Vor bald einem halben Jahr kündigte die Bundesregierung eine Energiepreispauschale für Studierende und Fachschüler an. Das Geld ist nicht nur noch nicht da, es könnte sogar noch Wochen und Monate auf sich warten lassen. Neben den üblichen Bund-Länder-Streitereien liegt das vor allem am gewählten Beantragungsmodus: Der ist das Gegenteil von „schnell“ und „unbürokratisch“ und stellt ein dreistes Manöver dar, 3,5 Millionen jungen Menschen eine zentralisierte, digitale Identität aufzudrücken – nach dem Motto: Deine Daten gegen 200 Euro. Bei einer Ministerin mit FDP-Parteibuch war damit zu rechnen. Von Ralf Wurzbacher.
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Man kann Menschen auf einfache Weise zu ihrem Glück verhelfen oder man macht es ihnen schwer. Den rund 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland fehlen zu ihrem Glück nach zwei Jahren Corona-Tristesse und einem Jahr Rekordinflation exakt 200 Euro – sofern man der Bundesregierung glaubt. Diese Summe hatte Bettina Stark-Watzinger (FDP) als Bundesbildungsministerin ihrem Parteichef und Bundeskassenwart Christian Lindner als Teil des dritten Entlastungspakets zur Bewältigung der Energiepreisexplosion im Gefolge des Ukraine-Kriegs abgetrotzt. Die Ankündigung liegt bald sechs Monate zurück und das Geld ist immer noch nicht bei den Betroffenen angekommen. Dabei ließ die anfängliche Formel von der „Soforthilfe“, gepaart mit dem Wörtchen „unbürokratisch“, auf einen flinkeren Vollzug hoffen.
Aber irgendwie hat es wohl einen Sinneswandel gegeben und sich die Devise – freilich unausgesprochen – ins glatte Gegenteil verkehrt: also „extra lahmarschig“ und „maximal kompliziert“. Das hat viel damit zu tun, dass das ganze Vorhaben nicht durchdacht war und dilettantisch aufgesetzt wurde. Allein drei Monate gingen bis zur Erkenntnis ins Land, dass die Sache gar nicht so leicht zu realisieren ist, weil keine zentrale Datenbank existiert, in der die Namen, Adressen und Bankverbindungen aller Studierenden und Fachschüler – auch die will man „beglücken“ – erfasst sind. Dazu kam der übliche Zoff um die Zuständigkeiten. Obliegt die Federführung dem Bund oder doch den 16 Bundesländern? Um nur das zu klären, vergingen viele viele Wochen und selbst danach noch mäkelten die Landeswissenschaftsminister, mit einem „gut gemeinten, aber nicht hinreichend vorbereiteten“ Gesetzentwurf konfrontiert zu sein, der für sie schlicht nicht umsetzbar sei.
„Riesenaufriss“ für Bundesländer
Immerhin wurde inzwischen eine zentrale Antragsplattform aufgebaut, in Regie Sachsen-Anhalts. Die Technik soll funktionstüchtig sein und hätte laut Stark-Watzinger schon im Februar auf Sendung gehen können. Allerdings müssen zunächst sämtliche Länder mit entsprechenden Verordnungen oder per Gesetzgebung die nötige Rechtsgrundlage für die Leistungserbringung schaffen. Das sei ein „Riesenaufriss“, schrieb der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda vor zehn Tagen auf seinem Blog unter Berufung auf Beteiligte. Die fragliche Musterrechtsverordnung und die Bund-Länder-Vereinbarung liegen erst seit kurzem vor. Mehrere Länder, darunter Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Bayern, haben ihre Hausaufgaben bereits erledigt. Andere hinken noch hinterher.
Ginge es nach Stark-Watzinger, hätte jedes Land im Alleingang mit dem Antragsverfahren loslegen sollen, wohl um einen „früheren“ Erfolg vorweisen zu können. Dem widersetzten sich ihre Länderkollegen aus Sorge, ein Start mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten könnte das ohnehin schon belächelte Projekt (den Vertrösteten ist eher zum Heulen zumute) noch mehr in Verruf bringen. Dann lieber eine noch längere Hängepartie im Gleichschritt als Bilder von Studierenden aus Bayern, die mit zwei Hunderten wedeln, während solche aus Bremen vor dem Sozialamt kauern. Nachdem längere Zeit der 1. März als Starttermin für die Beantragung gehandelt wurde, wird nun der 15. März angepeilt. Zu Monatsanfang soll lediglich ein Testlauf in Echtzeitbetrieb unter Mitwirkung weniger Hochschulen in zwei bis drei Ländern losgehen. Aber selbst wenn alles rund läuft, wäre das längst kein grünes Licht für die Auszahlung. Denn zuvor müssen die Hochschulen noch allerlei Vorarbeiten leisten, die für Ärger und weiteren Verzug sorgen können.
