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Heute unter anderem zu folgenden Themen: EU-Vergleich der Arbeitskosten und Lohnnebenkosten für das Jahr 2010; Bayern droht Italien mit Grenzkontrollen; Ungerechte Besteuerung: Warum Deutschlands Reiche immer reicher werden; Joseph Stiglitz – Glücksspiel mit unserem Planeten; How the rich soaked the rest of us; Sahra Wagenknecht: Wie Ungleichheit der Volkswirtschaft schadet; Rohwaren als Finanzanlagen; Klientelpolitik Marke SPD; Das Arbeitsrecht erodiert; Unternehmen finden kaum noch Zeitarbeiter; Abgeschoben und liegen gelassen – Warum die Politik sich kaum um die Pflege kümmert; 1.630.000.000.000 Dollar für Waffen und Soldaten; Soviel Heimlichkeit; Wer mit wem?; Libyen – Die Emissäre von nebenan; Ägyptischer Blogger wegen Armee-Kritik verurteilt; Krise in der Elfenbeinküste; Parteien ohne Programm – sind sie noch zu retten?; Wider den Exzellenz-Kult: Es lebe das Mittelmaß! (KR/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. EU-Vergleich der Arbeitskosten und Lohnnebenkosten für das Jahr 2010
  2. Bayern droht Italien mit Grenzkontrollen
  3. Ungerechte Besteuerung: Warum Deutschlands Reiche immer reicher werden
  4. Joseph Stiglitz – Glücksspiel mit unserem Planeten
  5. How the rich soaked the rest of us
  6. Sahra Wagenknecht: Wie Ungleichheit der Volkswirtschaft schadet
  7. Rohwaren als Finanzanlagen
  8. Klientelpolitik Marke SPD
  9. Das Arbeitsrecht erodiert
  10. Unternehmen finden kaum noch Zeitarbeiter
  11. Abgeschoben und liegen gelassen – Warum die Politik sich kaum um die Pflege kümmert
  12. 1.630.000.000.000 Dollar für Waffen und Soldaten
  13. Soviel Heimlichkeit
  14. Wer mit wem?
  15. Libyen – Die Emissäre von nebenan
  16. Ägyptischer Blogger wegen Armee-Kritik verurteilt
  17. Krise in der Elfenbeinküste
  18. Parteien ohne Programm – sind sie noch zu retten?
  19. Wider den Exzellenz-Kult: Es lebe das Mittelmaß!

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. EU-Vergleich der Arbeitskosten und Lohnnebenkosten für das Jahr 2010
    Arbeitgeber in der deutschen Privatwirtschaft bezahlten im Jahr 2010 durchschnittlich 29,20 Euro für eine geleistete Arbeitsstunde. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, lag das Arbeitskostenniveau in Deutschland damit im europäischen Vergleich nach Dänemark, Belgien, Schweden, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden auf Rang sieben. Arbeitgeber in der deutschen Privatwirtschaft zahlten 32% mehr für eine Stunde Arbeit als im Durchschnitt der Europäischen Union, aber 12% weniger als im Nachbarland Frankreich. Dänemark wies mit 37,60 Euro die höchsten, Bulgarien mit 3,10 Euro die niedrigsten Arbeitskosten je geleistete Stunde auf.
    Im Verarbeitenden Gewerbe, das besonders im internationalen Wettbewerb steht, kostete eine Arbeitsstunde in Deutschland im Jahr 2010 durchschnittlich 33,10 Euro. Damit lag Deutschland hinter Belgien, Schweden, Dänemark und Frankreich auf Rang fünf in der Europäischen Union. Eine Stunde Arbeit in der deutschen Industrie war 47% teurer als im EU-Durchschnitt, aber 3% billiger als in Frankreich.
    Die Branchen mit den höchsten Arbeitskosten in Deutschland waren im Jahr 2010 die Energieversorgung (44,50 Euro) und die Banken und Versicherungen (43,70 Euro). Die niedrigsten Arbeitskosten zahlten Arbeitgeber im Gastgewerbe mit 14,30 Euro.
    Quelle: Statistisches Bundesamt

    Anmerkung WL: In Deutschland wird ja seit Jahren der Mythos der angeblich zu hohen Lohnnebenkosten gepflegt: „Mehr Netto vom Brutto“ lautete das Motto von Schwarz-Gelb, auch die SPD sieht in der Senkung der „Abgaben“ ein zentrales Ziel. Die Senkung der Lohnnebenkosten (paritätische Finanzierung der Rente oder der gesetzlichen Krankenversicherung, Senkung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung) war stets der Hebel für die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme und für den Sozialabbau. Rechnerisch bezogen auf 100 Euro Bruttolohn lag Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei den Lohnnebenkosten mit 28 Euro unter dem europäischen Durchschnitt von 31 Euro und nahm mit Rang 15 einen Mittelplatz innerhalb der EU ein. Auf 100 Euro Lohn wurden etwa in Schweden dagegen 51 Euro und in Frankreich 49 Euro bezahlt.
    Die Arbeitskosten sind der Wert, der von Arbeitgeberseite gerne angeführt wird, wenn es um Lohnerhöhungen geht – und da heißt es dann immer, Deutschland sei Spitzenreiter. Doch auch bei diesem Wert nimmt Deutschland erst Rang 7 innerhalb der EU ein.
    Aber auch auf die Propaganda über die zu hohen Arbeitskosten sollte man nicht hereinfallen. Entscheidender für die Rentabilität der Produktion und für die Wettbewerbsfähigkeit einer Wirtschaft sind nicht die absolute Höhe der Arbeitskosten, sondern die Lohnstückkosten, also die Lohnkosten je erbrachter Leistung. Wegen ihrer engen Verbindung zur Preisbildung sind die Lohnstückkosten ein besserer Indikator für die immer wieder angeführte „Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Wirtschaft [PDF – 280 KB].
    Ist etwa der Osten Deutschlands mit deutlich niedrigeren Arbeitskosten als der westliche Teil durch eine hohe Exportquote in Erscheinung getreten? Und die Spitzenreiter bei den Arbeitskosten und bei den Lohnnebenkosten (Dänemark und Schweden) stehen auch nicht schlechter da als Deutschland.
    Bei der Entwicklung dieser Lohnstückkosten lag jedoch Deutschland in den zurückliegenden Jahren (bis auf Japan) weit hinter seinen wirtschaftlichen Konkurrenten. Von 2004 bis 2006 fielen die Lohnstückkosten sogar nominell und selbst noch im Krisenjahr 2008 hatte kein europäisches Land einen niedrigeren Anstieg [PDF – 74.4 KB].

