Am nächsten Wochenende beginnt die Fußballweltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar – einem Land, das nicht nur der gelebte Gegenentwurf zu den von der FIFA propagierten „Werten“ ist, sondern vor allem nicht einmal im Ansatz über so etwas wie eine Fußballtradition verfügt. Die Frage, wie Katar die WM bekommen konnte, ist recht einfach zu beantworten: Man hat sich das Turnier ganz profan gekauft. In meinem 2015 erschienenen Buch „Der Kick des Geldes oder wie unser Fußball verkauft wird“ hatte ich der WM-Vergabe an Katar ein ganzes Unterkapitel gewidmet. Der Text ist heute noch aktuell und sollte für alle Fußballfreunde und -feinde einige „Schmankerl“ enthalten, die sie so noch nicht kannten. Von Jens Berger.
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Wenn man zynisch an die Sache herangeht, kann man wirklich nur hoffen, dass die obersten FIFA-Funktionäre bis auf die Knochen korrupt sind. Denn wenn man für einen Moment einmal das Gegenteil annehmen würde, hieße dies, dass sie die Fußball-WM 2022 nach bestem Wissen und Gewissen an den Bewerber vergeben haben, der auf der Liste der ungeeigneten Austragungsorte für eine solche Veranstaltung ganz oben rangiert – außer vielleicht die von meinem Leser eingangs ironisch ins Spiel gebrachte Antarktis. Und das wäre dann wohl der ultimative Beweis für die nicht vorhandene Zurechnungsfähigkeit der FIFA. Aber dem ist nicht so. Das Golfemirat, das aufgrund seiner Öl- und Gasvorkommen über eine schier unerschöpfliche Kriegskasse verfügt, hat sich die WM ganz profan gekauft. Und das ist auch hinlänglich bekannt. Katar sitzt wie eine Spinne im Netz der Fußballkorruption.
Der kleine Wüstenstaat Katar hat zwar keine erwähnenswerte Fußballtradition, dafür verfügte er bis vor kurzem jedoch über einen Fußballfunktionär, der selbst für FIFA-Verhältnisse ungewöhnlich korrupt und daher auch ungewöhnlich erfolgreich ist. Dabei ähnelt das ehemalige FIFA-Exekutivkomitee-Mitglied Mohamed Bin Hammam auf dem ersten Blick keinesfalls dem Klischee vom korrupten Fußballfunktionär. Bin Hammam stammt aus wohlhabendem Hause und ist selbst erfolgreicher und steinreicher Unternehmer und somit nicht auf Gefälligkeiten der finanziellen Art angewiesen. Klar, Bin Hammam gehört nicht zu den Geschmierten, er ist der König der Schmierer. Die Vergabe der WM nach Katar ist sein Meisterwerk, ein fulminantes Schurkenstück in Sachen Korruption.
Als die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers 2012 die Verbandsgeschäfte Bin Hammams durchleuchteten, fanden sie gleich Belege für einen bunten Reigen an Straftaten, beginnend mit Geldwäsche, Bestechung und Steuerbetrug, bis hin zum Bruch verhängter Wirtschaftsembargos.[1] Dieser Bericht führte schlussendlich dazu, dass Bin Hammam vor zwei Jahren zum zweiten Mal von der FIFA auf Lebenszeit für sämtliche Ämter gesperrt wurde. Das Blatt hatte sich gegen den Strippenzieher aus Katar gewendet, da er 2011 – ein Jahr nach der WM-Vergabe an Katar – gegen die „Omertà“ der FIFA verstoßen und die offene Rebellion gegen FIFA-Boss Sepp Blatter gewagt hatte.
