Heute trifft sich die Bund-Länder-Runde zum Thema „Energiekrise“. Neben der konkreten Ausgestaltung der Gaspreisbremse soll es nun auch um das Thema Strompreise gehen. Die Bundesregierung will nach Presseinformationen ab dem 1. Januar einen „Strompreisdeckel“ einführen, bei dem der Strompreis für Haushalte für ein Grundkontingent auf 40 Cent pro kWh begrenzt wird. Das ist purer Irrsinn, da ein Großteil des Stroms für 10 Cent pro KWh und weniger produziert wird. Unter dem Strich bereichert sich vor allem der Staat an den horrenden Stromkosten, die nicht eine Folge des Ukraine-Kriegs, sondern Folge eines vollkommen kontraproduktiven Preisbildungsmechanismus sind. Von Jens Berger.
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Um den Strompreisdeckel richtig zu bewerten, muss man zunächst verstehen, wie der Strompreis überhaupt zustande kommt. Strom wird in Deutschland auf viele Arten erzeugt. Im letzten Jahr stammte fast die Hälfte des erzeugten Stroms aus regenerativen Energien. Rund 20 Prozent stammen aus der Verstromung von Braunkohle, 10 Prozent aus Steinkohle und 13 Prozent aus der Kernenergie. Nur rund 10 Prozent des Stroms wurden im letzten Jahr aus der Verstromung von Erdgas erzeugt. Nun haben all diese Energieträger jedoch unterschiedliche Kosten. Aktuelle Studien beziffern die sogenannten Stromgestehungskosten (also die Herstellungskosten inkl. der Energieträger, den Kapitalkosten und der angestrebten Rendite, aber ohne die Verteilungs- und Speicherkosten) grob folgendermaßen:
- Wind (Onshore) rund 6 Cent/kWh
- Wind (Offshore) rund 10 Cent/kWh
- Photovoltaik (Kleinanlage) rund 7 Cent/kWh
- Photovoltaik (Großkraftwerk) rund 5 Cent/kWh
- Kernenergie rund 8 Cent/kWh
- Braunkohle rund 6 Cent/kWh
- Steinkohle rund 10 Cent/kWh
- Erdgas rund 10 Cent/kWh
Diese Daten sind ein Durchschnittswert verschiedener Studien und beziehen sich auf die Zeit vor dem deutlichen Anstieg der Rohstoff- und vor allem Erdgaspreise. Die Stromerzeugungskosten machen jedoch nur rund 40 Prozent des Endkundenpreises aus. Weitere 40 Prozent sind Abgaben und Steuern und rund 20 Prozent kommen für den Transport und die Speicherung als Netzentgelt hinzu. Die deutschen Endkundenpreise gehören damit zu den höchsten der Welt.
In diesem Jahr sorgten verschiedene Faktoren jedoch dafür, dass die ohnehin schon sehr teuren deutschen Strompreise noch einmal deutlich anzogen. Aber warum kam es gleich zu mehr als einer Verdoppelung des Endkundenpreises für Neuverträge bei Haushaltskunden? Dazu ein Rechenbeispiel: Selbst wenn der Preis für Strom aus Erdgas sich sehr großzügig gerechnet auf 50 Cent/kWh verfünffacht hätte, würde dies ja nur zehn Prozent des gesamten Stromvolumens betreffen. Wir hätten also eine Steigerung von rund 40 Prozent bezogen auf das Gesamtvolumen und wenn man berücksichtigt, dass die Herstellungskosten ihrerseits nur 40 Prozent des Endkundenpreises ausmachen, kämen wir am Ende auf eine Steigerung von 16 Prozent des Gesamtpreises und nicht auf die oft über 100 Prozent, die von den Stromanbietern bei Neuverträgen in Rechnung gestellt werden.*
Hier kommt der Preisbildungsmechanismus der EU ins Spiel. Wir haben bereits ausführlich erklärt, wie dieses Merit-Order-Prinzip funktioniert. Kurz zusammengefasst: Der Einkaufspreis an den Strombörsen wird nicht durch die realen Kosten aller verschiedenen Energieträger bestimmt, sondern ausschließlich anhand der Stromgestehungskosten des im jeweiligen Zeitraum teuersten Anbieters. Wenn die Stromgestehungskosten für Strom aus Erdgas sich also verfünffachen, gilt dieser Preis auch für alle anderen Anbieter, auch für die Anbieter von Strom aus regenerativen Energien, Kohle und Kernkraft, deren Kosten sich – wenn überhaupt – nur marginal gesteigert haben. Die Preissteigerungen beim Erdgas, die eigentlich nur ein kleinerer Preisfaktor für den Strompreis sein müssten, sind durch das Merit-Order-Prinzip also ursächlich verantwortlich für die massiven Preissteigerungen für die Endkunden.