    Selbst die jüngste „Gemeinschaftsdiagnose“ der Konjunkturforschungsinstitute [PDF – 5.3 MB] kommt nicht umhin, festzustellen, dass angesichts des Anstiegs der gesamtwirtschaftlichen Produktivität um 1,0% und angesichts der Tatsache, dass die nominalen Lohnstückkosten ihr Niveau vom Vorjahr um 1,1 % unterschritten, sich die Gewinnsituation der Unternehmen spürbar verbessert habe. (S. 36) Gemessen am Produktionsniveau lägen die realen Arbeitskosten 2012 immer noch niedriger als vor Beginn der Lohnmoderation im Jahr 2004. (S. 37)
    Es ist diese vergleichsweise geringe Steigerung der Lohnstückkosten, die Deutschland gegenüber seinen europäischen Nachbarn und in der Welt so wettbewerbsfähig gemacht und zu den hohen Leistungsbilanzüberschüssen geführt hat.

    Das IMK teilt zur Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes mit:
    Deutschland liegt bei den Arbeitskosten für die Privatwirtschaft weiterhin im Mittelfeld der “alten” EU 15 – an siebter Stelle hinter wichtigen nord- und westeuropäischen Handelspartnern. Die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Arbeitskosten-Analyse, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung kürzlich für 2009 und die ersten Quartale 2010 vorgelegt hat, auch für das gesamte Jahr 2010 zutrifft. “Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist hervorragend, das belegen auch die Rekordzahlen bei den Exporten”, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, Wissenschaftlicher Direktor des IMK. “Allerdings hat diese Entwicklung zwei Seiten: Das lange Zeit relativ geringe Wachstum der Löhne in Deutschland stärkt die Exportwirtschaft, doch es gab nur geringe Impulse für die Binnennachfrage, und es hat zu den bedrohlichen wirtschaftlichen Ungleichgewichten im Euroraum beigetragen. Jetzt sehen wir zwar eine leichte Beschleunigung bei den Löhnen und beim Konsum, der Aufschwung in diesem Jahr ist nicht mehr ganz so einseitig vom Export getragen. Doch eine dauerhafte Trendwende steht noch aus.”

    Betrachtet man nur die Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe, lag Deutschland laut Statistischem Bundesamt 2010 an fünfter Stelle – nach Belgien, Schweden, Dänemark und Frankreich. Im Jahr 2009 hatte Deutschland nach der IMK-Untersuchung bei den industriellen Arbeitskosten noch an dritter Stelle rangiert. Mithin ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie 2010 im EU-Vergleich gestiegen. “Allerdings sollte man solche Ranking-Verschiebungen nicht überbewerten, weder in die eine noch die andere Richtung. Denn oft geht es dabei um Unterschiede von weniger als einem Euro”, so Horn. Zudem seien die Zahlen für das verarbeitende Gewerbe zwar wichtig, dürften aber nicht isoliert betrachtet werden. So profitiere die Industrie vom vergleichsweise niedrigen Arbeitskostenniveau in den Dienstleistungsbranchen, wo zahlreiche Vorleistungen nachgefragt werden. “Daher ist es absolut richtig, dass das Statistische Bundesamt seit einigen Jahren die Arbeitskosten für die gesamte Privatwirtschaft erfasst. Diese Betrachtungsweise ist aussagefähiger als einseitige Beschränkungen auf die Arbeitskosten im Verarbeitenden Gewerbe”, so Horn.

    PM zum Arbeitskostenvergleich des IMK.

  2. Bayern droht Italien mit Grenzkontrollen
    Es ist eine Drohgebärde Richtung Italien: Bayern will notfalls an der deutsch-österreichischen Grenze wieder die Pässe kontrollieren, um Tunesienflüchtlinge aus Italien abzuhalten. Das hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk bekräftigt. […]
    Sollte Bayern die Drohung ernst machen und an der Grenze zu Österreich die Kontrollen wieder einführen, wäre das eine heftige Provokation. “Aber man muss den Italienern jetzt klar sagen: ‘So geht das nicht!’ […]
    Der Innenminister erwartet von Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi, dass der das Einwandererproblem selbst regelt. Italien sei mit den Flüchtlingen zahlenmäßig nicht überfordert. Genau das denkt auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), wie am Wochenende in einem Welt-Interview zu lesen war. Heute trifft er sich mit den europäischen Innenministern in Luxemburg. Die Politiker wollen nach einer europäischen Lösung für das Flüchtlingsproblem aus Nordafrika suchen. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika haben sich rund 22.000 Menschen, viele darunter aus Tunesien, auf die italienische Insel Lampedusa geflüchtet. […]
    Für Herrmann liegt die Lösung des Flüchtlingsproblems auf der Hand: Die meisten Menschen, die in den vergangenen Wochen auf Lampedusa an Land gegangen sind, seien Wirtschaftsflüchtlinge aus Tunesien. Die Rechtslage sei deshalb klar: “Die kann man auf das nächste italienische Schiff setzen und wieder zurückfahren nach Tunesien”, so Herrmann in der radioWelt. Die Menschen aus Libyen sind für den Minister dagegen Bürgerkriegsflüchtlinge. Für sie müsse eine andere Lösung gefunden werden, sagte er am Wochenende.
    Quelle: BR

