Es gibt wohl wenige Deutsche, die einen so intensiven Kontakt mit den Menschen im Donbass haben, wie Liane Kilinc, die seit 2015 mit ihrem Verein „Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe“ in Not geratenen Menschen in dem Kriegsgebiet Donbass hilft. Liane Kilinc war dabei, als am Dienstag am östlichen Stadtrand von Moskau der 52. Zwanzig-Tonnen-LKW mit humanitärer Hilfe für hilfsbedürftige Menschen in Donezk beladen wurde. In den letzten fünf Jahren finanzierte der Verein „Friedensbrücke“ mit Sitz in Wandlitz 17 Transporte der russischen Hilfsorganisation „Moskau-Donbass“ nach Donezk. Ulrich Heyden sprach in Moskau mit den Organisatoren und Helfern des Hilfsgütertransportes.
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Am östlichen Stadtrand von Moskau im vierten Stock eines langgestreckten, modernen Lagerhauses befindet sich das Lager, in dem private Spenden von Russen für Hilfsbedürftige im Donbass gesammelt werden. Liane Kilinc, von Beruf Finanzkauffrau, 19 Jahre in der Pflege tätig und neun Jahre lang DDR-Meisterin im Nationalkader des Jugend-Bahnradsports, führte mich durch das Lager, in dem sich Kisten und dicke Bündel mit Kleidung stapelten.
Die Hilfs-Organisatorin erzählte, „hier kommt alles an, was den alltäglichen Bedarf betrifft. Zurzeit sind am nötigsten Trinkwasser, Hygiene-Artikel, Kleidung, Baby-Nahrung und Mehl für Brot. Und wir haben hier auch Kinderbücher. Wir können sagen, dass wir im Monat einen Transport von Moskau aus losschicken. Das sind immer zwanzig Tonnen Hilfsgüter.“
Korridor für den LKW mit humanitärer Hilfe
Ob es für den LKW-Fahrer gefährlich sei, in das Kriegsgebiet Donezk zu fahren, fragte ich. Kilinc: „Es gibt einen humanitären Korridor. Der wird für zwei Tage festgelegt. An den müssen wir uns halten.“ Liane erzählte auch, dass sie schon mal solch einen Transport begleitet hat und dass sie plane, den nächsten Transport im Februar zu begleiten. „Ich werde mich dann auch an der Verteilung beteiligen. Wir hatten einen Spendenaufruf. Dieser sowie der nächste und übernächste Transport sind schon finanziert. Ein Transport mit 20 Tonnen von Moskau nach Donezk kostet 3.000 Euro.“
In den letzten Wochen sei die Lage in der Volksrepublik Donezk sehr angespannt gewesen. „Ich habe täglich von dort die Meldung bekommen, wir können gerade keine Hilfe ausliefern, der Beschuss ist zu stark, es ist zu gefährlich.“
Viele Menschen seien in den letzten acht Monaten wegen der ukrainischen Angriffe aus dem Donbass nach Russland evakuiert worden oder freiwillig in die Russische Föderation gegangen, erzählt die Aktivistin. In die Lager, in denen diese Menschen wohnen – zum Beispiel in den Gebieten Kaluga und Anapa – bekomme man nur schwer Zutritt. „Das ist ein abgetrennter Bereich. Direkt können wir die Menschen in den Flüchtlingslagern nicht unterstützen. Aber wir haben Weihnachtsfeste und Veranstaltungen für diese Menschen finanziert.“
„Die falsche Hilfe, die falschen Leute, der falsche Ort“
Die meisten Medien in Deutschland berichteten nicht korrekt über die Hilfe von „Friedensbrücke-Kriegsopferhilfe“, sagte Kilinc. „Es ist die falsche Hilfe, es sind die falschen Leute und es ist der falsche Ort.“
Schon vor dem Februar 2022 sei es nicht leicht gewesen. „Aber ab Februar 2022 hat es sich verschärft. Wir werden in die strafrechtliche Ecke geschoben. Aber wir lassen uns von unserer humanitären Hilfe nicht abbringen.“
Die Reaktion der Menschen aus dem Donbass auf die Hilfe sei enorm. „Allein im letzten Monat haben wir über hundert Briefe bekommen. Kinder malen Bilder für uns. Es gibt immer Rückmeldungen.“
