Lang, länger, Exzess. Ein Büchlein über Superyachten liefert Kapitalismuskritik mit Tiefgang

Lang, länger, Exzess. Ein Büchlein über Superyachten liefert Kapitalismuskritik mit Tiefgang

Lang, länger, Exzess. Ein Büchlein über Superyachten liefert Kapitalismuskritik mit Tiefgang

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Der Soziologe Grégory Salle konstatiert: „Eine Handvoll Superreicher amüsiert sich auf dem Meer – na und? Na und: alles!“ In seinem geistreichen und unterhaltsamen Essay über die Luxusboote der Hypervermögenden fordert er, deren Treiben auf den Wassern der Welt ernst zu nehmen und nicht als Marotte von Durchgeknallten abzutun. Denn die Kehrseite grenzenloser Mobilität und exklusiven Geltungskonsums der Wenigen sind die Ausbeutung, Unterdrückung und Armut von Milliarden Systemopfern, postuliert der Franzose. Recht hat er und ein lehrreiches Stück vorgelegt. Ralf Wurzbacher stellt es vor.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wie viel dürfen es denn sein? 30 Meter, 70 Meter, 100 oder noch mehr. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat die längste am ganzen Strand? Superyachten sind wie Penisse und sie gehören fast ausnahmslos Männern. Für den Soziologen Grégory Salle sind sie „nicht einfach Symbole des Exzesses. Vielmehr sind sie Symbole dafür, dass der Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters geworden ist“. Das tut weh. Zumindest jenen, die in der Erde etwas anderes sehen als die Spielwiese einer „globalisierten Hyperbourgeoisie“. Und denen sowieso, die in Massen in den „globalen Elendsvierteln“ hungern und die zweite der beiden „schlechtesten aller möglichen Welten“ bildeten, wo „wenige zig oder Hunderte Personen ebenso viel besitzen wie annähernd vier Milliarden Menschen zusammen“, wie der Franzose schreibt.

„Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“ heißt sein 170-Seiten-Büchlein, das Ende 2022 in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp erschienen ist. Kapitalozän bezeichnet den zerstörerischen Einfluss der kapitalistischen Produktionsweise auf den Planeten und sämtliche Lebensformen darauf. Die Zurichtung aller gesellschaftlichen Sphären nach den Regeln des Marktes betrifft nicht minder das akademische Milieu. Dass sich ein Politologe aus einer linken Perspektive kritisch mit den Auswüchsen eines nach dem Übergang zum Neoliberalismus komplett pervertierten Wirtschaftssystems befasst, ist für sich schon eine Ausnahmeerscheinung in einem überwiegend linientreuen Wissenschaftsbetrieb. Besser wird die Sache noch damit, wie der 45-Jährige sein Thema vorträgt. Weitab von einer theoretischen Abhandlung formuliert er „zugleich ernsthaft und spielerisch“, mit „Anflügen von Spott“, nicht verbissen, aber beißend und mit kuriosen Rollenwechseln, derart, dass er mithin in Ich-Form das Arsenal eines dieser Protzschiffe demonstriert oder in die Haut einer Meerespflanze namens Neptungras schlüpft, das dieselben durch illegales Ankern mit katastrophalen Folgen niedermähen.

2.000 Liter Sprit pro Stunde

Da wäre etwa die „Motor Yacht A“, ein knapp 120 Meter langes Ungetüm, das laut Grégory Salle einem russischen Bankier gehören soll*, dessen Bug ein Unterseeboot mimt. Mit einem Schätzwert von 325 Millionen Dollar kommt es preislich noch vergleichsweise bescheiden daher, was bei einer Bar aus Baccarat-Kristallglas und einem Swimmingpool, dessen Insassen man aus der darunter gelegenen Discothek planschen sieht, gleich wieder relativiert gehört. „Gut, ich schlucke an die 2.000 Liter Treibstoff pro Stunde, und Volltanken kostet annähernd eineinhalb Millionen Dollar“, aber: „Sie werden meine Klasse erkennen.“ Mehr noch gilt das für ihre „große Schwester“, die „Sailing Yacht A“, mit 143 Metern die weltweit größte private Segelyacht mit acht Decks, Hubschrauberlandeplatz, drei riesenhohen Karbonmasten und 1,8 Tonnen schwerer Glasreling aus einem Stück (natürlich so nie dagewesen) sowie einem Hybridantrieb, der das Monstrum bei Flaute in eine elfenbeinfarbene Dreckschleuder verzaubert.