    Anmerkung Jens Berger: Für Hermann und Friederich ist die humanitäre Katastrophe auf Lampedusa offensichtlich nichts anderes als eine zynische Steilvorlage, ihre CSU einmal wieder als Law-and-Order-Partei zu positionieren. Vor wem wollen uns die beiden Innenminister eigentlich „beschützen“? Vor den sagenhaften 200 tunesischen Flüchtlingen, die bislang in Deutschland ankamen? Das ist doch erbärmlich, erinnert sich niemand mehr an „unsere“ Sonntagsreden, als die Tunesier ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen? Ist es der reichsten Völkergemeinschaft der Welt mir ihren 400 Millionen Einwohnern wirklich nicht zuzumuten, 22.000 notleidende Menschen aufzunehmen? Europa sollte sich schämen!

    dazu: Von Liberia lernen
    Fremdenfeinde tun so, als gälte es, Hab und Gut vor Flüchtlingen zu schützen. Auf die Not in Tunesien und anderen Ländern in Nordafrika reagieren sie mit Abschottungsreflexen.
    Liberia muss ein sehr reiches Land sein. Es erlebt in seiner direkten Nachbarschaft einen furchtbaren Bürgerkrieg. Täglich fliehen Tausende aus der Elfenbeinküste. Mindestens 130.000, Stand vergangene Woche, sind in Liberia angekommen. […] Liberias Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt bei knapp 150 Euro im Jahr. In der Europäischen Union sind es 23.600 Euro. Sie ist also, vereinfacht gesagt, etwa 160-mal reicher als Liberia. Und hat nichts Besseres zu tun, als über 23.000 oder auch 26.000 Menschen aus Nordafrika zu streiten, die bei uns Zuflucht suchen. Beziehungsweise darüber, wie man sich diese Menschen am besten vom Leibe hält. […]
    All das haben sie nicht, und deshalb haben sie kein Recht, den Leuten das Zuhausebleiben zu empfehlen. Sie benutzen diesen Hinweis nur für ihre schäbige Abschottungs-Politik. Sie opfern die Werte, für die viele Nordafrikaner kämpften und kämpfen, ihrem Abwehr-Wahn, während ein deutscher Polizeigewerkschafter von der europäischen Küstenwache träumt. Was würde sie kosten, diese Marine zur Bekämpfung des „Feindes“ Flüchtling? Wie viel Aufbau in Nordafrika könnte man finanzieren mit dem gleichen Geld?
    Wer demnächst in Tunesien oder anderswo für Demokratie und Freiheit kämpft, sollte sich dieses Europa nicht zum Vorbild nehmen. Eher schon Liberia.
    Quelle: Frankfurter Rundschau

  3. Ungerechte Besteuerung: Warum Deutschlands Reiche immer reicher werden
    Wer viel Geld hat, beteiligt sich in Deutschland in großem Umfang an der Staatsfinanzierung – allerdings nur, wenn er auch arbeitet. Es gibt einen eklatanten Verstoß gegen die Leistungsgerechtigkeit, meint Christian Rickens: Vermögende werden zu sehr verschont.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung Orlando Pascheit: Der Autor verweist zu Recht auf den Skandal zunehmender Kapitaleinkünfte im Verhältnis zum Gesamteinkommen Deutschlands und der dahinter stehenden Ungleichheit der Vermögensverteilung. Andererseits singt er das Loblied der oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher, ohne deren Einkommenssteuerbeitrag “unser Gemeinwesen sofort zusammenbrechen” würde. Da agiert Christian Rickens doch sehr im Nebel.- Gänzlich unangebracht auch seine einfühlsame Schilderung des Steuerflüchtlings, Klaus-Michael Kühne, Chef des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, der fern der norddeutschen Heimat in der Schweiz von schwersten Heimwehattacken heimgesucht wird.
    Die kassenmäßigen Steuereinnahmen der veranlagten Einkommensteuer und Lohnsteuer im Jahre 2009 machten laut Sachverständigenrat 30,8 Prozent aus (Jahresgutachten 2010/2011, S. 374). Die These von der „wichtigsten Finanzierungsquelle des Staats ist also kräftig zu revidieren.“ Wenn man dann der Aussage folgt, dass die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher die Hälfte des Aufkommens bei der Einkommensteuer erbringen, so ist der Beitrag dieses obersten Zehntel zum gesamten Steueraufkommen auf 15 Prozent geschrumpft. Richtig deutlich wird der unterproportionale Beitrag dieser „Leistungsträger“ zum Gemeinwesen, wenn man sich ihren Anteil am Markteinkommen Deutschlands vor Augen hält. (Markteinkommen: Lohneinkommen, Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit, Vermögenseinkommen, ohne Veräußerungsgewinne, ohne öffentliche Renten, Pensionen und Sozialtransfers).
    Leider beziehen sich die mir bekannten Daten zum Markteinkommen nur auf das Jahr 2001 und davor. Diese Ergebnisse hat das DIW mit einer integrierten Datenbasis aus Einkommensteuerstatistik und Sozio-oekonomischem Panel (SOEP) 2007 ermittelt [PDF – 348 KB].
    Die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher bezogen damals rund 39% der gesamten Markteinkommen. Dieser Anteil dürfte im Zuge der weiteren Polarisierung der Einkommen in diesem Jahrzehnt angestiegen sein. Hinzu kommt noch, dass selbst der Sachverständigenrat einräumen muss: „Wie bei allen Haushaltsbefragungen mit freiwilliger Teilnahme dürften auch im SOEP die auskunftswilligen Haushalte überproportional dem mittleren Einkommensbereichen angehören und Haushalte mit sehr hohen und sehr niedrigen Einkommen nur unzureichend erfasst werden“. (Jahresgutachten 2009/2010, S. 310). – Die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher tragen also keineswegs in angemessener Weise zur Finanzierung des Gemeinwesens bei, milde formuliert.