Blatters Karriere wäre ohne Hammam so wohl nie möglich gewesen. Nachdem sein früherer Förderer, der Adidas-Erbe Horst Dassler, verstarb und sein „Versorgungswerk“, die von Horst Dassler gegründete Sportmarketingfirma ISL, über die mindestens 160 Millionen Schweizer Franken als Schmiergeld an korrupte Funktionäre verteilt wurden, in den Konkurs ging, fand Sepp Blatter schnell einen neuen Förderer. Der 1996 ins FIFA-Exekutivkomitee aufgerückte Katari Mohamed Bin Hammam verfügte anscheinend über die Prokura, sich mithilfe der prall gefüllten Schatzkammern seines Jugendfreundes, des Emirs von Katar, einen Namen in der Fußballfunktionärswelt zu machen. 1998 und 2002 „managte“ Bin Hammam den Wahlkampf Sepp Blatters. Zusammen jettete man im noblen Privatjet des Emirs durch Afrika und verteilte großzügig Handgelder für die Delegierten. Dank Blatters Protektion wurde Bin Hammam kurze Zeit später Chairman des FIFA-Entwicklungshilfeprogramms GOAL, über das er Zugriff auf ein weiteres Füllhorn an Bestechungsgeldern hatte. Bin Hammam bildete damit das Rückgrat von Blatters Macht. Er sorgte in Afrika und Asiens für die nötigen Delegiertenstimmen und kaufte über seinen guten Freund Jack Warner die Stimmen der Delegierten aus der Karibik. Gegen diesen Stimmenblock waren sämtliche vorhandenen und potentiellen Konkurrenten Blatters chancenlos.
Was genau zum Zerwürfnis zwischen Bin Hammam und Blatter geführt hat, ist unbekannt. Fest steht jedoch, dass Bin Hammam sich 2011 mit seinem gekauften Netz an Delegiertenstimmen zusammen mit Jack Warner gegen Blatter erhob und selbst für das Amt des FIFA-Präsidenten kandidierte. Wie es der Zufall will, tauchten kurz nach der Nominierung Bin Hammams Belege auf, mit denen bewiesen werden konnte, dass er und Warner in den Jahren zuvor Delegiertenstimmen für Blatter gekauft hatten. Bin Hammam und Jack Warner wurden daraufhin von der FIFA auf Lebenszeit gesperrt, und Blatter, der natürlich von nichts wusste, wurde ohne Gegenkandidaten auch 2011 erneut zum FIFA-Präsidenten gewählt.
Wer über ein Netzwerk wie Bin Hammam verfügt, kann seinen Einfluss – gegen ein nennenswertes Entgelt – natürlich auch für andere Entscheidungen einsetzen. Dokumenten der britischen Sunday Times zufolge nutzte Bin Hammam sein Netzwerk auch dafür, die Stimmen für die WM-Vergabe an Katar zu kaufen.[2] Nachdem zwei Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees bereits im Vorfeld wegen Korruptionsangeboten (sie boten ihre Stimme zum Kauf an) bei der WM-Vergabe gesperrt wurden, musste Katar noch 12 Stimmen für sich gewinnen. Bei einem Gremium, in dem fast alle Vertreter direkt oder indirekt mit Korruptionsvorwürfen belastet sind, ist dies eine machbare Aufgabe, wenn man denn nur über das nötige Schmiergeld verfügt.
Offenbar hat Bin Hammam die gesamte FIFA-Funktionärswelt mit Geld überschüttet: angefangen beim Präsidenten des liberianischen Fußballverbandes, der bereits für 10 000 Dollar zu kaufen war, bis hin zu Jack Warner, der nie fehlen darf, wenn es um Schmiergelder geht, und der den Dokumenten zufolge stolze zwei Millionen Dollar von Bin Hammam bekommen haben soll. Am Ende konnte Katar im letzten Wahlgang gegen die USA sogar 14 Stimmen sammeln – davon auch mindestens vier von Vertretern des europäischen Fußballverbands UEFA. Nach der Abstimmung mussten acht der damals 22 stimmberechtigten FIFA-Funktionäre wegen belegter Korruptionsvorwürfe zurücktreten. Was nicht heißen soll, dass die übrigen 14 Funktionäre nicht korrupt wären.
