Bauer Willi hat ein Buch geschrieben. Einmal mehr beschäftigt sich der studierte Landwirt Dr. Willi Kremer-Schillings darin mit dem gestörten Verhältnis von Verbraucherinnen und Bäuerinnen, von Essern und Essensmachern. Auf dem Cover des Buches ein grünes Kreuz, das Symbol, das auf seine Initiative hin Landwirte auf ihre Äcker stellen, um zu zeigen, dass sie zu einem aussterbenden Berufsstand gehören. Von Florian Schwinn.
Schon im Vorwort spricht er uns Andere, die wir nicht zu seinem Berufsstand gehören, direkt an: „Sie wollen keine Massentierhaltung, keine Gentechnik, keine Monokulturen, keine ‚Pestizide‘ (die wir Pflanzenschutzmittel nennen), und auch sonst stellen Sie viele Ansprüche. Als Verbraucher kaufen Sie (trotz allen anderen Geredes immer noch) wenig regional, wenig saisonal, wenig Bio. Sie kaufen vor allen Dingen billig.“
Bauern können alles
Der Einbruch des Biomarktes vor allem in den kleineren Läden, den Hofläden, bei den Direktvermarktern, gibt Bauer Willi recht. Seit steigende Inflation und Energiepreise uns Angst vor der Zukunft machen, laufen viele, die zuvor regional in Hofläden und kleinen Bioläden gekauft haben, wieder zu den Discountern. Was nichts daran geändert hat, dass weiter heftig über die Landwirtschaft gestritten wird und dass Tausende zur traditionellen Wir-haben-es-satt-Demo während der Grünen Woche nach Berlin kommen.
Bauer Willi sagt zwar schon im ersten Absatz des Buches, was sein Problem mit uns Verbraucherinnen und Verbrauchern ist: „Sie reden anders, als Sie handeln.“ Dann aber argumentiert er 270 Seiten lang, um uns einerseits zu erklären, wieso Landwirtschaft heute so ist, wie sie ist – und andererseits anzubieten, dass sie auch ganz anders sein könnte, nämlich genau so, wie „wir“ immer sagen, dass sie sein sollte.
„Die Überschrift über allem lautet: Wir Bauern können alles. Wir können Naturschutz, wir können Artenschutz, wir können Klimaschutz, wir können Tierwohl.“ Das allerdings müsste dann bitte auch bezahlt werden. „Lieber BUND, sorge dafür, dass wir Bauern Naturschutz zum Betriebszweig machen können. Gerne. Wir sind dabei. (…) Lieber NABU, sorge dafür, dass wir den Artenschutz bezahlt bekommen. Nein, keine Entschädigung, sondern eine faire Entlohnung. Öffentliches Geld für öffentliche Leistung. Wir sind dabei.“
Das Gleiche gilt für den Klimaschutz, das Binden von Kohlenstoff im Humus, das Wiedervernässen von Mooren, das Tierwohl. Geht alles, kostet aber.
Guter Vorschlag
Manches Geld, das in eine andere Landwirtschaft investiert werden müsste, wäre übrigens auch schon da und würde die Lebensmittel nicht einmal teurer machen. In dem Kapitel über die Bauern und die Politik gibt Bauer Willi ein Gespräch wieder, das er in Berlin mit Robert Habeck geführt hat, als der 2019 noch in der Opposition war. Bei dieser Gelegenheit schlägt Willi Kremer-Schillings vor, dass die Bauern, die in ihren Böden Humus aufbauen und damit Kohlenstoff aus der Luft in Äckern und Grünland binden, dafür eine CO2-Gutschrift erhalten, also Geld aus der steigenden CO2-Abgabe.
Robert Habeck sagt dazu: „Das ist ein guter und richtiger Vorschlag.“ Was ist daraus geworden? Das Projekt „Humus plus“, über das schon zwei Legislaturperioden zuvor geredet und verhandelt wurde, ist von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auf die Schiene gesetzt worden. Mit einer Fördersumme von fast 23 Millionen Euro soll jetzt in 150 Beispielbetrieben sechs Jahre lang erforscht werden, wie Humusaufbau am besten funktioniert und welcher Mehraufwand und welche Mehrkosten den Betrieben entstehen, wenn sie den vorantreiben.