  4. Joseph Stiglitz – Glücksspiel mit unserem Planeten
    Die Finanzkrise und die Atomkatastrophe von Japan: Wir haben in den letzten Jahren zwei Desaster erlebt, die zeigen, dass wir zu wenig getan haben gegen Risiken, die die Welt ins Unheil stürzen können. Das Zocken muss ein Ende haben. […]
    Experten aus der Atom- wie aus der Finanzindustrie versicherten uns, dass das Risiko einer Katastrophe durch neue Technologien so gut wie beseitigt werde. Die Ereignisse haben gezeigt, dass sie Unrecht hatten: Nicht nur bestanden diese Risiken, sondern ihre Folgen waren so enorm, dass sie mit Leichtigkeit jeden angeblichen Nutzen der Systeme, den die führenden Kopfe dieser Branchen versprochen hatten, auslöschten.
    Vor der Großen Rezession prahlten Amerikas Wirtschaftsgurus – vom Chairman der Federal Reserve bis zu den Titanen des Finanzsektors -, wir hätten gelernt, die Risiken zu beherrschen. “Innovative” Finanzinstrumente wie etwa Derivate und CDS würden die Streuung der Risiken innerhalb der gesamten Wirtschaft ermöglichen. Heute wissen wir, dass sie damit nicht nur dem Rest der Gesellschaft etwas vorgemacht haben, sondern sogar sich selbst. Diese Zauberer der Finanzwelt, so erwies es sich, verstanden die Komplexität der Risiken nicht – von den Gefahren so genannter “endlastiger Verteilungen” (ein Begriff aus der Statistik für seltene Ereignisse mit enormen Konsequenzen, die manchmal auch als “schwarze Schwäne” bezeichnet werden) gar nicht zu reden. Ereignisse, die sich angeblich einmal alle hundert Jahre – oder sogar einmal während der Lebensdauer des Universums – ereignen sollten, schienen alle zehn Jahre zu passieren.
    Schlimmer noch: Nicht nur die Häufigkeit derartiger Ereignisse wurde maßlos unterschätzt, sondern auch der astronomische Schaden, den sie verursachen würden – so etwa wie bei den Kernschmelzen, die die Atomindustrie immer wieder heimsuchen.
    Quelle: FTD
  5. How the rich soaked the rest of us
    The astonishing story of the last few decades is a massive redistribution of wealth. The richest Americans have dramatically lowered their income tax burden since 1945, both absolutely and relative to the tax burdens of the middle income groups and the poor…
    Note especially that from the end of the second world war into the early 1960s, the highest income earners paid a tax rate over 90% for many years. Today, the top earners pay a rate of only 35%. Note also how the gap between the rates paid by the richest and the poorest has narrowed. If we take into account the many loopholes the rich can and do use far more than the poor, the gap narrows even more.
    Quelle: Guardian (UK)
  6. Sahra Wagenknecht: Wie Ungleichheit der Volkswirtschaft schadet
    Die extreme Ungleichheit, die der globalisierte Kapitalismus hervorbringt, ist nicht nur ein soziales Desaster. Sie behindert Produktivität, Innovation und wirtschaftliche Dynamik. Die wachsende Ungleichheit ist allerdings nicht nur Ergebnis falscher Politik, sondern vor allem Produkt der heutigen wirtschaftlichen Eigentums- und Machtverhältnisse. Der marktgläubige Wirtschaftsliberalismus sei deshalb fatal, hatte schon der Ökonom Walter Eucken gewarnt, weil er marktbeherrschende Oligopole entstehen lasse, deren enorme Macht fortan jede Politik verhindert, die sich gegen ihre Interessen richtet.
    Heute stehen die Staaten unter der Aufsicht der Märkte beziehungsweise der sie dominierenden Konzerne. Das Ergebnis sind immer größere Verteilungskontraste. Der heutige Kapitalismus ist produktivitäts- und (real-)wirtschaftsfeindlich und zerstört die Grundfesten der Demokratie. Wer weniger Ungleichheit und mehr Wohlstand will, muss über eine neue Wirtschaftsordnung nachdenken
    Quelle: FTD

    Anmerkung Orlando Pascheit: Auch die NDS haben häufig auf Studien hingewiesen, die die schwache ökonomische Performance ungleicher Gesellschaften belegen. Nur, worum geht es Sahra Wagenknecht? Geht es darum, den heutigen Kapitalismus zu reformieren oder um eine neue Wirtschaftsordnung? Da wünscht man sich mehr Eindeutigkeit bzw. man möchte wissen, wohin der Weg geht.

