Herzerwärmend und ehrlich Hoffnung weckend lesen sich die zahlreichen Wünsche und Sprüche gerade in den Tagen zwischen den Jahren. Die Wünsche auf das neue Jahr 2023 wirken vielfach Frieden stiftend. Doch sind die zahlreichen negativen Erlebnisse, Ereignisse, Handlungen und Worte der vergangenen Jahre nicht vergessen, die zu einer Spaltung der Gesellschaft bis tief in ihre kleinsten Zellen führten. Vergessen sind nicht die mindestens verbalen Entgleisungen von Menschen, die wichtige Ämter des Landes innehaben, gegenüber Menschen, denen sie dienen sollen und die mitunter dem Mainstream und dem Kurs der Mächtigen nicht folgten und das auch weiter nicht beabsichtigen. Ihr gutes Recht. Doch was geschieht wieder, immer noch, weiter? Die Verbalentgleisung als Markenzeichen dieser wichtigen Amtsträger besteht weiter. So naiv konnte man eben nicht sein, dass nun, in der Phase des Wünschens und des Verzeihens, die Zeiten besser, das Verhalten menschlicher und versöhnlicher werden würde. Ein Minister offenbarte gerade ein Mal mehr seine menschenverachtende Haltung, getarnt in empathisch wirkenden Dankesworten vor der folgenden Hasstirade. Nein, es reicht. Ein Kommentar von Frank Blenz.
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Diese Neuigkeit zieht gerade große Kreise in den sozialen Medien und den Nachrichtenspalten der Zeitungen, landauf, landab. So las sich die beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), 1.1.23:
Dutzende Einsatzkräfte wurden in der Silvesternacht verletzt, weil sie mit Böllern beworfen wurden. Unter ihnen befanden sich auch Rettungskräfte. Am Neujahrsmorgen äußerte sich dazu auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf Twitter. Der Minister schrieb, es sei eine Schande, dass „eine kleine Gruppe von Chaoten gerade die Rettungskräfte angreift“. Er danke allen, die Verletzten und Kranken in dieser Nacht geholfen hätten.
Außerdem forderte Lauterbach Konsequenzen für diejenigen, die mit Böllern die Einsatzkräfte angreifen: „Rücksichtslose Gefährdung der Rettungskräfte sollte ein Grund zur Kündigung der Wohnung sein“, schrieb der Minister.
Doch offenbar überlegte es sich Lauterbach dann doch anders: Er löschte seinen ersten Tweet des neuen Jahres einige Zeit nachdem er ihn abgeschickt hatte wieder. Warum? Darauf ging er nicht näher ein.
Die Aussage des Ministers löst die Frage aus: Erinnern Sie sich? Nicht lange ist es her, da forderten Minister wie er, weitere Politiker, Talk-Showgäste aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft, bestimmten, renitenten Mitbürgern das Leben eben mal so unbequem zu machen. Mindestens. Was in unserer Demokratie, unserer freien Gesellschaft unmöglich schien, es wurde in der Pandemie nicht mehr nur gedacht, es wurde ausgesprochen, es wurde angedroht, es wurden zahlreiche Maßnahmen auch umgesetzt. Da hatte dann ein Bürgermeister schon mal die Idee, die Überweisung von Renten und Löhnen auszusetzen, sofern man „nicht mitmache“. Der Bürgermeister ist sogar wiedergewählt worden. Inzwischen wird zurückgerudert, abgeduckt, geschwiegen, abgelenkt, nach vorn geblickt. Mindestens. Und wenn um Verzeihung gebeten wird, dann meinte wiederum ein sogar darüber ein Buch schreibender Minister das Entschuldigen in der Art, dass die Betroffenen den Verursachern die Hand reichen sollten.
Ernüchternd geht das Jahr 2023 nun also schon wieder „gut“ los, finde ich im Angesicht der Worte, die der unter anderem bei RND zitierte Bundesminister in sein Smartphone tippte. Er verriet damit eine neuerliche Boshaftigkeit aus seinem Labor der Hässlichkeit, die des möglichen Entzugs existenzieller Grundlagen.
