Ein russischer Oligarch und Putin-Freund greift nach einem deutschen Regionalflughafen, um aus der Walachei gegen deutsche Interessen zu schießen. Noch Zweifel? Die Geschichte um den geplatzten Verkauf des Hunsrück-Airports Frankfurt Hahn liefert reichlich Lacher und allerhand Gründe, über den Zustand von Politik und Medien zu verzweifeln. Wer daran glaubt, wähnt wahrscheinlich schon Moskaus Truppen unterm Bett. Wer nicht, sorgt sich eher vor einer Unterwanderung durch Washington. Von Ralf Wurzbacher.
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Los geht’s mit einem Kalauer: Nach dem Flughafen Frankfurt Hahn hat bis vor kurzem kein Hahn gekräht. Haha … Bloß einer dieser unrentablen Regionalflughäfen im Niemandsland, die von einem Investor zum nächsten gereicht werden und doch auf keinen grünen Zweig kommen. Nicht anders steht es um den Wald-und-Wiesen-Airport in Rheinland-Pfalz, der mit der 100 Kilometer östlich gelegenen Rhein-Main-Metropole gar nichts bis auf den Namen gemein hat. Auch über ihm kreist der Pleitegeier und ein Retter wird dringend gesucht. Wen interessiert’s? Nun ja: urplötzlich die halbe Nation und morgen vielleicht schon die ganze. Staunend befand am Dienstag ein CDU-Regionalpolitiker: „Wir sind im beschaulichen Hunsrück mitten in der Geopolitik gelandet.“
Überschlagen hatten sich die Ereignisse am vergangenen Freitag. Am Morgen verbreitete sich die Meldung, der Milliardär Wiktor Charitonin habe den seit Herbst 2021 insolventen Flughafen „übernommen“. Die Verträge seien unterschrieben und der Kaufpreis von rund 20 Millionen Euro auf einem notariell verwalteten Konto hinterlegt. Charitonin ist in der Region kein Unbekannter. Der vermögende Pharmaindustrielle ist Haupteigentümer der NR Holding, die den 60 Kilometer nördlich in der Eifel gelegenen Nürburgring betreibt. Die Rennstrecke mit angeschlossenem Freizeitpark war vor zehn Jahren selbst ein Bankrottprojekt, das den Steuerzahler 500 Millionen Euro kostete. Mit Charitonins Einstieg 2015 wurde der Betrieb saniert und soll heute schwarze Zahlen schreiben. Was eigentlich nach einer prächtigen Referenz klingt, hat nur einen Haken: Charitonin ist Russe.
Doppelt gemoppelt hält besser
Wie aus dem Nichts machten am sehr späten Freitagabend dann auch erste Berichte über einen zweiten Käufer des Hahns die Runde. Demnach habe Insolvenzverwalter Jan Markus Plathner schon in der ersten Januarwoche einen Deal mit der Firmengruppe Richter von Wolfram und Julia Richter (WR Holding) gemacht. Der Kontrakt sei ebenfalls unterzeichnet und ein Betrag in der Größenordnung von 20 Millionen Euro auf einem Treuhandkonto geparkt. Kommuniziert wird das Verfahren mit „doppelt gemoppelt hält besser“. Demnach habe man mit gleich zwei Bietern angebandelt für den Fall, „dass im ersten Vertrag gesetzte Bedingungen nicht eintreten“, teilte ein Sprecher Plathners mit. Tatsächlich hatten sowohl der russische Investor als auch die WR Holding bereits im vergangenen Jahr um den Flughafen mitgeboten, waren aber leer ausgegangen. Den Zuschlag erhielt im Sommer die Frankfurter Swift Conjoy GmbH, ein deutsch-englisches Joint Venture, das aber den vereinbarten Kaufpreis bis heute nicht gezahlt hat.
Die Richters stehen im Ruf, erfolgreiche Immobilienentwickler zu sein, allerdings erhielt der Ruf einen Kratzer durch ihr Engagement für den Rhein-Selz-Park im rheinhessischen Nierstein. Seit Jahren gibt es wegen des Projekts Zoff mit der örtlichen Politik. Vielleicht war das ja der Grund, warum Plathner dem Unternehmerpaar nicht gleich den Zuschlag geben wollte. Oder lag es nur daran, dass die NR Holding, wie man liest, eine etwas höhere Kaufsumme deponiert haben soll und deshalb zum zunächst bevorzugten Partner aufsteigen konnte?
Robert Habeck, rette uns!
