Netzsperren zur Aufbesserung der Staatseinnahmen
Die Freude der Zensurgegner währte nur kurz. Eine Woche nachdem sich die Bundesregierung nun auch offiziell von ihrem Gesetzesvorhaben zur Einrichtung von Netzsperren verabschiedete, wollen nun offenbar die Bundesländer Netzsperren einführen. Nun geht es nicht mehr um Kinderpornographie, sondern um Glücksspiele, die in Deutschland keine Konzession besitzen. Hintergrund ist die Neuauflage des Glücksspielstaatsvertrags, in dem der Staat erstmals stückweise von seinem Monopol abrückt und den Bereich der Sportwetten teilprivatisiert. Natürlich geht es den Länderfürsten dabei nicht um die Suchtprävention, sondern um die Optimierung ihrer Steuereinnahmen. Ob diese Lösung mit der Verfassung und dem europäischen Recht zu vereinbaren ist, darf jedoch getrost bezweifelt werden. Jens Berger
Der Markt für Sportwetten ist gigantisch. Im Jahr 2009 soll die Branche alleine in Deutschland 7,8 Milliarden Euro umgesetzt haben. Das ist umso erstaunlicher, da Sportwetten in Deutschland gesetzlich reglementiert sind und nur der staatliche Monopolist Oddset und einige zugelassene Buchmacher für Pferdewetten vollkommen legal auf dem Markt operieren dürfen. Dieser legale Markt hat aber nur einen Anteil von 6%, rund 13% des Marktes werden dem Schwarzmarkt zugerechnet, operieren illegal in Deutschland und zahlen gar keine Steuern. Den größten Teil stellt mit 81% der „Graumarkt“ dar. Hierbei werden die Wetten über Anbieter abgewickelt, die in Deutschland – wenn überhaupt – nur vermittelnd tätig sind und ihr eigentliches Geschäft mit einer Lizenz aus dem europäischen Ausland betreiben. Der populäre Anbieter bwin hat beispielsweise seinen Sitz in Österreich, bietet seine Sportwetten aber über eine Lizenz im Steuerparadies Gibraltar an. Solche Anbieter bewegen sich in Deutschland in der rechtlichen Grauzone. Das Anbieten von Sportwetten ist in Deutschland genehmigungspflichtig, jedoch aufgrund des geltenden „Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland“ nicht genehmigungsfähig.
Glücksspiele und Sportwetten sind in Deutschland keinesfalls verboten, sie unterstehen jedoch einem staatlichen Monopol. Die Umsätze aus Lotterien und Sportwetten werden einheitlich mit 16,67% bis 20% versteuert, wobei die Steuereinnahmen (rund 1,7 Mrd. Euro pro Jahr) ausschließlich in die Kassen der Bundesländer fließen. Satzungsgemäß müssen die Überschüsse der Landesgesellschaften des Deutschen Lotto- und Totoblocks als Fördergelder für Sport, Kunst und Kultur, Denkmalpflege oder soziale Projekte verwendet werden. Aus gemeinnütziger Perspektive wäre es also prinzipiell wünschenswert, dass der graue und der schwarze Markt des Glücksspielsektors nach den gleichen Regeln spielen müssen. Da Glücksspiele jedoch auch unter dem Gesichtspunkt des Suchtverhaltens betrachtet werden müssen, kann die Lösung des Problems nicht in der Maximierung der Steuereinnahmen und Fördergelder liegen. Es ist jedoch mehr als verständlich, dass die Finanzminister der Länder neidisch auf die gigantischen Umsätze der ausländischen Wettanbieter schielen. Durch den Graumarkt gehen ihnen Jahr für Jahr rund 1,3 Milliarden Euro verloren – Geld, das bei den privaten Anbietern als Gewinn verbucht werden kann, da sie in ihren Steuerparadiesen ohnehin nur marginal durch den Fiskus belästigt werden.
Der marktliberalen EU sind solche Monopole stets ein Dorn im Auge. Ohne die offizielle Begründung, die da lautet, durch das Glücksspielmonopol die Spielsucht kontrollieren und bekämpfen zu wollen, hätte die deutsche Monopollösung keinen Bestand vor europäischem Recht und auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahre 2006 entschieden, dass ein Staatsmonopol für Sportwetten nur dann mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit vereinbar ist, wenn es „konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist“.
