preise um zweistellige Beträge erhöht. Gleichzeitig eröffnet die jüngste staatliche Beihilferegelung in den USA, der Inflation Reduction Act, der Windindustrie eine neue Blütezeit. Aber wer wird den Preis für die verschärfte Gewinnjagd zahlen? Nicht die führenden Manager, sondern natürlich die Arbeiter vor Ort!
VESTAS: Im Eigentum von großen Kapitalfonds
Aber muss es nicht auch bei VESTAS besondere Umstände geben, die zur Verweigerung eines Tarifvertrags in Deutschland mit der IG Metall führen? Martin Bitter von der IG Metall in Rendsburg erklärt gegenüber Kritisk Revy, dass der große deutsche Windkonzern Siemens Gamesa sehr wohl einen Tarifvertrag mit seinen Servicekräften hat.
VESTAS ist eine Aktiengesellschaft und nicht im Besitz von Kleinaktionären, die auf ein glückliches Lotterielos hoffen. Der Konzern befindet sich im Besitz großer, weltweit operierender Kapitalorganisatoren. Windkraftunternehmen wie VESTAS präsentieren sich als umweltfreundlich und nachhaltig, so wie der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock und sein Chef Laurence Fink die ganze Welt grün malen können. Aber die Arbeitsbedingungen werden im grünen Narrativ beiseitegeschoben.
Auf www.marketscreener.com kann man die Eigentumsverhältnisse finden: Die größten Aktionäre heißen Baillie, Thornburg, Vanguard, Norges, Schroder, Blackrock, Fidelity und Amundi: Die meisten haben ihren Sitz in den USA. Nur Norges ist der norwegische Staatskonzern, dessen Kapital aus dem Ölgeschäft kommt, und Amundi ist der größte Kapitalfonds Frankreichs. Sie verstecken wie bei ihren anderen Unternehmen ihre superreichen Geldgeber hinter Briefkästen in Steuerparadiesen und Finanzoasen.[2]
Gewerkschaftsbekämpfung als Strategie
Bei der Demonstration in Aarhus vor der VESTAS-Zentrale am 21. Dezember gaben die Streikenden eine Erklärung ab, erhielten aber keine Antwort. Die VESTAS-Chefs wollen überhaupt nicht mit der IG Metall reden. Das ist für große Konzerne untypisch, selbst konservative Politiker kritisieren das. In Deutschland ist diese Strategie bei Amazon zu beobachten.
Die deutsche Niederlassung von VESTAS beschäftigt rund 650 Servicekräfte – und die Hälfte von ihnen, 300, streikt derzeit, unterstützt von der IG Metall. Martin Bitter ist beeindruckt vom Durchhaltewillen der Streikenden, die mit ihrem Serviceauto in der Regel von zu Hause aus losfahren und den Streik quasi über Nacht beenden könnten – eine extra Versammlung brauchen sie dazu nicht. Er berichtet auch, dass VESTAS damit begonnen hat, angeheuerte rumänische Arbeitskräfte als Streikbrecher einzusetzen. Der Konflikt wurde in deutschen Medien nur am Rande erwähnt, aber im schleswig-holsteinischen Landtag heiß diskutiert, wobei die dänische Minderheitspartei (SSW), die SPD und die Grünen den Streikenden ihre Unterstützung zusagten.[3]
Laut Martin Bitter von der IG Metall verfolgt VESTAS die Strategie, nicht mit der Gewerkschaft zu verhandeln. Vielmehr wird versucht, mit dem Betriebsrat eine Einigung zu erzielen. Aber mit einem Betriebsrat können nur Vereinbarungen über Arbeitszeiten, Urlaub und soziale Fragen getroffen werden, nicht aber über Lohnfragen: Die können nach deutschem Arbeitsrecht nur mit der Gewerkschaft verhandelt und vereinbart werden. Die Gewerkschaft kann dafür streiken, der Betriebsrat nicht. Dass aber ein Tarifvertrag möglich ist, zeigen andere Windkraftunternehmen wie z.B. Siemens Gamesa: Hier wurde ein Tarifvertrag mit der IG Metall abgeschlossen.
In Deutschland haben nur etwa 43 % der Beschäftigten einen Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft. Je kleiner die Unternehmen sind, desto weniger haben einen Tarifvertrag. Die einzige Möglichkeit, einen Tarifvertrag zu bekommen, ist also ein Streik, damit Löhne, Urlaubs- und Feiertagsvergütungen vereinbart werden können.
Ausnutzung nationaler Unterschiede in der EU
Das Verhalten von VESTAS sieht nach einer klaren Strategie für Union Busting aus, d.h. wie man die Gewerkschaft umgehen kann. In Deutschland gibt es eine ganze Branche von Anwaltskanzleien, die sich auf diese Art von Tricks spezialisiert haben. Auch inspiriert von den USA – wo dies ein noch größeres Geschäft ist.
Es wird ein doppeltes Spiel gespielt. Der Konzern will die national unterschiedliche Situation des Arbeitsrechts gegeneinander ausspielen: In Dänemark hat VESTAS einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft Dansk Metal abgeschlossen, aber in Deutschland zeigt sich das wahre Gesicht des Konzerns: Kurzfristige Gewinnmaximierung auf Kosten der Arbeitnehmer. Siehe auch das Buch “Imperium EU: ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr”: Dort werden zahlreiche Beispiele gezeigt, wie Gewerkschaftszerschlagung systematisch betrieben wird.[4]
So verhält sich etwa auch der größte Fleischkonzern Dänemarks, Danish Crown: In Dänemark bezahlt er seine dänischen Beschäftigten nach Tarifvertrag. Aber in seinen deutschen Filialen gibt es für die vielen migrantischen Niedriglöhner aus armen osteuropäischen Staaten keinen Tarifvertrag. In Deutschland nutzt Danish Crown wie der größte deutsche Fleischkonzern Tönnies osteuropäische Migranten als tariflose Leiharbeiter, die nach einigen Jahren ausgetauscht werden.
Titelbild: Bjoern Wylezich/shutterstock.com
Autor John Graversgaard ist Mitglied des Redaktionsausschusses von Kritisk Revy (Dänemark)
[«1] Trotz Verlusten ist Vestas immer noch der Branchenführer, Jyllandsposten. 28. Januar 2023; Wind Turbine Makers Struggle to Find Pricing Power, Offshore Engineer, Mai 5, 2022; Wind Turbine Makers Struggle to Find Pricing Power (oedigital.com); Struggling wind giants lift turbine prices as ‘last resort’ to fight inflation, S&P Global, Aug 22, 2022; Struggling wind giants lift turbine prices as ‘last resort’ to fight inflation | S&P Global Market Intelligence (spglobal.com)
[«2] Trotz Verlusten ist Vestas immer noch der Branchenführer, Jyllandsposten. 28. Januar 2023; Wind Turbine Makers Struggle to Find Pricing Power, Offshore Engineer, Mai 5, 2022; Wind Turbine Makers Struggle to Find Pricing Power (oedigital.com); Struggling wind giants lift turbine prices as ‘last resort’ to fight inflation, S&P Global, Aug 22, 2022; Struggling wind giants lift turbine prices as ‘last resort’ to fight inflation | S&P Global Market Intelligence; (spglobal.com); VESTAS WIND SYSTEMS A/S: Aktionäre Vorstandsmitglieder Manager und Unternehmensprofil | DK0010268606 | MarketScreener
[«3] Debatte im Schleswig-Holsteinischen Landtag
[«4] Werner Rügemer: Imperium EU. ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr. Köln 2020