Einmal mehr erweisen sich die Grünen als Großmeister des politischen Spagats. Während grüne Minister in Düsseldorf und Berlin mit ihrem „Kohlekompromiss“ im Oktober letzten Jahres das Schicksal des rheinischen Weilers Lützerath besiegelten, bejubeln nun grüne Spitzenpolitiker den Widerstand von Klimaaktivisten gegen die Umsetzung der eigenen Politik und lassen nicht nur Lützerath, sondern gleich auch ihre von Aktivisten besetzte Parteizentrale in Düsseldorf von der Polizei räumen. Die Grüne Energiepolitik steckt in einem Dilemma und dieses Dilemma ist auch eine Folge der Sanktionspolitik gegen Russland. Man kann nun einmal – um es mit den Worten der Außenministerin Baerbock auszudrücken – nicht gleichzeitig „Russland ruinieren“ und die Energiewende meistern. Doch offenbar hat die Ruinierung Russlands Vorrang. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Wie die Prioritäten der Grünen-Anhängerschaft gelagert sind, zeigte sich gestern bei der Besetzung der Düsseldorfer Parteizentrale. Die „Räumung“ eines längst umgesiedelten 11-Einwohner-Weilers vermochte es immerhin, einige Aktivisten dazu zu verleiten, den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der grünen Energie- und Klimapolitik nachrichtenwirksam aufzuzeigen. Proteste oder gar Besetzungen von Parteizentralen wegen der grünen Kriegspolitik vermisst man hingegen schmerzlich. Zumindest in diesem Punkt ist die Friedensbewegung der Klimabewegung ein paar Schritte voraus – sie hat mit den Grünen abgeschlossen.
Nun stehen die Grünen vor dem nächsten politischen Spagat. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, die ja im Kern wichtige Energiewende mit der sozialen Frage in Einklang zu bringen und so die sozioökonomischen Verwerfungen zu verhindern, die bei einem Umstieg von fossilen zu regenerativen Energieträgern entstehen können. An dieser Aufgabe sind sie epochal gescheitert.
Heute haben wir die sozioökonomischen Verwerfungen in voller Härte und gleichzeitig keine Energiewende. Wie man ohne Atomkraft und ohne einen massiven Ausbau der Regenerativen den Kohleausstieg umsetzen will, ist ein offenes Rätsel – erst recht, da ja nun die Übergangslösung, preiswertes Erdgas zu verstromen, weggefallen ist. Der Staat nimmt Milliarden und Abermilliarden in die Hand; aber nicht, um regenerative Energien auszubauen, sondern um von vergleichsweise klimafreundlichem russischen Pipelinegas auf ökonomisch und ökologisch hochproblematisches LNG umzusteigen. Staat und Verbraucher zahlen die Zeche, LNG-Exporteure und Energiekonzerne fahren Traumrenditen ein – nur von der Klimaneutralität ist keine Rede mehr.
Das Alles spielt bei der Debatte um Lützerath jedoch erstaunlicherweise keine Rolle. Lützerath ist vielmehr ein Symbol einer Debatte, die von der Realität eingeholt wurde. Wieviel Braunkohle aus dem Rheinischen Kohlerevier in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verstromt werden „muss“, kann heute noch niemand sagen. Fest steht nur, dass der Energiebedarf Deutschlands gedeckt werden muss und angesichts Atomausstieg und Gasknappheit ist dies keinesfalls profan. Dies wissen auch die Grünen und sie haben natürlich auch erkannt, dass sie nun in einem Dilemma stecken. Russland ruinieren und das Klima retten … das ist nun einmal ein Zielkonflikt und da der olivgrüne Militarismus bei den Parteigranden offenbar einen höheren Stellenwert als die Rettung des Klimas einnimmt, wird Lützerath nicht der letzte Weiler sein, in dem grüner Anspruch auf grüne Realität trifft. Aber darin sind die Grünen ja geübt.
Titelbild: Screenshot ARD Tagesschau