Willi Kremer-Schillings hat auf seinem kleinen Nebenerwerbsbetrieb ganz ohne Förderung den Humusgehalt im Boden um dreißig Prozent gesteigert. Auch deshalb, weil er seit über fünfzehn Jahren ohne Pflug und mit Mulchsaat arbeitet.
„Bei jeder tieferen Bodenbearbeitung geht Humus verloren“, sagt er im Gespräch. Das will er vermeiden. Weshalb der konventionelle Ackerbauer Willi Kremer-Schillings dann auch ab und zu Glyphosat einsetzt. Dann nämlich, wenn in der Fruchtfolge Zuckerrüben auf Raps folgen. „Der Raps zieht die Nematoden an, die später die Zuckerrüben befallen. Deshalb müssen die Rapspflanzen, die nach der Ernte aus den liegengebliebenen Körnern keimen, in einem frühen Stadium weg. Sonst muss ich später die Rüben gegen die Nematoden spritzen. Das ist schlimmer.“
Die andere Möglichkeit wäre eine mehrfache tiefe Bodenbearbeitung, bei der aber Humus verloren geht. Bauer Willi plädiert also dafür, das Totalherbizid Glyphosat nicht zu verbieten, wie das zum Beispiel sein Gesprächspartner Robert Habeck will.
Gesellschaftsvertrag
Bauer Willi beklagt das Artensterben und den Klimawandel. Das allerdings in seiner zugespitzten, gerne auch mal polemisierenden Art: Es geht um das Sterben der bäuerlichen Betriebe und um den gesellschaftlichen Klimawandel.
Er spart dabei übrigens nicht mit Kritik an den Turbobauern unter seinen Berufskollegen, die immer größer wurden und immer schneller und billiger produzierten, ohne sich um die Folgen zu kümmern. Auch die Bauernverbände werden nicht ausgespart. „Wenn es um Öffentlichkeitsarbeit geht, beschäftigen sich unsere Vertreter gerne mit sich selbst. Die diversen Wochenblätter sind voll mit Bildern, in denen der jeweilige Präsident dem ein oder anderen Politiker die Hand schüttelt.“ Gut beobachtet. Ich frage mich auch immer, weshalb den Bauernvertretern das eigentlich gar nicht peinlich zu sein scheint. Die Sache der Bauern jedenfalls bringt das nicht weiter, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
In einem Artikel für die Zeitschrift politische ökologie, zu dem er von Martin Hofstetter von Greenpeace eingeladen wurde, schreibt Bauer Willi über einen neuen Gesellschaftsvertrag, den es in Sachen Landwirtschaft und Ernährung geben müsste.
Allerdings: „Wenn es einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Bauern, Bürgern und Verbrauchern geben soll, müsste es auch einen alten geben. Tut es aber nicht. Im Gegenteil: Wir haben uns auseinandergelebt. Noch nie in der Geschichte waren die Lebensmittelkonsumenten weiter von den -produzenten entfernt als heute. Der Verbraucher weiß schon lange nicht mehr, wie das Essen entsteht, das täglich auf seinem Teller landet, wie es angebaut, gezüchtet, geerntet, geschlachtet, verarbeitet oder kurz: hergestellt wird.“
Und die Bauern wissen im Grunde auch schon lange nicht mehr, was diejenigen wollen, die das essen, was sie produzieren. „Es klafft eine riesige Lücke zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und mir, dem Bauern. Und auf beiden Seiten mehren sich Unmut und Unzufriedenheit, Ärger und Schuldzuweisungen.“
Bauer Willi beschreibt, wie er und seine Berufskollegen in ein System von immer mehr und immer billiger gedrückt, die Preise nicht an den Produktionsbedingungen, sondern angeblich am Weltmarkt ausgerichtet wurden. Und wie dabei der Handel den Reibach machte und macht.
Dann aber gibt es ihn doch, den neuen Gesellschaftsvertrag. Auf einem Agrargipfel im Kanzleramt, an dem er als „Initiator Grüne Kreuze“ teilnahm, wurde die Einrichtung der ZKL beschlossen. In der Zukunftskommission Landwirtschaft sollten alle gesellschaftlich relevanten Gruppen ein Konzept für eine Agrarwende ausarbeiten. Und das gelang, wie hier im Blog auch mehrfach berichtet. Nach achtzehn Monaten beschloss die ZKL einstimmig, was auch Bauer Willi durchaus einen Gesellschaftsvertrag nennt.