Ob es überhaupt möglich ist, alle Hilfsbedürftigen im Donbass zu versorgen, frage ich. Kilinc: „Wir sind nicht die Einzigen, die humanitäre Hilfe leisten. Russland selbst leistet Hilfe. Und es gibt noch andere Organisationen, die das machen. Wir haben in Donezk ein zentrales Lager. Von dort wird es dann nach Bedarf und in Absprache mit den Verwaltungen verteilt. Es gibt Listen darüber, wer bedürftig ist.“
„Alle Arbeit wird freiwillig geleistet“
Direkt vor dem LKW, der gerade beladen wurde, kam ich mit Elena Romanenko, der Leiterin der russischen Hilfsorganisation „Moskau-Donbass“, ins Gespräch. Sie erzählte, dass ihre Organisation seit 2015 insgesamt 52 Zwanzig-Tonnen-LKWs mit humanitärer Hilfe in den Donbass geschickt hat. „Alle Pakete sind nummeriert. Auf jedem Paket steht der Inhalt, Schuhe, Konserven oder anderes. Die Pakete werden von Freiwilligen gepackt. Niemand bekommt Geld dafür. Die humanitäre Hilfe kommt aus verschiedenen Städten Russlands, Rjasan, Tula, aus dem Moskauer Gebiet, St. Petersburg und Jekaterinburg.“
Was sind die wichtigsten Hilfsgüter, will ich von Elena wissen. „Kleidung, Schuhe und Medikamente. In vielen Dörfern und Städten gibt es keine Heizung. In Donezk gibt es schon seit einem halben Jahr kein Wasser und keinen Strom mehr. Wir helfen auch Schwerbehinderten mit Rollstühlen, Pampers und verschiedenen Hygiene-Artikeln.“
Die prekäre Situation mit dem Wasser in der Großstadt Donezk kann ich bestätigen. Als ich letztes Jahr im August und September in der Stadt war, gab es in meinem Hotel immer nur für ein paar Stunden Wasser. Trinkwasser kaufte ich mir im Supermarkt.
„Soldaten helfen hier nicht“
Elena Romanenko legte Wert auf die Feststellung, dass unter den zwanzig Männern, welche die Pakete in den LKW luden, kein einziger Soldat sei. Es seien Angestellte, Bauarbeiter, Lehrer, Kleinunternehmer und dabei sei auch ein Fitness-Trainer. „Viele unserer Helfer waren nie im Donbass. Einige unserer Helfer waren gezwungen, den Donbass nach den Ereignissen 2014 zu verlassen, weil sie am ‚Russischen Frühling‘ teilgenommen haben. Sie kommen aus Charkow, Nikolajew und Odessa.“ Als „Russischer Frühling“ wird die Protestbewegung für eine Föderalisierung in der Südostukraine im Frühjahr 2014 bezeichnet.
Elena erzählte, die Sicherheitslage in Donezk sei seit dem Februar 2022 angespannt. „Die Kinder gehen nicht in Kindergärten und nicht zur Schule, weil das gefährlich ist, wegen der Beschüsse durch die ukrainische Armee. Sie haben Distanzunterricht. In anderen Städten gehen die Kinder in Kindergärten und in die Schule.“
Wie können die Menschen in Donezk es überhaupt in einer Stadt aushalten, die ständig beschossen wird, frage ich Elena Romanenko. „Die Menschen sind Patrioten ihrer Region. Trotz der Beschießungen wollen Viele diese Region nicht verlassen. Sie sagen, wenn ich wegfahre, wer bleibt dann in meiner Stadt? Die Stadt wird leer sein. Ich fahre nicht weg.“
Einer der Helfer, die Pakete in den LKW hievten, war Gleb, ein Ingenieur aus Moskau. Er erzählte, sein Großvater sei im Donbass Bergarbeiter gewesen und habe im Zweiten Weltkrieg dort gegen die Hitler-Wehrmacht gekämpft.
Warum er hier helfe, fragte ich Gleb. Er antwortete, „ich helfe hier, weil in Donezk Menschen leben, die so denken wie ich. Ich kann sie nicht alleine lassen“.
Mein Interview mit Liane Kilinc über humanitäre Arbeit im Donbass im Juni 2022 findet sich unter diesem Link, meine Reportage über die Reise von Liane Kilinc in die Stadt Charzysk, wo sie Lebensmittel an kinderreiche Familien verteilte, unter diesem Link.
Titelbild: © Ulrich Heyden