Was fällt einem beim Anblick geradezu kriegerisch ausgestatteter Polizisten in Städten mitten in Europa für eine Frage ein? Warum machen die das? Antwort: Weil sie es können, weil sie es sollen, weil es eine Machtdemonstration darstellt. Polis heißt eigentlich das Volk, Polizei steht bei derartig militantem Auftreten indes für etwas anderes, für das Volk agiert sie, meine ich, nicht. Die Mächtigen in Ländern des Wertewestens wie beispielsweise Frankreich oder Deutschland, also die Befehlshaber der Polizei drehen weiter an der Eskalationsschraube. Das Militärische bis tief in die Zivilgesellschaft hinein zu installieren, hat den Grund, den Status Quo „Oben und Unten“ zu zementieren und berechtigten Widerstand gegen gesellschaftliche, soziale, wirtschaftliche Ungerechtigkeiten massiv einzudämmen. Friedliche Zeiten sehen anders aus. Ein Kommentar von Frank Blenz.
Die Daumenschrauben auf unserem Kontinent anzuziehen, nimmt Fahrt auf, dachte ich beim Lesen einer Information aus einem meiner Lieblingsländer, dem schönen Frankreich. Dort wurde gerade ein neues Polizeigesetz durch das Parlament beschlossen. An und für sich sollte so ein Machwerk nicht die Stimmenmehrheit erhalten, denn die Macroniten, also die Gefolgsleute von Präsident Macron, haben eigentlich keine Mehrheit. Macron hatte bei seiner knappen Wiederwahl auch gesagt, mit den oppositionellen Rechten nicht zusammenzuarbeiten. Doch das ist alles schöner Schnee von gestern. Gemeinsam im Verbund der Macroniten mit den Nationalkonservativen und den Ultrarechten (Le Pen) setzten sich all diese Militaristen und sich elitär Wähnenden durch.
Das Polizeigesetz verschärft die Sanktionsmöglichkeiten gegen die Bürger bis hinein in deren Alltag, mutmaßliche Ordnungswidrigkeiten zum Beispiel würden härter geahndet, diese würden zunehmend über „Geldbußen“ geregelt. Das schmerzt vor allem die, deren Budget ohnehin klein ist. Angemessene Prüfungen von Vorwürfen vor Gericht seien hingegen nicht vorgesehen. Die Bestrafung müsse schnell greifen, weg also mit dem lästigem juristischen Hin und Her und weg mit fairen Verfahren. Frankreichs Regierungen rüsten seit Jahren (auch) die Polizei auf, Ausrüstungen, Befugnisse, finanzielle Ausstattung inklusive. Man erinnere sich an eine schlimme Form der Bewaffnung der Polizei, die berüchtigten Hartgummiwerfer LBD 40, ein Qualitätsprodukt aus der ach so gern neutral genannten Schweiz, deren Geschosse bei zahlreichen Demonstrationen zu schweren Verletzungen bei Demonstranten führ(t)en. Man bedenke, dass die Geschosse besonders gezielt abgefeuert werden, Augenverletzungen sind die häufigsten Schäden.
Die Hintergründe des aggressiven Handelns der Regierenden in unserem Nachbarland habe ich bei einem Freund erfragt, Sebastian Chwala ist Frankreichkenner und Politologe. Er stellte unter anderem fest:
„Die fünfte Republik begründete von der ersten Minute an ihre Macht auf das Militär, die Geheimdienste und den Repressionsapparat aus den beiden bewaffneten Gattungen ‚Police‘ (dem Innenminister unterstellt) und ‚Gendarmerie‘ (dem Verteidigungsminister unterstellt). Frankreich ist seit jeher ein Polizei-, Schnüffel- und Repressionsstaat, mindestens schon seit Richelieus ‚cabinet noir‘. Alle Präsidenten von de Gaulle bis Macron haben ihre jeweilige Politik zur Not mit Schlagstock (Sarkozy), ‚opérations spéciales‘ (Mitterrand), politischen Hinrichtungen (de Gaulle) und Zurschaustellung der ‚force de dissuasion‘ (Chirac) untermauert und abgesichert. Die Grande Nation hat eine etwas irritierende Faszination für Brutalität.“
Der Repressionsapparat wird also weiter ausgebaut und das mit enormen finanziellen Mitteln. Es gruselt einen schon, geht man im schönen Paris an den dunkelblau bis schwarz Uniformierten der Police oder der Gendarmerie vorbei, die sich voller Eitelkeit und Arroganz ihrer Wirkung durchaus bewusst sind. Ich frage mich stets, wen die da beschützen, sind sie doch unser aller Freund und Helfer. Oder bin ich da zu naiv? Natürlich bin ich nicht naiv, der Auftritt der Polizei trägt die Botschaft: Wer nicht spurt, der hat die Härte der Gesetze der Obrigkeit, die Gewalt, die Anmaßung zu ertragen.
