Noch Anfang Januar hatten Bundeswirtschaftsminister Habeck und sein Staatssekretär Kellner stolz vermeldet, die Versorgung der ostdeutschen Großraffinerie PCK Schwedt sei Dank eines Abkommens mit Polen und geplanter Lieferungen aus Kasachstan sicher. Doch das war – wie es sich jetzt herauskristallisiert – eine Lüge. Kasachische Lieferungen sind offenbar weder konkret geplant noch überhaupt technisch möglich; und Polen hält laut eines Berichts des Business Insider Tanker im Hafen von Stettin davon ab, Öl zu entladen, das für Schwedt bestimmt ist. So läuft die Raffinerie nur mit 50 Prozent Auslastung – um Ostdeutschland reibungslos zu versorgen, wären mindestens 75 Prozent nötig. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, trat an diesem Wochenende die vorerst letzte Sanktionsstufe der EU in Kraft, die den Import russischer Kraftstoffe verbietet. All dies in Kombination könnte zu einer deutlichen Verteuerung von Benzin, Diesel und Erdölprodukten im Osten Deutschlands führen. Das Versagen der Wirtschaftspolitik ist mit den Händen greifbar – doch Kritik ist eine Randerscheinung. Von Jens Berger.
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Seit seiner Eröffnung im Jahre 1963 erfüllte das damalige Petrolchemische Kombinat Schwedt die entscheidende Rolle bei der Versorgung Ostdeutschlands. Über Schwedt wurden bis zum letzten Jahr 22 Millionen Tonnen westsibirischen Erdöls importiert, von denen mehr als die Hälfte direkt in der Raffinerie verarbeitet wurden und der Rest über ein Verbundsystem an die Raffinerie in Leuna weitertransportiert wird. Das Öl stammte bis zum Jahreswechsel zu etwa gleichen Teilen aus dem russischen Druschba-Pipelinesystem und einer Verbundleitung zum Hafen in Rostock. In Schwedt werden Benzin, Kerosin, Diesel und andere Produkte hergestellt – 95% des in Ostdeutschland verbrauchten Kraftstoffs wird hier produziert. Ohne Schwedt gäbe es an den ostdeutschen Tankstellen keinen Sprit und nicht nur die 2.000 Mitarbeiter des PCK, sondern auch abertausende Arbeitsstellen in der petrochemischen und chemischen Industrie im Mitteldeutschen Chemiedreieck Halle-Merseburg-Bitterfeld hängen an der Raffinerie. Ohne Schwedt stünde sogar der Hauptstadtflughafen BER einmal mehr still, da er sein Kerosin ebenfalls von dort bezieht.
Nach der Verhängung der Sanktionen gegen Russland war klar, dass die Raffinerie in Schwedt die strategisch und ökonomisch wohl neuralgischste Problemstelle werden sollte. Um die oben genannten Funktionen zu erfüllen, benötigt das PCK eine Auslastung von mindestens 75 Prozent. Die alleinige Versorgung über den Hafen in Rostock erlaubt jedoch nur eine maximale Auslastung von 50 Prozent. Ohne zusätzliche Lieferungen kommt es zu einem Versorgungsproblem. Wo können diese zusätzlichen Lieferungen herkommen?
Da kommt zum einen die Druschba-Pipeline in Frage, doch die transportiert naturgemäß russisches Öl, das unter die Sanktionen fällt und daher nicht eingeführt werden kann, will man nicht die eigenen Sanktionen verletzen. In Branchenkreisen sorgte es daher für Erstaunen, dass das Bundeswirtschaftsministerium Anfang Dezember den Import kasachischen Öls über die Druschba-Pipeline als Alternative ins Spiel brachte. Diese Variante wird seitdem immer wieder von Medien und Politik genannt – konkrete Aussagen gibt es jedoch nicht. Und das ist nicht wirklich verwunderlich. Ende Dezember vermeldete der Wirtschaftsdienst Bloomberg nämlich, dass der Betreiber der Druschba-Pipeline, das russische Unternehmen Transneft PJSC, bis dato überhaupt keine Anfrage seitens der Kasachen bekommen hat, ihr eigenes Öl nach Deutschland zu transportieren. Und auch das ist nicht weiter erstaunlich, da es laut Branchenkreisen technisch überhaupt nicht möglich ist, kasachisches Öl ohne eine Beimischung russischen Öls über die Pipeline zu transportieren. Die beiden Ölsorten unterscheiden sich nämlich in ihrer chemischen Zusammensetzung. Üblicherweise wird kasachisches Öl als Blend mit russischem Öl unter der Bezeichnung „Ural“ exportiert. Diese Vermischung ist durch das Sanktionsregime jedoch nicht erlaubt und der Transport reinen kasachischen Öls würde die Pipelines beschädigen und ohnehin keinen Sinn ergeben, da die Raffinerie in Schwedt mit solchen nicht standardisierten Qualitäten erst einmal überhaupt nichts anfangen könnte. In den deutschen Medien wurde die kasachische Variante nie ernsthaft hinterfragt. Warum auch?
