Leserbriefe zu „Die Doppelmoral beim Völkerrecht: Bundesregierung möchte Irakkrieg immer noch nicht verurteilen“
Tobias Riegel thematisiert hier eine aktuelle Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zum Irakkrieg. Eine klare Bewertung dieses Krieges als völkerrechtswidriger Angriffskrieg werde verweigert, während „ein Feuerwerk des inszenierten Engagements für Menschenrechte“ abgebrannt und „eine (pseudo-)klare Kante gegen ´Autokraten´“ gezeigt werde. Die Regierung tue so, „als habe es den Skandal um die von den USA erfundenen Massenvernichtungswaffen des Irak nicht gegeben“. Das damalige Urteil des Sicherheitsrates habe auf falschen Geheimdienstangaben und auf einer weltweiten Propaganda-Kampagne beruht. Die Irak-Position des Auswärtigen Amtes müsste eigentlich einen „höhnischen Aufschrei“ auslösen – das passiere aber nicht, „weil zahlreiche Medien und Journalisten versuchen, die Regierung und ihre Politik abzuschirmen“. Danke für die interessanten Zuschriften. Hier folgt nun eine Auswahl der Leserbriefe. Christian Reimann hat sie für Sie zusammengestellt.
1. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Riegel,
die Mächtigen führen die Bürger mit ihren vielfältigen Manipulationsmethoden an der Nase herum. Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der MdB Dagdelen ist eine weitere Manipulation. Doppelmoral ist bekanntlich keine Moral. Wenn Putin & Co. tausende Ukrainer (und die eigenen Soldaten) abschlachten lassen, ist das ein “Angriffskrieg”, “völkerrechtswidrig” und “abscheulich”. Wenn George W. Bush & Co. tausende Iraker abschlachten ließen und einen fürchterlichen Bürgerkrieg im Irak entfesselten, dann verlieren die Mächtigen hier im Land kein Wort darüber. Politisch unerfahrene Menschen und politische Idioten mögen auf die Worthülsen der Politikerklasse weiter hereinfallen; die übrigen tun gut daran, die Medien einfach abzuschalten, sobald ein Vertreter der Macht auch nur den Mund aufmacht.
Angenehme Feiertage!
Hae-Joo Chang
2. Leserbrief
Es wäre zu wünschen, dass alle Iraker und Menschen aus anderen Ländern diese Argumentation der deutschen Bundesregierung lesen. Im Übrigen sehe ich die UN-Begründung für Kriege generell sehr problematisch: sobald der UN-Sicherheitsrat grünes Licht gibt, dürfen „alle erforderlichen Mittel“ eingesetzt werden. Die UNO gibt also einen Freibrief für rücksichtsloses Morden jeglicher Art? Egal wo und wie?
Sonderbare Regelung.
W. Müller
3. Leserbrief
Hallo Herr Riegel,
Sie schreiben: “Das damalige Urteil des Sicherheitsrates beruhte auf falschen Geheimdienstangaben und auf einer weltweiten Propaganda-Kampagne.”
Was Sie vielleicht nicht registriert oder vergessen haben:
Die falschen Geheimdienstangaben wurden vom deutschen Geheimdienst BND beschafft, siehe Anhänge:
Der Fall _Curveball__ Wie ein BND-Informant den Irak-Krieg auslöste – WELT
Kriegslüge BND bezahlte irakischen Betrüger_Panorama
Das könnte ein besonderer Grund sein, warum die “Bundesregierung (den) Irakkrieg immer noch nicht verurteilen” möchte.
