Im Tal der Tränen – die SPD und ihre Selbstfindung
SPD-Präsidiumsmitglied Heiko Maas denkt in einem Gastartikel für den SPIEGEL laut über die Renaissance des rot-gelben Projektes nach und wirbt dafür, sich intensiver um die grüne Wählerklientel zu kümmern. Dabei rücken die ureigenen sozialdemokratischen Inhalte programmatisch immer weiter in den Hintergrund. Im aufgeregten Koalitionsbildungs-Geschwätz der Stunde werden von den Medien, die sich stets gegen „linke Mehrheiten“ ausgesprochen haben, bereits künftige Bündnisse herbeigeschrieben, in denen Union, SPD, FDP und Grüne bunt gemischt untereinander koalitionsfähig sein sollen. Von einer „linken Mehrheit“ und von politischen Inhalten spricht schon lange niemand mehr und eine Alternative zum neoliberalen Mainstream scheint somit ferner denn je. Jens Berger
Ureigene Imitation
Wenn Umfragewerte und Wahlergebnisse von Parteien enttäuschen, kündigen diese an, sich künftig breiter aufstellen zu wollen und gleichzeitig ihr Profil zu schärfen. Dies ist natürlich ein Widerspruch in sich, der meist damit aufgelöst wird, dass man sein Profil noch weiter verwässert, um auch garantiert jeden Wähler aus der sagenumwobenen „Mitte“ abholen zu können. Für was steht beispielsweise die SPD in diesen Tagen? Bei den tagesaktuellen Themen wie Stuttgart 21, Atomausstieg oder Libyen-Einsatzsteht die SPD für ein entschiedenes Sowohl-als-auch und irrlichtert um alle Festlegungen herum, die künftige Koalitionsoptionen mit CDU, FDP oder den Grünen in Frage stellen könnten. Die Kritik an Schwarz-Gelb beschränkt sich aufs Handwerkliche. Wer mit allen Parteien koalitionsfähig sein will, darf offenbar kein eigenes Profil haben. Das zeigt sich in einem noch stärkeren Maße bei den sozialdemokratische Themen – wann hat man in letzter Zeit von der SPD eigentlich etwas zum Mindestlohn, zur Leiharbeit, zur Rente mit 67 oder einen konkreten Vorschlag zu mehr Chancengleichheit im Bildungssystem gehört? Man mag nun einwenden, diese Themen seien nun einmal momentan nicht auf der öffentlichen Diskussionsagenda, aber ist es nicht auch Aufgabe einer Volkspartei, Themen zu setzen, anstatt ihnen kopflos hinterherzurennen?
Wenn Heiko Maas im SPIEGEL schreibt, dass die SPD „grüner werden solle“ und den „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“ zum Kernthema der SPD-Politik machen soll, dann ist dies kein visionärer Aufbruch, sondern ein weiterer Kotau vor der Beliebigkeit. Es gibt inzwischen keine Partei mehr, die sich nicht den Umweltschutz auf ihre Fahnen geschrieben hätte und die nicht für eine ökologische Industriegesellschaft eintreten würde. Sogar Angela Merkel ließ sich in besseren Zeiten gerne als „Klima-Kanzlerin“ feiern und auch die SPD hat in ihrem 1989 verabschiedeten Berliner Programm eben jenen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft bereits zu einem programmatischen Schwerpunkt erklärt.
Ein solcher Umbau hat auch relativ wenig mit „postmateriellen Werten“ zu tun – der Umweltsektor ist mittlerweile einer der größten und am schnellsten wachsenden Sektoren und auf diesem Markt ist Deutschland Weltmarktführer. Auch „grüne“ Politik ist Industriepolitik, und die Frage, ob sie sozial verträglich oder neoliberal geprägt sein soll, ist eng mit anderen Fragen der Verteilungsgerechtigkeit verbunden, auf die die SPD keine überzeugende und vor allem keine glaubwürdige und eigenständige Antwort findet. Die SPD ist gespalten zwischen dem Agenda-Flügel um Steinmeier und Steinbrück, die ihr vorausgegangenes Tun als historisches Erfolgsprogramm verteidigen wollen und ihr Vorsitzender Gabriel versucht den Spagat zwischen einer kritischen Analyse der Fehler der Vergangenheit und dem Selbstlob der früheren Regierungsbeteiligungen.