Zu den im offiziellen Sprachgebrauch als nicht korrupt geltenden Funktionären zählt auch Franz Beckenbauer, der bei der WM-Vergabe an Katar für die UEFA im FIFA-Exekutivkomitee saß. Für wen der bayrische Tausendsassa, der ebenfalls ein Zögling von Horst Dassler („Der Erfinder der modernen Sportkorruption“) ist und als „Partner“ des Fußballvermarkters Sky und des Axel Springer Verlags über stattliche Nebeneinkünfte verfügt, bei der WM-Vergabe gestimmt hat, ist unbekannt. Fest steht jedoch, dass Beckenbauer unter fragwürdigen Umständen vor und nach der Vergabe als Gast von Bin Hammam im Emirat weilte.[3] Einer Befragung der FIFA-Ethikkommission über die Zusammenhänge dieser Reisen wollte Beckenbauer lange Zeit nicht nachgekommen – angeblich ist sein Englisch zu schlecht, um den Fragebogen des Chefermittlers Michael Garcia auszufüllen.[4] Ja, is‘ denn heut‘ scho‘ Weihnachten? Beckenbauer hat sich auch nicht entblödet, vor laufenden Kameras zu sagen, er habe auf den WM-Baustellen in Katar noch keinen Sklaven gesehen.[5] Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – das lohnt sich zumindest für Beckenbauer.
Der DFB plädierte übrigens für die Vergabe der WM 2022 an die USA. Beckenbauer wollte jedoch seine Stimme zunächst einmal dem Außenseiter Australien geben, dessen Bewerbung von Beckenbauers Freund, dem umtriebigen Lobbyisten Fedor Radmann geleitet wurde. Nach Beckenbauers eigener Aussage, hat er Australien im ersten Wahlgang auch seine Stimme gegeben. Dummerweise bekam Australien aber nur eine einzige Stimme, und die stammte wohl von Sepp Blatter. Dies sagt zumindest der Australier Les Murray,[6] der von 2003 bis 2013 Mitglied der FIFA-Ethikkommission war und – zumindest im Vergleich zu Blatter und Beckenbauer – auch glaubwürdig ist. Wenn Beckenbauer schon in diesem eher unbedeutenden Punkt widersprüchliche Aussagen macht, sind auch seine via Bild kolportierten Bekenntnisse, nicht für Katar gestimmt zu haben, nicht sonderlich glaubwürdig.
Der DFB, der sich selbst gerne als Vorreiter im Kampf gegen Korruption im Fußball geriert, ließ sich bei der WM-Vergabe von einem millionenschweren Schwadroneur vertreten, der dafür bekannt ist, sich für größere Geldbeträge vor so ziemlich jeden Karren spannen zu lassen, und der bis heute nicht belegen kann oder will, für wen er – im Auftrag des DFB – bei der WM-Vergabe eigentlich gestimmt hat. Wer selbst derart Dreck am Stecken hat, kann sich auch den mahnenden Zeigefinger in Richtung Katar sparen. Es ist eine Schande, dass ein derartiges Verhalten in einem deutschen Verband möglich ist, der immerhin fast sieben Millionen Mitglieder vertritt.
Und auch in einem andern Punkt sollte sich Europa in diesem Kontext lieber bedeckt halten. Die Vergabe der WM an Katar war nämlich nicht, wie vielfach fälschlich behauptet, eine Idee Sepp Blatters. Der größte Befürworter Katars war neben den Katarern selbst vielmehr der UEFA-Präsident Michel Platini. Der hatte sich – anders als Blatter – von Beginn an offen für Katar ausgesprochen und die WM im Wüstenstaat damit unvorsichtigerweise zu seinem Projekt gemacht. In diesem Zusammenhang ist auch Blatters Äußerung aus dem Jahre 2014 zu verstehen, dass es „sicher ein Fehler war“, die WM nach Katar zu vergeben.[7] Diese Äußerung hatte nichts mit Katar zu tun, sondern war ein offener Angriff auf Platini, der damals mit dem Gedanken spielte, Blatter zu beerben. Wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass die WM in Katar, inklusive aller toten Bauarbeiter und Menschenrechtsverletzungen, auch ein Werk des europäischen Fußballverbandes ist.