Genauso blauäugig wurde die zweite Alternative nie ernsthaft infrage gestellt. Technisch wäre es nämlich auch möglich, über den Hafen in Danzig den polnischen Teil der Druschba-Pipeline mit Öl aus anderen Staaten zu füllen und nach Schwedt zu transportieren. Dies hatten Deutschland und Polen auch im Dezember in einer gemeinsamen Absichtserklärung vereinbart. Nun ja, Absichten mag man ja haben, verbindliche Zusagen sind dies jedoch nicht. So kam es, wie es kommen musste. Polen hält sich schlichtweg nicht an die gemeinsam verkündete Absichtserklärung und erlaubt es Tankern nicht, ihr Öl für das PCK Schwedt in Danzig zu entladen.
Nun könnte man nach den „Warum?“ fragen. Will Polen seinen EU- und NATO-Partner vorsätzlich sabotieren? Nein, so einfach ist es dann doch nicht. Doch die Motive Polens sind auch so keinen Deut besser. Es geht um einen ganz banalen Wirtschaftskrieg. Das PCK Schwedt gehört zu 54 Prozent dem russischen Staatskonzern Rosneft. Weitere 37 Prozent hält der britische Ölkonzern Shell und 8 Prozent gehören der italienischen Eni. Der russische Anteil wurde bereits im September letzten Jahres unter Zwangsverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt – eine formelle Enteignung, die juristisch nicht unproblematisch wäre, gab es jedoch nicht. Nun pfeifen es jedoch seit längerem die Spatzen von den Dächern, dass der polnische Staatskonzern Orlen ein Auge auf das PCK Schwedt geworfen hat und es gerne übernehmen würde – Shell scheint offenbar Interesse an einem Verkauf seiner Anteile zu haben, aber ohne den Rosneft-Anteil wäre Orlen nur Juniorpartner.
Also macht Polen Deutschland ein Angebot, das es wahrscheinlich nicht ablehnen können wird. Man verhindert – mehr oder weniger legal unter Berufung auf die Sanktionen – Öllieferungen über Danzig an ein Unternehmen, dessen Mehrheitsaktionär ein russischer Staatskonzern ist, der unter das Sanktionsregime fällt. Damit zwingt man Deutschland, Rosneft zu enteignen, und bei einem Ausschreibungsverfahren für die ehemaligen Rosneft-Anteile käme der polnische Staatskonzern Orlen zum Zug. Das ist nicht einmal unrealistisch, denn welcher internationale Konzern würde eine Raffinerie übernehmen wollen, die politisch von der polnischen Regierung abhängig ist, die jedem neuen Besitzer, der nicht Orlen heißt, feindlich gesonnen wäre?
Man weiß nicht, worüber man sich mehr aufregen sollte. Über die offensichtliche Inkompetenz des Bundeswirtschaftsministeriums? Über die Dreistigkeit, mit der Polen wirtschaftliche Interessen gegen Deutschland im Kielwasser der Sanktionen durchsetzt? Oder über die Medien, die zu all dem schweigen?
Wie dem auch sei. Die eigentlichen Leidtragenden bei dieser Erpressung sind die Ostdeutschen und die in Ostdeutschland ansässigen Unternehmen, die auf die Produkte aus Schwedt angewiesen sind. Zurzeit wird in Kesselwagen so viel Treibstoff wie möglich in den Osten geliefert, um die Produktionseinbußen in Schwedt so gut wie möglich zu kompensieren. Doch der Güterverkehr auf Schienen ist in Deutschland bereits am Limit. Über kurz oder lang werden die Engpässe sich daher vor allem in deutlichen Preissteigerungen für Ölprodukte im Osten Deutschlands bemerkbar machen.
Den Ostdeutschen wird noch mehr Kaufkraft entzogen, die Industrie verliert noch mehr an Wettbewerbsfähigkeit. Auch in Berlin wird der Spritpreis an den Tankstellen steigen; doch das interessiert die Wähler von Robert Habeck sicher nicht, da ihre Welt sich ohnehin mehr um autofreie Innenstädte und Lastenräder dreht.
Die seit gestern geltenden Sanktionen gegen die Einfuhr von Treibstoffen aus Russland werden dies verstärken. Noch im letzten Jahr deckte Deutschland – trotz der Sanktionen – 12,5 Prozent seines Diesel-Verbrauchs aus russischen Importen. Die fallen nun weg und werden durch Importe aus den USA und dem arabischen Raum ersetzt. Letztere sind übrigens zu einem großen Teil aus zuvor legal importiertem russischen Rohöl raffiniert. Die Erdölsupermacht Saudi-Arabien gehört beispielsweise seit letztem Jahr zu den größten Importeuren(!) russischen Erdöls. Das russische Öl wird dort raffiniert und dann als saudischer Diesel völlig legal nach Europa exportiert. Das ist auch bekannt. Der Ökonom Jens Südekum kommentiert dies lakonisch mit den Worten, dies verstoße zwar gegen Sinn des Embargos, aber wenn man das unterbinden würde, „wäre die Frage der Diesel-Preise in Europa auch sicher kritischer“. Nun denn.
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Titelbild: shutterstock / Sergey Kohl