  7. Rohwaren als Finanzanlagen
    Zum kräftigen Anstieg der Preise von Rohwaren seit 2009 haben nicht nur Angebots- und Nachfrageeffekte beigetragen, sondern zunehmend auch die veränderte Dynamik durch die «financialization» dieser Märkte. Rohwaren sind zu einer weiteren Form von Anlagegütern geworden, die nicht nur auf fundamentale Angebots- und Nachfragestrukturen reagieren, sondern zunehmend auch auf gewinnorientierte Finanzflüsse, Markterwartungen der Anleger und geldpolitische Bedingungen. Durch diese veränderte Dynamik können wie in Aktien- oder Immobilienmärkten auch an den Rohwarenmärkten die Preise markant von dem durch die effektiven Angebots- und Nachfrageverhältnissen, den «fundamentals», erklärbaren Niveau abweichen – und eine «Blase» bilden. Unabhängig von der Frage, ob fundamentale oder finanzielle Faktoren die dominante Kraft bei der Preisgestaltung in Rohwarenmärkten sind, betonen die Autoren der japanische Notenbank in einem Forschungsbericht («Recent Surge in Global Commodity Prices») die Rolle der globalen monetären Bedingungen. Die durch die extrem expansive Geldpolitik entstandene Überschussliquidität habe nicht nur die physische Nachfrage erhöht, sondern auch spekulative Einflüsse verschärft. Die Bank von Japan warnt davor, dass das Zusammenspiel von «financialization» der Rohwarenmärkte und der globalen Überschussliquidität zu einem Teufelskreis führen kann. Zunehmender Inflationsdruck lenke Investoren in die Rohwarenmärkte als Versicherung gegen Inflation, was wiederum durch steigende Rohwarenpreise den Inflationsdruck verstärke.
    Quelle: NZZ
  8. Klientelpolitik Marke SPD
    Die SPD stellt ein weichgespültes Krankenversicherungs-Konzept vor. Wesentliche Forderungen der Parteilinken sind nicht mehr dabei. […]
    Außerdem ist es ein klares Zugeständnis an die gut verdienende Mitte der Arbeitnehmerschaft: Denn die wäre bei der bislang von der SPD angedrohten Anhebung oder gar Abschaffung der Bemessungsgrenze erheblichen finanziellen Zusatzbelastungen ausgesetzt gewesen. Davor soll sie nun verschont werden.
    Auf der Strecke bleibt auch die Kernforderung der SPD-Linken, Kassenbeiträge nicht nur über die Gehälter zu finanzieren, sondern auch über Kapitaleinkünfte, Mieteinnahmen oder Immobilienbesitz. Denn die SPD hat jetzt ausgerechnet: Der bürokratische Aufwand, dieses Geld einzutreiben, lohne den Zusatznutzen nicht. Denn wer viel Kapital oder Häuser besitzt, der hat auch oft ein gutes Gehalt – und erreicht bereits so die Beitragsbemessungsgrenze.
    Quelle: taz
  9. Das Arbeitsrecht erodiert
    Zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem existiert ein Machtgefälle, das ausgeglichen werden muss. Diese Sichtweise geht verloren, warnt Britta Rehder . Die Politikprofessorin an der Uni Bochum hat über die Politik der Rechtsprechung und deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit geforscht:
    “Die Annahmen verändern sich, und zwar in Richtung auf ein eher vertragsrechtliches Denken, das sagt, Arbeitsverträge sind ganz normale Verträge wie alle anderen auch und müssen auch so behandelt werden. … Das private Vertragsrecht sagt, Verträge sind ein hohes Gut, sie werden unter freien und gleichen Partnern geschlossen. Das Arbeitsrecht hingegen ist stark von Hugo Sinzheimer geprägt, der wiederum war stark auch von sozialistischen Ideen inspiriert und hat gesagt: Diese Freiheit und Gleichheit gibt es für Arbeitnehmer nicht. Es gibt vielmehr eine Asymmetrie zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und wenn beide einen Vertrag schließen, dann ist der Arbeitnehmer viel unfreier als der Arbeitgeber. Der Beschäftigte ist nämlich auf den Job angewiesen, er ist im Zweifelsfall deswegen auch dazu bereit, Bedingungen zu akzeptieren, die er nicht möchte. Deswegen braucht man besondere Institutionen, die diese Asymmetrie aufheben … Die eigenständige Arbeitsrechtsprofessur ist heute kaum noch vertreten. Waren 1968 noch 23 Prozent aller Jura-Universitätsprofessoren ausschließlich Arbeitsrechtler, waren es 2009 nur noch 4 Prozent. Man hat heute fast immer eine Mischung, jemand ist Professor beispielsweise für bürgerliches Recht und für Arbeitsrecht. Die Gefahr ist, dass so das Arbeitsrecht schrittweise verschwindet, weil es eher von vertragsrechtlich orientierten Leuten mit übernommen wird. … Es wird viel darüber gesprochen, wie das Arbeitsrecht von oben, durch Gesetzesinitiativen oder Urteile des Europäischen Gerichtshofs zum Streikrecht beispielsweise torpediert wird. Mein Argument ist aber: Die eigentliche Gefahr lauert darin, dass das Arbeitsrecht von innen heraus erodiert, weil die Ausbildungswege oder -inhalte an den Unis nicht mehr so sind, dass das klassische, traditionelle Arbeitsrecht erhalten bleibt. Das ist ein schleichender Prozess, der kaum zur Kenntnis genommen wird.
    Quelle: taz
  10. Unternehmen finden kaum noch Zeitarbeiter
    In der Branche wird ein zunehmender Arbeitskräftemangel beklagt. Zeitarbeitsfirmen locken Menschen mit höheren Löhnen.
    Zeitarbeitfirmen haben derzeit große Probleme, neue Mitarbeiter zu finden. Viele Unternehmen der Branche „klagen über erhebliche Schwierigkeiten, das benötigte Personal in ausreichender Zahl zu rekrutieren“, sagt der Präsident des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA), Volker Enkerts, “Welt Online“. Vor allem in den Metall- und Elektroberufen sowie in den technischen Berufen, aber auch bei den in der Zeitarbeit stark vertretenen Hilfsarbeitern sei das Angebot knapp.
    […]
    Damit sie diese Nachfrage befriedigen und weiter wachsen kann, will die Zeitarbeitsbranche gleich an mehreren Stellen ansetzen. Einerseits sei „völlig klar“, dass man bei den Gehältern etwas drauf packen müsse. „Je nach Auftrag und Region werden bei unseren Tariflöhnen wohl übertarifliche Leistungen fällig werden“, sagt Enkerts. Zudem gelte es, zu qualifizieren und weiterzubilden.
    Und dann gibt es da noch die große Hoffnung auf den 1. Mai. Dann fallen alle Schranken für die Arbeitnehmerfreizügigkeit zwischen Deutschland und den osteuropäischen Nachbarländern. Davon verspricht sich Enkerts viel: „Dort können wir dringend benötigte Fachkräfte finden“.
    Quelle: WELT

    Anmerkung des NDS-Lesers J.A.: Verlogen und zynisch. Immerhin ist die Anzahl der Zeitarbeiter so hoch wie nie, und die Arbeitslosenzahl liegt bei über 4 Millionen, also haben wir weiterhin Massenarbeitslosigkeit; aber die Unternehmer freuen sich schon auf die nächste Runde des Lohndumpings durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit.