Wer streicht die Gewinne ein?
Wenn man dies Betreibern von kleinen Photovoltaikanlagen oder Windrädern erzählt, reiben sie sich nur verdutzt die Augen. Sie profitieren nämlich nicht von den sagenhaften Preissteigerungen an der Strombörse, sondern werden wie eh und je mit dem über die Einspeisevergütung festgelegten Preis abgefunden. Auch die Stromnetzbetreiber, die indirekt den Strom an den Börsen weiterverkaufen, profitieren nicht, da sie vereinfacht gesagt als „Treuhänder“ agieren. Dafür kommt die EEG-Umlage ins Spiel. Macht der Stromnetzbetreiber mit dem Weiterverkauf Verluste, werden ihm diese aus der EEG-Umlage erstattet. Macht er Gewinne, muss er diese in die EEG-Umlage abführen.
Gedacht war die EEG-Umlage, um Investitionen in regenerative Energien anzukurbeln und den Betreibern solide kalkulierbare Einnahmen zu garantieren. Finanziert wurde die Umlage vor allem von den Endkunden über ihre Stromrechnung. Seit Beginn der Gaspreiskrise hat sich dies jedoch ganz massiv geändert.
Stand August war das vom Staat geführte EEG-Konto mit knapp 17,5 Milliarden Euro im Plus. Diese 17,5 Milliarden Euro wurden von den Stromkunden über höhere – zu hohe – Strompreise bezahlt.
Anders sieht es bei den fossilen Energien und der Kernenergie aus. Hier erzielen die Betreiber als Anbieter an der Strombörse direkt die zusätzlichen Gewinne, die sie dank des Merit-Order-Prinzips einstreichen können.
Welche Auswirkungen hat der Strompreisdeckel?
Der nun geplante Strompreisdeckel zurrt die genannten Fehlentwicklungen fest, anstatt sie aufzulösen. Er setzt beim Endkundenpreis an. Hier wird dann der Staat aktiv und übernimmt die Differenz zwischen dem in Rechnung gestellten Strompreis und dem als „Deckel“ festgelegten Grenzpreis von 40 Cent pro kWh. Bei Industriekunden beträgt der Grenzpreis übrigens nur 13 Cent pro kWh, bei ihnen sind jedoch auch die Abgaben deutlich geringer. Finanziert werden die staatlichen Zuschüsse – so ist es zumindest geplant – über eine Übergewinnsteuer, die nun Zufallsgewinnsteuer heißen soll und von Gas-, Öl- und Kohleunternehmen sowie Raffinerien abgeschöpft werden soll und dies sogar rückwirkend ab dem 1. September. Seltsamerweise fehlen die regenerativen Energien und auch die Kernkraft auf dieser Liste.
Es ist zwar löblich, dass man an die Übergewinne geht, aber davon hat der Verbraucher in diesem Fall leider überhaupt nichts. Er ist es schließlich, der diese Übergewinne über seine Stromrechnung erst bezahlt hat. Nun wird dieses Geld vom Staat abgeschöpft. Das ist keine Entlastung, sondern unter dem Strich eher eine zusätzliche Abgabe. Und wenn der Verbraucher am Ende einen kleinen Teil dieser Abgabe in Form von Zuschüssen zur Stromrechnung wiederbekommen sollte, bekommt er, wenn auch nicht direkt, so aber indirekt genau das Geld wieder, dass er gleichzeitig über den höheren Strompreis bezahlt. Rechte Tasche, linke Tasche.
