In der letzten Woche ist der neue „Atlas der Weltwirtschaft 2022/23“ von Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker und Constantin Heidegger erschienen. Das Buch stellt zentrale Fragen und gibt unkonventionelle Antworten, unabhängig, faktenorientiert und mit anschaulichen Infografiken zu allen wichtigen Wirtschaftsthemen. In der Ausgabe 2022/23 widmen sich die Autoren schwerpunktmäßig den Problemen der Länder in Mittel- und Osteuropa und den Hintergründen des Konflikts in der Ukraine. Günter Grzega hat ihn gelesen und für die NachDenkSeiten sein Fazit gezogen.
Den „Atlas 2020/21“ hatte ZEIT WISSEN mit folgendem abschließenden Hinweis beschrieben: „Für alle anderen kann er eines der wichtigsten Bücher überhaupt werden.“ Sicherlich weckte diese Aussage bei fast allen Interessierten der 2020/21-Atlas-Ausgabe eine gewisse Skepsis. Bei der Lektüre konnte man aber feststellen, dass dieser Atlas tatsächlich ein realistisches Fazit und erstmals in dieser Form erarbeitetes Kompendium zu Fakten und Analysen der globalisierten Ökonomie vermittelte. Der besondere Reiz war sicherlich die nicht nur für WissenschaftlerInnen, sondern für alle Interessierten verständliche Zusammenführung von realen Wirtschaftszahlen und den neuesten Erkenntnissen der nicht-dogmatischen Wirtschaftswissenschaft. Dass dabei unmissverständlich die Realitäten der globalen Ökonomie aufgezeigt wurden, die oftmals die Lehren und Aussagen der Mainstream-Ökonomik als nicht zutreffend entlarvten, war gerade auch für PraktikerInnen der Real- und Finanzwirtschaft ungemein wertvoll. Eine gelingende Zukunft der Weltwirtschaft und Weltgesellschaft ist letztlich nur mit einem umfassenden Verständnis der realen und wissenschaftlich fundiert erklärbaren Zusammenhänge möglich. Die Feststellung von ZEIT WISSEN war deshalb keine Übertreibung.
Umso schwieriger war sicherlich für das Autoren-Team Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker und Constantin Heidegger, eine neue Ausgabe des „Atlas“ mit den Zahlen, Fakten und Analysen für 2022/23 mit vor 2021 unvorstellbaren Entwicklungen (Corona und Ukrainekrieg) zu erarbeiten. Dabei die Auswirkungen dieser Entwicklungen in der Realwirtschaft und damit auch der Weltgesellschaft darzustellen, verlangt eine absolut undogmatische Denkweise. Die Mehrzahl der LeserInnen war wohl deshalb eher skeptisch, ob eine Folgeausgabe das Niveau der 2020/21-Ausgabe annähernd erreichen kann.
Aber schon bei den ersten Kapiteln wird deutlich, dass diese Skepsis nicht angebracht ist. Die Verbindung von Text, Bildern, Zahlen und Grafiken erlaubt den LeserInnen, die umfangreichen Informationen entsprechend ihrer intellektuellen Vorlieben schnell und umfassend zu verarbeiten.
Im Sonderteil „Mittel- und Osteuropa“ wird das Scheitern der Transformation durch die Ignoranz des „Westens“ hinsichtlich der Bedürfnisse dieser Volkswirtschaften und Gesellschaften prägnant und nachvollziehbar aufgezeigt. Aber auch bei den aktuell immer brennender werdenden Fragen zur Klimakrise wird die Wichtigkeit der globalen Marktmechanismen für Lösungsansätze beantwortet. Dabei wird auch auf die immer noch weit verbreitete Unkenntnis der Bedeutung dieser Mechanismen in der Gesamtgesellschaft nachvollziehbar hingewiesen.
Herauszuheben sind jedoch die aktuell für die meisten Interessenten wichtigsten Themen in Wirtschaft und Gesellschaft, nämlich die Ausführungen in den Abschnitten 8 (Inflation), 9 (Steigende Zinsen als Rezessionsgefahr) und 10 (Falsche Preise für Rohstoffe und Währungen durch Spekulation). Dass die Ausführungen zu diesen Themen in entscheidenden Punkten nicht immer mit den Modellen und Meinungen neoklassisch verankerter Ökonomen und mit Artikeln in vielen Wirtschaftsredaktionen der etablierten Medien übereinstimmen, ist für alle undogmatischen LeserInnen ein absoluter Gewinn. Das AutorInnen-Team verarbeitete im neuen „Atlas“ offensichtlich keine wirtschaftswissenschaftlichen Dogmen, sondern verbindet in idealer Weise die Realitäten mit wissenschaftlich nachvollziehbaren Begründungen.
Ein Risiko besteht allerdings bei solch gelungener „Fortsetzungs-Literatur“, nämlich dass die Erwartungen der Leserschaft immer höher werden. Wenn beispielsweise die fehlende Dynamik vieler Volkswirtschaften durch die Nichtbeachtung der „Goldenen Lohnregel“ aufgezeigt wird (Abschnitt 3), dann wünschen sich sicherlich einige LeserInnen einen zusätzlichen Abschnitt mit praktikablen Ideen zur politischen Umsetzung. Und sicherlich wäre es wünschenswert, auch einmal das Thema „Gewinnmaximierungs-Ideologie, Boni und Zeitverträge für ManagerInnen“ als Dynamik-Bremse der Volkswirtschaften zu thematisieren. Also, es gibt schon Stoff für die nächste Ausgabe und das AutorInnen-Team Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker und Constantin Heidegger ist sicherlich für diese Themen offen.
Fazit: Der neue „Atlas der Weltwirtschaft 2022/2023“ übertrifft die Erwartungen. Bedauerlich ist, dass man die herrschenden PolitikerInnen und die Mainstream-ÖkonomInnen nicht zu dieser umfassend gelungenen Lektüre zwingen kann.