Gruß
B. Weber
4. Leserbrief
Lieber Tobias Riegel, Der Artikel zur Stellung der Bundesregierung und nicht nur dieser zum Irak krieg wirft nach wie vor einen Spot auf die Doppelmoral politischer Amtsträger. Allerdings wird das Verständnis für die Haltung der aktuellen Amtsträger verständlich,wenn man den Blick auf die Teilnehmer der Koalition der Willigen wirft.Da ist doch ein sehr grosser Teil heute auch verbunden in der Unterstützung der ukrainischen Waffenfreunde im Irakkrieg. Auch dürfte es nicht ganz zufällig sein,dass der Beitritt der baltischen Staaten zur EU im Jahr 2004 liegt,lediglich die Ukraine hatte mit längeren Wartezeiten zu rechen.Das scheint in Brüssel nun aber auch Fahrt aufzunehmen. Die publizistische Aufwertung der Ukraine durch den Bundestagsbeschluss zum “Holodomor”,als leidgeprüftes Volk mit Tradition ,bringt es fertig aus dem Leidensspektrum den deutschen Vernichtungskrieg auszuklammern. Politiker ,die Geschichte als Steinbruch für ihre tagespolitischen Vorhaben einsetzen,sollte mit grösstem Misstrauen betrachtet werden.Das sollte auch den Blick schärfen für militärpolitischen Auslassungen der aktuellen Regierung,insbesondere der Aussenministerin,deren Besuch zur Übergabe der Benin Bronzen, erneut ein Bürgerkriegsland mit Bodenschätzen betrifft,ähnlich wie Mali oder noch besser Marokko ,mit Verhandlungen über Solaranlagen in Westsahara,Ein Bürgerkrieg scheint aber den Blick auf das Grosse-Ganze nicht trüben zu können. Ein kleiner Hinweis ging durch die Presse,dass im Aussenministerium in Berlin ,der Bismarck Sall umbenannt wurde,weil nicht mehr zeitgemäss. Ich vermute mal, dass den aktuellen Nutzern die Bündnis und Vertragspolitik die Bismarck führte um nach 1871 in Europa stabile Beziehungen zwischen den Staaten zu sichern,um einen krieg zu vermeiden. das Geflecht ging erst in die Brüche,weil der Nachfolger Caprivi es versäumte Verträge zu verlängern.Das Ergebnis ist bekannt. So,wie deutsche Aussenpolitik derzeit agiert, könnte man an ein Deja vue glauben.Dazu müssten aber den Handelnden diese Details bekannt sein.Und dafür spricht recht wenig.Leider!
Beatrix Isensee
5. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Riegel,
seit der Kanzler Scholz offiziell die „Zeitenwende“ für alle Vergesslichen eingeführt hat, ist es nicht mehr verwunderlich, dass Amerika-Treue mit solchen Anfragen nur gestört wird.
Wen interessiert noch der „FELDZUG der ANGLO-AMERIKANISCHEN LÜGEN“ im Irak.
Dieser Feldzug der „WILLIGEN“, der durch durchsichtige Lügen der BUSH Administration, unter Beteiligung eines Königreichs mit einem Tony Blair als Premierminister in Downing Street, bereits im Anfangsstadium, Bush als den „ÖLPRINZEN“ und Blair als den „SHUT“ enttarnten.
Wo hier zu Lande ein Neoliberaler Westerwelle heulend unter seinem Schreibtisch kauerte und Saddams Nirwana-Raketen pünktlich zu den Tagesthemen erwartete . . .
„Auch Gerhard Schröder und der damalige Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier hatten die Deutschen beim Thema Irak-Krieg belogen! Offiziell verweigerte die Regierung den USA jede aktive Unterstützung. Tatsächlich segnete das Kanzleramt einen geheimen Deal mit dem US-Militär ab. BND-Agenten in Bagdad lieferten sogar Zielkoordinaten für die Amerikaner.
BND-Agenten und französische Geheimdienstler gaben den USA Zielkoordinaten durch. Weil die CIA damals keine eigenen Agenten vor Ort hatten.“
„In Pullach laufen die Planungen für die Operation Bagdad…
“Steinmeier unterstützt den Plan. Hochrangige BND-Mitarbeiter treffen sich mit Vertretern der CIA und DIA, dem Militärgeheimdienst der USA. Die Deutschen bieten an, BND-Spezialisten in Bagdad zu akkreditieren.
21. Januar 2003: Bundeskanzler Schröder auf einer Wahlkampfveranstaltung im niedersächsischen Goslar: “Unter meiner Führung wird sich Deutschland an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen.”
Mittwoch, 22. Januar 2003. Der Deal wird vollzogen. Der BND verabredet mit dem US-Militärgeheimdienst DIA, im Krieg zu kooperieren.“
Trotz ihres offiziellen Neins zum Krieg haben sich die Deutschen somit Zugang zur Schaltzentrale der amerikanischen Kriegsmaschinerie verschafft. Dafür zahlen sie einen hohen Preis: Im Gegenzug müssen BND-Agenten in Bagdad für die US-Streitkräfte spionieren. Am 4. Februar 2003 wird der Deal in einer formellen “Regelung zur Übereinkunft” festgezurrt.
Am 16. Dezember 2003 lässt sich Außenminister Joschka Fischer im jordanischen Amman von den BND-Männern den heiklen Fronteinsatz schildern.
Erst Jahre später, im Januar 2006, erfährt die Öffentlichkeit, dass der BND während des Irak-Kriegs in Bagdad war.
