Kaum haben sich Politiker und Medien im Zusammenhang mit der Lieferung westlicher Kampfpanzer an die Ukraine wieder einigermaßen beruhigt, wird mit einem eventuellen Export westlicher Kampfflugzeuge an die ukrainischen Streitkräfte bereits „ein neues Fass aufgemacht“. Wie schon bei den westlichen gepanzerten Waffensystemen stellt sich neben der politischen Dimension einer solchen Lieferung zunächst die Frage, ob es für die ukrainischen Piloten überhaupt möglich wäre, westliche Flugzeugmuster zu fliegen und welche Voraussetzungen dafür erforderlich wären. Von Jürgen Hübschen.
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Kampfflugzeuge der ehemaligen Sowjetunion in den Luftstreitkräften der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten, die heute NATO-Mitglieder sind
Die nachfolgenden Zahlen basieren auf offenen Quellen und sind deshalb ggf. nicht in jedem Fall präzise.
- Bulgarien: 11 MIG-29 und 6 SU-25
- Rumänien: 15 MIG-21
- Slowakei: 10 MIG-29
- Polen: 28 MIG-29
Die tschechische Republik und Ungarn haben keine sowjetischen Kampfflugzeuge (mehr) im Bestand.
Die Ukraine selbst verfügte zu Kriegsbeginn über folgende sowjetischen Kampfflugzeugtypen:
- 43 MIG-29,
- 12 SU-24,
- 17 SU-25
- 25 SU-27
Über die Einsatzbereitschaft der genannten russischen Flugzeugmuster in den jeweiligen Luftstreitkräften liegen keine Erkenntnisse vor.
Bestand oder Bestellung von US-amerikanischen F-16-Kampfflugzeugen in den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten, die heute NATO-Mitglieder sind
Auch die nachfolgenden Angaben basieren auf offen zugänglichen Quellen und können deshalb unvollständig sein.
- Polen: 48 F-16
- Rumänien: 14 F-16
Außerdem hat Bulgarien die ersten US-amerikanischen F-16 bestellt, darüber hinaus die Slowakei 14 F-16.*
Verfügbare US-amerikanische F-16 in Europa
Außer den F-16 in den genannten osteuropäischen NATO-Staaten wird dieses Flugzeugmuster in großer Zahl in sehr vielen westeuropäischen Luftstreitkräften der NATO geflogen und natürlich auch in der US-Luftwaffe selbst auf ihren Stützpunkten in mehreren NATO-Staaten.
Grundsätzliche Probleme bei der Umschulung ukrainischer Piloten auf westliche Flugzeugmuster und zusammenfassende Bewertung
Zu allererst muss geprüft werden, ob es in der Ukraine überhaupt (noch) geeignete einsatzbereite Flughäfen gibt, die auch mit der erforderlichen Luftabwehr vor russischen Angriffen geschützt sind.
Bevor danach überhaupt weiter über die Umschulung ukrainischer Piloten auf westliche Flugzeugmuster diskutiert wird, sollte die Option eines Ringtausches geprüft werden, wie er im Zusammenhang mit der Lieferung von Kampfpanzern bereits praktiziert wurde, bevor man sich entschieden hatte, auch westliche Kampfpanzer direkt an die Ukraine zu liefern.
Im Klartext hieße das: Osteuropäische NATO-Staaten überlassen der Ukraine einsatzbereite Flugzeuge sowjetischer Bauart und erhalten im Gegenzug weitere US-amerikanische F-16, von denen sie bereits einige im Bestand haben. Auf Grund der großen Zahl von F-16 in den westlichen NATO-Luftstreitkräften dürfte das kein Problem sein, zumal die Flugzeuge ja sozusagen im NATO-Bestand blieben und sogar näher an der Ukraine stationiert würden.