Aber das alles ist Schnee von gestern, denn der Hahn ist inzwischen ein Politikum und in solchen Fällen ist es um die Wahrheit nicht gut bestellt. Und wo wir schon bei schlechten Witzen waren. In diese Kategorie gehört ohne Frage auch die Erzählung vom vermeintlichen „Verkaufspoker“ am Hahn. Beim Poker wird geblufft, der Einsatz hochgetrieben, aber auf keinen Fall steht der Verlierer von vornherein fest. Charitonin dagegen war spätestens in dem Moment ohne jede Chance, als die Bild-Zeitung entsetzt fragte: „Übernimmt Putin-Freund unseren Airport Hahn?“. „Unser Airport“ – Gott bewahre, beziehungsweise Robert Habeck (Grünen-Partei), der dem Spuk als Bundeswirtschaftsminister gefälligst ein Ende setzen muss. Und prompt hat dieser die Hilferufe erhört und funkte am Dienstag während seines USA-Besuchs über den Atlantik: „Wir screenen das gerade.“
Nach den Regularien des Außenwirtschaftsgesetzes muss die Bundesregierung Investitionen aus dem Nicht-EU-Ausland prüfen und bei Bedarf untersagen, sofern durch die fragliche Unternehmung „kritische Infrastruktur“ berührt ist. An der Heimatfront sind die Gemüter binnen Stunden hochgekocht. Das Land Hessen, das 17,5 Prozent der Anteile am Hahn hält, sieht die Lage „äußerst kritisch“, man bitte die Bundesregierung, „all ihre Möglichkeiten auszuloten, diesen Verkauf zu verhindern“, teilte ein Regierungssprecher mit. Von der Ampelregierung in Mainz – Rheinland-Pfalz zählt zu den Gläubigern der Hahn-Pleitiers – ist zu hören, einem möglichen staatlichen russischen Einfluss auf die Infrastruktur von besonderer Bedeutung stehe man „grundsätzlich kritisch gegenüber“.
Putin-Stützpunkt mitten in Deutschland
Gewehr bei Fuß stehen freilich wie immer die deutschen Medien. Frankfurt Hahn als ehemaliger Militärflughafen verfüge über ein „Allwetterlandesystem sowie eine Start- und Landebahn von fast vier Kilometern Länge“, weiß man bei Tagesschau.de. „Das macht auch Besuche der russischen Antonov An-124 möglich – ein Transportflugzeug für Güter, aber auch für Streitkräfte.“ So nah ist der russische Deutschlandfeldzug also schon und ganz spitzohrige Zeitgenossen hören vielleicht bereits die ersten MiG-Kampfflieger durch die Lüfte pfeifen. Das Portal t-online.de argwöhnte am Sonntag: „Wurde hier ein deutscher Flughafen während des Ukraine-Kriegs zum Spielball chinesischer und russischer Investoren – ohne, dass jemand hellhörig wurde?“ Da gehört viel Phantasie dazu. Der Hahn-Bankrotteur, der 2017 den damals privatisierten Flughafen übernahm, ist der chinesische Mischkonzern HNA. Hat der den Laden gegen die Wand gefahren, damit der „böse Russe“ das Zepter an sich reißen und Deutschland aus seinem Innersten unsicher machen kann? Nichts ist unmöglich. Wahrscheinlicher ist, dass hier eine Sau mehr durchs Dorf getrieben wird, um das Narrativ von einer Moskau-Peking-Verschwörung zu befeuern.
Dem entspricht auch das Framing der Person Wiktor Charitonin. Selbstredend ist er ein „Oligarch“, der nur als „ausgewiesener Freund von Wladimir Putin“ und durch seine „ausgezeichneten Kontakte zum Kreml“ zu lukrativen Staatsaufträgen und seinem Vermögen in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar gelangen konnte. Sein Unternehmen sei der größte Hersteller des Covid-Impfstoffes Sputnik V, der russischen Antwort auf Corona. Überall wird seine Passion für Oldtimer ausgewalzt, von denen er „mindestens 80 Stück“ sein Eigen nennen soll. Zugleich sei er jedoch öffentlichkeitsscheu und lebe zurückgezogen im „teuersten Appartmentkomplex der Welt“, dem One Hyde Park in London. Als echter Russlandkenner outete sich Hessens Finanzminister Michael Boddenberg (CDU): „Es ist ganz sicher so, dass jemand, der dort zum Milliardär wird, jemand ist, der von Putins Gnaden seine Geschäfte führt.“
Oligarchen im Kanzleramt?