Über die Arbeitsbedingungen auf den FIFA-Baustellen in Katar ist schon viel geschrieben worden. In den letzten zwei Jahren sind alleine 450 indische Bauarbeiter ums Leben gekommen[8] – von den Kollegen aus Nepal stirbt im Schnitt jeden Tag ein Bauarbeiter.[9] Die Experten gehen davon aus, dass bis zur Fertigstellung der Stadien und der Infrastruktur weitere 4 000 Arbeiter ihr Leben lassen müssen. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal, das in Katar übliche System der Kafala sorgt dafür, dass Arbeitnehmer de facto zu Leibeigenen ihres Arbeitgebers werden, sie sind ihm ohne nennenswerten Schutz durch das Arbeitsrecht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Sie müssen ihre Papiere bei ihrem Arbeitgeber abgeben und dürfen ohne diese Papiere weder das Land verlassen, noch einen neuen Job annehmen – auch dann nicht, wenn sie überhaupt nicht bezahlt werden und in unhygienischen Massenunterkünften eingepfercht werden. Wenn das keine moderne Sklaverei ist, was ist dann überhaupt Sklaverei?
Die FIFA sieht diese Missstände, wie so oft, mit Besorgnis. Doch hinter der kritischen Fassade steckt – nichts. Das Schicksal der „Habenichtse“ aus der Dritten Welt ist der FIFA nicht einmal eine Randnotiz wert. Nach Aussagen des ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger wurde dieses Thema im FIFA-Exekutivkomitee mit dem lapidaren Satz „Das geht uns nichts an“ vom Tisch gewischt. Menschenrechte waren bei der FIFA noch nie ein Thema.
Die FIFA interessiert sich nicht für mittellose Arbeiter aus der Dritten Welt, solange dies die Interessen der Sponsoren nicht berührt. Wenn dies einmal der Fall ist, zeigt die FIFA jedoch, was möglich ist. So mussten sowohl Brasilien (dort verbot ein Gesetz den Alkoholkonsum in Sportstadien) als auch Katar (dort ist der Verzehr von Alkohol generell streng limitiert) ihre Gesetze ändern, so dass der FIFA-Sponsor Budweiser sein „Bier“ bei der WM verkaufen kann. Das Leben von Tausenden Indern und Nepalesen lohnt sich jedoch nicht, um beim Gastgeberland zu intervenieren.
Auch homosexuelle Fans haben bei der FIFA keine echte Lobby. In Katar werden Homosexuelle mit Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren oder Peitschenhieben bestraft. FIFA-Präsident Blatter meinte dazu lapidar, er könne homosexuellen Fußballfans bei der WM in Katar nur empfehlen, auf sexuelle Handlungen während der WM zu verzichten. Wäre ein Schwulenverband offizieller FIFA-Sponsor, hätten Blatter & Co. schon dafür gesorgt, dass derart mittelalterliche Gesetze während der WM ausgesetzt werden.
Es gibt tausend Gründe, warum Katar kein geeigneter Austragungsort ist. Doch diese Gründe interessieren die FIFA-Oberen nicht besonders. Entscheidend ist, dass der arabische Raum ein „Wachstumsmarkt“ ist und die Sponsoren Wachstumsmärkte lieben. Und noch entscheidender ist, dass der Emir über Mohamed bin Hammam die Delegierten ganz profan eingekauft hat. Der Weltfußball ist heute eine käufliche Ware, und die Golfstaaten verfügen nun einmal über das nötige Kleingeld.