  11. Abgeschoben und liegen gelassen – Warum die Politik sich kaum um die Pflege kümmert
    Die Deutschen werden älter, die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Die Pflegeversicherung rutscht bald ins Defizit. Doch die Politik lässt sich mit Reformen Zeit – zu viel Zeit.
    Quelle: BR-Hörfunk (Audio-Podcast, ca. 52 Minuten) [mp3 – 49 MB]

    Anmerkung Martin Betzwieser: Diese kritische, ausgewogene und überwiegend sehr gute Sendung ist zwar schon fast zwei Monate alt, aber trotzdem einen Hinweis wert. Ab Minute 25:30 gibt es eine Reportage über den Einfluss der Versicherungslobby und gekauften Wissenschaftler auf die Sozialversicherungspolitik mit Rürup, Raffelhüschen, Deutschem Institut für Altersvorsorge und anderen. Hier kommt auch (im Originalausschnitt aus der Maschmeyer-Reportage von Panorama) der ehemalige Berufspolitiker und heutige Buchautor Albrecht Müller zu Wort, der das als politische Korruption bezeichnet.

  12. 1.630.000.000.000 Dollar für Waffen und Soldaten
    Die Staaten der Welt haben 2010 so viel Geld für das Militär ausgegeben wie nie zuvor. Den größten Zuwachs verzeichnete Südamerika – was die Experten vom Friedensforschungsinstitut Sipri überrascht.
    China ist im letzten Jahrzehnt auch militärisch zur Supermacht aufgestiegen. Seit 2000 hat die Regierung in Peking die Rüstungsausgaben nahezu verdreifacht und ihr Land damit deutlich als zweitgrößte Militärmacht positioniert. Weit vor China liegen weiterhin die USA, die sechsmal so viel für Waffen ausgeben und allein für 43 Prozent der weltweiten Rüstungsbudgets stehen. Dies geht aus dem neuen Rapport über die globalen Militärausgaben hervor, den das angesehene Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri am heutigen Montag veröffentlicht. 1.630.000.000.000 Dollar haben die Staaten dieser Welt 2010 für das Militär ausgegeben. Das sind umgerechnet 1,15 Billionen Euro – so viel wie noch nie. Zum Vergleich: die staatliche Entwicklungshilfe betrug nicht mal ein Zehntel. Hinter den USA und China folgen Großbritannien, Frankreich und Russland. Deutschland nimmt Platz acht im Rüstungs-Ranking ein. […]
    Den größten Zuwachs der Militärbudgets verzeichnete Südamerika mit 5,8 Prozent. Sipris Lateinamerika-Expertin Carina Solmirano bezeichnet dies als „überraschend, angesichts des Fehlens reeller militärischer Bedrohung“ der meisten Staaten und der „Existenz weit dringlicherer sozialer Nöte“. Das starke Wirtschaftswachstum der Region sei Teil der Erklärung. Außerdem versuche Brasilien, das für den Löwenanteil der Zusatzkosten verantwortlich ist, seine internationale Position zu stärken, was mit einer Modernisierung des Militärsektors einhergehe.
    Quelle: Frankfurter Rundschau
  13. Soviel Heimlichkeit
    Die Regierungsparteien verweigern im Bundestag die Einrichtung eines Lobbyistenregisters. Auch die Umsetzung einer UN-Konvention gegen Abgeordnetenbestechlichkeit wurde abgelehnt.
    Quelle: Junge Welt
  14. Wer mit wem?
    Eine neue Website namens Influence Networks die Verbindungen von Industrievertretern und Politikern öffentlich machen. Partner sind unter anderem Transparency International und das Projekt OBSWeb der Uni Metz. Gebaut wurde die Seite vom französischen Datenjournalismusanbieter OWNI. Basisinformationen werden der Datenbank Freebase entnommen, in der rund knapp zwei Millionen Personen und zahlreiche Unternehmen sowie Verbände eingetragen sind.
    Quelle: NZZ
  15. Libyen – Die Emissäre von nebenan
    Die Afrikanische Union (AU) hat sich bisher kaum als Anhänger von NATO-Luftschlägen gegen Libyen zu erkennen gegeben. Sie betrachtet einen derartigen Eingriff in innere Konflikte eines ihrer Mitgliedsstaaten mehrheitlich als unerwünschten Präzedenzfall. Von daher ist die diplomatische Offensive der fünf Staatschefs unter Führung des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma längst überfällig. […]
    Der von Jacob Zuma angeregte und von Gaddafi angenommene Waffenstillstand wird zunächst auf sich warten lassen, weil die Rebellen erst den Abgang ihres Feind erleben wollen. Aber schon morgen, bei anberaumten Gesprächen zwischen dem Übergangsrat aus Benghazi und den EU-Außenministern in Luxemburg, dürfte ein solch temporärer Kompromiss wieder auf der Tagesordnung stehen. Einfach deshalb, weil er der NATO willkommen wäre. Das Bündnis könnte eine sich hinschleppende Intervention aus der Luft durch ein Eingreifen am Boden ergänzen – die Kontrolle von Waffenstillstandslinien und der Schutz humanitärer Korridore bieten vorzügliche Anlässe. Ob eine solche Operation nun „humanitäre Mission“ oder „humanitäre Intervention“ genannt wird, erscheint zweitrangig. Entscheidend ist allein, die NATO setzt einen Fuß auf afrikanisches Territorium und kann einen ganzen Kontinent anders beeinflussen und kontrollieren, als das vor der Libyen-Krise der Fall war. Es wäre der Beweis erbracht, wie sich die Banner Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Liberalität und humanitäre Hilfe nutzen lassen, um westlichem Neo-Kolonialismus Vorschub zu leisten. Die NATO kann in Libyen vollbringen, was den USA im Irak misslang. Möglicherweise wurde die Afrikanische Union zu spät in Tripolis und Benghazi vorstellig.
    Quelle: Der Freitag

