Am 3. und 4. November findet in Münster das G-7 Treffen statt. Zentrales Thema ist der Krieg in der Ukraine und die diesbezügliche zukünftige Position der G-7 Staaten. Dabei wird es auch darum gehen, ob unter dem aktuellen deutschen G7-Vorsitz weiterhin die militärische Unterstützung der Ukraine im Vordergrund stehen wird oder eine – wie auch immer aussehende – diplomatische Lösung. Bisher deuten alle Zeichen darauf hin, dass die deutsche Regierung nach wie vor auf Konfrontation statt Verhandlungen setzt, also dem US-Primat folgt und nicht eigenen sicherheitspolitischen Interessen Europas. Von Jürgen Hübschen.
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„Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit“
In der Ukraine wird auch die Freiheit Deutschlands verteidigt, so sieht es jedenfalls die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die am 28. August in der BILD AM SONNTAG mit der Aussage zitiert wurde:
„Für mich ist klar: Die Ukraine verteidigt auch unsere Freiheit, unsere Friedensordnung, und wir unterstützen sie finanziell und militärisch und zwar so lange es nötig ist. Punkt.“
Auffällig ist bei dieser Aussage, dass von humanitärer Unterstützung keine Rede ist und leider auch nicht ausgeführt wird, was Frau Baerbock eigentlich unter „so lange wie nötig“ versteht.
Abgesehen davon ist die für Verteidigung Deutschlands nicht die Ukraine, sondern die Bundeswehr zuständig. Ihre Soldaten schwören gemäß §9 Soldatengesetz folgenden Eid:
„Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe. Der Eid kann auch ohne die Worte ´so wahr mir Gott helfe´ geleistet werden.“
Folgerichtig genügt es also nicht, nur Waffen und militärisches Gerät an die Ukraine zu liefern, sondern die Konsequenz lautet: Deutschland muss die Ukraine bei der Verteidigung unserer Freiheit mit unseren Soldaten, die dafür zuständig sind, unterstützen. Sonst ist das, was die Bundesregierung macht, letztlich unredlich, um nicht zu sagen schäbig, weil die Außenministerin in der Realität sagt: Wir lassen unsere Freiheit durch die ukrainischen Soldaten verteidigen. Wenn man der Aussage von Frau Baerbock zustimmt, müsste man eigentlich noch weiter gehen und sagen, dass das ganze ukrainische Volk die Folgen eines Krieges, in dem auch die Freiheit Deutschlands verteidigt wird, erträgt, während Deutschland sich mit militärischer und finanzieller Unterstützung und der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge de facto freikauft und die deutsche Bevölkerung letztlich nur höhere Strom- und Energiekosten und eine generelle Verteuerung der Lebenshaltungskosten aushalten muss.
In der Ukraine wird nicht die Freiheit Deutschlands verteidigt
Das bislang Gesagte gilt nur, falls die Aussage von Frau Baerbock zuträfe, und das ist aus meiner Sicht nicht der Fall. Die ukrainischen Soldaten verteidigen in diesem russischen Angriffskrieg zusammen mit der gesamten Bevölkerung nicht die Freiheit Deutschlands, sondern ihre eigene. Dass Deutschland die Ukraine dabei unterstützt, ist nicht zu beanstanden, allerdings sollte das nicht mit Hilfe immer schwererer Waffen geschehen. Und dafür gibt es einen weiteren Grund, weil die Ukraine nämlich nicht nur ihre eigene Freiheit verteidigt, sondern mit ihrem Kampf leider auch das US-amerikanische Ziel, Russland als globalen Konkurrenten auszuschalten.
Für diese Behauptung sollen die folgenden Statements von US-Außenmnister Blinken, US Präsident Biden und US Verteidigungsminister Austin III als Beweise dienen. Am 23. Februar 2022, also einen Tag vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, sagte US Außenminister Blinken ein für den 24. Februar geplantes Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Lawrow ab mit den Worten:
“Gespräche machen keinen Sinn, wenn russische Truppen schon marschieren.“
Etwa einen Monat später, am 26. März 2022, beendete Präsident Biden in Polen seine Rede im Hinblick auf den russischen Präsidenten Putin mit den Worten:
„Herr Gott noch mal, dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben“ („For God’s sake, this man can not remain in power.“)
Zwei Tage später versuchte Biden seine Aussage zu relativieren, indem er sagte:
„Niemand glaubt, ich hätte davon gesprochen, Putin abzusetzen, niemand glaubt das.“
Genau vier Wochen später, am 26. April 2022 erklärte US Verteidigungsminister Austin III nach seinem Besuch in Kiew:
“Wir wollen Russland in einem Maße geschwächt sehen, dass es nicht mehr in der Lage ist, Dinge zu tun, die es mit der Invasion in die Ukraine getan hat.“
In Kenntnis der Tatsache, dass es sich in der Ukraine um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland handelt, wäre es mir deshalb lieber gewesen, Deutschland hätte sich im Vorfeld des russischen Einmarsches intensiver diplomatisch engagiert und vor allem mehr Druck auf Moskau und Kiew ausgeübt, das im Wesentlichen von Deutschland und Frankreich zwischen Russland und der Ukraine ausgehandelte Abkommen Minsk II durchzusetzen. Das ist leider nicht geschehen.