Ginge es nach den Finanzministern der Länder, dann würde das staatliche Glücksspielmonopol bereits zum 1.1.2012 spürbar aufgeweicht. Die am 6. April verabschiedeten Eckpunkte zur Liberalisierung des Marktes sehen die Vergabe von sieben Glücksspiel-Konzessionen für den deutschen Markt vor. Diese Konzessionen sind jedoch nicht gerade preiswert – neben der Umsatzsteuer sollen die Anbieter eine Konzessionsabgabe von 16,67% des Gesamtumsatzes an den Fiskus abführen. Natürlich ist diese teure Einladung, legal auf dem deutschen Markt zu operieren, nur dann schmackhaft, wenn den Konzessionären gleichzeitig zugesichert wird, dass ihre Konkurrenz nicht mehr im Graubereich agieren darf. Aber wie soll man ein Online-Wettbüro mit einer Lizenz in der europäischen Peripherie, das seinen Sitz in einer Steueroase hat und dessen Besitzverhältnisse den deutschen Behörden unbekannt sind, vom deutschen Markt ausschließen?
Um die Konzessionen zu versilbern und die Löcher in den Staatskassen zu stopfen, denken die Länder daher offen über die Einrichtung von Netzsperren nach. In §9 Abs. 5 des aktuellen Entwurfs [PDF – 183 KB] zur Neufassung des Glücksspielstaatsvertrags sehen die Länder vor, dass die Glücksspielaufsicht Internetprovider verpflichten kann, „unerlaubte Glücksspielangebote“ zu filtern.
(5) Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. Hierdurch sind Telekommunikationsvorgänge im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen.
§9 Abs. 5 des Vertragsentwurfs vom 4.4.2011
Die Infrastruktur ist ja dank des letztlich gescheiterten Versuchs, Internetsperren für kinderpornographische Angebote einzurichten, bereits vorhanden. So schnell kann es gehen, dass eine technische Internetzensur, die als vermeintliche „ultima ratio“ zur Verhinderung von schweren Verbrechen gegen Kinder ins Spiel gebracht wurde, über Nacht zum Zwecke der Mehrung der Steuereinnahmen zweckentfremdet wird. Machen wir uns doch nichts vor – die minder schweren Auflagen für die staatlichen Konzessionäre sind eigentlich nur ein Feigenblatt, mit dem der Staat einen Eingriff in die Grundrechte rechtfertigt, der einzig und allein der Mehrung der Steuereinnahmen gilt. Mit dem Deckmäntelchen der Suchtprävention, mit der das staatliche Monopol gerechtfertigt wird, ist eine Teilliberalisierung des Marktes ohnehin nicht zu vereinbaren. Eine Privatisierung dient – wir haben diesen Spruch schließlich noch im Hinterkopf – der Stärkung des Wettbewerbs, und ein Wettbewerb um die Wetteinnahmen der Bürger steht dem Gedanken der Suchtprävention nun einmal diametral entgegen.
Wenn die Suchtprävention nun aber keine maßgebliche Rolle bei der Novellierung des Glücksspielstaatsvertrags spielt, dann wird das gesamte Gesetz auch keine Chance haben, vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem europäischen Gerichtshof zu bestehen. Beide Institutionen haben in der Vergangenheit klipp und klar erklärt, dass das deutsche Glücksspielmonopol keinen Bestand mehr hat, wenn es sich nicht glaubwürdig aus der Suchtprävention herleiten lässt. Sollten die Länder sich also nicht in letzter Minute noch besinnen, wird aller Voraussicht nach wieder einmal das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungskonformität eines Gesetzes befinden müssen, das im krassen Widerspruch zum freien Informationszugriff im Internet steht. Gestern war es die Kinderpornographie, heute sind es die Staatseinnahmen aus dem Glücksspielsektor. Die Geister, die ich rief … welche Inhalte werden morgen Bestandteil von Netzsperren sein? Verstöße gegen das Urheberrecht? Verstöße gegen da Jugendschutzgesetz? Verstöße gegen den politischen Mainstream? Mit der technischen Einrichtung der Zensurinfrastruktur im Rahmen der Diskussion um das Löschen oder Sperren von Kinderpornographie wurde die Büchse der Pandora geöffnet und es scheint so, als sei die Informationsfreiheit bereits zur Verhandlungsmasse im Spiel der Interessen von Politik und Wirtschaft verkommen.