Deutschlands LNG-Strategie und der Elefant im Raum

Deutschlands LNG-Strategie und der Elefant im Raum

Deutschlands LNG-Strategie und der Elefant im Raum

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

In den letzten Tagen wurde erstmals Kritik an der deutschen LNG-Strategie laut. Das Bundeswirtschaftsministerium habe falsche Daten zur Einspeisekapazität unserer Nachbarländer herangezogen, um das LNG-Beschleunigungsgesetz durchzuboxen, und damit teure Überkapazitäten geschaffen. Das stimmt nur zum Teil. Beim Jonglieren mit Kapazitäten im Milliarden-Kubikmeter-Bereich fällt jedoch schnell eine elementare Frage unter den Tisch: Woher sollen die Kapazitäten, geschweige denn die Überkapazitäten, überhaupt herkommen? Man kann mit einer Notstandsgesetzgebung zwar in Windeseile gigantische Terminals errichten, Zugriff auf das dort zu regasifizierende Erdgas hat man jedoch nicht. So bleibt Deutschlands Gasversorgung auch langfristig unsicher und womöglich sehr, sehr teuer. Von Jens Berger.

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Man muss dem Tagesspiegel-Journalisten Malte Kreuzfeldt ja dankbar sein, dass er mit spitzem Bleistift nachgerechnet hat, ob die Begründung der Bundesregierung für den Bau der neuen LNG-Terminals an Nord- und Ostsee überhaupt trägt. Sie tut es nicht. In der Gesetzesbegründung heißt es, Deutschland könne maximal 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas über die existierenden LNG-Terminals unserer Nachbarländer Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Polen importieren – das reiche nicht, um den Gesamtbedarf in Höhe von 95 Milliarden Kubikmeter zu decken. Diese Aussage ist auch mehr oder weniger korrekt. Warum also die Aufregung? In einem FAQ, das das Bundeswirtschaftsministerium an die Begründung angehängt hatte, wurde aus der maximalen Importmenge plötzlich die „Regasifizierungkapazität“ dieser Terminals. Das ist freilich falsch und das belegt Kreuzfeldt anhand eigens recherchierter Zahlen.

Nun werden Kreuzfeldts Recherchen jedoch von vielen Medien herangezogen, um zu belegen, dass Deutschland ja die weggefallenen russischen Gaslieferungen bereits jetzt fast komplett über seine Nachbarländer decken könne und der Bau eigener LNG-Terminals gar nicht nötig sei. Das wiederum ist eine Milchmädchenrechnung, die fälschlicherweise suggeriert, diese Terminals würden ausschließlich an Deutschland liefern. Das tun sie natürlich nicht, sie dienen vielmehr vor allem der Eigenversorgung unserer Nachbarländer und was dann über Pipelines nach Deutschland fließt, sind nicht die Maximalkapazitäten dieser Terminals, sondern deren Überschusskapazitäten – und das ist ein himmelweiter Unterschied!

Ja, das LNG-Beschleunigungsgesetz wurde fehlerhaft begründet. Nein, daraus kann man jedoch nicht schließen, dass auch ohne eigene LNG-Terminals die Gasversorgung gesichert sei und Deutschland die russischen Gaslieferungen so einfach durch LNG aus unseren Nachbarländern kompensieren könne.

Fatal ist auch der Trugschluss, der Wechsel von russischem Erdgas zu LNG sei „nur“ deshalb teuer, weil die LNG-Terminals sehr kostenintensiv sind. Hier wird dann gerne auf die Kostensteigerungen beim Bau und der Charter der Terminal-, Verflüssigungs- und Transportkapazitäten verwiesen. Hierfür wurden ursprünglich drei Milliarden Euro eingeplant, nun sind die Kosten bereits auf rund zehn Milliarden Euro gestiegen. Das ist jedoch – mit Verlaub – nur ein „Fliegenschiss“, wenn es um die gesamten volkswirtschaftlichen Kosten der Sanktionierung und des Ersatzes russischer Erdgaslieferungen geht. Diese zehn Milliarden Euro verteilen sich nämlich auf den gesamten projizierten Betriebsraum und der reicht zum Teil über 15 Jahre. Viel dramatischer sind die Mehrkosten für den Energieträger selbst und hier sprechen wir nicht über zehn Milliarden Euro, verteilt auf 15 Jahre, sondern über bis zu 250 Milliarden Euro pro Jahr! Und selbst das ist nur ein Teil des volkswirtschaftlichen Schadens, der eine indirekte, schwer zu prognostizierende Größe ist, die sich vor allem aus den konjunkturellen Schäden ergibt, die aus den Energiepreissteigerungen resultieren. Es geht bei der Betrachtung nicht primär darum, ob physisch genug Gas da ist. Das sollte wohl machbar sein. Ob dieses Gas dann jedoch auch bezahlbar ist, ist offen.

Auf die entscheidende Frage, wo bezahlbares LNG für die neu gebauten Terminals eigentlich herkommen und zu welchem Preis es eingekauft werden soll, gibt es nämlich keine überzeugende Antwort. In diesem Jahr blieb der Supergau zum Glück aus, doch das ist vor allem auf Sonderfaktoren zurückzuführen. In Mitteleuropa haben die ungewöhnlich milden Herbst- und Wintertemperaturen den Verbrauch massiv gesenkt. Chinas Volkswirtschaft lief durch die Coronamaßnahmen das gesamte Jahr mit angezogener Handbremse, so dass die Volksrepublik deutlich weniger LNG importieren musste. In Brasilien begünstigten dauerhafte starke Regenfälle die Stromproduktion in den gigantischen Wasserkraftwerken, so dass man nur sehr wenig LNG für die Gaskraftwerke importieren musste. Und Indien hat sich als dankbarer Abnehmer für die noch spärlichen russischen LNG-Exporte erwiesen, die so Lieferungen aus anderen Ländern substituieren konnten. Durch all diese Sonderfaktoren sank bei leicht gestiegenem Angebot die Nachfrage so sehr, dass die zusätzlichen LNG-Mengen für Europa ohne großen Preissprung auf den Märkten eingekauft werden konnten.

Wenn ein Teil dieser Sonderfaktoren wegfällt, wird die frei verfügbare LNG-Menge auf dem Weltmarkt jedoch sehr knapp und die Preise werden durch die Decke gehen. Der Wegfall russischer Gaslieferungen nach Ost- und Mitteleuropa muss schließlich nicht nur in diesem Winter, sondern langfristig durch LNG-Lieferungen ersetzt werden. Für diese Zusatzmengen gibt es jedoch keine zusätzlichen freien Kapazitäten bei den LNG-Exporteuren. Dieser Punkt ist elementar!

Letztlich ist es also egal, ob Deutschland gar keine, zwei, zwölf oder hundert LNG-Terminals betreibt und wie hoch deren maximale Einspeisemenge ist. Wenn es nicht genug bezahlbares LNG zum Einspeisen gibt, sind dies sehr theoretische Größen. Und wenn die Preise für LNG an den Spotmärkten, auf denen deutsche Importeure ja den Großteil des importierten LNGs einkaufen müssen, da sie – anders als chinesische, japanische, südkoreanische oder südeuropäische Importeure – nicht über langfristige Lieferverträge mit ausgehandelten Preisklauseln verfügen, durch die Decke gehen, werden die Kosten für Terminals nur ein kleiner Posten in der Bilanz der volkswirtschaftlichen Schäden sein. Doch diesen Elefanten im Raum scheint niemand sehen zu wollen.

Titelbild: Mike Mareen/shutterstock.com

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