Nur ein paar Kennziffern zum ökologischen Fußabdruck, den die Super-, Mega- und Gigayachten (je länger, desto schriller das Superlativ) hinterlassen. Im Durchschnitt verpulvert eine einzige pro Jahr 7.200 Tonnen CO₂, während der Pro-Kopf-Ausstoß bei fünf Tonnen liegt. Allein die 300 größten Exemplare emittieren mehr Klimagase als die über zehn Millionen Einwohner Burundis. Und bloß mit den jährlichen Betriebskosten der aktuell rund 6.000 verkehrenden Prunkkähne mit 30 Metern aufwärts ließe sich die Schuldenlast der sogenannten Entwicklungsländer tilgen. Nimmt man die Kaufpreise, wäre der Ertrag noch zehnmal größer.

Laissez-Faire macht lustig

Natürlich verschlingt die (Ab-)Rechnung mit der Natur Unsummen mehr: für den Bau der Kolosse, die ausgebeuteten Rohstoffe und die gewaltigen Kollateralschäden des glamourösen Umherschipperns. Wiederholt wurden Superyachten dabei ertappt, wie sie unberührte Atolle und Korallenriffe mit Rumpf, Schiffsschrauben und Ankern verschandelten oder per „Midnight Dumping“ im Schutz der Dunkelheit giftige Substanzen ins Wasser einleiteten. Häufiger dürften sie bei ihrem Raubbau nicht ertappt worden sein, und wenn doch, poliert eine nette Greenwashing-Kampagne das Image rasch wieder auf. Zur Meisterschaft in Augenwischerei könnte es ein bisher nur als Entwurf existierender 120-Meter-Palast mit Zen-Tempel-Aufmachung des niederländischen Designstudios Sinot bringen. Das eckige Ding wurde auf den Namen „Nature“ getauft.

Was es für die Eigner, Erbauer und Mieter dieser Umwelttotsünden erst so richtig komfortabel macht: Ihr „als ideales Leben angepriesenes Verbrechen“ bleibt von Regulierern, Behörden und Strafverfolgern weitgehend unbehelligt. Es sei denn, es herrscht gerade Krieg und die westlichen Sanktionierer reißen sich die Schlachtrösser der russischen Oligarchen als Faustpfand unter den Nagel – so wie vor einem Jahr im italienischen Triest mit besagter „Sailing Yacht A“ geschehen. Ansonsten herrscht das große Laissez-Faire auf den Wassern dieser Erde, zumal man sich im Konfliktfall flugs und ungestört über die nächste Seegrenze verdünnisieren kann. Zitat: „Wenn ein Problem auftaucht, verschwindet es schnell wieder in einem juristischen Dickicht aus internationalen Gewässern, unbekannten Eignern und Registrierungen, die auf Gefälligkeiten beruhen.“ In puncto Arbeitsrecht – Salle zufolge werden die Crewmitglieder wie „Lakaien“ behandelt – „segelt man in einer Zone der Extraterritorialität“. Und selbstverständlich wären Superyachten nicht nur an Offshore-Finanzplätzen gemeldet und legten gern dort an, „sie sind selbst schwimmende Steueroasen“ und ihre Besitzer hätten das „praktische Gefühl steuerlicher Straffreiheit“.

Goldene Arche Noah

Es ist insbesondere die Entrücktheit dieses „winzigen Bruchteils der Menschheit, der in seiner Lebensweise fast buchstäblich jede Verbindung zur gewöhnlichen sozialen Welt abgebrochen hat“, die Salle empört. Die Eigner der Yachten und jene, die sie für horrende Beträge chartern, hauen mit ihren in der Regel ausbeuterischen Unternehmungen und Investments den Globus zu Klump. Und während immer mehr Ei- und Festland dabei ist, in den Fluten des Klimagaus abzusaufen, feiern die Verursacher Party auf ihrer goldenen Arche Noah. Der Franzose nennt das einen „atemberaubenden Taschenspieltrick: die Fähigkeit der Reichsten, sich von den gesellschaftlichen und umweltbezogenen Kosten ihrer Praktiken zu befreien“. Ihre gewaltigen Vermögen türmen sie zum Beispiel mit Rüstungsgeschäften auf, mit Profiten aus Waffen, die in etlichen Ländern Kriege und Bürgerkriege befeuern. Seit Jahren ertrinken im Mittelmeer fast täglich Flüchtlinge auf klapprigen Nussschalen, mitunter in Sichtweite zu den Profiteuren des Gemetzels, die mit ihren Luxusdampfern auf dem „Milk Run“ an der Küste Frankreichs zwischen St. Tropez und Monte Carlo und überall dort vor Anker gehen, wo man gerade gesehen werden muss.

