Ende September 2022 veröffentlichten die NachDenkSeiten ein internes Regierungsdokument mit dem Titel „Laufende Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR“, welches minutiös die entsprechenden Aktivitäten der Bundesministerien gegen mutmaßliche „russische Propaganda“ auflistet. Unter anderem wird darin die behördliche Einbindung von Medien (z.B. Spiegel und Stern), westlichen Social-Media-Konzernen, Bildungseinrichtungen und den sogenannten „Faktencheckern“ belegt. Die Bundesregierung räumte nach einigen Wochen die Echtheit des Dokuments ein. Im Anschluss gab es umfassende parlamentarische Anfragen zu den Inhalten des geleakten Dokuments. Die Antworten der Bundesregierung liegen mittlerweile vor und wurden von den NachDenkSeiten ausgewertet und einem Faktencheck unterzogen. Von Florian Warweg.
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Eine der Anfragen wurde von der Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss und Sprecherin für internationale Politik und Abrüstung, Sevim Dagdelen, initiiert, umfasst 25 Fragen und trägt den Titel „Die „strategische Kommunikation“ der Bundesregierung und der Umgang mit „Desinformation“ im Ukraine-Krieg“.
Schon die ersten zwei Antworten der Bundesregierung sind im inhaltlichen Zusammenhang ein wahres Schmankerl.
Zunächst wird eingangs gefragt, was die Bundesregierung unter „Desinformation“ versteht und welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit das Agieren eines (staatlichen) Akteurs für die Bundesregierung als Desinformation gilt.
Daraufhin nimmt die Bundesregierung im Wortlaut folgende offizielle Definition von „Desinformation“ vor:
„Der Begriff „Desinformation“ bezeichnet nachweislich falsche oder irreführende Informationen, die mit dem Ziel der vorsätzlichen Beeinflussung oder Täuschung der Öffentlichkeit verbreitet werden und gegebenenfalls die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich stören können.“
Die zweite Frage an die Bundesregierung lautet, ob diese Kenntnisse hat, dass neben Russland auch andere Akteure im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg „Desinformation“ betreiben würden. Was antwortet die Bundesregierung?
„Desinformationsaktivitäten anderer Staaten im Zusammenhang mit dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine konnten bislang nicht beobachtet werden.“
Mit dieser Aussage erfüllt die Bundesregierung 1:1 die von ihr selbst in der vorherigen Antwort dargelegten Definition von „Desinformation“. Denn diese Darstellung ist sowohl als „irreführend“ als auch die „Öffentlichkeit täuschend“ einzuordnen. Beispielhaft verwiesen sei auf die „nachweislich falsche Information“ des ukrainischen Präsidenten und seines Stabes, die beim Zwischenfall mit einer ukrainischen S-300-Rakete in Polen im November 2022 wider besseren Wissens erklärten, die Rakete, welche zwei polnische Staatsbürger tötete, sei von Russland abgeschossen worden. Damit gefährdete er auch im Sinne der Definition der Bundesregierung die „öffentliche Sicherheit“, da er alles versuchte, um mit seiner Desinformation den NATO-Bündnisfall herbeizureden.
Ähnliches ließe sich über die täglichen „Geheimdienst-Updates“ des britischen Verteidigungsministeriums zum Ukraine-Krieg sagen, die insbesondere vom bundesdeutschen Mainstream völlig unhinterfragt wiedergegeben werden und seit 11 Monaten verkünden, „Russland hat Raketen für lediglich zwei, drei Wochen“, oder auch der ebenso britische Geheimdienstklassiker, „Wir wissen, dass den Russen die Munition ausgeht“:
Erinnert sei auch an den medial gefeierten „Geist von Kiew“, bei dem deutsche Medien Monate später kleinlaut eingestehen mussten, dass es sich dabei nur um ein „Phantom“ in „einer Propagandaschlacht“ gehandelt habe:
Nicht zu vergessen auch die vom deutschen Mainstream ebenso unkritisch durchgereichte angebliche Heldenstory von der ukrainischen Oma, die mit einem Glas eingelegter Tomaten eine russische Drohne vom Himmel geholt habe:
Kurz gefasst: Selbst eine nur oberflächliche Presseschau in deutschen „Leitmedien“ hätte den für die Beantwortung der Anfrage verantwortlichen Ministerialbeamten aufzeigen können, dass es sehr wohl geballte ukrainische und westliche „Desinformationsaktiviäten“ im Kontext des Ukraine-Krieges gibt.