Danach gefragt, erklärt Joschka Fischer, der Sachverhalt sage ihm “nichts”. Sein Amtsnachfolger Steinmeier antwortet auf die Frage, ob er von den BND-Aktivitäten gewusst habe, mit “Nein”. Ein Missverständnis, beteuert das Außenamt später.”( Der Stern 11.09.2008 )
Aber unser „BundesBildZeitungsPräsident“ hat es mit der Wahrheit nicht so.
Wie in diesem peinlichen Fall von Staatslüge und Olaf Scholz ist nicht mehr weit davon entfernt . . . .
Mit freundlichen Grüßen
B. Schroeder
6. Leserbrief
Sehr geehrte Redaktion der NachDenkSeiten,
das soll wohl ein Witz sein? Bushs und Blairs unprovozierter, eigensüchtiger und lügenbasierter Irak-Überfall war mindestens so sehr ein Angriffskrieg wie Russlands Ukraine-Krieg, dem eine lange Kette an Eskalationen, Provokationen sowie der Bruch von Versprechen (keine NATO-Osterweiterung) und vertraglichen Zusagen (Minsk 2-Abkommen) seitens der NATO und der nationalistischen ukrainischen Regierung vorausgeeilt ist.
Selbst nach Auskunft der zumeist US-freundlichen Wikipedia forderte der Angriffskrieg gegen den Irak allein unter den irakischen Zivilisten “ca. 115.000 – 600.000 Tote bis zum Ende der US-Besatzung 2011”. Zu der Zahl der verwundeten irakischen Zivilisten heißt es auf Wikipedia mit Bezug auf die getöteten Zivilisten: “Unbekannte, aber weit höhere Anzahl an Verwundeten.”
Die Zahl getöteter irakischer Soldaten wird von Wikipedia mit “28.800 – 37.400 Toten” angegeben. An anderer Stelle schreibt Wikipedia: “Die Zahlenangaben der Opfer des Irakkrieges und der anschließenden Zeit der US-Besetzung schwanken je nach Quelle zwischen weniger als 100.000 und mehr als 1.000.000 Menschen.”
Im Übrigen ist die Behauptung im oben zitierten Wikipedia-Text, die Besetzung des Irak durch die USA sei 2011 beendet worden, falsch. Denn dort befinden sich weiterhin ca. 2.500 US Soldaten, deren Präsenz laut Aussagen des irakischen Militärs vom Februar 2021 sogar weiter ausgebaut wird. Die USA ignorieren damit sowohl einen Beschluss des irakischen Parlaments vom Januar 2020, der die USA zum vollständigen Truppenabzug auffordert, als auch die Forderung des sogenannten Millionenmarsches vom Januar 2021, deren Teilnehmer – ca. 4 Millionen Irakerinnen und Iraker – den vollständigen Abzug fremder Truppen aus dem Irak forderten.
Im Oktober 2018 berichtete die Süddeutsche Zeitung über eine Studie der Washington University in Seattle, wonach durch Bushs und Blairs Angriffskrieg gegen den Irak mindestens 500.000 Menschen zu Tode gekommen sind:
“Forscher aus den USA legen sich in der Studie “Der Irak-Krieg 2003 und vermeidbare menschliche Opfer” auf etwa 500.000 Menschen fest, die an den Folgen des Krieges gestorben sind. “Wir schätzen, dass der Krieg etwa eine halbe Million Menschen das Leben gekostet hat. Und das ist eine niedrige Schätzung”, sagte die Gesundheitsexpertin Amy Hagopian von der Washington University in Seattle, die die Studie leitete.”
Dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg durch Bushs “Koalition der Willigen” (zu der im Übrigen auch die Ukraine zählte) ging zudem mit Folter an Irakern (z.B. im berüchtigten US-Foltergefängnis Abu Ghraib) einher.
Im März 2003 hatte der damalige US-Außenminister Colin Powell vor dem Weltsicherheitsrat der UNO wahrheitswidrig behauptet, der Irak sei noch im Besitz von Massenvernichtungswaffen. Powell räumte jedoch nach seinem Ausscheiden aus der US-Regierung im Oktober 2005 ein, vor dem Weltsicherheitsrat gelogen zu haben. Im März 2003 hatte der Irak keinen Zugriff mehr auf Massenvernichtungswaffen oder auf Anlagen zu deren Produktion.