    dazu: Rebellen lehnen Friedensplan ab
    Der Übergangsrat der libyschen Rebellen hat am Montag den Waffenstillstandsvorschlag der Afrikanischen Union (AU) zurückgewiesen. Dies teilten die Aufständischen nach einem Treffen mit der AU-Delegation mit, die zuvor in Tripolis die Zustimmmung von Machthaber Muammar al-Gaddafi zu ihrem Vorschlag erhalten hatte. Die Rebellen forderten Gaddafi auf, die Macht abzugeben. […]
    Ein Waffenstillstand in Libyen ist nach Ansicht von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nur bei Erfüllung einer Reihe von Bedingungen möglich. “Ich nehme diese Versprechungen nicht für bare Münze”, sagte Rasmussen in Brüssel zu Berichten, wonach Gaddafi zu einem Waffenstillstand bereit sei.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

  16. Ägyptischer Blogger wegen Armee-Kritik verurteilt
    Ein ägyptischer Blogger ist wegen seiner Kritik an der Armee des Landes zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Ein Militärgericht habe das Urteil gegen Maikel Nabil verhängt, sagte sein Anwalt Gamal Eid. Weder er noch die anderen Anwälte Nabils hätten bei der Urteilsverkündung anwesend sein können, diese sei «beinahe im Geheimen» über die Bühne gegangen. Das Urteil dürfte für grossen Unmut in der grossen Blogger-Szene in Ägypten sorgen, die sich nach dem Sturz von Staatschef Husni Mubarak am 11. Februar eine grössere Meinungsfreiheit erhofft hatte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte vergangene Woche gefordert, die Vorwürfe gegen den Blogger fallenzulassen. Der Prozess sei ein «gefährlicher Präzedenzfall» in einer Zeit, da sich Ägypten von den «Übergriffen» der Mubarak-Ära wegbewegen wolle.
    Quelle: NZZ

    dazu: Die haben scharf geschossen
    In der Nacht zum Samstag räumt die Armee mit brutaler Gewalt den Tahrirplatz in Kairo. Viele erzählen nicht nur von ihrer eigenen Angst, sondern auch von dem, was sie gesehen haben. Wie die Soldaten ganz gezielt zu jenem Zelt gegangen sind, in dem sich jene Armeeangehörigen aufhielten, die sich trotz eines Verbots der Armeeleitung den Protesten angeschlossen hatten. Wie sie sie herauszogen, drei direkt erschossen, mehrere totprügelten. Keine Stunde später stehen Videos im Netz, auf denen man den Ablauf der Räumung detailliert sehen kann, ununterbrochen sind die Gewehrsalven zu hören. Die Armee beschießt das Gebäude am Rande des Platzes, aus dem gefilmt wird. Sie zieht durch die Straßen, in der Innenstadt sind die ganze Nacht durch überall Schüsse zu hören, sie schießt auf Häuser, Augenzeugenberichten zufolge stirbt dabei ein Passant.
    Der regierende Militärrat gibt am Nachmittag eine Pressekonferenz, weist alle Vorwürfe zurück und schiebt mögliche Verletzungen auf Steinwürfe der Demonstranten. “Wie zu Mubaraks Zeiten”, stöhnen zahlreiche Aktivisten. Am Abend sind sie alle wieder da. Manche humpeln, haben einen Arm in der Schlinge. Kugeln des Militärs. Die Barrikaden sind jetzt höher, stabiler, mit Rollen aus Stacheldraht, einem alten Laster, Taxis haben zur Sicherung davor geparkt. “Wenn wir jetzt aufgeben, ist alles, was wir uns erkämpft haben, verloren”, sagt Rana. Und Ramy fügt hinzu: “Das ist der zweite Teil der Revolution. Nur kämpfen wir dieses Mal nicht gegen ein Marionettenkabinett, sondern gegen die wirkliche Macht, die Armee.” Warten. Kurz vor Beginn der Ausgangssperre. Zwei Uhr. Drei Uhr. Als um fünf Uhr die Ausgangssperre aufgehoben wird, geht ein Aufatmen durch die Menge auf dem Tahrirplatz. Niemand kann es richtig fassen: Die Armee hat den Platz nicht angegriffen! Eine Nacht, zumindest, gewonnen.
    Quelle: NZZ

  17. Krise in der Elfenbeinküste
    1. Das Abenteuer ist vorbei
      Französische Spezialeinheiten führten die Offensive an, die mit Gbagbos Festnahme endete. Zuvor hatte es Luftangriffe auf seine Residenz gegeben. Die UN-Mission in der Elfenbeinküste (Unoci) sowie Ouattara baten um französisches Eingreifen zur Zerstörung von Gbagbos schweren Waffen gemäß der UN-Resolution 1975. Auf dieser Grundlage war bereits letzte Woche das Gendarmeriecamp Agban im Norden der Stadt bombardiert worden. Danach hatte Gbagbos Militärführung den Krieg zwar für beendet erklärt, aber Gbagbo selbst war hart geblieben. Frankreich hat 1.700 Soldaten in Abidjan stationiert, als Schnelle Eingreiftruppe zur Verstärkung der UN-Blauhelmmission. Mehrere hochrangige Mitstreiter Gbagbos sollen sich jetzt in französischem Militärgewahrsam befinden. Pascal Affi NGuessan, Präsident von Gbagbos FPI (Ivorische Volksfront), soll knapp der Lynchjustiz entgangen sein. Als sich die Nachricht von Gbagbos Verhaftung in Abidjan verbreitete, kam es zu spontanen Freudenfeiern. Die meisten Ivorer hoffen, dass jetzt endlich Frieden einkehren kann.
      Quelle: taz

      Anmerkung Orlando Pascheit: Wer sich über das wahrscheinliche Ende des Bürgerkriegs freut, sollte nicht vergessen, dass auch Alassane Ouattara nicht gerade zur Lichtgestalt taugt. Klagen über Manipulationen der Ergebnisse zugunsten Ouattaras wurden nach dem Entscheid des ivorischen Verfassungsrats international kaum mehr zur Kenntnis genommen.

