Die Lüge mit Hartz IV-Sanktionen-Statistik soll den Flop des „Bildungspakets“ verdecken
828.708 Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger, eine Steigerung um 14 Prozent, so lauteten die Schlagzeilen. Damit wird der Eindruck erweckt, dass nahezu jeder Sechste der etwa 5 Millionen von Hartz IV Betroffenen sanktioniert würde, weil er die gesetzlichen Auflagen nicht erfüllt. Tatsächlich sind aber nur höchstens 4 Prozent Hartz-IV-Empfänger mit Sanktionen belegt worden. Bezogen auf den Bestand der Hartz IV-Empfänger, die sanktioniert wurden, hat sich die Quote der Betroffenen gerade einmal von 2,5 auf 2,8 Prozent erhöht. Selbst Arbeitsministerin von der Leyen muss einräumen: „96 Prozent verhalten sich korrekt“. Die in diskriminierender Absicht in die Welt gesetzte Horrorzahl von über 800.000 ausgesprochenen Sanktionen („Trauriger Rekord“) erklärt sich, dass nur die im angenommenen Zeitraum Anzahl der Sanktionen im Verlauf, also etwa auch mehrfache Sanktionen, erfasst werden, aber nicht die Zahl der Personen, die von einer Sanktion betroffen wurden. Wolfgang Lieb
Kaum stellte sich heraus, dass das Bürokratiemonster namens „Bildungspaket“ floppt, da gab es – so ganz zufällig – wieder einmal Feuerschutz von der von der Leyens Bundesarbeitsministerium unterstellten Bundesagentur für Arbeit. Zunächst exklusiv in der Bild-Zeitung:
„Hartz-IV-Schande!
Noch nie mussten so viele Stütze-Empfänger bestraft werden
Sie weigern sich, einen Job anzunehmen, gehen einfach nicht zu Terminen bei der Arbeitsberatung oder verprassen ihr Erspartes, um mehr Hartz IV zu bekommen. Immer häufiger müssen die Arbeitsagenturen Hartz-IV-Empfänger bestrafen, weil sie ihren Pflichten nicht nachgekommen sind.
2010 wurden insgesamt 828 708-mal Sanktionen gegen Stütze-Empfänger verhängt – 14 % mehr als im Jahr zuvor. Trauriger Rekord! Im Schnitt wurde jedem Betroffenen die Stütze um 114,31 Euro im Monat gekürzt – zehn Euro mehr als 2009. Ebenfalls Rekord!“
Quelle: BILD.de
Und die meisten „Qualitätsmedien“ vom Handelsblatt bis hin zur Frankfurter Rundschau plapperten diese Meldung ohne weitere Erläuterung, Einordnung und Recherche einfach nach.
So blieb nahezu überall z.B. unerwähnt, dass in den über 800.000 Sanktionen Mehrfachzählungen enthalten sind. Eine Statistik der Sanktionen 2007-2010 hat das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe zusammengestellt [PDF – 180 KB], die eine zutreffende Beurteilung erlaubt. Bei den über 800.000 Fällen handelt es sich um eine Bewegungsstatistik (wie viele neue Fälle, unabhängig von der Frage der Mehrfachzählung oder der Bestandskraft einer Sanktion) und nicht um eine Quote.
Bei einer Quotenbetrachtung relativiert sich die Horrorzahl 800.000: 2009 – Sanktionsquote erwerbsfähige Hilfeberechtigte = 2,5 %, 2010 = 2,8 %, demnach die Steigerung von 2,5 auf 2,8 %.
Interessant ist übrigens auch die dort aufgeführte Tabelle der Sanktionsgründe. Sie reichen vom Meldeversäumnis (über 20 % aller ausgesprochenen Sanktionen) bis zur „Fortsetzung unwirtschaftlichen Verhaltens“ (was darunter auch immer zu verstehen ist).