Stark-Watzingers Wetteronkel
In der Frühphase war einmal die Rede davon, die „Einmalzahlung“ werde zum Jahresanfang 2023 überwiesen. Später legte sich Stark-Watzinger auf „in diesem Winter“ fest, dessen Ende ihr Pressesprecher Clemens Escher – im Nebenberuf Wetteronkel – vor drei Wochen in der Bundespressekonferenz freimütig auf „März, April“ terminierte, weil „es ist ja noch kalt“. Der Anmerkung eines Journalisten, dass es mit der Auszahlung durchaus bis Anfang Mai dauern könnte, begegnete er schließlich damit, es werde „sehr bald“ so weit sein. Über die Konsequenzen und Belastungen für die Studierenden, die schon im Jahr 2021 zu fast 40 Prozent unterhalb der Armutsschwelle lebten, hatten die NachDenkSeiten hier schon im November berichtet. Damals war allerdings noch nicht überschaubar, warum sich das Prozedere so in die Länge zieht. Mittlerweile liegen die Dinge auf dem Tisch und der Skandal wird damit noch größer.
Auf seinem Blog hat der Wirtschaftsjournalist Norbert Häring dieser Tage aufgezeigt, welches einfache Verfahren zur „Beglückung“ der akut Hilfsbedürftigen die Bundesregierung „abgewählt“ habe. Demnach hätte man den Betrag mit dem halbjährlich fälligen Semesterbeitrag verrechnen können, „so, wie man es mit dem Dezemberabschlag an die Energieversorger gemacht hat“. Ohne Frage wäre auch diese Methode nicht ohne Tücken gewesen. Der Semesterbeitrag variiert in der Höhe je nach Hochschulstandort und nicht überall übersteigt er 200 Euro. Auch der Umstand, dass all diejenigen Anspruch haben, die zum Stichtag 1. Dezember immatrikuliert waren, von denen im kommenden Sommersemester aber nicht mehr alle studieren werden, erschwert die Sache. Dazu kommt die Frage zum Umgang mit den Fachschülern, wobei Häring meint, auch „hier hätte sich sicher ein Weg gefunden, eine vom Staat an die Schulen überwiesene Summe mit etwas zu verrechnen oder an die Schüler auszuzahlen“.
Frischzellenkur für Ladenhüter
Dem ist zuzustimmen, insbesondere beim Blick auf die Lösung, die jetzt auf dem Tisch liegt. Diese ist nicht nur um vieles komplexer als alles Vergleichbare, sondern eine gewaltige Zumutung mehr für die Adressaten der sogenannten Hilfe. Die soll es nämlich nur geben, wenn man sich im Gegenzug eine „BundID“ zulegt, sprich ein digitales Nutzerkonto, worüber sich nach dem Leitbild „E-Government“ Verwaltungsleistungen unterschiedlichster Behörden online beantragen lassen. Der Service ist bisher ein echter Ladenhüter. 2019 gestartet, zählte das zuständige Bundesinnenministerium bis Februar 2022 lediglich 100.000 Nutzer. Dass es inzwischen über 400.000 sind, hängt damit zusammen, dass zuletzt diverse Bundesländer ihre bisher landeseigenen Services unter dem „Nutzerkonto Bund“ zentralisiert haben. Anfang Februar vollzog Nordrhein-Westfalen den Umstieg, wodurch Zehntausende Inhaber des Servicekonto.NRW gezwungenermaßen unterm Bundesdach Zuflucht fanden.
Indem die Regierung das „Angebot“ Studierenden und Fachschülern förmlich überbrät, gewinnt sie über Nacht mithin 3,5 Millionen Kunden dazu. Netzpolitik.org gab vor einer Woche die Netzaktivistin Anne Roth wieder, die für die Bundestagsfraktion Die LINKE als Referentin tätig ist. So ergäben sich für den Bund zwei Vorteile: Erstens hätte man damit ein zentrales digitales Register, das die Daten von Studierenden und Fachschülern enthält. Und zweitens würde die Reichweite der „BundID“ schlagartig in die Höhe schnellen. Ein „Vorzug“ mehr: Über das Konto lassen sich auch Leistungen der Bundesausbildungsförderung (BAföG) beantragen. Wobei das E-BAföG noch so eine Baustelle ist, die seit Jahren für viel Frust bei Studierenden und auf den Ämtern sorgt. Will die Ampel womöglich auch dieses Problem mit dem Hebel der Energiepreispauschale abräumen?