Nach einer Berechnung der britischen Daily Mail hat Katar mehr als 24 Milliarden Euro ausgeben, um die Weltmeisterschaft zu bekommen.[10] Dabei erfüllen jedoch nicht alle aufgezählten Punkte den Tatbestand der Korruption. Platinis Sympathie für Katar könnte beispielsweise auch nicht nur mit dem schönen Job für seinen Sohn zusammenhängen, sondern auch mit den massiven Investitionen Katars in Frankreich, die sich laut Daily Mail auf fast zwanzig Milliarden Euro summieren – darunter der Kauf mehrerer Airbus-Flugzeuge für die katarische Staatsairline, die Übernahme des französischen Dauermeisters Paris Saint-Germain und der Aufkauf der Übertragungsrechte für die höchste französische Spielklasse, die Ligue 1. All diese Investments fanden nach einem Treffen zwischen dem Emir von Katar, Michel Platini und dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy statt. Auch das nur Zufälle?
Ein Zufall war dann wohl auch der 1,6-Milliarden-Euro-Deal für Energieinfrastruktur, den der Emir mit dem Präsidenten Paraguays abgeschlossen hatte, kurz nachdem Mohamed Bin Hammam in Paraguay zu Gast war. Auch der paraguayische Fußballverband stellte ein Mitglied im FIFA-Exekutivkomitee. Zufall auch, dass Thailand (ebenfalls im Exekutivkomitee vertreten) und Katar einen Vertrag über Gaslieferungen im Volumen von 1,5 Milliarden Euro abgeschlossen hatten, nachdem bin Hammam zu Besuch war.
Direkter ging es da wie üblich in Afrika zu. Glaubt man Phaedra Almajid, ihres Zeichens ehemalige Medienchefin der Bewerbung Katars 2022, dann wurden 2010 in Angolas Hauptstadt Luanda die feinen Herren Issa Hayatou, Amos Adamu und Jacques Anouma mit jeweils 1,5 Millionen Dollar ganz profan gekauft. Die Herren wussten demnach ganz genau, worum es geht und welchen Preis sie verlangen können. Issa Hayatou (Kamerun) ist Chef des afrikanischen Kontinentalverbandes CAF und Vizepräsident der FIFA, weist dabei eine ähnlich lange Sündenliste wie Jack Warner auf und wird als ein möglicher Blatter-Nachfolger gehandelt. Amos Adamu (Nigeria) gehörte zu den Funktionären, die verdeckten Journalisten der Sunday Times ihre Stimme für die WM 2018 für 500 000 Pfund anboten. Jacques Anouma (Elfenbeinküste) verfügt zwar über keine bekannte Korruptionsbiografie, war aber die rechte Hand des ivorischen Warlords, gegen den in Den Haag momentan ein Verfahren des Internationalen Strafgerichtshof läuft – es geht um zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es ist davon auszugehen, dass diese drei feinen Herren ihre Stimme für Katar abgaben.
Doch was stören solche unschönen Details am Rande, wenn es um das ganz große Geld geht? Katar will bis zu 50 Milliarden Dollar in seine Weltmeisterschaft investieren – davon allein vier Milliarden Dollar für die hypermodernen Stadien, die nach der Weltmeisterschaft wahrscheinlich als Ruinen im Wüstensand enden werden. Aber es geht hier nicht nur um Katar und Investitionen in Infrastruktur. Katar investiert auch in einem kaum vorstellbaren Rahmen in den Fußball. Wenn die Welt schon 2022 auf Katar blickt, will man schließlich als qualifizierter Gastgeber nicht sang- und klanglos in der ersten Runde ausscheiden.
Für dieses Projekt kaufte Katar die besten Trainer, zahlreiche talentierte Kinder aus Afrika und einen ganzen Fußballklub aus Belgien. Jedes Jahr beobachten die 6 000 Scouts aus Katar mehr als eine halbe Million Kinder auf den Bolzplätzen der Welt, zumeist in Afrika. Die besten und talentiertesten von ihnen bekommen dann eine Einladung in eine der katarischen Fußballakademien – zum Beispiel im Senegal. Dort wird weiter ausgesiebt, und wer zu den Talentiertesten der Talentierten gehört, kommt dann in die „Aspire Academy for Sports Excellence“[11] nach Doha (Katar), ein hypermodernes Leistungszentrum auf einem derart hohen Niveau, dass es selbst vom FC Barcelona für das Wintertrainingslager gebucht wird. Dort werden die im Ausland gescouteten Kinder dann mit den einheimischen Talenten in Perspektivmannschaften gesteckt, die sich dort zusammen mit den Jugendteams der ganz großen Klubs wie Arsenal London, Real Madrid oder AC Mailand messen dürfen – Anreise und Unterkunft bezahlt der Emir. Denn in Katar weiß man, dass aus Talenten nur dann Stars werden, wenn sie regelmäßig gegen die Besten antreten.
