SPD-Spitze taumelt orientierungslos in eine Große Koalition
Während die SPD-Spitze vor allem im Wahlkampf noch öfters mal links geblinkt hat, tatsächlich dann aber immer wieder nach rechts abgebogen ist oder bedingungslos dem Schröderschen Regierungskurs gefolgt ist, hat die neue SPD-Spitze den Blinker gleich ganz abgeschafft und taumelt orientierungslos in eine Große Koalition. Sie wirft den linken Flügel ab und nimmt so den Absturz in Kauf.
Es ist so gekommen, wie man vorhersagen konnte, Andrea Nahles, hatte die „Pöbeleien“ (Spielgel-online) satt und wollte sich auf dem Parteitag nicht auch noch auf die Schlachtbank führen lassen und die linke Galionsfigur Heidemarie Wieczorek-Zeul hat gleichfalls eingesehen, dass sie in Karlsruhe nur noch abgestraft würde. Die „Linke“ in der SPD ist marginalisiert, die „Rechte“ jubelt. Zumindest das hat Müntefering mit seinem unangekündigten Rückzug jedenfalls erreicht.
Der neue engere Parteivorstand wird zwar etwas jünger sein als der alte, bis auf die Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier, Peer Steinbrück (58), Kurt Beck (56) und Bärbel Dieckmann sind nun mit Matthias Platzeck, Ute Vogt und Elke Ferner 40- bis Anfang-50-Jährige nachgerückt. Als Youngster soll Hubertus Heil mit 33 Jahren Generalsekretär werden.
Die Älteren kennt man logischer Weise schon etwas länger und kann sie einschätzen: Man mag Kurt Beck und Bärbel Dieckmann durchaus bescheinigen, dass sie in ihren jeweiligen Ämtern als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und als Bonner Oberbürgermeisterin durchaus erfolgreich sind. Beide sind jedoch nie damit aufgefallen, dass sie dem früheren Parteivorsitzenden Gerhard Schröder oder seinem Nachfolger Franz Müntefering, als autoritärer Exekutor der schröderschen Kapriolen in die SPD hinein, in deren Paraden gefahren wären. Im Gegenteil, Kurt Beck verstand sich geradezu als die Inkarnation eines Vermittlers.
Peer Steinbrück, der in Nordrhein-Westfalen eine epochale Wahlniederlage eingesteckt hat, war stets dafür bekannt, dass er den vorgegebenen Kurs akkurat umsetzte, er hatte sogar seinen Wahlkampf mit der Hauptbotschaft „Kurs halten“ bestritten. Wie seinem Vorgänger dem „eisernen Hans“ fallen dem designierten Finanzminister nur die drei Hauptbotschaften ein, nämlich erstens sparen, zweitens sparen und drittens sparen. Das Ergebnis dürfte das selbe sein wie bei Hans Eichel, die Sparabsichten werden beim neuen Kassenwart genauso wenig von Sparerfolgen gekrönt sein, weil beide eine aktive, expansive Finanzpolitik für „überholt“ halten und so die Konjunktur weiter in den Keller reiten.
Mathias Platzeck möchte man durchaus zubilligen, dass er kein Vertreter des bisherigen „Basta-Stils“ in der SPD-Spitze ist. In Partei und Presse wird ihm hoch angerechnet, dass er bei den Landtagswahlen 2004 in Brandenburg den Agenda-Kurs Schröders verteidigt und sich gleichzeitig den Sorgen und Nöten seiner Brandenburger gestellt hat. Er wurde deshalb als personifizierter Beweis hochgespielt, dass man trotz eines standhaften Eintretens für „Reformen“ auch als Sozialdemokrat noch Landtagswahlen gewinnen kann. Schaut man sich allerdings das Wahlergebnis genauer an, so ist dieses Bild genauso geschönt, wie alle übrigen Wahlniederlagen der SPD bis hin zur Bundestagswahl geschönt wurden. Platzeck hat nämlich tatsächlich 7,4 % verloren und mit 31,9 % für die SPD ein gemessen an seinem Vorgänger Stolpe miserables Ergebnis eingefahren. Platzeck ist vielleicht der passende SPD-Parteivorsitzende für Zeiten einer großen Koalition, schließlich kommt er in seiner großen Koalition in Brandenburg sogar mit dem sogar in der CDU als Rechtsaußen geltenden Jörg Schönbohm zurecht.
