Der aktuelle Chef des Stiftungsrates der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat in einem Interview mit dem Springer-Blatt BILD die Bundesregierung aufgefordert, alles in die Wege zu leiten, um Deutschland in eine „Kriegswirtschaft“ zu führen. Die Bundesrepublik stände erst „erst am Anfang der Zeitenwende“, so der langjährige deutsche Spitzendiplomat und Botschafter in den USA. Die vom ihm nun platzierte Forderung ist mehr als nur ein indirektes Eingeständnis, dass, zumindest nach seinem Verständnis, die Bundesrepublik sich bereits im Krieg mit Russland befindet. Von Florian Warweg.
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Wolfgang Ischinger ist ein Transatlantiker, wie er im Buche steht, und leitete viele Jahre lang die Münchner Sicherheitskonferenz, eine der weltweit wichtigsten und einflussreichsten sicherheitspolitischen Konferenzen. Er gilt als außerordentlich gut vernetzt in sicherheitspolitischen Kreisen und mit besten Kontakten ins politische Washington. Man kann vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass jemand wie Ischinger bewusst das Gespräch mit der (noch) auflagenstärksten Zeitung der Bundesrepublik gesucht hat, um dort die dramatische und folgenreiche Forderung nach „Kriegswirtschaft“ zu lancieren.
„Offenbar haben allzu viele noch nicht begriffen, dass wir erst am Anfang der Zeitenwende stehen, und dass es tatsächlich richtigen Krieg mitten in Europa gibt, dessen Ende leider nicht absehbar ist.“
Aufbauend auf dieser Aussage erklärt der langjährige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, dass Deutschland eine „Kriegswirtschaft“ bräuchte, denn „der Bedarf an Gerät und Munition für die Bundeswehr und für die Ukraine“ sei „dringlich und riesengroß“, weshalb „entsprechende Prioritäten“ gesetzt werden müssten, was bisher nicht der Fall sei:
„Das wird sich nur ändern, wenn entsprechende Entscheidungen auf höchster politischer Ebene, also im Kabinett getroffen werden.“
Ohne diese neue Prioritätensetzung würde Europa, so Ischinger weiter, „auf lange Zeit in eine Periode schwerster sicherheitspolitischer Unsicherheiten absinken, mit kaum abschätzbaren Folgen!“
„Kaum abschätzbare Folgen“ bezieht einer der führenden „Sicherheitsexperten“ der Bundesrepublik wohlgemerkt nicht auf die weitere Lieferung schwerer Waffen aus Bundeswehrbeständen in einen Krieg unter Beteiligung einer atomaren Großmacht oder die tatsächlichen gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen der von ihm geforderten „Kriegswirtschaft“, sondern im Gegenteil, die „sicherheitspolitischen Unsicherheiten“ sieht er nur gegeben, wenn man den „Kampf gegen Russland“ nicht mehr massiv unterstützen würde. Bestechende Logik, die ausschließlich auf eine militärische Niederlage Moskaus setzt.
Würde die Bundesregierung der Forderung Ischingers nach Ausrufung einer „Kriegswirtschaft“ wirklich Folge leisten, hätten dies dramatische Auswirkungen auf fast alle Lebensbereiche der Bundesbürger. Unter Kriegswirtschaft wird definitorisch allgemein die Notwendigkeit verstanden, eine auf den Krieg ausgerichtete Wirtschaftsordnung einer Konfliktpartei zu errichten, mit deren Hilfe diese versucht, die eigene Volkswirtschaft so einzurichten oder umzugestalten, dass sie den Anforderungen der Kriegslage möglichst gut gerecht wird.
Wenn Ischinger, wovon bei seiner Person auszugehen ist, seine Forderung auch nur halbwegs ernst gemeint hat, dann hätte dies unter anderem folgende Konsequenzen:
- Kriegswirtschaft betreiben nach allgemeiner Definition und Verständnis ausschließlich Länder, die sich tatsächlich in einem Krieg befinden, also Konfliktpartei sind. Im Falle der Bundesrepublik hieße dies, Berlin sähe sich unmissverständlich als direkte Kriegspartei gegen Russland.
- Massive Verlagerung von Prioritäten in den Produktionsketten und in Hinsicht auf den Zugang zu Energieträgern. Öl, Gas, Edelmetalle, seltene Erden und weitere knappe Ressourcen würden zunächst in die Rüstungsindustrie gehen und erst nach Abwägung und verbliebenen Verfügbarkeiten auch in den zivilen Bereich.
Angesichts dieser weitreichenden Forderung von Ischinger sei an dessen Aussage in Anwesenheit der NachDenkSeiten im Juli 2022 zum Agieren Europas im Zuge des Krieges in der Ukraine erinnert:
„Wir Europäer könnten keinen Mucks machen ohne die Führungskraft der Amerikaner.“
Werner Weidenfeld, Koordinator der #Bundesregierung für 🇩🇪-🇺🇸 Zusammenarbeit von 1987 bis 1999, erklärte 2013 im @ZDF:
"Wenn wir in einer ernsten Angelegenheit nicht einer Meinung mit den Amerikanern sind, dann kommt Geheimdienstmaterial auf den Tisch, das Deutschland belastet." pic.twitter.com/r2DKzaRyuw— Florian Warweg (@FWarweg) November 19, 2022
Titelbild: Mueller / MSC (securityconference.org/mediathek/asset/wolfgang-ischinger-1348-02-02-2014/)
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