Die Fußball-WM in Katar ist Geschichte. Nach vier Wochen endete das Spektakel mit einem furiosen Finale, in dem sich Argentinien im Elfmeterschießen mit 4:2 gegen Frankreich durchsetzte.
Sportlich war an diesem Event wenig auszusetzen, auch wenn das Teilnehmerfeld mit 32 Mannschaften arg aufgebläht war. In den Vorrundengruppen setzten sich – mit Ausnahme von Marokko und Australien – die Favoriten durch, auch das Ausscheiden der deutschen Mannschaft kam nicht unbedingt überraschend. Ab dem Achtelfinale gab es viele gute, spannende und manchmal auch dramatische Spiele zu sehen, doch nur der Siegeszug der Marokkaner, der sie nach Siegen gegen Spanien und Portugal bis ins Halbfinale führte, ist als echte Sensation zu werten. Von Rainer Balcerowiak.
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Für Katar war die WM ein voller Erfolg. Geschätzt rund 220 Milliarden Dollar ließ sich das Emirat die Ausrichtung dieser global beachteten Großveranstaltung kosten, Bestechungsgelder für die Vergabe noch nicht eingerechnet. Zum Vergleich: Die vergangenen sieben Weltmeisterschaften haben Schätzungen zufolge zusammen rund 44 Milliarden Dollar gekostet, hat das Handelsblatt errechnet. Gut investiertes Geld, das diesen Zwergstaat mit seinen gigantischen Öl- und Gasvorkommen für mehrere Wochen in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückte. Ein arabisches Land als Gastgeber einer exzellent organisierten Großveranstaltung, ein unüberhörbares Signal für die Zukunft. Die während der WM bekannt gewordene Bestechung von EU-Abgeordneten zwecks imagefördernder Einflussnahme hätte man sich eigentlich sparen können, doch Geld spielt für Katar eh keine Rolle.
Auch für den Weltfußballverband FIFA, dessen inneren Kern man getrost als kriminelle Vereinigung bezeichnen kann, war diese WM ein Triumph. Er erzielte bei dieser WM einen Rekordumsatz und sieht das als Startschuss für eine weitere Expansion mit noch größeren Wettbewerben, wie etwa einer Klub-WM mit 32 Teilnehmern. Für die kommenden vier Jahre wird ein Umsatz von 11 Milliarden Euro angestrebt. Davon profitieren auch die kleinen Mitgliedsverbände, entsprechend unangefochten geht FIFA-Chef Infantino jetzt in die Wahl für seine nächste Amtsperiode.
Derweil steht Europa – allen voran Deutschland – schmollend in der Ecke. Sehr spät fiel auch jenen Politikern, die derzeit durch die Welt reisen, um bei diesem Emirat und etlichen anderen Schurkenstaaten um ein paar Eimer Flüssiggas und Erdöl zu betteln, ein, dass da in Katar in Sachen Demokratie, Arbeitsschutz, Frauen- und Queer-Rechten einiges schiefläuft, was zweifellos stimmt. Es begann eine absurde Boykott-Diskussion, denn dieser Zug war natürlich längst abgefahren. Vor Ort versuchte man es dann noch mit ein paar albernen „Protest“- Gesten, wie etwa einer harmlosen, mehrfarbigen Binde, die der deutsche Mannschaftskapitän Manuel Neuer beim ersten Spiel der DFB-Auswahl tragen sollte. Doch der mahnende Zeigefinger von FIFA-Boss Infantino reichte aus, um den Widerstandsgeist der deutschen Menschenrechtskämpfer auf dem Rasen zum Erlöschen zu bringen. Übrig blieb – noch alberner – ein Mannschaftsfoto, bei dem sich alle Spieler den Mund zuhielten. Und eine deutsche Ministerin, die besagte Binde auf der Ehrentribüne überstreifte.
An der Heimatfront bemühten sich die großen Medien nach Kräften, möglichst viele Haare in der WM-Suppe zu finden. Nach dem Reportagen-Tsunami über tote Gastarbeiter, Menschenrechte und Korruptionsverdacht wurde nunmehr genüsslich über halbleere Stadien, kleinere logistische Pannen und öde Stimmung wegen Alkoholverbot lamentiert. Als ob man sich nach Weltmeisterschaften sehnt, bei denen Massenschlägereien von betrunkenen Fan-Gruppen zum quasi offiziellen Begleitprogramm gehören oder gar, wie 1998 in Frankreich, darin gipfelten, dass deutsche Hooligans einen französischen Polizisten zum Krüppel schlugen.