Im Übrigen waren es maßgeblich die USA selbst, die es ihrem früheren Verbündeten Saddam Hussein ursprünglich ermöglicht hatten, Massenvernichtungswaffen zu produzieren, wie sogar in der zumeist US-freundlichen Wikipedia nachzulesen ist:
“Der Irak wurde seit 1975 mit Lieferungen von technischem Gerät und Know-how von 50 internationalen Firmen – darunter 24 aus den USA – versorgt, die das ganze Spektrum von atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen sowie Raketentechnologie umfasste.”
Doch damit nicht genug: Die USA unterstützten Saddam Husseins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Iran und akzeptierten in den 80er Jahren dessen Giftgaseinsatz sowohl gegen den Iran als auch gegen die Kurden. So titelte beispielsweise Telepolis im August 2013:
“Reagan tolerierte Saddam Husseins Giftgaseinsatz im Iran/Irak-Krieg”.
Und der österreichische Standard titelte ebenfalls im August 2013 zu Husseins Angriffskrieg gegen den Iran:
“Iran-Irak: USA unterstützten Saddam bei Giftgasangriffen”.
Das Verhältnis der NATO – insbesondere der USA und Großbritanniens – zum Irak war damit über Jahrzehnte hinweg bis zum heutigen Tag geprägt von Gewissenlosigkeit, Amoralität, Heuchelei und Doppelmoral. Noam Chomsky, emeritierter MIT-Professor und seit der Zeit des Vietnamkriegs der wohl bedeutendste Kritiker des US-amerikanischen Imperialismus, bringt dies in seinem Buch “Power and Terror” auf den Punkt:
“Wir können Saddam Hussein dämonisieren, müssen aber verschweigen, dass er seine schlimmsten Verbrechen mit amerikanischer und britischer Hilfe verübt hat. Das ist allerdings eine sehr aparte Dämonisierung.”
Immer wieder, so auch im Falle des Irak, paktiert die NATO – und hier vor allem die NATO-Führungsmacht USA – selbst mit brutalsten Diktaturen, wenn es ihren eigensüchtigen geostrategischen und ökonomischen Interessen nützlich erscheint. Und wenn dies zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr der Fall ist, dann wird dieser vormalige Verbündete bei Bedarf zum großen Menschheitsverbrecher hochstilisiert (“neuer Hitler” etc.). Und was tun unsere hiesigen “Qualitätsmedien”? Sie reichen zu dieser widerlichen Schmierenkomödie zumeist auch noch ihre Hand.
Nachdem der Irak im Jahre 2003 über keine Massenvernichtungswaffen mehr verfügte (was die US-Regierung, wie Colin Powell 2005 bestätigte, sehr wohl wusste), wurde dieser von Bush wegen eigensüchtiger Motive überfallen: Die USA trachteten nach dem Zugriff auf die irakischen Öl- und Gasvorkommen sowie nach neuen US-Militärbasen im Irak. Dieses US-Verhaltensmuster zeigte sich beispielsweise auch beim Libyenkrieg (2011).
Beide US-geführten Angriffskriege hinterließen für die Bevölkerungen des Iraks und Libyens neben unzähligen Todesopfern und Kriegsverwundeten zerstörte Infrastrukturen (Energie, Transport, Kommunikation etc.) sowie staatliche Strukturen.
Zu Bushs und Blairs Angriffskrieg gegen den Irak stellte der britische Dramatiker Harold Pinter in seiner Nobelpreisrede im Dezember 2005 ganz unmissverständlich fest:
“Wie viele Menschen muss man töten, bis man sich die Bezeichnung verdient hat, ein Massenmörder und Kriegsverbrecher zu sein? Einhunderttausend? Mehr als genug, würde ich meinen. Deshalb ist es nur gerecht, dass Bush und Blair vor den Internationalen Strafgerichtshof kommen.”
Man kann jedoch getrost davon ausgehen: Eher fallen Ostern und Weihnachten auf einen Tag, als dass sich selbst hochkarätige NATO-Kriegs- und Völkerrechtsverbrecher vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag werden verantworten müssen.
Resümee: Bei Bushs und Blairs Irak-Krieg handelte es sich zweifelsfrei um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Dass die heutige Bundesregierung sich weigert, diesen US-Überfall auf den Irak als Angriffskrieg zu bezeichnen, entlarvt ihre gegen Russland zur Schau gestellte moralische Überheblichkeit – frei nach dem Motto “Wir sind immer und stets die Guten!” – als Heuchelei und Doppelmoral.
Mit freundlichen Grüßen
Günter Kieren