Der Gaskrieg der USA um Europas Südosten

Der Gaskrieg der USA um Europas Südosten

Der Gaskrieg der USA um Europas Südosten

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Letzte Woche begannen in Bulgarien die Bauarbeiten für eine Gasverbundleitung nach Serbien. Damit wird Serbien noch in diesem Jahr als einer der letzten europäischen Binnenstaaten an ein Verbundnetz angeschlossen, das in der Lage ist, das bisherige Versorgungsmonopol Russlands zu beenden. Nach dem Nordkorridor mit den Nord-Stream-Pipelines, dem Mittelkorridor mit den über polnisches und ukrainisches Gebiet verlaufenden Pipelines ist der Südkorridor das letzte umkämpfte Schlachtfeld im Gaskrieg der USA gegen Russland. Und wie es zurzeit aussieht, sind die USA drauf und dran, diesen Krieg zu gewinnen. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wenn neue Pipelines geplant werden, geht es stets um eine Diversifikation der Versorgung und um Versorgungssicherheit – das behaupten zumindest die involvierten Regierungen. Auch die Verbundleitung zwischen Bulgarien und Serbien wird von der EU, die das Projekt mehr als zur Hälfte bezahlt, unter diesem Gesichtspunkt gefördert. Heute geht es um die Unabhängigkeit von russischen Gasimporten, die durch die Sanktionen in den meisten EU-Ländern zum Stillstand gekommen sind. Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da genau diese Pipeline 2012 von den Regierungen Bulgariens und Serbiens eigentlich geplant wurde, um unabhängiger vom Transitland Ukraine zu werden, das während des russisch-ukrainischen Gasstreits 2009 Bulgarien wochenlang von der Versorgung abgeschnitten hatte. Eigentlich sollte also Bulgarien über Serbien mit russischem Gas versorgt werden – nun wird Serbien über Bulgarien mit … ja, womit soll Serbien eigentlich versorgt werden?

Quelle: Deutsche Welle

Zurzeit bezieht Serbien sein Gas nahezu ausschließlich über eine Pipeline namens Balkanstream – diese Pipeline, die von der Türkei über Bulgarien und Serbien bis nach Ungarn verläuft und erst 2021 in Betrieb ging, ist eine Verlängerung der ebenfalls erst 2020 eröffneten Turkstream-Pipeline, die russisches Erdgas durch das Schwarze Meer in den europäischen Teil der Türkei transportiert. Ursprünglich plante Russland diese Trasse bis nach Österreich auszubauen, um so auch Österreich und den süddeutschen Raum mit russischem Gas zu versorgen. Über einen zweiten Strang sollte zudem Süditalien über eine durch die Adria verlaufende Nebenleitung versorgt werden. Ähnlich wie bei den beiden Nord-Stream-Projekten wurde jedoch dieses unter dem Namen „South Stream“ geplante Projekt durch massiven Widerstand der EU und spätere Sanktionen der USA und der EU verhindert. Aus dem großen Projekt „South Stream“ wurde so das viel kleinere Projekt „Turkstream“, an dem neben der Türkei vor allem die beiden vergleichsweise russlandfreundlichen Staaten Bulgarien und Serbien partizipieren.

Der große Coup der EU war es jedoch nicht, die große russische Lösung zu verhindern, sondern sie durch eine Alternative zu ersetzen. Die eigentlich über South Stream geplante Versorgung findet nämlich heute über die TANAP (Transanatolische Pipeline) statt, die über ihre Verlängerung TAP (Transadriatische Pipeline) nun in der Tat bis Süditalien reicht. Was fehlte, war nur noch ein Anschluss an das Verbundnetz auf dem Balkan. Dieser letzte Stein im Puzzle wird nun mit der Verbundleitung von Bulgarien nach Serbien gesetzt. TANAP/TAP transportiert Erdgas, das Aserbaidschan im Kaspischen Meer fördert, über das Staatsgebiet der Türkei nach Europa.

Können Bulgarien und Serbien also nun – finanziert von der EU – von Aserbaidschan versorgt werden? Nein! Das TANAP-System ist nämlich überhaupt nicht in dieser Größe dimensioniert. Als 2003 die Planungen begannen und 2016 der erste Spatenstich erfolgte, konnten sich die Beteiligten wohl in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen, dass ausgerechnet Aserbaidschan den kompletten Südosten Europas mit Erdgas versorgen soll. Zwar könnte man die Pipeline langfristig ausbauen, doch die aserbaidschanische Erdgasförderung läuft bereits am Anschlag und ist nicht mehr ohne weiteres ausbaubar. Das heißt paradoxerweise jedoch nicht, dass Bulgarien und Serbien nicht mit Erdgas aus Aserbaidschan versorgt werden könnten. Doch der Reihe nach.