    2. Gbagbo-Ouattara: Die feindlichen Ivorer
      Alassane Ouattara und Laurent Gbagbo, die feindlichen Ivorer, behandeln die Elfenbeinküste seit Jahren wie ihren Sandkasten. Erst legte Ouattara Gbagbo herein, dann Gbagbo Ouattara. Jetzt ist wieder Ouattara am Drücker. Ein Doppelporträt.
      Quelle: FAZ
    3. Aufstieg und Fall von “Woody”
      Laurent Gbagbo gehörte zur radikalen Avantgarde in der Elfenbeinküste, die ein anderes Afrika wollte. Und wurde selbst ein brutaler Diktator.
      Seine politische Karriere endete dort, wo sie begann: im Untergrund. Als Frankreich seinen neokolonialen Vorgarten in Afrika noch fest im Griff hatte und die Elfenbeinküste unter Félix Houphouët-Boigny noch eine Diktatur war, brutal, arrogant und reich, gehörte Laurent Gbagbo zur radikalen Avantgarde, die ein anderes Afrika wollte. Erst politischer Gefangener, dann Doktorand in Paris, Geschichtsprofessor in Abidjan und schließlich 1988 Gründer der dann verbotenen sozialistischen Ivorischen Volksfront (FPI), verkörperte Gbagbo den afrikanischen Widerstand. […] Gbagbo wollte ein heroischer Krieger sein, in der Tradition der vorkolonialen Freiheitskämpfer gegen die europäische Eroberung. Jetzt ist sein Krieg vorbei, und die Ivorer atmen auf, in dem Schlacht- und Trümmerfeld, als das Gbagbo die Elfenbeinküste hinterlassen hat.
      Quelle: taz
  18. Parteien ohne Programm – sind sie noch zu retten?
    Die FDP wird ihren Chef los – und steht damit gleich ganz ohne da. Was Westerwelle hinterlässt ist nämlich nur eine Hülle. In Jahrzehnte langer Arbeit hat er die FDP “entkernt”, also gründlich sämtlicher ehemaliger Inhalte beraubt. Die Partei hat kein Programm mehr. Oder könnten Sie sagen, wofür die Liberalen in Deutschland stehen, wenn man mal die illusionären Steuersenkungen außer Acht lässt? Da ist sonst nichts – außer Vergangenheit. Was – bei genauerem Hinsehen – aber auch kein Alleinstellungsmerkmal der FDP ist. Oder könnten Sie sagen, welches Projekt genau die Unionsparteien verfolgen, oder die SPD? Wenn man mal Machterhalt oder Machtgewinn außer Acht lässt .
    Quelle: hr2 – Kultur „Der Tag“ (Audio-Podcast, ca. 52 Minuten) [mp2 – 50 MB]
  19. Wider den Exzellenz-Kult: Es lebe das Mittelmaß!
    “Wir suchen nur die Besten” – das würden die meisten Personalmanager unterschreiben. Sie sitzen einem Irrtum auf: Buchautor Markus Reiter erklärt, warum im Mittelmaß die wahren Leistungsträger in Unternehmen und Gesellschaft zu finden sind.
    94 Prozent der Collegeprofessoren in den Vereinigten Staaten glauben, dass sie ihre Arbeit besser machen als ihre Kollegen. Und jeder vierte Student ist der Meinung, zum leistungsfähigsten einen Prozent der Studierenden zu gehören. Diese Umfrageergebnisse zitieren der Philosophen Albert Newen von der Uni Bochum und Gottfried Vosgerau von der Uni Düsseldorf in einem Aufsatz für die Zeitschrift “Gehirn & Geist”.
    […]
    In Wirklichkeit ist der große wirtschaftliche Erfolg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einigen wenigen Genies zu verdanken, sondern einem fleißigen Mittelmaß – einem breiten, gut ausgebildeten Mittelstand von Fachkräften, die in normalen Schulen und Universitäten ausgebildet
    worden sind. Das Gegenbild stellt die USA dar: Sie brachte so viele Nobelpreisträger hervor wie kein anderes Land der Welt. Ein großer Teil der Arbeitskräfte ist hingegen nur notdürftig angelernt.
    Das festzustellen, heißt zum einen, dass wir das Mittelmaß neu schätzen lernen müssen. Es hat zum anderen auch Konsequenzen für unsere Bildungspolitik – und zwar jenseits aller traditionellen linken Elitenfeindlichkeit, die auf ideologischen Gleichheitsannahmen beruht.
    Der deutschen Volkswirtschaft ist am meisten gedient, wenn die Gesellschaft das Gros ihrer Ressourcen in die Förderung des Mittelmaßes investiert. Kurz: in viele gute Schulen und Universitäten statt in wenige Eliteeinrichtungen für eine winzige Minderheit. Den vielen
    Benachteiligten die Chance zu eröffnen, Mittelmaß zu werden, bringt volkswirtschaftlich gerechnet mehr, als die wenigen Exzellenten noch besser zu machen.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung des NDS-Lesers J.A.: Was ist bloß mit dem SPIEGEL los?

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