Deshalb wäre es wichtig gewesen, die deutsche Außenministerin hätte unmittelbar nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges der Ukraine und der internationalen Staatengemeinschaft die deutsche Position dem Sinne nach wie folgt erklärt: Deutschland verurteilt den russischen Einmarsch in die Ukraine und den damit verbundenen Völkerrechtsbruch ohne Wenn und Aber. Deshalb wird Deutschland alles daransetzen, diesen Krieg schnellstmöglich zu beenden und bietet sich für die dazu erforderlichen Gespräche – nicht zuletzt auf Grund der langjährigen guten Kontakte zur russischen Führung – als Vermittler an. Bis es zu diesen Verhandlungen kommt, wird Deutschland die Ukraine finanziell, durch umfangreiche humanitäre Maßnahmen und durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge unterstützen.
Eine eventuell seitens der Ukraine erwünschte Lieferung von Waffen verbietet sich auf Grund der deutschen Gesetzeslage nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz und würde auch eine durch Deutschland initiierte diplomatische Lösung erschweren. Eine solche Position, verbunden mit dem Angebot, als Vermittler zu fungieren, hätte ganz konkret bei den Gesprächen zwischen der Ukraine und Russland, denen die Ukraine am 27. Februar zugestimmt hatte und die bereits am 28. Februar 2022 in einem kleinen Ort an der weißrussisch-ukrainischen Grenze, begonnen hatten, unterstützen können.
Am 7. März 2022 hatte sich der ukrainische Präsident Selensky im US-Fernsehen zu Gesprächen über den Status der Separatistengebiete im Osten des Landes und der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim bereit erklärt. Selensky hatte zugleich deutlich gemacht, dass er nicht auf Forderungen aus Moskau eingehen werde, die Unabhängigkeit der selbst ernannten Volksrepubliken sowie die russische Herrschaft über die Krim anzuerkennen. Wörtlich sagte er:
„Ich bin bereit für einen Dialog. Aber wir sind nicht bereit für eine Kapitulation.“
Am 22. März 2022 forderte Präsident Selensky den russischen Präsidenten zu direkten Verhandlungen auf. Dabei bot er den Verzicht auf eine NATO Mitgliedschaft der Ukraine an, wenn Russland einem Waffenstillstand und dem Abzug aller russischen Truppen und Referenden auf der Krim und in Lugansk und Donezk zustimmen würde.
Leider wurden diese Möglichkeiten für eine deutsche Vermittlerrolle nicht genutzt, weil man sich stattdessen für eine militärische Unterstützung mit immer mehr und immer schwereren Waffen entschieden hatte.
Über die ukrainisch-russischen Verhandlungen wurde in den Medien bis in den April hinein berichtet und dann nicht mehr. Eine deutsche Vermittlerrolle wurde nicht bekannt. Von Beobachtern wird angenommen, dass der damalige britische Premierminister Johnson, in Abstimmung mit den USA, bei seinem Besuch in Kiew am 10. April 2022 auf das Ende der Gespräche mit Russland gedrängt habe, weil mit Hilfe weiterer umfangreicher westlicher Waffenlieferungen ein militärischer Sieg der Ukraine möglich sei.
Zusammenfassung
Deutschland und die westliche Staatengemeinschaft unter Führung der USA haben die Möglichkeiten einer diplomatischen Initiative nicht genutzt, und es ist leider zu befürchten, dass es auch auf dem G-7 Gipfel keine überzeugende Strategie für die Beendigung des Krieges und eine zukünftige Friedensordnung in Europa, unter Einschluss Russlands, geben wird. Damit wird eine verfehlte Russland Politik fortgesetzt, die 2014 nach der russischen Annexion der Krim (Anmerkung der Redaktion: Zu der Einordung „Annexion der Krim“ gibt es auch widersprechende Einschätzungen von renommierten Völkerrechtlern wie z.B. Reinhard Merkel) mit dem Ausschluss Russlands aus der G-8 Gemeinschaft begann, der Russland seit 1998 angehört hatte.
In den letzten Tagen wurde nach Medienberichten aus Moskau immer wieder Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft signalisiert und zwar von Außenminister Lawrow, Kremlsprecher Peskow und auch von Präsident Putin selbst. Wie seriös diese Angebote sind, kann letztlich nur beurteilt werden, wenn man auf diese eingeht. Ob man die Inhalte annimmt, ist dann eine zweite Frage. Es hat jedenfalls aus meiner Sicht in keinem Lebensbereich und auch in der Politik noch nie etwas gebracht, mit jemandem nicht mehr zu sprechen.
Titelbild: shutterstock / Fly Of Swallow Studio