Wer die Akademie als Kind durchlaufen hat, kommt dann zu einem der vom Emir kontrollierten „Farmteams“ auf der ganzen Welt, beispielsweise zum belgischen Zweitligisten KAS Eupen, der der Aspire Academy gehört. Wer in Eupen brilliert, darf sich Hoffnungen machen, eines Tages beim französischen Meister zu spielen – Paris Saint-Germain gehört der Qatar Sports Investments, die dem Qatar Investment Authority, dem Staatfonds der Herrscherfamilie, untersteht. Man ist auch ansonsten bestens in der Beletage vernetzt: Eine Stiftung des Emirs ist Hauptsponsor und Partner des FC Barcelona, und Bayern-Trainer Pep Guardiola ist offizieller WM-Botschafter Katars.
Das Ziel des katarischen Masterplans scheint jedenfalls festzustehen. 2022 sollten die jungen Kicker wenn möglich den Zenit ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben. Dann sollen sie – obgleich Katar dies bestreitet – als katarische Nationalspieler für Furore sorgen.
Als Vorbild kann da teilweise die Handball-WM 2015 gelten, die ebenfalls in Katar stattfand. Der Gastgeber wurde vollkommen überraschend Vizeweltmeister – mit einem Team, das vor allem aus Spielern bestand, die eigentlich aus Bosnien, Frankreich, Kuba, Montenegro und Spanien stammten. Die FIFA hat diesbezüglich zwar strengere Regeln als der Handballweltverband. Wenn Katar jedoch junge Afrikaner einbürgert, die zuvor noch nie für ihr Heimatland international gespielt haben, ist dies auch im Fußball vollkommen legal.
Ob Katars Masterplan aufgehen wird, steht in den Sternen. Sehen wir es als großes Experiment. Sollte Katar 2022 mit einem siegreichen Team auflaufen, dann ist dies wohl der ultimative Beweis dafür, dass Erfolg auch im Fußball käuflich ist; dass der, der sich international Kinder zusammenkauft, am Ende des Tages als Champion den Platz verlässt; dass der, der über Milliarden verfügt, sich ein Siegerteam züchten kann, ob nun in der Wüste oder der Antarktis. Hoffen wir, dass Katar scheitert – dem Fußball zuliebe.
Titelbild: HasanZaidi/shutterstock.com
[«1] mideastsoccer.blogspot.de/2012/07/bin-hammam-audit-opens-pandoras-box.html
[«2] theguardian.com/football/2014/jun/08/FIFA-qatar-world-cup-claims
[«3] jensweinreich.de/2014/06/08/beckenbauer-bin-hammam-chung-investoren-schiffstaufen-und-andere-FIFA-kontakte/
[«4] focus.de/sport/fussball/wm-2022/wm-korruptionsvorwuerfe-zur-wm-2022-berichte-von-beckenbauer-treffen-in-katar_id_3905747.html
[«5] youtube.com/watch?v=EKFrMmhiQpY
[«6] zeit.de/sport/2015-06/les-murray-franz-beckenbauer
[«7] sueddeutsche.de/sport/blatter-ueber-wm-in-katar-sicher-war-es-ein-fehler-1.1966124
[«8] spiegel.de/wirtschaft/gastarbeiter-in-katar-mehr-als-450-inder-auf-wm-baustellen-gestorben-a-954038.html
[«9] theguardian.com/world/2013/sep/25/revealed-qatars-world-cup-slaves
[«10] dailymail.co.uk/sport/football/article-3055550/Qatar-paid-17-17billion-host-2022-World-Cup-finals-new-research-shows-money-went.html