Wo bleibt der Blick auf die Korruption zur Beeinflussung politischer Entscheidungen?
Gelegentlich ist es dem Beobachter der öffentlichen Meinungsbildung vergönnt, ins Schmunzeln zu geraten. So heute, als ich in der Frankfurter Rundschau den Bericht über das Korruptionsranking von Transparency International (TI) las. „Korruptionswächter schlagen Alarm“ hieß es dort.
… und weiter: „Im Korruptionsindex von Transparency International (TI) ist Deutschland um einen Platz abgerutscht. Die Bundesrepublik rangiert nun hinter Hongkong auf Rang 16.
Berlin · Der Index zeigt für 159 Staaten auf, wie unabhängige Organisationen Korruption in diesen Ländern wahrnehmen. Die Wertung reicht von zehn (keine Korruption erkannt) bis Null. Am Besten schnitt Island mit 9,7 ab, gefolgt von Finnland und Neuseeland (je 9,6). Deutschland erhielt in diesem Jahr mit 8,2 den gleichen Punktwert wie im vergangenen, allerdings konnte sich Hongkong auf 8,3 verbessern und zog an Deutschland vorbei.“
Die Tester von TI untersuchen die Korruption im Bereich der Wirtschaft, was sehr verdienstvoll ist. Aber sie haben vermutlich keinerlei Blick übrig für die korrumpierte und korrumpierende Einflussnahme auf politische Entscheidungen. Da hätten sie viel zu tun. Zum Beispiel müssten sie untersuchen, wie die interessierte Wirtschaft Einfluss nimmt auf Privatisierungsentscheidungen. Sie müssten darstellen durch welche „Beraterverträge“ oder mit welchen Aufsichtsratsposten oder durch welche sonstigen Vergünstigungen bis hin zu Einladungen in die VIP-Lounges bei Sportveranstaltungen Politiker für die Interessen von Unternehmen oder Wirtschaftsvereinigungen „gewogen“ gemacht werden. Oder sie müssten zu ergründen suchen, in wie weit Teile der Wissenschaft von der Finanzindustrie durch Forschungsaufträge oder die Finanzierung von wissenschaftlichem Personal und Instituten von ihren Aufraggebern gesponsert werden, um die „wissenschaftlichen” Begründungen z.B. für die Privatvorsorge fürs Alter zu liefern. Sie müssten auch untersuchen, wie dafür gesorgt wird, dass namhafte Politiker für die so genannten Reformen eintreten, obwohl diese reihenweise gescheitert sind und nichts gebracht haben. (Siehe Eintrag von heute) Und es müsste auch transparent gemacht werden, wie sich Lobbyisten in die Medien einkaufen bzw. redaktionelle Beiträge durch Androhung von Anzeigenboykott erzwingen. Es müsste ferner untersucht werden, welche Vorleistungen dahinter stecken, wenn Parlamentarier, Minister oder Staatssekretäre nach ihrem Ausscheiden in hoch dotierte Jobs in der Wirtschaft wechseln bzw. umgekehrt als Angestellte von Firmen unter Beibehaltung ihrer Bezüge in die Politik „geschickt“ werden. Warum wird nicht auch die Spendenpraxis von Unternehmen an die Parteien genauer unter die Lupe genommen?
Auch habe ich große Zweifel, ob Neuseeland einen so guten Rang verdienen würde, wenn man genau untersucht, wie es dort schon vor Jahren unter einer sozialdemokratischen Regierung zur neoliberalen Wende gekommen ist. Ich kenne das Ergebnis einer möglichen Untersuchung nicht. Wie sollte ich auch. Aber von einer Organisation, die für sich in Anspruch nimmt, Korruption zu untersuchen, sollte man erwarten, dass sie die wichtigsten Teile möglicher Korruption, nämlich Geld und Vergünstigungen zur Beeinflussung von politischen Entscheidungen, die uns alle betreffen, untersucht und dass sie solche entscheidenden Felder des gesellschaftlichen Zusammenwirkens nicht ausblendet.