Sollte man sich alternativ oder zusätzlich zu einem möglichen Ringtausch für eine direkte Lieferung von US-amerikanischen F-16 oder anderer westlicher Kampfflugzeugmodelle an die Ukraine entscheiden, wären die damit verbundenen Schwierigkeiten erheblich und nur schwer einzuschätzen. Das beginnt damit, dass die vorhandenen Baumuster der sowjetischen Kampfflugzeuge und die US-amerikanische F-16 aus Flugzeuggenerationen stammen, zwischen denen grundsätzlich entwicklungstechnisch sozusagen Welten liegen, nicht nur im Hinblick auf Bedienung und Flugeigenschaften, sondern vor allem, was die Avionik und die Selbstschutzeinrichtungen der Flugzeuge angeht.
Zusätzliche Herausforderungen würden sich für die ukrainischen Piloten aus der Bewaffnung der Luftfahrzeuge ergeben. Neben einer Bordkanone, über die auch sowjetische Baumuster verfügen, können die westlichen Kampfflugzeuge mit vielen verschiedenen Bewaffnungskonfigurationen ausgerüstet werden, u.a. zur Bekämpfung von Boden- und/oder Luftzielen mit den unterschiedlichsten Arten von Raketen, aber auch mit speziellen Waffen zur Bekämpfung von Radareinrichtungen oder lasergesteuerten Bomben, die sich nach dem Abwurf selbst in mehrere Kilometer weit entfernte Ziele lenken, um nur einige Beispiele zu nennen. Für die Einsetzung dieser unterschiedlichen Waffen ist eine gesonderte, fundierte Ausbildung erforderlich. Last, but not least wird für westliche Kampfflugzeuge auch eine bestimmte Infrastruktur auf den genutzten Einsatzflughäfen benötigt, u.a. für die Betankung, aber auch für die Wartung und Instandsetzung der Maschinen und das Anbringen der unterschiedlichen Bewaffnung.
Politische Dimension
Damit sind die wesentlichen militärischen Aspekte beschrieben und bewertet, die aber im Vergleich zu der politischen Dimension einer Entscheidung zur Lieferung von westlichen Kampfflugzeugen deutlich nachgeordnet sind. Mit der US-amerikanischen F-16 – um die wahrscheinlichste Option zu nennen – würde der Ukraine ein Waffensystem zur Verfügung gestellt, das über erhebliche Offensivfähigkeiten verfügt. Mit diesem Flugzeugtyp könnten auch Ziele bis weit ins russische Hinterland angegriffen werden.
Sollte man sich sogar entscheiden, an die Ukraine gelieferte westliche Kampfflugzeuge von NATO-Flugplätzen starten zu lassen, weil ukrainische Flugplätze nicht zur Verfügung ständen oder die Gefahr bestände, dass diese von den russischen Streitkräften angegriffen würden, bekäme der Krieg eine völlig andere Dimension. Damit wären auch die letzten Zweifel beseitigt, ob sich die NATO im Krieg mit Russland befände, was die deutsche Außenministerin ja bereits erklärt hat.
Rein militärisch gesehen wäre eine Lieferung von Kampfflugzeugen auf der Basis eines Ringtausches machbar. Auch eine Schulung ukrainischer Piloten auf ein westliches Flugzeugmuster wäre grundsätzlich möglich, würde aber vermutlich eher 12 als 6 Monate dauern, weil es ja nicht genügt, die F-16 fliegen zu können, sondern man muss auch in der Lage sein, sie unter Kriegsbedingungen mit der richtigen Bewaffnung taktisch einzusetzen.
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten militärischen Probleme und Maßnahmen, die mit einer Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine verbunden wären, muss politisch allerdings dringend davon abgeraten werden, weil davon ausgegangen werden muss, dass es in einem solchen Fall zu einer direkten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland käme, die sich nicht auf die Ukraine begrenzen ließe.
* Korrektur 9.2.2023: An dieser Stelle stand ursprünglich, dass die Slowakei über 70 F-16-Flugzeuge verfügen würde. Stattdessen handelt es sich darum, dass die Slowakei 14 F-16 V Block 70, NATO-Code „VIPER“, bestellt hat.
Titelbild: Volodymyr Vorobiov / Shutterstock