Das mag stimmen, ist hierzulande aber nicht anders. Deutschlands Konzernbosse werden im Regierungsviertel hofiert, schreiben sich mithin ihre Gesetze selbst, kapern Ministerien mit ihren Beraterarmeen und lassen sich milliardenschwere Staatsaufträge zuschanzen. Auch BioNTech-Gründer Uğur Şahin ist nicht als Milliardär zur Welt gekommen, sondern verdankt seinen Reichtum zum Beispiel EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU), die seinen Covid-19-Impstoff unter dubiosen Umständen zum Verkaufsschlager machte. Wurde Şahin in den Medien jemals als Oligarch gehandelt? Oder die Lobbyistenspielwiese namens Berliner Republik als Korruption? Die Bösen sitzen immer anderswo, nie am eigenen Tisch, und in diesen Tagen sitzen sie fast alle auf Putins Schoß. Dabei führt die Europäische Union Charitonin bislang gar nicht auf ihren Sanktionslisten gegen Russland. Mutmaßlich deshalb, weil er sich als Nürburgring-Sanierer einen Namen als respektabler Geschäftsmann gemacht hat. Aber das ist jetzt vorbei und außerdem steht er ja auf der „Putin-Liste“ des US-Finanzministeriums. Und die in Washington wissen Bescheid.
Was viele nicht wissen: Frankfurt Hahn war nicht nur einmal ein NATO-Miltärflugplatz, er ist es irgendwie auch heute noch, allerdings nicht offiziell. Die „Bürgerinitiative gegen den Nachtflughafen Hahn“ dokumentiert auf ihrer Webseite seit Jahren akribisch die Vorgänge auf dem „zivilen Kriegsflughafen“. Dieser werde seit dem Jahr 2005 schwerpunktmäßig von den US-amerikanischen Militärlogistikern Air Transport International, Atlas Air, National Airlines, Omni Air und Western Global Network für Zwischenlandungen zum Auftanken genutzt, schreibt die BI und weiter: „Die Flugzeuge werden entweder als Truppentransporter oder zum Transport von Waffen und Munition sowie sonstigen militärischen Nachschubgütern eingesetzt.“ Allein für Januar 2023 schlüsseln die Aktivisten 77 entsprechende Flugbewegungen auf dem Hahn auf, 28 mit Frachtern, 49 mit Passagiermaschinen. In zwei Fällen sei die Fracht – „Waffen und Munition aus den USA für die Ukraine“ – nach Rzeszów im Südwesten Polens gegangen. Im Jahr 2022 sollen rund 150 solcher Lieferungen ins ukrainische Kriegsgebiet unter Nutzung des Hunsrück-Airports erfolgt sein. Laut der Regionalzeitung Die Rheinpfalz wurden die Angaben im Umfeld des Flughafens bestätigt.
Ministerium prüft – ganz unbefangen
Um was geht es also? Hier ein de facto US-NATO-Drehkreuz für einen US-Stellvertreterkrieg gegen Russland sowie etliche andere, mitunter illegale Kriegsabenteuer weltweit. Dort ein reicher Russe, der vielleicht einfach nur zur falschen Zeit ein Geschäft machen wollte, aber vielleicht ja auch als Putins Waffenbruder einen „Flugzeugträger“ ins demnächst deutsche Feindesland verlegt. Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade Springers Bild als Zentralorgan der Transatlantiker die zweite Variante in die Köpfe hämmert und auf der ganz großen Empörungswelle reitet. Bestimmt war der Hahn auch beim Habeck-Besuch in Washington ein Thema, während er zu den zerbombten Ostseepipelines lieber schweigt. Wer wohl bei der Causa Hahn das Sagen hat? Man stelle sich vor, das Pentagon sähe tatenlos zu, wie der Russe auf NATO-Gebiet in sein Kriegsräderwerk grätscht.
So weit kommt’s noch, beziehungsweise nicht. Eine Gläubigerversammlung am Dienstag im Insolvenzgericht Bad Kreuznach hat eine Veräußerung an die meistbietende NR Holding nicht genehmigt – vorerst nicht, wie es heißt. Jetzt ist das Habeck-Ministerium am Drücker, dem mittlerweile ein Prüfauftrag gemäß Außenwirtschaftsrecht vorliegt. Im Detail könne er noch nicht darüber reden, beschied der Grünen-Politiker. Aber: „Das dauert jetzt ein paar Wochen. Es gibt keine Tendenz.“ Alle mal lachen oder weinen oder krähen.
Titelbild: Simlinger/shutterstock.com