„…Grund zur Kündigung der Wohnung…“
Dass er diesen Text löschte, macht seine Aktion nur noch skandalöser. Der Gedanke, er habe vielleicht in einem Anflug von Wut und unter Wirkung des Neujahres-Sektes sich (ausnahmsweise) „mal ehrlich“ gemacht, entschuldigt sein Verhalten nicht. Schäbig ist das Verhalten von Menschen in der Silvesternacht gegenüber Rettungskräften und Polizei. Die Straftaten zu verfolgen und zu bestrafen, sind Sache der Justiz. Nicht die eines Gesundheitsministers. Und ehrlich sollte er als Minister ohnehin stets sein. In seinem Fall scheint man es sich nicht auszudenken, wäre er es stets. Er müsste sich nicht zurückhalten, wäre seine Ehrlichkeit menschlich. So aber präsentiert der Minister mit seinem Tweet öffentlich erneut Boshaftigkeit.
Da ist sie wieder, die Frage: Erinnern Sie sich? Selbst wenn man naiv ist und keine Fachkompetenz betreffs der Arbeit eines Ministers, dessen vielen Verpflichtungen, dessen Stress und der Verantwortung hat, so hat man das Recht, Anstand zu verlangen. Mehr noch als bisher, war zu erleben, zu erleiden, wie vieles in den vergangenen drei Jahren in unserem Land falschgelaufen ist. Anstand beweist der Minister erneut nicht, seine Smartphone-Wort-Nachricht steht sinnbildlich für die von ihm mitbefeuerte Verrohung der Gesellschaft. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Ungestraft darf ausgesprochen werden, Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen. Zur Bestrafung einem das Dach über dem Kopf zu entziehen – was ist das für ein Gedanke? Es ist ein ähnlicher Gedanke wie der des Bürgermeisters, der Lohn und Rente einfrieren wollte, falls…
Das Wort „Kündigung“ gehört auf die Tagesordnung. Nicht der Wohnung, sondern die Freistellung vom Amt. Zur Kündigung, zur Forderung des Rücktritts von einem demokratischen Amt gehört auch die Gewissheit für die Bürger und für den Minister, dass ihm, dem Freigestellten, danach kein Absturz ins soziale Elend droht, dass dieser Bürger weiter ein anerkannter, mit allen Rechten unserer Demokratie versehener Mensch ist und bleibt. Mindestens wäre diesem Bürger aber die Möglichkeit genommen, Macht zu missbrauchen, Mitbürger wie Marionetten zu behandeln, am Nasenring durch die Manege zu ziehen.
Kündigungen satt. Zum Beispiel der Wohnung … Das soll der Minister auch bedenken: In unserem reichen Land wird täglich vielen Menschen ihre Wohnung gekündigt. Es folgt deren Absturz im schlimmsten Fall, besonders entwürdigend sind die Zwangsräumungen, die vom Staat durchgezogen werden, obwohl lange schon gefordert wird, diese Zwangsräumungen zu verbieten, genauso wie Stromzwangsabschaltungen und andere Zwangsmaßnahmen, die alle einer Demokratie, einer fortschrittlichen, wohlhabenden Gesellschaft nicht würdig sind. Das kann man, Apropos Würde, in unserer Verfassung, dem Grundgesetz, schon in den ersten Zeilen nachlesen.
Dachte der Minister beim Tippen seiner Wortmeldung an die Leute, die keine Wohnung mehr haben, fuhr er in Berlin vielleicht unter einer Brücke an einem Häuflein Elend solcher Menschen vorbei? Tat er es in der Absicht, dass Kündigungen erzieherische, marktbereinigende Wirkungen haben und ihm vielleicht ein zynisches Lächeln entlocken? Kann so ein Mann sich immerzu Instrumente der „Erziehung“, der „Sanktionierung“, des „Druck Machens“ ausdenken? Sein Ressort, das der Gesundheit, hat der gute Mann gerade in der Pandemie zur wichtigsten Institution des Landes ausgerufen, was nicht verhinderte und verhindert, dass weiter Krankenhäuser geschlossen und Mitarbeiter gekündigt werden. Gerade ist eine solche Aktion in meiner Heimatregion durchgezogen worden.
Das Jahr hat gut begonnen, zumindest was (unter uns Bürgern bis in die kleinsten Zellen der demokratischen, zivilen Gesellschaft) Wünsche, Hoffnungen Äußern, Pläne Schmieden anbelangt. Die Nachricht auf RND, der Minister ist zurückgetreten, sie wäre eine gute Nachricht. Gute Nachrichten braucht das Land.
Titelbild: Sattalat Phukkum/shutterstock.com