Das vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Ende Dezember verabschiedete neue Mediengesetz trifft auf scharfe Kritik von europäischen Journalistenverbänden. Sie sehen in dem Gesetz die Gefahr massiver Zensurmöglichkeiten und verweisen ebenso auf die Tatsache, dass die gesamte Medienkontrolle direkt dem Präsidenten untersteht. Überrascht zeigt sich in diesem Zusammenhang die Europäische Journalisten-Föderation davon, dass keine einzige westliche Regierung dieses Vorgehen Selenskyis gegen die Medienwelt bisher kritisiert hat. Von Florian Warweg.
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Massive Kritik von europäischen und ukrainischen Journalisten-Verbänden
„Aus unserer Sicht gibt dieses Gesetz der Regierung die Möglichkeit, willkürlich Zensur auszuüben. Die vorgesehene Zwangsregulierung in den Händen einer vollständig vom Präsidenten kontrollierten Regulierungsbehörde ist den schlimmsten autoritären Regimen würdig. Es muss zurückgenommen werden. Ein Staat, der solche Bestimmungen anwendet, hat keinen Platz in der Europäischen Union.“
So die Einschätzung von Ricardo Gutiérrez, Präsident Europas größter Journalistenvereinigung, der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF), welche 320.000 Journalisten aus 70 Mitgliedsorganisationen in 44 Ländern vertritt.
In einem Gespräch Anfang Januar 2023 mit Sveriges Television AB, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal Schwedens, führt Gutiérrez weitere Kritikpunkte an:
„Die Medienregulierung sollte von einer von der Regierung unabhängigen Stelle durchgeführt werden, und ihr Ziel sollte die Medienunabhängigkeit sein, nicht die Medienkontrolle. Aber die neue nationale Regulierungsbehörde, die nicht nur für TV- und Radio-Ausstrahlungen verantwortlich ist, sondern auch für Print- und Onlinemedien, steht unter totaler Kontrolle des ukrainischen Präsidenten.“
Mit dieser Kritik steht der Präsident der EJF nicht alleine da. Das „Komitee zum Schutz von Journalisten“ (CPJ) mit Sitz in New York erklärte bereits im Juli 2022, dass das damals noch im Entwurfsstadium vorliegende Gesetz drohe, „die Pressefreiheit im Land einzuschränken und es von den Standards der Europäischen Union entferne“.
Carlos Martinez de la Serna, Programmdirektor des CPJ, betonte ergänzend:
„Eine Überarbeitung der veralteten ukrainischen Mediengesetzgebung ist notwendig, wenn das Land die Standards der Europäischen Union erfüllen will, aber der Gesetzgeber darf solche Reformen nicht als Vorwand benutzen, um die staatliche Kontrolle über Informationen auszuweiten.“
Noch deutlichere Worte fand der Nationale Journalistenverband der Ukraine (NSJU). Die Journalisten-Gewerkschaft nennt das Medien-Gesetz die „größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit in der unabhängigen Geschichte der Ukraine“. Die NSJU fügt hinzu, dass die Verabschiedung des Gesetzes „den Schatten eines Diktators“ auf Selenskyj werfe, welcher zuvor noch erklärt habe, dass er den Freiheitskampf der freien Menschen anführe.
Sergiy Tomilenko, Vorsitzender der NSJU, führte darüber hinaus aus, dass der Gesetzentwurf „hinter den Kulissen entwickelt worden sei, ohne Transparenz und offenen Dialog“.
Die Ukrainische Internet-Vereinigung (UIA) spricht in dem Zusammenhang sogar von „Totalitarismus im Medienbereich“ und nennt das Gesetz verfassungswidrig. Zudem weist die UIA darauf hin, dass es entgegen der Regierungsdarstellung nicht um Maßnahmen im Zuge des Kriegszustandes geht, sondern dass ausnahmslos alle Erneuerungen in dem Gesetz auf Medien in Friedenszeiten abzielen. Zudem sei der Entwurf hinter den Kulissen erarbeitet worden, ohne jede Transparenz. Vorschläge zur Verbesserung von Journalistenverbänden seien komplett ignoriert worden.
Hintergrund
Am 29. Dezember unterzeichnete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das neue „Mediengesetz“. Das Gesetz gibt der Regierung die Befugnis, ukrainische Medienorganisationen und Journalisten weitgehend zu kontrollieren. Der Gesetzentwurf wurde bereits vor zwei Jahren entworfen und von Journalistenverbänden von Beginn an als Versuch kritisiert, eine staatliche Zensur einzuführen – was die ukrainische Regierung bis heute bestreitet.
Das Gesetz erweitert die Befugnisse der staatlichen Medienaufsichtsbehörde dramatisch und gibt ihr unter anderem, wie The Kyiv Independent schreibt, „die Befugnis, Nachrichtenseiten ohne Gerichtsurteil zu schließen“.
Nach Angaben der ukrainischen Regierung zielt das Gesetz angeblich darauf ab, mit der EU-Gesetzgebung zusammenzuwirken und „russische Propaganda“ zu verhindern. Dieser Darstellung widersprechen jedoch wie dargestellt sowohl ukrainische wie internationale Journalistenverbände vehement. Sie weisen zusätzlich darauf hin, dass lediglich 10 Prozent des Gesetzestextes sich mit der Angleichung an EU-Mediennormen befassen und dass es durch die Verhängung des Kriegsrechts schon genug Mechanismen gäbe, um der von der Regierung als Argument für das Gesetz vorgebrachten „russischen Propaganda“ entgegenzutreten.
Wieso schweigen die westlichen Regierungen?
Auffallend bei der konzertierten Kritik am Vorgehen von Selenskyj und seiner Regierung ist die ausbleibende Kritik an den Zuständen von westlichen Regierungen, vornehmlich der EU und USA, die sich sonst weit weniger zurückhaltend zeigen bei dieser Thematik.
Diesen Widerspruch sieht auch Gutiérrez, der Präsident der Europäischen Journalisten-Föderation, und erklärt seine Verwunderung angesichts des Schweigens aus Brüssel und Washington:
„Wir sind überrascht über den Mangel an Reaktionen aus den westlichen Ländern. Wir verstehen nicht, warum sie Zelenskyi nicht sagen, dass dieses Gesetz nicht unseren Standards entspricht. Ich würde sagen, dass es für die Ukraine unmöglich sein wird, mit einem solchen Gesetz der EU beizutreten.“
Auf der „Rangliste der Pressefreiheitsliste“ der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen nahm die Ukraine 2022 übrigens den Platz 106 von 180 ein. Eine wohl eher wohlmeinende Einschätzung, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel Griechenland in der Liste auf Platz 108 verortet wird, ein Land mit nachweislich weit weniger Einschränkungen der Pressefreiheit, keiner vom Präsidenten verordneten Gleichschaltung der TV-Medien und der ebenfalls 2022 erfolgten Sperrung fast aller oppositionsnahen Medien.
Titelbild: shutterstock / Stock Holm