Eine echte „sozial“demokratische Partei sollte sich eher darum kümmern, dass dieser Umbau auch sozial vonstatten geht und einkommensschwache Bürger, aber auch die durchschnittlichen Arbeitnehmer nicht weiter durch Sozialabbau oder politisch gewollte Preissteigerungen für Strom, Kraftstoffe und Heizmittel in ihrer materiellen Existenz bedroht werden. Doch diese Sorgen beschäftigen die „moderne“ SPD nicht ernsthaft. Sie bietet kein Konzept, das die Werte des sozialdemokratischen Fortschrittsversprechens wieder in praktische Politik umsetzen könnte. Anstatt ihr sozialdemokratisches Profil zu schärfen, plappert sie lieber die Leerformeln der politischen Konkurrenz nach. Doch was will sie damit erreichen? Der marktliberale Bildungsbürger mit „Öko-Gewissen“ wählt lieber das vermeintliche Original als die Kopie.
Wenn die SPD nun schon den Grünen Wähler abwerben will, dann sollte sie es vielleicht einmal mit einer Stärkung ihres sozialdemokratischen Kerns versuchen. Aus dem rot-grünen ist jedoch zwischenzeitlich – wenn überhaupt noch – ein von den Umfrageinstituten prognostiziertes grün-rotes Projekt geworden. Auch wenn die Zeit des grünen Demoskopie-Hochs nur vorübergehend sein dürfte, gibt die SPD bereits jetzt ohne Not und freiwillig den Kellner, der die Themen des grünen Kochs bereitwillig seinen Wählern auftischt. Wahrscheinlich herrscht in den karriereorientierten Netzwerken der SPD bereits die blanke Panik, dass die Grünen sich lieber der Union zuwenden und man selbst zeitlebens als Restpartei die Oppositionsbänke drücken muss.
Diese Angst ist wohl auch die Triebfeder für die jüngsten – geradezu grotesken – Flirtversuche mit der kriselnden FDP. Dabei muss man seine Phantasie schon über die Grenzen in Anspruch nehmen, wenn man heute in einem potentiellen Bündnis aus der SPD und der FDP eine Wiederauflage der alten sozialliberalen Koalition aus den Zeiten Brandts und Scheels oder Schmidts und Genschers sehen will. Wie sollte auch eine Zwanzig-Prozent-Partei, wie die SPD es gegenwärtig ist, mit einer Partei wie der FDP, die unter die Fünf-Prozent-Grenze rutscht, auf absehbarer Zeit mehrheitsfähig werden? Kann Heiko Maas sich ernsthaft vorstellen, zusammen mit den marktliberalen Überzeugungstätern Rösler und Lindner eine sozialliberale Politik umzusetzen? Oder ist die Begriffsdefinition des Wortes „sozial“ innerhalb der SPD bereits derart degeneriert? Wer dem Wähler vorgaukelt, er wolle einen flächendeckenden Mindestlohn umsetzen und gleichzeitig eine Koalition mit der FDP nicht ausschließen will, hat seine Glaubwürdigkeit auf dem Altar des opportunistischen Willens zur Macht geopfert.
Wer glaubte, dass sich die SPD nach elf Jahren Regierungszeit in der Opposition schon wieder fangen und zu einem Wortführer für sozialpolitische Themen würde, hat sich bitter getäuscht. Rein rechnerisch böte eine „linke Mehrheit“ aus den Parteien SPD, Grüne und Linke für die nächsten Jahre eine weitaus realistischere Perspektive als ein Bündnis aus SPD und FDP, die in den jüngsten Umfragen zusammen noch nicht einmal auf 30% kommen. Die Linke ist allerdings für die SPD ein rotes Tuch, die SPD-Spitze hat offenbar immer noch nicht erkannt, dass sie mit ihrem Linken-Bashing nur sich selbst schadet, weil sie sich damit jede inhaltlich vertretbare Mehrheitsoption nimmt. Dabei könnte sie in einem rot-rot-grünen Bündnis zweifelsohne die meisten ihrer programmatischen Forderungen umsetzen. Eine Partei, die offenbar aber gar keine inhaltlichen, sondern rein machtarithmetische Bestrebungen hat, dürfte vom Wähler in den nächsten Jahren ohnehin gemieden werden.