Während Bundespolitiker in Berlin laut über eine Erhöhung der Rüstungsausgaben nachdenken, kämpfen einfache Bürger im Land um den Erhalt von sozialen Mindeststandards bis hin zum Erhalt von Leistungen wie der, welche zum Beispiel die Tafeln in der Bundesrepublik erbringen – und das ganz ohne ein Sondervermögen. Denn es kommt gerade ziemlich dicke, das Jahr 2023 nimmt Fahrt auf und der Bundeshaushalt unter der Regie von Finanzminister Christian Lindner ist beschlossen, Kürzungen im sozialen Bereich inklusive. Die Lage an der Basis, wie zum Beispiel beim Verein Arbeitsloseninitiative (ALI) im Vogtland, verbessert sich damit nicht. Zehn Tafel-Ausgabestellen betreibt der Verein, deutschlandweit gibt es über 960 Tafeln (Quelle: Tafel Deutschland). Nun wird wieder mal selbst auch bei den Menschen, die sich in diesen Einrichtungen für Hilfsbedürftige einsetzen und mitunter selbst hilfsbedürftig sind, gespart. Bei der Förderung. Ausgang offen. Von Frank Blenz.
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Im Sommer 2022 schrieb ich im NachDenkSeiten-Artikel „Die Suppe wird an der Basis ausgelöffelt“:
Zwei Millionen Menschen suchen in Deutschland in diesen Tagen die Tafeln auf, schreiben die Medien. Tendenz steigend. Die Meldung, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) Einschnitte im Sozialbereich plant, schlägt hohe Wellen und die Sorgenfalten auch gerade derer, die in den Tafeln für hilfsbedürftige Menschen tätig sind, werden größer und tiefer. Und die, die in diesem Bereich tätig sind und sich für Bedürftige einsetzen, protestieren und bangen um sich selbst, denn die Mittel zur Unterhaltung für den Geschäftsbetrieb und ihrer wichtigen Arbeitsplätze, sie werden knapper oder werden verknappt – wie die Lebensmittel. Trotz allem – aufgeben wollen sie nicht, so wie auch die engagierten Menschen eines Vereins im Vogtland.
Wieder ist es an den Helfern, sich selbst zu helfen
Die Anzahl der an Hilfsbedürftige ausgereichten Warenkörbe der vogtländischen Tafel ist einer der beachtlichen Belege des Engagements der Mitarbeiter des Sozialen Kompetenzzentrums im Verein Arbeitsloseninitiative Sachsen (ALI) im Vogtland. Die Zahlen gingen auch in 2022 weiter nach oben, berichtet Konstanze Schumann, Geschäftsführerin der ALI, was kein Wunder angesichts wachsender wirtschaftlicher Not, zunehmender Flüchtlingszahlen und Preissteigerungen in Bereichen wie Energie und Lebensmittel sei. Schumann kritisiert:
„Nun kürzt die Regierung die Mittel im Bereich der Langzeitarbeitslosen, in der Förderung des Sozialen Arbeitsmarktes.“
Diese Akteure der betroffenen Einrichtungen seien es aber, die den Laden am Laufen hielten. Orte wie die Tafel würden nicht von Regierungen und Kommunen am Leben gehalten, sondern von den Ehrenamtlern, den über „Maßnahmen“ und Förderungen Beschäftigten sowie von den Hauptamtlichen, die aus dem Vereinshaushalt finanziert würden, so die Geschäftsführerin gegenüber den NachDenkSeiten. Wenn das Geld knapper werde, schlimmer noch, wenn es gekürzt werde mit Begründungen wie „der Bedarf sinke, weil die Zahlen der Betroffenen geringer würden“, dann seien die Tafeln geradezu gefährdet, so Schumann. Sie und ihr Team luden immer wieder zu Terminen Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete, Vertreter des Bundesverbandes der Tafel, Mitglieder des DGB, Kommunalpolitiker und Medien in den Saal des Tagestreffs im Sozialen Kompetenzzentrum ein, um Zusammenhänge klarzumachen, zu informieren, zu protestieren, zu fordern, mindestens zu bitten.