Doch damit nicht genug. In der kleinen Anfrage (KA) wird dann auf das „Zentrum gegen Desinformation des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine“ verwiesen und gefragt, ob die Bundesregierung diesen als einen Akteur bewertet, der Desinformation betreibe, da dieser zum Beispiel dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Rolf Mützenich, unterstellt, als „Informationsterrorist“ zu agieren, und sich laut dem Chef der Behörde, Andriy Shapovalov, als „Kriegsverbrecher“ vor Gericht verantworten müsste.
Die Bundesregierung schreibt in ihrer Antwort zwar, dass sie sich die durch die genannte Organisation veröffentlichten Ansichten nicht zu eigen mache, verurteilt aber auch nicht die Bezeichnung von Mützenich als „Informationsterrorist“ und will dies auch nicht als „Desinformation“ gewertet wissen. Stattdessen wird in beinahe höhnischem Ton und offener Verachtung des SPD-Fraktionsvorsitzenden erklärt:
„Das Zentrum gegen Desinformation wurde durch den nationalem Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine im März 2021 mit dem Ziel des Schutzes des ukrainischen Informationsraums, insbesondere zur Abwehr von Desinformation, gegründet.“
Man sollte hier vielleicht zur besseren Einordnung anmerken, dass die Anfrage von Beamten des Auswärtigen Amtes unter Führung von Annalena Baerbock beantwortet wurde.
Des Weiteren wird in der Anfrage abgefragt, wie viele Mitarbeiter derzeit in welchen Ressorts (inklusive Bundeskanzleramt) und in welchen Bundesoberbehörden mit den „laufenden Aktivitäten der Ressorts und Behörden gegen Desinformation im Zusammenhang mit RUS Krieg gegen UKR“ befasst sind. Interessant an der Antwort der Bundesregierung ist, dass die größten aufgeschlüsselten Personalressourcen „im Kampf gegen russische Desinformation“ nach dem Auswärtigen Amt vom Entwicklungshilfeministerium BMZ gestellt werden. Das ist um so bemerkenswerter vor dem Hintergrund, dass in dem von den NachDenkSeiten geleakten internen Regierungsdokument das BMZ als eines der ganz wenigen Ministerien überhaupt keine Erwähnung findet. Die jetzt erfolgte Erwähnung des BMZ in diesem Kontext führt zur Frage, ob hier ernsthaft der Kampf gegen vorgebliche russische „Desinformation“ als entwicklungspolitische Maßnahme für „Entwicklungsländer“ verkauft wird.
Ein weiteres argumentatives Highlight liefert die Bundesregierung bei den Antworten zu den Fragen 10 und 11. Dort wird gefragt, für welche „Faktenchecker“ die Bundesregierung auf ihren Webseiten und Social-Media-Kanälen Werbung macht und auf Grundlage welcher Kriterien die Auswahl erfolgt sowie welche Rolle private – und wie im Fall von Correctiv maßgeblich vom US-Milliardär und eBay-Gründer Pierre Omidyar finanzierte – „Faktenchecker“ bei den Aktivitäten der Bundesregierung gegen Desinformation im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg spielen.
Zunächst erklärt die Bundesregierung, sie habe „insbesondere auf Factchecking von EUvs.Desinfo (euvsdisinfo.eu), Deutsche Welle, Deutschland.de, Goethe Institut und Correctiv.org verwiesen (…)“, um dann zu betonen:
„(Diese) Faktenchecker sind von der Bundesregierung unabhängige Einrichtungen.“
Schon wieder wird die Bundesregierung ein Anwendungsfall für ihre eigene Definition von „Desinformation“. Denn weder ist die EUvs.Desinfo, noch das Goethe-Institut, noch die Deutsche Welle, ganz zu schweigen von Deutschland.de unabhängig von der Bundesregierung. Doch der Reihe nach:
- „EUvs.Desinfo“ gilt als „Vorzeigeprojekt“ der East StratCom Task Force (Strategisches Kommunikationsteam Ost) des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) der EU. Dieser wird mehrheitlich von Deutschland finanziert und für die EEAS sind zahlreiche deutsche Diplomaten tätig. Der Chef des Auswärtigen Dienstes der EU, der Spanier Josep Borrell, erklärte zur Aufgabe von „EUvs.Desinfo“:
“Der Kampf um manipulierte Informationen ist eine der Schlachten unserer Zeit, und wir müssen die Schlacht gewinnen”.