Doch je länger die WM dauerte, desto kleinlauter wurden die Menschenrechtskämpfer. Vor allem die Fangruppen aus Marokko, Tunesien, Mexiko und Argentinien vermittelten ein farbenfrohes, fröhliches Bild, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Stadien. Das scheint auch ohne große Mengen Alkohol möglich zu sein – eine in Deutschland und einigen anderen Ländern vollkommen abwegige Vorstellung. Es ist wohl auch kein Zufall, dass zwei jener europäischen Mannschaften, die mit dem Gedöns nicht viel am Hut hatten, am erfolgreichsten spielten, nämlich Frankreich und Kroatien, während die „One Love“-Protagonisten wie Deutschland und Dänemark schon früh aus dem Turnier flogen. Was allerdings in beiden Fällen auch noch andere Gründe hatte. So ist Deutschland ohne konkurrenzfähige Außenverteidiger und mit einem international unerfahrenen Spieler als Sturmspitze nach Katar gefahren. Aber das nur nebenbei.
Ohnehin ist das nationale Gedöns für die meisten Teilnehmer nur der Überbau der gigantischen Geldmaschine Fußball-WM. Die beiden besten Spieler des Turniers, der Argentinier Lionel Messi und der Franzose Kilian Mbappé, spielen im Hauptberuf zusammen beim französischen Spitzenklub Paris Saint-Germain, der ebenfalls zum katarischen Investmentportefeuille gehört. Ab dem Achtelfinale gab es keine Mannschaft mehr, in der nicht fast alle Spieler bei Vereinsteams in anderen Ländern ihr Brot verdienen, die sich – wie etwa in England – im Besitz großer Finanzinvestoren befinden. Wobei nicht zu übersehen ist, dass sich Erfolge von Nationalteams prima politisch instrumentalisieren lassen, etwa in Ländern wie Argentinien und Marokko, wo dem Volk dann für eine gewisse Zeit das Gekicke ihrer millionenschweren Auswanderer wichtiger ist als galoppierende Inflation, Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut.
Aber das ist nur die – zweifellos unverzichtbare – Begleitmusik. Denn eigentlich geht es für alle Beteiligten um Geld, um sehr viel Geld. Um neue Märkte für Produkte und Senderechte, um die Erschließung bislang „fußballferner“ Regionen der Welt und für die Spieler um die Steigerung ihres Marktwertes. Das weiß man alles seit vielen Jahren, und auch dass die Vergabe der Weltmeisterschaften (wie auch Olympischer Spiele) schlicht käuflich ist, sollte in Deutschland keine Neuigkeit sein.
Die bittere Erkenntnis wird hierzulande für viele sein, dass die Welt immer weniger am deutschen Wesen genesen will. Bei den Sanktionen gegen Russland klappt das nicht so richtig, und auch bei dieser WM ist es gründlich schiefgegangen. Die „korrekten“ Kneipen können ihre Boykottschilder wieder entfernen, und die „One Love“-Binde wird es wohl nicht mal ins Deutsche Historische Museum schaffen. Auch die angeblich bei dieser WM deutlich gesunkenen Einschaltquoten werden nicht mehr täglich als Erfolgsmeldungen für den Menschenrechtskampf bejubelt werden. Der FIFA-Tross zieht weiter, die nächste Klub-WM findet in Marokko statt, die nächste Verbands-WM – dann mit 48 Mannschaften – in den USA, Kanada und Mexiko. Selbst die Erinnerung an die sportlich teilweise spektakuläre WM wird zumindest in Deutschland sehr schnell verblassen. Fußball ist Teil der schnelllebigen Unterhaltungsindustrie. Und wer weiß: Vielleicht gehen die Rolling Stones ja doch noch 1 Mal auf Welttournee. Und dann werden sie bestimmt auch in Katar auftreten.
Titelbild: ArifAsif/shutterstock.com