Den Gästen wurden die Einrichtung, die Projekte, die Ziele vorgestellt ebenso wie von den Problemen, den Sorgen, Nöten und auch von den Hoffnungen berichtet. Bei Besuchen von Bundestagsabgeordneten der Grünen und bei Stippvisiten von CDU-Politikern versuchte Schumann Unterstützungsbereitschaft zu erreichen. Die wurde auch signalisiert. „Wenn darüber gesprochen wird, ist das ein Anfang. Ja. Wir müssen im Gespräch bleiben.“ Ernüchtert gibt die Geschäftsführerin der ALI in der Auswertung der Termine zu: „Der Haushalt ist durch, das ist beschlossene Sache.“ Sie weiß: Wieder einmal läge es an den Mitstreitern der Tafel selbst, die schwierige Situation zu lösen, zu improvisieren, sich „neu zu erfinden“. Eine Einrichtung der vogtländischen ALI trägt den Namen „Projekt Zukunft“, und das seit vielen Jahren. In der Vergangenheit und in der Gegenwart mussten und müssen sich die Mitarbeiter des Projekts und die Nutzer in einer permanent prekären Situation einrichten, Verbesserungen und/oder gar den Absprung in eine bessere Zukunft auf bessere Zeiten verschieben. Der Name Zukunft steht eigentlich für ein hoffnungsvolles „Licht am Horizont“. Die Menschen im Projekt sind immer noch weit vom Horizont entfernt, vom ersten Arbeitsmarkt…
Steigende Zahlen in der Bilanz der ALI
Man hat sich halt eingerichtet, alle Seiten. Die Politik verlässt sich auf die Sozialarbeiter, die Ehrenamtler wie die Profis. Sie wissen, selbst wenn der Gürtel enger geschnallt wird, geht es doch irgendwie weiter. Und die Akteure? Sie kämpfen, was bleibt ihnen anderes übrig. So agieren sie tapfer und erzielen Ergebnisse, bei denen man einfach nur den Hut ziehen muss.
Die vogtländische Tafel ist die größte der Region in Südwestsachsen und der Regionen im Umland. Sie versorgt die Stadt Plauen und betreibt Ausgabestellen in weiteren neun vogtländischen Kommunen, bis 30.12. waren das, so Schumann:
„2022 wurden 37.440 Warenkörbe (Waren des täglichen Bedarfs) verteilt. Hochgerechnet haben wir damit nach unseren Protokollen 112.325 Familienmitglieder versorgt. Die Suppenküche reichte im Tagestreff in Plauen 14.448 Portionen Mittagessen aus. Im Sozialen Kompetenzzentrum der Stadt befindet sich neben dem Treff eine Kleiderkammer, eine Art „Sozialkaufhaus“. 1.735 Bürger haben sich eine Berechtigung geholt. 26.025 Bekleidungsstücke sind für wenig Geld verkauft worden. Die ALI betreibt eine Möbel- und Textilbörse, 2.010 Bürger nutzten das Angebot, an Möbeln wurden 712 Kunden von der Küche über Bett bis zum Kühlschrank Teile ausgereicht. In der Textilbörse, die hat 1.305 Bedürftige registriert, wurden 10.440 Stück verteilt. Tendenz für das neue Jahr – steigend.“
Besuche aus Berlin
Sie sollen es erfahren. Für Konstanze Schumann und ihr Team sind „sie“, die Politiker, und ihre Besuche wichtig. Der Dialog, der Kontakt wird aufrechterhalten. So kamen vor kurzem Vertreter der Regierungspartei Bündnis 90/Grüne und der Oppositionspartei CDU ins Haus. Der vogtländische Bundestagsabgeordnete der Grünen, Kassem Taher Saleh, unternahm einen Rundgang im Sozialen Kompetenzzentrum. Er hörte sich die Probleme an. Er sprach mit Bedürftigen wie mit Mitstreitern. Dabei wurde eine gewisse Ohnmacht sichtbar, zuhören, ja. Etwas bewegen, wenn man die Fakten mit in die Hauptstadt nimmt, Fragezeichen. Was kann man erreichen, verbessern? Antwort ungewiss. Der Grüne hörte einer Tschetschenin zu, die Mitarbeiterin der ALI ist und ein jugendliches Kind versorgt, welches gerade in der Ausbildung ist. Sie leben in Deutschland, sie haben ein neues Kapitel ihrer Biografie aufgeschlagen, es ist ihr „Projekt Zukunft“, sie engagieren sich, arbeiten, lernen, tragen ihren Teil zur viel geforderten Integration bei. Wie verhält sich die deutsche Seite? Der grüne Abgeordnete hörte, sie seien nur geduldet, sie müssten jederzeit mit der Aufforderung rechnen, Deutschland zu verlassen.