So viel zur von der Bundesregierung behaupteten Unabhängigkeit von EUvs.Desinfo.
- Die Deutsche Welle wird vollumfänglich aus dem Bundeshaushalt finanziert und die Aufgabenplanung muss der Bundesregierung vorgelegt werden. Auch im Verwaltungsrat der DW sitzen Vertreter der Bundesregierung. Der amtierende Intendant Peter Limbourg will seit Jahren den deutschen Auslandssender als expliziten „Anti-Putin-Sender“ „in Stellung bringen“:
So viel zur von der Bundesregierung behaupteten Unabhängigkeit der Deutschen Welle.
- Das Goethe-Institut wird ebenfalls aus dem Bundeshaushalt finanziert und hat die offizielle Aufgabe, ein aktuelles (und positives) Deutschlandbild zu vermitteln. Dazu unterhält es einen Rahmenvertrag mit dem Auswärtigen Amt, dieser ermöglicht es dem AA, unmittelbar Einfluss auf die laufende Arbeit der Goethe-Institute zu nehmen. So kann die Bundesregierung via dem Auswärtigen Amt Veranstaltungen des Goethe-Instituts im Ausland durch Veto verhindern. Ebenso kann das Auswärtige Amt bei „politisch schädigendem Verhalten“ von Mitarbeitern des Goethe-Instituts deren sofortige Suspendierung verlangen. Im Präsidium sitzen Vertreter des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums der Finanzen.
So viel zur von der Bundesregierung behaupteten Unabhängigkeit des Goethe-Instituts.
- Beim ebenfalls von der Bundesregierung als „unabhängig“ bezeichneten Portal Deutschland.de findet man im Impressum folgenden Hinweis:
Die Seite selbst wirkt wie ein reines PR-Portal für Außenministerin Annalena Baerbock. Jede ihrer Auslandsreisen ist dort dokumentiert mit großflächigem Foto und Titeln wie „Außenministerin steht Finnland und Schweden bei Besuch zur Seite“. So viel zur von der Bundesregierung behaupteten Unabhängigkeit dieses Portals.
Sevim Dagdelen, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss und Initiatorin der Anfrage an die Bundesregierung, erklärte dazu im Gespräch mit den NachDenkSeiten:
„Die Bundesregierung betreibt im Schatten des Ukraine-Kriegs unter dem Vorwand der ‚Desinformationsbekämpfung‘ und ‚Strategischen Kommunikation‘ den Auf- und Ausbau eigener ministerialer Propagandakapazitäten. Besonders problematisch ist dabei, wie durch die Inszenierung staatlicher oder staatlich finanzierter Webseiten und Einrichtungen als vermeintlich objektive journalistische Produkte oder die Verbreitung der maßgeblich von US-Milliardären finanzierten Plattform Correctiv der Versuch einer staatlichen Wahrheitsproduktion betrieben wird.
Zudem warf sie der Bundesregierung in diesem Zusammenhang eine „Täuschung der Öffentlichkeit“ sowie Meinungsmache für einen konfrontativen Kurs im Ukraine-Krieg gegen die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung vor:
„Indem die Bundesregierung behauptet, Russland sei der einzige Staat, der im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg Desinformation verbreite, betreibt sie eine Täuschung der Öffentlichkeit. Dazu passt der unkritische Umgang der Ampel-Koalition mit der Diffamierung von Befürwortern eines Verhandlungsfriedens, auch aus den eigenen Reihen, durch das ukrainische Propagandazentrum ‚gegen Desinformation‘ oder mit dem Versuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, bei dem Raketen-Zwischenfall in Polen vergangenen November wider besseren Wissens den NATO-Bündnisfall und damit potenziell den Dritten Weltkrieg herbeizureden. Anstatt unter dem Deckmantel angeblicher Objektivität Meinungsmache für ihren konfrontativen Kurs im Ukraine-Krieg zu betreiben, sollte die Ampel-Regierung den Wunsch der Bevölkerungsmehrheit nach Frieden durch Diplomatie ernst nehmen.“
Titelbild: shutterstock / PHOTOCREO Michal Bednarek