Ute Vogt musste im engeren Vorstand bleiben, weil sie schon drin war, und weil man sie als Landesvorsitzende der baden-württembergischen SPD als Herausforderin des dortigen CDU-Ministerpräsidenten vor den im Frühjahr anstehenden Wahlen nicht beschädigen durfte. Ute Vogt hat gleichfalls jede Volte der Regierungspolitik mitgedreht und man hat nie etwas davon gehört, dass sie als Parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium des Innern, gegenüber dem „eisernen Sheriff“ Otto Schily einen liberalen Kontrapunkt gesetzt hätte – was zugegebenermaßen bei dem autokratischen Charakter Schilys auch nicht ohne persönliche Verletzungen abgelaufen wäre. Sie hatte sich als „Modernisiererin“ sogar mit ihrem Plädoyer für Studiengebühren vergaloppiert und trat, als die SPD im Wahlkampf wieder mehr auf Sozialrhetorik achtete und Gebühren als unsozial ablehnte, prompt den Rückwärtsritt in die Kolonne an.
Dass jüngere Politiker/innen wie Elke Ferner oder Hubertus Heil nicht so bekannt sind, ist ihnen persönlich nicht vorzuwerfen. Ich hatte zwar registriert, dass Ferner Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) geworden war. Sie hat auch etwas Aufmerksamkeit damit erzielt, dass sie in ihrem Wahlkreis im Saarland mit 33,5% der Stimmen Oskar Lafontaine geschlagen hat. Abers sonst? Man darf und kann jemand nicht vorhalten, dass er jünger ist, dass man aber allein schon deshalb für ein höchstes Parteiamt vorgeschlagen wird, ist bemerkenswert.
Was bleibt einem übrig, wenn man jemand nicht kennt: Man googelt. Bei Heil und Ferner findet man dort allerdings außer dürren Biografien, der Nennung von Parteifunktionen und Mitgliedschaften in parteinahen Verbänden, Pressemitteilungen von SPD-Gliederungen, Wahlaufrufe, Zwischenrufe in Parlamentsprotokollen, Unterschriften unter Parteitagsanträgen und Bundestags- und Ausschussprotokollen, Firmen- und Vereinsbesuchen nicht viel.
Heil ist einer der Sprecher der Netzwerker und er soll sich in Telefonschaltkonferenzen für Nahles als Generalsekretärin eingesetzt haben. Das aber auch wohl eher, weil es eine Absprache zwischen „Linken“ und „Netzwerkern“ gab, dass keine der beiden Gruppierungen öffentlich etwas gegen die Nominierung ihrer jeweiligen Favoriten im künftigen Kabinett einwenden würde, so akzeptierte die eine Seite Sigmar Gabriel als Umweltminister und die andere Seite das Verbleiben von Heidemarie Wieczorekt-Zeul auf ihrem Posten als Entwicklungshilfeministerin.
Den „Netzwerkern“ ging es bei der Kampfkandidatur von Nahles gegen Münteferings Vorschlag Wasserhövel im wesentlichen nur darum, dass sie ein Zeichen setzen wollten, dass die Jüngeren endlich einmal ran kommen müssten, bei der Verteilung von Posten und Pöstchen. Dass dabei – anders als in der Presse überwiegend kolportiert keineswegs um einen „Linksruck“ in der SPD ging, bewies Hubertus Heil, sozusagen als Wiedergutmachung an das Parteiestablishment, indem er Wieczorek-Zeul mit aus ihrem Amt und ihrer Kandidatur als stellvertretende Vorsitzende mobbte. Aber halt, eine inhaltliche Aussage von Hubertus Heil ließ sich finden. Da hat er sich sogar in die Programmdebatte der SPD eingeschaltet und folgende richtungsweisende inhaltliche Aussage gemacht: „Es gilt, der Regierungspolitik durch ein zeitgemäßes sozialdemokratisches Leitbild eine klare Richtung, ein notwendiges Wertefundament zu schaffen.“ (Berliner Republik 03/2004) Man muss sich diese Botschaft auf der Zunge zergehen lassen: Das Programm der SPD besteht also darin, der Regierungspolitik ein sozialdemokratisches Mäntelchen überzuziehen. Oder: Die Regierung macht die Politik und wir schaffen dafür das passende Wertefundament.
Wenn so das „politische Profil“ der SPD in der Großen Koalition geschaffen werden soll, wie jetzt immer wieder gefordert wird, dann viel Erfolg bei den nächsten Wahlen! Die Linkspartei kann sich die Hände reiben.