„Ocean Grabbing“ heißt diese Leidenschaft, die Leiden schafft, oder „Coast Grabbing“. Man greift sich die schicksten Plätze der Welt, abgeschirmt in einem Hoheitsraum „demonstrativer Abgeschiedenheit“, um sich in sicherer Entfernung zum Fußvolk begaffen zu lassen oder ein paar Geschäfte zu machen, und verschwindet dann so schnell, wie man gekommen ist, nicht ohne Spuren von Müll, Öl, Abgasen und eine Schneise durchs Neptungras zu hinterlassen, das neben vielen anderen Vorzügen die Küsten vor Erosion schützt. Kein Ding: Schöne Strände gibt es auch anderswo noch genug – zu verwüsten.

Kopf ab, Schwanz ab?

Der ökologische Irrwitz par excellence: Die überdimensionierten Yachten (die längsten messen 180 Meter, aber längere sind in Arbeit) sind laut Salle „schlicht zu groß, um die angesagtesten Häfen anzulaufen“. Also werden noch größere Anleger gebaut und geht noch mehr Natur kaputt in einem „Wettbewerb, in dem zuweilen die Rationalität elementarster Nützlichkeit keinen Platz mehr hat“. Man erinnert sich: Zwecks Passage der neuesten Segelyacht von Amazon-Chef Jeff Bezos wollte die Stadt Rotterdam im Vorjahr eine denkmalgeschützte Holzbrücke fällen. Nur ein Aufschrei der Öffentlichkeit verhinderte die Schandtat. Denn nichts scheut die Geldelite mehr, als wegen ihres Treibens am Pranger zu landen. Bezos ließ sein 500-Millionen-Dollar-Schiffchen klammheimlich und um seine Masten entmannt (Schnipp-Schnapp) in eine andere Werft schleppen.

Das immerhin macht ein bisschen Hoffnung. Schließlich hat alles (irgendwann) einmal ein Ende, auch der testosterongesteuerte Größenwahn. Die obszön reiche Geldkaste mag (vorerst noch) daran Gefallen finden, ihr Gewissen unter „RainSky“-Duschen mit Brauseköpfen „von der Größe einer Motorhaube“ bei einem Verbrauch von 45 Litern pro Minute wahlweise mit Wasser oder Champagner reinzuwaschen. Aber wehe, so das Schlusswort des Buches, „der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Yacht zu leben“. Dann „wird man die Guillotine wieder hervorholen“. So betrachtet, beschert uns Salle wenigstens eine Perspektive. Wobei der zitierte „Witz“ nicht von ihm, sondern vom ehemaligen US-Wirtschaftsanwalt Bill Duker stammt, der selbst mehrere Yachten sein Eigen nennt. Vielleicht wird sein Galgenhumor ihn dereinst leibhaftig einholen. Autsch!

Es ginge auch weniger blutig, so wie es der US-Soziologin Nicole Aschoff vorschwebt, die Salle am Ende zu Wort kommen lässt. „In Superyachten materialisiert sich alles, was in unserem profitorientierten System schiefläuft“, weshalb es sie und die Milliardärsklasse nicht geben dürfte. Und wie? „Wir müssen eine globale Vermögenssteuer einführen, Steueroasen schließen und, ja, ihnen ihre Yachten nehmen.“ Passend und treffsicher betitelte Salle sein letztes Kapitel: „Kapitalozän und Ökosozialismus sitzen in einem Boot …“ Überleben kann nur einer.

Titelbild: Felix Mizioznikov/shutterstock.com

Info zum Buch: Grégory Salle, Soziologe und Politikwissenschaftler: „Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“, Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2022.

* Anmerkung der Redaktion (12.00) : In der ursprünglichen Version hieß es, die Yacht gehöre dem russischen Bankier Andrei Melnitschenko. Sein Sprecher teilte uns nun per Mail mit, die Yacht sei in Besitz einer Stiftung, zu der Melnitschenko keine Verbindung habe. Wir können den Sachverhalt nicht prüfen und haben die Passage dementsprechend geändert.

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