Auch in Deutschland sehen Polizisten zunehmend eher wie Krieger denn wie Helfer aus. In den vergangenen fast drei Jahren gab es passend zu den militärisch wirkenden Einsatzkräften Wasserwerfer, Einsatzwagen, sogar Polizei-Panzer zu sehen und bei Einsätzen gegen Protestierende zu erleben. In meiner Heimatstadt fuhren bei einer Demonstration von Eltern mit ihren Kindern (!) gegen Schulschließungen und Basta-Politik mehrere Hundertschaften der Ordnungskräfte auf. So viele Mannschaftswagen standen bis zu diesem Tag noch nie auf dem Postplatz, dem zentralen Platz im Zentrum meines Heimatortes. Es ist beschämend, dass statt gute, menschennahe Politik zu machen, auf den Protest gegen schlechte Politik mit derlei Aggressivität und staatlicher Gewalt reagiert wird. Es ist aber eben so: Die Gesellschaft(en) besser zu machen, ist nicht vorgesehen.
Mindestens mutmachend ist es in Frankreich, dass die Menschen auf der Straße nicht gewillt sind, tatenlos der Militarisierung und weiteren Neoliberalisierung der Gesellschaft zuzusehen. Die Bewegung der Gelbwesten feiert gerade den vierten Jahrestag ihres Bestehens. Deren Aktivisten fordern einen Untersuchungsausschuss im Parlament, der sich mit den Übergriffen und der Brutalität der Polizei gegen die Demonstranten in den vergangenen Jahren beschäftigen soll. Bis heute seien Täter nicht zur Rechenschaft gezogen worden und eine Aufarbeitung dringend nötig, lautet der Vorwurf.
Es bleibt viel zu tun und Widerstand zu leisten, Frankreich und weitere Staaten des Wertewestens rüsten auf, formulieren aggressive Strategien im In- und Ausland. Wörter wie Imperialismus und Kolonialismus fallen einem ein. Nirgends ist etwas von Frieden, Zusammenarbeit, Solidarität, Koexistenz und so weiter zu lesen. Dabei sind wir doch die Guten, oder? Wären wir das, hierzulande und in der Nachbarschaft, würde die Polizei aber doch nicht auf-, sondern abgerüstet werden, würden durch Parlamente soziale, progressive, optimistische und friedliche Gesetze beschlossen. Die kriegerische Realität indes ist Gegenwart. Es nützt Leuten, den einfachen aber nicht.
Während ich über die Zeilen für diesen Kommentar nachdachte, fuhr ich auf der Autobahn im bayerischen Franken. Und fühlte eine weitere Bedrohung, sie ist irgendwie typisch für unsere aus den Fugen geratene Zeit. Ich passierte mehrere zivile Transportfahrzeuge, auf denen militärische standen: Panzer und Schützenpanzer. Ich ahnte ihr Ziel. Im Autoradio liefen derweil bedrohliche Nachrichten: Waffenlieferungen gen Ukraine, Aufbau einer Friedenstruppe der NATO in Europa, türkische Bomben auf Syrien und Irak.
Was für eine friedliche Adventszeit, fiel mir nur noch mit bitterer Ironie ein.
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