Dabei gäbe es doch eine ganz andere Möglichkeit: Wäre der Strompreis niedriger, würden keine Übergewinne in diesem Bereich anfallen und der Staat müsste nichts subventionieren und auch nichts umverteilen. Das wäre eine echte Entlastung und sie wäre durchaus umsetzbar.
Warum geht man nicht an die Merit Order?
Dazu ein ganz einfaches Rechenbeispiel. Würde man die Gaskraftwerke aus der Merit Order herausnehmen, wäre es stets die nächstteuerste Energieform, die den Strompreis an den Strombörsen bestimmen würde. Das wären dann gemäß der oben genannten Zahlen zum Beispiel der Offshore-Windstrom oder die Steinkohle; dies jedoch zu einem Erzeugerpreis von rund 10 Cent pro kWh und nicht zu den teilweise exorbitant hohen Erzeugerpreisen der Gaskraftwerke, die im Sommer fast durchgängig bei über 40 Cent pro kWh lagen.
Würde man so vorgehen, wäre ein Endkundenpreis von rund 25 Cent pro kWh durchaus möglich – schließlich fällt die alte EEG-Umlage ja weg. Würde man nun auch noch die Umsatzsteuer für Strom – wie beim Erdgas – auf sieben Prozent absenken, wäre sogar eine Senkung auf 22 Cent pro kWh durchaus realistisch. Nun müsste man jedoch einen Weg finden, die Gaskraftwerksbetreiber so zu entlohnen, dass sie auch ohne fortwährende Verluste Strom erzeugen können. Das könnte eine neue Umlage gewährleisten, aus der der Staat den Gaskraftwerks-Betreibern die Differenz zwischen ihrem Erzeugerpreis und der Merit Order an der Strombörse ausgleichen könnte. Nach der oben genannten Überschlagsrechnung wären dies rund 16 Prozent des Strompreises, also rund 4 Cent. Im Ergebnis käme man so – man höre und staune – auf einen Strompreis, der mit 26 bis 29 Cent pro kWh auf dem Niveau von 2013 läge – und dies ohne Umverteilungs- und Subventionsorgien.* Würde man nun auch noch an die Monopole mit ihren rational nicht erklärbaren Preisen im Stromtransportbereich gehen, wären sogar weit niedrigere Verbraucherpreise möglich. Aber das ist ein anderes Thema.
Warum geht die Bundesregierung nicht diesen einfachen und für die Verbraucher erstrebenswerten Weg? Dafür gibt es keine rationale Erklärung. Man darf jedoch vermuten, dass Lobbyinteressen hier im Weg stehen. Vor allem die Grünen sind ja erklärtermaßen Anhänger hoher Energiepreise, die die Energiewende beschleunigen und finanzieren sollen. Der nun festgelegte Grenzpreis von 40 Cent pro kWh gehört in diese Kategorie und es ist sicher auch kein Zufall, dass regenerative Energien von der Finanzierung der Umverteilung ausgenommen sind. Dort wird es bei den Großbetreibern nach wie vor fette Renditen geben und die Kleinbetreiber sorgen dafür, dass das EEG-Konto märchenhafte Salden ausweisen wird. Nur der Verbraucher ist der Gelackmeierte. Aber das ist ja nichts Neues. Frei nach Henry Ford möchte man sagen: „Würden die Menschen das Strompreissystem verstehen, hätten wir eine Revolution noch vor morgen früh.“
* 2.11.2022 12:45 Uhr: Aufgrund eines Kommafehlers wurden teilweise falsche Werte genutzt. Dies wurde nun berichtigt.
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