Nun aber folgen die Mühen der Ebene: „Die Transformation hin zu den im Papier genannten Zielen muss finanziert werden, weil es ein nationaler Sonderweg mit erhöhten Kosten bei gleichzeitig offenen Grenzen in der EU ist. Für den Erfolg ist ein zweistelliger Milliardenbetrag notwendig. Jedes Jahr. Ohne dieses Geld keine Transformation.“
Am Ende bezahlen das wir alle, denn auch wenn es Geld vom Staat gibt, ist es am Ende unseres, stellt Bauer Willi im Buch fest. Und da niemand das bezahlen will, weder durch teurere Lebensmittel noch aus dem Bundeshaushalt, beerdigt er die ZKL.
Im Gespräch sagt Willi Kremer-Schillings dann aber doch, dass der Abschlussbericht der ZKL eigentlich der Gesellschaftsvertrag wäre, mit dem wir die viel beschworene „Transformation“ der Landwirtschaft schaffen könnten. „Nur, wo kommen die zehn Milliarden jährlich her, so lange, bis das geschafft ist? Cem Özdemir hat eine Milliarde für vier Jahre.“ Das ist der Finger in der richtigen Wunde: Ein Armutszeugnis in Zeiten diverser Sondervermögen und Doppel-Wumms. Man kann auch konstatieren: Eine Transformation der Landwirtschaft ist nicht gewollt.
Miteinander
Am Ende fasst Bauer Willi seinen Vorschlag zusammen, dass diejenigen, die sich eine andere Landwirtschaft wünschen, diese auch bezahlen sollten. „Liebe Verbraucherschützer, ihr seht, dass die Agrarwende möglich ist. Wir können alles so machen, wie ihr es wünscht. Es hat aber Konsequenzen, die ihr dem Verbraucher vermitteln müsst. Lebensmittel werden teurer, sehr viel teurer. Vielleicht muss er statt heute 12 %, dann 25 % oder sogar 50 % seines Einkommens dafür ausgeben. So wie früher …“
Das wäre das „Miteinander statt gegeneinander“, das aber so wohl nicht kommen wird. Stattdessen sieht Bauer Willi die Landwirtschaft in drei Richtungen auseinanderdriften.
Die eine ist die Fortsetzung des Wachstums wie bisher. In die Richtung, die die Wir-haben-es-satt-Demo seit Jahren angreift: immer größere industrialisierte Betriebe. Will sagen: Das Sterben der bäuerlichen Betriebe geht weiter.
Die zweite Richtung ist der Ausbau der Nische. Die Direktvermarkter, die gerade so sehr an den Folgen des russischen Kriegs gegen die Ukraine leiden, würden dann wieder Fuß fassen und ihre Kundschaft erweitern.
Und die dritte Entwicklung ist die einer Landwirtschaft ohne Landwirte. Der Weg zum Retortenfleisch und dem Fabrikgemüse, den viele Verbraucherinnen und Verbraucher schon eingeschlagen haben. Die meisten vielleicht auch ohne es zu bemerken. Je höher der Verarbeitungsgrad der Lebensmittel, desto mehr Fabrik steckt darin.
Allerdings will Willi Kremer-Schillings an diese Zukunft selbst offenbar nicht so gerne glauben, sonst hätte Bauer Willi nicht dieses Buch geschrieben. Das nämlich ist, neben aller wütenden Polemik durchaus auch gegen uns Verbraucherinnen und Verbraucher, dann doch ein Plädoyer fürs Miteinander. Miteinander reden, einander zuhören, durchaus auch einander besuchen.
Es geht darum, die Kluft zwischen den Esserinnen und Essern und den Essenmacherinnen und Essensmachern zu überwinden. Nur wenn wir wieder lernen, wie und unter welchen Bedingungen unsere Lebensmittel entstehen, können wir den Bäuerinnen und Bauern, und damit auch uns, beim Überleben helfen.
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