Immerhin. Die vogtländische Bundestagsabgeordnete Yvonne Magwas (CDU), die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, versprach Konstanze Schumann und ihrem Team, in Berlin Kontakte für die ALI zu knüpfen. Sie, Magwas, sei zwar gerade in der Opposition, und ja, sie gab zu, dass die vorherigen Regierungen manches auch nicht gut gemacht hätten, man müsse sich da ehrlich machen.
Wie geht es weiter?
Konstanze Schumann erlebt, dass ihre Einladungen zunächst wenig bewirken. Sie kennt das Prozedere gut, die Lobeshymnen, die Beteuerungen, dass die Tafeln wichtig seien und die Gesellschaft dankbar. Ein Kommunalpolitiker, Beruf Fleischer, unternahm eine praktische Hilfsaktion und brachte der Tafel gratis eine Ladung Weißwürste vorbei. Das ist schön, so Schumann. Wichtig sei aber auch, dass man Kürzungen in Berlin zurücknimmt, dass die Politik sich den Menschen zuwendet, richtig zuwendet, die wirtschaftlich schlecht dastehen und damit sozial an den Rand gedrängt sind.
Wie geht es weiter? Das Kompetenzzentrum habe sich entwickelt, sei etabliert, habe viele Partner (man denke an die zahlreichen Spender, an die Supermärkte, weitere Versorger, Gönner und Unterstützer aus der Region), sei aus dem Vogtland gar nicht wegzudenken, beobachtet die ALI-Chefin. Das müsse erhalten bleiben, denn der Bedarf sei weiter sehr hoch. Wie gehabt: Man verlasse sich auf die ALI. Die Angebote, die Leistungen der vogtländischen Tafel und der Nebeneinrichtung sind umfangreich, (noch) stabil und zuverlässig. Wie ein Uhrwerk. Doch die Zeiten änderten sich. Auch beim Personal, eben wegen der Kürzungen. Es fehle folglich an „Nachwuchs“. Schumann sagt:
„Wir setzen uns aktuell sehr intensiv für die Weiterführung unserer erst wenige Monate laufenden Projekte im Rahmen der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt ein. Der Slogan heißt „Weltoffen und Lebensmittelpunkt – Engagiertes Land“.“
Beim Wort „weltoffen“ fällt einem die Geschichte der Tschetschenin wieder ein und der Widerspruch zwischen Slogan und Wirklichkeit wird offenbar. Dass die ALI nicht nur Essen-Versorger, Kleiderkammer-Anbieter und Lebensmittelkisten-Ausgeber ist, zeigt die soziokulturelle Seite der Einrichtung. Gerade ist ein Projekt mit dem Titel „Plaudern gegen Einsamkeit“ in Arbeit. Die ALI-Chefin:
„Die größte Herausforderung besteht für uns darin, Projekte zu erhalten und neue auf den Weg zu bringen, trotz Mangel, trotz fehlender Planungssicherheit.“
Und es bewegt sich doch etwas in Berlin
Die Grünen und die Liberalen haben soziale Themen auf die Tagesordnung gesetzt, vermeldet die Hauptstadtpresse: „Containern, das ist auf gut Deutsch „im Abfall von Supermärkten zu wühlen“, soll laut dieser zwei Regierungsparteien straffrei werden. Das Containern ist bis jetzt tatsächlich nicht straffrei. Bislang werden Menschen, die sich so weggeworfene Lebensmittel aneignen, strafrechtlich verfolgt. Nun also keimt Hoffnung auf. Wer künftig im Müll anderer Leute oder in Containern von Supermärkten nach Verwertbarem wühlt, soll keine Sanktion mehr fürchten müssen, außer im Fall eines angezeigten Hausfriedensbruchs.
Titelbild: Redaktion93/shuttestock.com