Ein Drittel der Erdgasförderung Aserbaidschans wird im eigenen Land verbraucht. Bereits im letzten Jahr exportierte Aserbaidschan dank der neuen Energiepartnerschaft mit der EU so viel Gas, das es selbst Gas für den Eigenverbrauch importieren musste. Und das kam – welch Überraschung – aus Russland. Dieses Spiel ließe sich fortführen. Die Balkanstaaten kaufen teures Gas aus Aserbaidschan, das selbst Gas zum Sonderpreis aus Russland einkauft. Ein lohnenswertes Geschäft. Die Transportkapazität der TANAP verhindert jedoch, dass man diese Dreiecksgeschäfte – die selbstverständlich nebenbei auch dem Gedanken der Sanktionen vollkommen zuwider sind – im relevanten Maße ausbauen könnte. Als großer „Retter“ der EU-Sanktionen könnte jedoch die Türkei einspringen. Sie gehörte 2022 nämlich mit einer Abnahme von 8,5 Mrd. Kubikmetern zu den größten Kunden Aserbaidschans. Da die Türkei der neue „Erdgas-Hub“ für Europas Südosten ist und mit der Turkstream ja einen nun beinahe exklusiven Zugang zu einer russischen Pipeline, die auf 31,5 Mrd. Kubikmeter pro Jahr ausgelegt ist, hat, könnte man seinen Eigenbedarf aus politischen oder wohl eher ökonomischen Gründen durchaus diversifizieren. Die Türkei kann mehr preiswertes russisches Gas kaufen und das teure Gas aus Aserbaidschan den Balkanstaaten und Italien überlassen. Europa zahlt die Rechnung, Russland kann zumindest etwas Gas in den Westen bzw. Süden verkaufen und die Türkei profitiert durch niedrige Energiepreise. Ein Deal, bei dem alle außer Europa gewinnen – also ein sehr wahrscheinlicher Deal.

Doch selbst das ändert nichts an der Tatsache, dass selbst eine TANAP, die exklusiv Europa beliefert, den gesamten Gasbedarf Südosteuropas gar nicht decken kann. Hier kommen nun die eigentlichen Gewinner ins Spiel – die USA. Das Verbundsystem aus TANAP/TAP ist nämlich über genau diese „Interkonnektoren“ genannten Verbundleitungen, wie sie jetzt zwischen Bulgarien und Serbien gebaut werden, auch an die LNG-Häfen der Türkei und Griechenlands angeschlossen. Die neuen Volumina, mit denen der Balkan versorgt werden soll, stammen also weniger aus Aserbaidschan, sondern vor allem aus den Lieferländern für LNG, und hier sind die USA vor allem langfristig der Lieferant Nummer Eins.

Wenn das Leitungsnetz erst einmal vollendet ist, haben die USA den Gaskrieg um Europa gewonnen. Selbst Bulgarien, Serbien und Ungarn, die bis heute mangels verfügbarer alternativer Leitungskapazitäten russisches Erdgas beziehen, können dann von den USA und anderen LNG-Exporteuren wie Katar versorgt werden. Russland verliert seinen letzten europäischen Markt – zumindest wenn man die Türkei nicht als europäischen Staat bezeichnen will.

Diese Entwicklung ist nicht überraschend und wurde seitens der EU und den USA bereits vor der Eskalation des Ukraine-Kriegs und den jüngeren Sanktionsrunden geplant. Die nötigen Liefermengen stehen spätestens bis 2030 zur Verfügung. In einer Analyse aus dem Jahr 2018 kommentierte ich diese Pläne noch sehr verhalten, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass Europa „freiwillig“ die deutlich höheren Preise für LNG aus den USA zu zahlen bereit ist. Das hat sich durch den Ukraine-Krieg nun geändert. Und nun sage bitte keiner, den USA ginge es im Ukraine-Krieg um so etwas wie Freiheit, Demokratie oder Selbstbestimmung. Einen ganzen Kontinent von sich abhängig zu machen und dafür auch noch Billionen zu kassieren – das ist wohl der Hauptpreis und die USA sind drauf und dran, ihr Ziel zu erreichen.

Titelbild: Kodda/shutterstock.com

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