Datenschützer alarmiert
Dabei sind auf dem Weg zur „BundID“ selbst schon allerhand Hürden zu nehmen. Um das Konto anzulegen, bedarf es entweder der Online-Ausweisfunktion des neuen elektronischen Personalausweises oder eines persönlichen Elster-Zertifikats des Finanzamtes. Im ersten Fall benötigt man außerdem eine Identifizierungssoftware (AusweisAPP2) sowie ein modernes Smartphone mit NFC-Fähigkeit (Near Field Communication). Besitzt man einen Ausweis von vor 2018 und hat der Aktivierung der eID-Funktion widersprochen, muss man diesen Widerspruch rückgängig machen. Weil nicht jeder diese Voraussetzungen erfüllen kann, musste die Bundesregierung notgedrungen einen alternativen Antragsweg ermöglichen. Von ihrer jeweiligen Hochschule erhalten alle Berechtigten einen Zugangscode zum Antragsportal www.einmalzahlung200.de. Zusätzlich vergeben sie eine persönliche PIN, wohl aber nur für den Fall, dass sich der Betreffende diese leibhaftig unter Vorlage eines Identitätsnachweises im Sekretariat aushändigen lässt. Aber auch für diese Option braucht es nach den auf dem Portal beschriebenen Modalitäten die „BundID“. Warum, fragt man sich. Schließlich wäre die Identität des Antragstellers doch auch ohne das Konto schon eindeutig nachgewiesen. Das Kalkül dürfte einerseits darin bestehen, die Hochschulen vor einem Riesenansturm zu bewahren – und eben einmal mehr darin, eine neue, aber unpopuläre Technik zu pushen.
Angesichts der Hauptakteure Stark-Watzinger und Lindner (die Schöpferin des 200-Euro-Almosens und der edle Spender) fühlt man sich zurückversetzt in den Bundestagswahlkampf von 2017, als die Freidemokraten plump plakatierten: „Digital first. Bedenken second.“ Dabei gibt es auch im aktuellen Fall durchaus Bedenkenträger. Der Jurist und Datenschutzexperte Christian Aretz erinnerte gegenüber Netzpolitik.org daran, dass eine datenschutzrechtliche Einwilligung eigentlich auf dem Prinzip der Freiwilligkeit fußen müsse. Das ist bei der Konstellation Geld gegen Daten zweifellos nicht der Fall. Ähnlich monierte die Hackerin Lilith Wittmann die Nötigung von Studierenden, der Verarbeitung ihrer Daten zuzustimmen, während die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) dies eigentlich verhindern solle. Selbst im SPD- und Grünen-Lager wird gemurrt, die überflüssige, zusätzliche Hürde sei ein „schlechter Witz“.
Automatisierte Überwachung
Zum Lachen ist auch dem Blogger Häring nicht. Man habe sich ein „absurd kompliziertes Verfahren“ für eine Einmalzahlung von 200 Euro ausgedacht, „um bei einer begrenzten Gruppe ohne Lobby, bei der kein allgemeiner Proteststurm in den Medien zu erwarten ist, den Zwang zur digitalen ID durchzuexerzieren“. Und weiter: „Wie schon bei der digitalen Ausweisfunktion werden wir zu unserem Glück gezwungen, weil es eben um etwas anderes geht: um die Herstellung kompletter automatisierter Überwachbarkeit.“
Vielleicht kommt es doch noch anders. Wie Tagesschau.de berichtete, übt die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder (DSK) grundsätzliche Kritik am vor Weihnachten in Kraft getretenen Studierenden-Energiepreispauschalengesetz (EPPG). „Für eine bereits im Vorfeld – vor Antragstellung – erfolgende Übermittlung personenbezogener Daten an die zuständige Stelle und Erhebung seitens dieser Stelle fehlt es an einer tauglichen Rechtsgrundlage“, befanden die Experten in einer gemeinsamen Stellungnahme. Tatsächlich müssen nämlich alle betroffenen Ausbildungsstätten Namen und Geburtsdaten der Studierenden und Fachschüler an die Länder verschlüsselt übermitteln. Allein das verspricht, noch viel Zeit zu kosten.
Zu der von ihnen so bezeichneten Datenerhebung „auf Vorrat“ hält die DSK obendrein fest: „Anhaltspunkte dafür, dass die Studierenden zu Recht unter einen Generalverdacht zu stellen seien, sie würden versuchen, rechtswidrig die Energiepreispauschale mehrfach von verschiedenen Ländern erhalten, können wir nicht erkennen“. Schwamm drüber, denn im nächsten Satz unterstreichen die Damen und Herren Datenschützer die „politische Eilbedürftigkeit und das unterstützenswerte Bestreben des Bundes und der Länder, die Energiepreispauschale möglichst rasch den Studierenden auszuzahlen“. Die Entwicklung eines abweichenden Verfahrens oder die Änderung des Gesetzes brächte „voraussichtlich eine weitere Verzögerung mit sich“. Gar nicht auszudenken, wie lange die Ärmsten dann noch auf ihr „Glück“ warten müssten. Dann doch besser Recht brechen.
Titelbild: AlexBuess / Shutterstock