Die Fassade der Geschlossenheit zwischen EU und USA bröckelt. In einem Gespräch mit dem US-Politikmagazin Politico ließ jetzt ein ranghoher EU-Beamter seinem Frust über die auf Eigeninteresse fokussierende Haltung der USA im Ukraine-Krieg und gegenüber der Europäischen Union freien Lauf. Laut ihm würden die Vereinigten Staaten mit dem Krieg ein Vermögen verdienen, während gleichzeitig die EU-Länder massiv darunter leiden und ausnahmslos in eine Rezession stürzen. Amerika müss endlich erkennen, dass sich die öffentliche Meinung in vielen EU-Ländern ändere und dabei sei, sich gegen die USA zu wenden, so seine explizite Warnung an Washington. US-Vertreter weisen die Vorwürfe empört von sich. Es knirscht merklich im transatlantischen Gebälk. Von Florian Warweg.
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“Nüchtern betrachtet sind die USA das Land, das am meisten von diesem Krieg profitiert, weil sie mehr Gas zu höheren Preisen verkaufen und weil sie mehr Waffen verkaufen”.
Was noch vor wenigen Wochen als „verschwörungsideologisches Geschwurbel“ abgetan worden wäre, erklärt nun unverhohlen ein hoher EU-Beamter gegenüber dem US-Politikmagazin Politico.
Weiter führt der hochrangige EU-Beamte aus:
“Wir sind wirklich an einem historischen Punkt angelangt. Der doppelte Schlag der Handelsunterbrechung durch die US-Subventionen und die hohen Energiepreise birgt die Gefahr, dass sich die öffentliche Meinung sowohl gegen die Kriegsanstrengungen als auch gegen das transatlantische Bündnis wendet. Amerika muss erkennen, dass sich die öffentliche Meinung in vielen EU-Ländern ändert.“
Im vom Axel-Springer-Verlag im August 2021 für über eine Milliarde US-Dollar erworbenen Medium, welches als eines der einflussreichsten im Washingtoner Politikbetrieb gilt, wird dazu weiter ausgeführt:
„Die brisanten Äußerungen, die öffentlich und privat von Beamten, Diplomaten und Ministern anderer Länder unterstützt wurden, folgen auf die wachsende Verärgerung in Europa über amerikanische Subventionen, die die europäische Industrie zu ruinieren drohen. Der Kreml wird die Vergiftung der Atmosphäre unter den westlichen Verbündeten wahrscheinlich begrüßen.“
Mal abgesehen von dem spekulativen Verweis auf den Kreml, ist die Passage insoweit aufschlussreich, als dass sie aufzeigt, dass die Einschätzung des zitierten ranghohen EU-Beamten keine Einzelmeinung darstellt, sondern von einer Mehrheit der Funktionsträger in der EU und deren Mitgliedsländern geteilt wird.
Die US-Regierung reagierte umgehend auf die Aussagen aus Brüssel. Ein Sprecher von Bidens Nationalem Sicherheitsrat wies die Beschwerden aus der EU vehement zurück und behauptete zudem:
“Der Anstieg der Gaspreise in Europa ist auf Putins Invasion in der Ukraine und Putins Energiekrieg gegen Europa zurückzuführen, Punkt. Die Exporte von Flüssigerdgas aus den USA nach Europa sind dramatisch angestiegen und haben es Europa ermöglicht, sich von Russland abzukoppeln.”
Laut Politico sprechen Diplomaten auf beiden Seiten des Atlantiks bereits von einer „zunehmend giftigen Atmosphäre“.
Selbst ausgesprochene Transatlantiker wie Tonino Picula, der Beauftragte des EU-Parlaments für die transatlantischen Beziehungen, zeigen sich frustriert vom Agieren Washingtons:
“Die USA verfolgen eine innenpolitische Agenda, die bedauerlicherweise protektionistisch ist und die Verbündeten der USA diskriminiert.“
In eine ähnliche Kerbe schlug der europäische Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, in einem Interview mit dem französischen Staatsfernsehen am 23. November:
“Die Vereinigten Staaten verkaufen uns ihr Gas mit einem Multiplikatoreffekt von vier, wenn es den Atlantik überquert. Natürlich sind die Amerikaner unsere Verbündeten, aber wenn etwas schief läuft, muss man es auch unter Verbündeten sagen.”
Wirkliche Empörung kam in Brüssel aber erst auf, als Washington im Rahmen des „Inflation Reduction Act“ ein 369 Milliarden US-Dollar schweres Subventionsprogramm zur Unterstützung seiner Industrien ankündigte.
Ein EU-Diplomat, der anonym bleiben will, erklärte in Reaktion darauf:
“Der Inflation Reduction Act hat alles verändert. Ist Washington noch unser Verbündeter oder nicht?”
Insbesondere aus Paris wird Widerstand gegen das US-Agieren angekündigt. Ein Beamter des französischen Außenministeriums verkündete, die Diagnose sei klar: Es handele sich um “diskriminierende Subventionen, die den Wettbewerb verzerren”. Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire warf den USA letzte Woche sogar vor, den Weg des wirtschaftlichen Isolationismus Chinas zu beschreiten, und forderte Brüssel auf, einen solchen Ansatz ebenfalls zu übernehmen. Seine Begründung:
“Europa darf nicht als letzter der Mohikaner enden.“
Die französische EU-Abgeordnete der zentristisch-liberalen Partei „MoDem“ (Mouvement démocrate) griff zu noch dramatischeren Worten gegenüber dem „Verbündeten“ in Washington:
“Irgendwann muss man sich durchsetzen. Wir befinden uns in einer Welt der Machtkämpfe. Wenn man beim Armdrücken nicht muskulös ist, wenn man körperlich und geistig nicht vorbereitet ist, verliert man”.
Der eskalierende Konflikt zwischen den USA und der EU erinnert an die bekannte Maxime des ehemaligen US-Außenministers und imperialen Planers Henry Kissinger, welche aber insbesondere deutsche Politikvertreter gerne ignorieren:
“Amerika hat keine ständigen Freunde oder Feinde, nur Interessen”.
Kurz nach der Veröffentlichung der Aussagen des EU-Beamten erschien ein weiterer Artikel auf Politico mit dem bezeichnenden Titel: „Biden ignoriert Europa weiterhin. Es ist Zeit, dass die EU-Führer die Botschaft verstehen.“
In dem Beitrag wird betont, dass der neue Kalte Krieg gegen China für die US-Regierung oberste Priorität hat und die Europäer ihre Bedeutung für die USA komplett überschätzen:
“Die USA konzentrieren sich nach wie vor auf das, was die meisten als ihre wichtigste existenzielle Herausforderung ansehen: China. In dieser Gleichung ist Europa nur von maximal zweitrangiger Bedeutung.“
Das Washingtoner Politmagazin schließt mit folgender vielsagender Aussage:
„Was die Europäer jedoch entdecken, ist, dass der Ukraine-Krieg nur eine Facette des größeren strategischen Duells der USA mit China ist, das immer Vorrang vor den Interessen der EU haben wird.
Das war unter Trump so, und das wird auch unter seinem Nachfolger so bleiben. Es ist nur so, dass die Botschaft in einem anderen Stil vermittelt wird. Auf lange Sicht könnte sich Bidens höfliche Gleichgültigkeit aber als tödlicher (für die EU) erweisen.“
Titelbild: shutterstock / gopixa